Das Verkehrslexikon
Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 08.09.1993 - 11 C 38/92 - Zum Anspruch auf Zulassung von privatem Liefer- und Anliegerverkehr in der Fußgängerzone
BVerwG v. 08-09.1993: Zum Anspruch auf Zulassung von privatem Liefer- und Anliegerverkehr in der Fußgängerzone
Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 08.09.1993 - 11 C 38/92) hat entschieden:
- Die uneingeschränkte Anfahrmöglichkeit mit Kraftfahrzeugen gehört bei einem Wohngrundstück in einer innerstädtischen Fußgängerzone nicht zu dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich des Anliegergebrauchs.
- Die Straßenverkehrsbehörde darf einen - widmungsrechtlich erlaubten - Anliegerverkehr in einer Fußgängerzone aufgrund der Ermächtigung des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 4 StVO insoweit durch Zusatzschild zulassen oder einschränken, als dies bei Berücksichtigung der straßenverkehrsrechtlichen Belange und der Anliegerinteressen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.
- Unter "Lieferverkehr" (Zusatzzeichen Gruppe 1026-35 zu § 39 Abs. 1 StVO) ist der geschäftsmäßige Transport von Sachen von oder zu Gewerbetreibenden sowie von oder zu sonstigen Kunden eines Gewerbetreibenden zu verstehen.
Siehe auch Streckenverbote und Straßenverkehrsrechtliche Anordnungen
Tatbestand:
Der Kläger erstrebt eine straßenverkehrsbehördliche Zulassung des privaten Anliegerverkehrs zu seinem - von ihm bewohnten - Grundstück in einer Fußgängerzone der Innenstadt von H. 40 m von diesem Grundstück entfernt verläuft die G.-Straße, 80 m entfernt die O.-Straße; beide sind mit Kraftfahrzeugen befahrbar.
Im Zusammenhang mit der Schaffung von Fußgängerzonen hatte die Beklagte Ende 1981 auf der Grundlage des Niedersächsischen Straßengesetzes die Teileinziehung verschiedener Straßen - u.a. derjenigen, in der der Kläger wohnt - verfügt und die Widmung auf die Benutzungsart "Gehweg" eingeschränkt. Der Anliegerverkehr blieb wegerechtlich zugelassen; straßenverkehrsbehördliche Maßnahmen zur Regelung des Anlieger- und Lieferverkehrs waren vorbehalten. Widerspruch und Anfechtungsklage des Klägers gegen diesen Vorbehalt straßenverkehrsbehördlicher Maßnahmen hatten keinen Erfolg. In der Folgezeit wurde an der O.-Straße das Schild "Fußgängerzone" (Zeichen 242) aufgestellt; durch Zusatzzeichen ist der "Lieferverkehr" jeweils montags bis freitags von 6.00 bis 10.30 Uhr und 19.00 bis 21.00 Uhr sowie samstags von 6.00 bis 9.30 Uhr zugelassen. Ein weiteres Schild "Einfahrt in die Grundstücke frei" wurde 1989 entfernt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass keines der betroffenen Grundstücke mehr über eine eigene Grundstückszufahrt oder einen eigenen Stellplatz verfügte. In der anderen Richtung zur G.-Straße bestand zunächst eine Einbahnregelung (Zeichen 267); sie wurde 1984 durch das Schild 241 mit dem Zusatzschild "Fußgängerzone" ersetzt.
Im Jahre 1985 erhob der Kläger erfolglos Widerspruch "gegen die Verkehrsregelung". Mit seiner Klage hat er geltend gemacht, der Ausschluss des Anliegerverkehrs sei nicht gerechtfertigt. Diese Klage hat das Verwaltungsgericht im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, es könne offenbleiben, ob der Kläger rechtzeitig Widerspruch gegen die Verkehrsschilder erhoben habe; jedenfalls sei die Klage unbegründet, denn die Einschränkung des Fahrverkehrs sei zur Sicherung des Fußgängerverkehrs nach § 45 Abs. 1 StVO erforderlich.
Der hiergegen erhobenen Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, in der Straße, an der der Kläger wohnt, "auch einen privaten Anliegerverkehr zuzulassen". In den Entscheidungsgründen ist im wesentlichen ausgeführt: Zwar sei die Frage, ob die Zufahrtsmöglichkeit eines Anliegers mit eigenen Kraftfahrzeugen von Art. 14 GG geschützt sei, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht eindeutig zu beantworten. Jedenfalls sei die vom Kläger beanstandete Nichtzulassung eines privaten (nichtgewerblichen) Anliegerverkehrs verkehrsrechtlich unzulässig. Nach § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nrn. 3 und 4 StVO könnten die Straßenverkehrsbehörden die notwendigen Anordnungen zur Kennzeichnung von Fußgängerbereichen und zur Erhaltung der Sicherheit oder Ordnung in ihnen treffen. Hiernach sei der völlige Ausschluss des straßenrechtlich zugelassenen privaten Anliegerverkehrs in einer Fußgängerzone nur dann zulässig, wenn die Erhaltung der Sicherheit oder Ordnung dies gebiete. Dabei seien die Interessen der Anlieger, insbesondere ihr Zufahrtsrecht als Grundstückseigentümer und darüber hinaus ihr Recht als Gewerbetreibende, zu berücksichtigen, damit dem ordnungsrechtlichen Zweck der Verkehrsbeschränkung keine unverhältnismäßigen Nachteile der davon Betroffenen gegenüberstünden. Die Beklagte habe hier nur die gewerblichen Interessen des Klägers berücksichtigt, nicht aber sein privates Interesse daran, sein Grundstück selbst anzufahren. Ein derartiger Ausschluss des Anliegerverkehrs sei zur Erhaltung der Sicherheit oder Ordnung in der hier fraglichen Fußgängerzone nicht erforderlich. Auszugehen sei zwar einerseits davon, dass eine Fußgängerzone überwiegend dem Fußgängerverkehr zur Verfügung stehen müsse, es also dieser Verkehr sei, den es vorzugsweise zu sichern gelte. Andererseits verlange die Sicherheit des Fußgängerverkehrs nicht den vollständigen Ausschluss des privaten Fahrverkehrs. Wenn die Beklagte den gewerblichen Lieferverkehr zu bestimmten Zeiten zulasse, habe sie zu Recht berücksichtigt, dass in diesen Zeiten ein verminderter Fußgängerverkehr herrsche, der eben einen Fahrverkehr durchaus zulasse. Bereits insoweit sei fraglich, ob es erforderlich sei, zu diesen Zeiten auch den privaten Verkehr ganz auszuschließen. Jedenfalls nachts und an Sonn- und Feiertagen sei dies nicht der Fall, wenn nämlich nur ein ganz geringer Fußgängerverkehr herrsche. Es könne nicht zweifelhaft sein, dass insoweit das Anliegerinteresse vorzugehen habe.
Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, ein Verstoß gegen Art. 14 GG liege nicht vor; denn die Verbindung des Grundstücks zum öffentlichen Straßennetz bestehe nach wie vor. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht einen Verstoß gegen § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nrn. 3 und 4 StVO angenommen. Es gehöre zum Wesen einer Fußgängerzone, dass der Fahrverkehr - soweit er überhaupt zuzulassen sei - auf ein Minimum beschränkt werde. Nur im Wege der größtmöglichen Ausdünnung des Anliegerverkehrs, auch abends und nachts sowie an Wochenenden und Feiertagen, ließen sich die Belange des Allgemeinwohls in einer Fußgängerzone berechenbar wahren. Wegen der geringen Entfernungen des Grundstücks des Klägers zu öffentlichen Verkehrsstraßen, ferner zur nahen U-Bahn-Station, Bushaltestelle und einem Parkhaus seien dessen Belange nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt.
Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil.
Der Oberbundesanwalt verneint einen Verstoß gegen Art. 14 GG und meint, bei einem Grundstück in der Fußgängerzone des Kerns einer Großstadt bestehe ein ganz erhebliches öffentliches Interesse an der möglichst weitgehenden Fernhaltung privater Kraftfahrzeuge.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Der Kläger hat nach dem vom Oberverwaltungsgericht festgestellten, mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Sachverhalt keinen Anspruch auf eine straßenverkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten dahin gehend, dass der private Anliegerverkehr zu seinem Grundstück in der Fußgängerzone zugelassen wird.
1. Der Kläger kann die Zulassung des Anliegerverkehrs nicht mit der Begründung verlangen, es fehle für die Einrichtung der Fußgängerzone (Zeichen 242 zu § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO) an den notwendigen wegerechtlichen Voraussetzungen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte den hier fraglichen Straßenbereich Ende 1981 als Gehweg gewidmet. Diese Widmungsverfügung ist dem Kläger gegenüber bestandskräftig, da seine gegen den Vorbehalt straßenverkehrsrechtlicher Beschränkungen erhobene Klage vom Verwaltungsgericht mit Gerichtsbescheid vom 17. September 1985 rechtskräftig abgewiesen worden ist. Damit ist die erforderliche straßenrechtliche Grundlage für eine straßenverkehrsrechtliche Ausweisung der fraglichen Straße als Fußgängerzone vorhanden (§ 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3 StVO).
Der Kläger kann die erstrebte Zulassung des Anliegerverkehrs auch nicht deshalb verlangen, weil der Anliegerverkehr in der Widmungsverfügung ohne Einschränkungen zugelassen worden ist: Das Straßenverkehrsrecht berechtigt zwar nicht zu verkehrsregelnden Maßnahmen, die über den Umfang der wegerechtlichen Widmung der Straße hinaus andere Benutzungsarten zulassen, also über den Inhalt und Umfang des Widmungszwecks hinausgehen; es lässt aber Maßnahmen zu, die den widmungsrechtlich zugelassenen Verkehr einschränken (vgl. BVerwGE 62, 376; Peine JuS 1984, 1 ff. und NVwZ 1984, 201 ff.; Randelzhofer DAR 1987, 237 <242>). Hier ist der widmungsrechtlich zugelassene Anliegerverkehr insofern eingeschränkt worden, als die Straßenverkehrsbehörde nur "Lieferverkehr" erlaubt hat. Dies ist aus der Sicht des Wegerechts unbedenklich.
2. Ein Anspruch des Klägers auf Zulassung des Anliegerverkehrs in dem vom Berufungsgericht angenommenen zeitlich begrenzten Umfang, nämlich "jedenfalls nachts und an Sonn- und Feiertagen" (UA S. 12/13), lässt sich ferner nicht aus dem ihm zustehenden Anliegerrecht ableiten.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt der Anliegergebrauch in seinem Kern dem privatrechtlichen Eigentum zwar so nahe, dass er unter den Schutz des Art. 14 GG fällt (stRspr, vgl. etwa BVerwGE 30, 235; auch BVerfG NVwZ 1991, 358). Der gegenüber dem schlichten Gemeingebrauch gesteigerte Anliegergebrauch reicht aber nur so weit, wie die angemessene Nutzung des Grundeigentums eine Benutzung der Straße erfordert. Angemessen ist nicht schon jede Nutzung, zu der das Grundeigentum Gelegenheit bietet, sondern ausschließlich das, was aus dem Grundstück und seiner sowohl nach der Rechtslage als auch den tatsächlichen Gegebenheiten prägenden Situation der Umgebung als anerkennenswertes Bedürfnis hervorgeht. Der eigentumsrechtliche Schutz des Anliegergebrauchs erstreckt sich daher nur auf den notwendigen Zugang des Grundstücks zur Straße und seine Zugänglichkeit von ihr. Gewährleistet wird nur die Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz überhaupt, nicht dagegen notwendig auch die Erreichbarkeit des eigenen Grundstücks mit Kraftfahrzeugen des Eigentümers oder gar jeder Anliegerverkehr. Das Recht auf Anliegergebrauch schützt regelmäßig nicht vor solchen Erschwernissen des Zugangs, die sich aus seiner besonderen örtlichen Lage ergeben, insbesondere - wie hier - in einer Fußgängerzone im innerstädtischen Ballungsraum (BVerwGE 54, 1; Urteil vom 20. Mai 1987 - BVerwG 7 C 60.85 - Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 7 *= NJW 1988, 432, jeweils m.w.N.; vgl. auch BVerfG a.a.O.). Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 15. November 1974 - BVerwG 4 C 12.72 - (NJW 1975, 1528) ausgeführt, dass unter den heutigen Verhältnissen des Straßen- und Geschäftsverkehrs die ausreichende Möglichkeit, ein - zumal geschäftlich genutztes - Grundstück mit dem Kraftfahrzeug zu erreichen, "grundsätzlich" zu den Erfordernissen einer angemessenen Grundstücksnutzung gehöre. Abgesehen davon, dass die Wendung "grundsätzlich" bereits Ausnahmen zulässt, lässt sich dieser Entscheidung - die die Zugänglichkeit eines Gewerbebetriebs in einer "Fußgängerstraße" betraf - aber kein Rechtssatz dahin gehend entnehmen, dass auch ein Anliegerfahrverkehr aus privatem Anlass mit privaten Kraftfahrzeugen zum Kernbereich des Anliegergebrauchs gehöre. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden, dass die Gewährleistung der Zugänglichkeit eines Grundstücks weder eine Bestandsgarantie hinsichtlich der Ausgestaltung und des Umfangs der Grundstücksverbindung mit der Straße noch die Gewährleistung von "Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zu- und Abgangs" bedeutet. Maßgeblich ist die das jeweils betroffene Grundstück prägende Situation seiner Umgebung, so dass der Anlieger einschränkende Maßnahmen hinnehmen muss, die aus dem Zweck und dem allgemeinen Gebrauch der Straße folgen, sofern sie nur als Verkehrsmittler erhalten bleibt (BVerwGE 54, 1 <4>; Urteil vom 6. August 1982 - BVerwG 4 C 58.80 - Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 27 *= NJW 1983, 770; Beschluss vom 13. Mai 1985 - BVerwG 7 B 229.84 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 15; Urteil vom 20. Mai 1987 - BVerwG 7 C 60.85 - a.a.O.).
Die uneingeschränkte Anfahrmöglichkeit zu einem Grundstück, in dem der Eigentümer auch wohnt, bis "unmittelbar vor die eigene Tür" gehört daher im städtischen Ballungsgebiet einer Fußgängerzone nicht zu dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich des Anliegergebrauchs. Die Straßenverkehrsbehörde darf den Anliegerverkehr im Fußgängerbereich vielmehr aufgrund der Ermächtigung des § 45 StVO insoweit durch ein Zusatzschild (vgl. § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO, Ziff. 2 zu Zeichen 242) zulassen oder einschränken, als dies bei Berücksichtigung der straßenverkehrsrechtlichen Belange einerseits und der Interessen des Anliegers andererseits mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.
b) Nach diesem rechtlichen Maßstab steht dem Kläger ein Anspruch auf Zulassung eines über den erlaubten Lieferverkehr hinausgehenden Anliegerverkehrs nicht zu. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nämlich, dass die Nichtzulassung des privaten Anliegerverkehrs - gemessen an den für diese Beschränkung sprechenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (§ 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 4 StVO) - die Anliegerinteressen des Klägers nicht unverhältnismäßig zurücksetzt.
Der Ausschluss des privaten Anliegerverkehrs ist hier eine zum Zwecke der Wahrung der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs, insbesondere seiner Leichtigkeit, geeignete und erforderliche Maßnahme. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, muss in einer Fußgängerzone vor allem die Sicherheit und Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs gewährleistet werden. Dies macht es im vorliegenden Fall - nach der rechtlich nicht zu beanstandenden Feststellung des Berufungsurteils - "unumgänglich", den Fahrverkehr auf die Zeiten eines verminderten Fußgängerverkehrs zu beschränken. Nicht zu folgen ist dem angefochtenen Urteil aber in der Wertung, jedenfalls nachts und an Sonn- und Feiertagen sei es nicht erforderlich, den privaten Anliegerverkehr auszuschließen, weil zu diesen Zeiten im Fußgängerbereich "nur ein ganz geringer Fußgängerverkehr" herrsche. Das Berufungsgericht verkennt hierbei, dass durch die Einrichtung einer grundsätzlich den Fußgängern vorbehaltenen Zone eine auf Dauer angelegte, verlässliche Ordnung des Gesamtverkehrs bewirkt werden soll, die die Fußgänger möglichst zu jeder Tages- und Nachtzeit - auch bei nur geringem Fußgängerverkehr - davor schützt, durch Kraftfahrzeuge überrascht, erschreckt oder gefährdet zu werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 25. April 1980 - BVerwG 7 C 19.78 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 8 S. 27) kann einer ganztägigen Verkehrsbeschränkung die Erforderlichkeit nicht schon deswegen abgesprochen werden, weil die Nachtzeit weniger verkehrsreich und ein Störungseintritt daher zu dieser Zeit weniger wahrscheinlich ist. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 25. April 1980 a.a.O.) bereits darauf hingewiesen, dass eine Verkehrsregelung, die bestimmte Verkehrsströme lenken soll, nur bei einer gewissen Starrheit und dadurch erzielten Gewöhnung der Verkehrsteilnehmer ihre verkehrsordnende Wirkung erreichen kann.
Angesichts dieser Gründe der Verkehrssicherheit oder -ordnung trifft die Nichtzulassung des privaten Anliegerverkehrs den Kläger nicht unverhältnismäßig schwer oder unzumutbar hart. Das Gewicht des Interesses, das der Kläger als Anwohner des Fußgängerbereichs an der generellen Zulassung des privaten Anliegerverkehrs haben kann, wird nämlich durch mehrere Umstände gemindert.
Dabei ist zunächst bedeutsam, dass das Wohngrundstück des Klägers nach der für den Fußgängerbereich geltenden Verkehrsregelung nicht etwa von jedem Kraftfahrzeugverkehr abgeschnitten ist. Insbesondere ist der "Lieferverkehr" durch Zusatzschild freigegeben. Dies kommt nicht nur den Gewerbetreibenden in der Fußgängerzone zustatten, sondern - wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt - auch den Bewohnern des Fußgängerbereichs: Der Begriff "Lieferverkehr" ist nicht durch eine Rechtsvorschrift bestimmt. Sein Inhalt ergibt sich aber aus dem Wortsinn und dem gängigen Sprachgebrauch. Danach betrifft der Lieferverkehr "Lieferungen", wie sie von "Lieferanten" vorgenommen werden. Gemeint ist also der geschäftsmäßige Transport von Sachen von oder zu Gewerbetreibenden sowie von oder zu sonstigen Kunden, beispielsweise das Abholen oder Bringen eines - defekten oder instandgesetzten - Kühlschranks durch den Gewerbetreibenden oder die Zustellung von Gütern an Private durch die Bundesbahn (vgl. Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 13. Aufl. 1993, § 2 Rn. 19, § 12 Rn. 37 a; ferner - teilweise unentschieden - KG VRS 62, 65 <66>). Für die Auffassung, dass der "Lieferverkehr" nicht die zuletzt genannten geschäftsmäßigen Lieferdienste für Private, sondern nur Lieferungen von Geschäft zu Geschäft umfasse (so wohl OVG Lüneburg VerkMitt 1981, 54 <55>; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 32. Aufl. 1993, § 39 Rn. 31 a), sieht der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte. Nicht eingeschlossen in den zugelassenen "Lieferverkehr" ist allerdings der p r i v a t e Transport von Gegenständen (ebenso KG a.a.O.; OVG Lüneburg a.a.O.; Jagusch/Hentschel a.a.O.; Mühlhaus/Janiszewski a.a.O.; a.A. Booß VerkMitt 1981, 55 <56>). Die Beklagte hat jedoch ausdrücklich erklärt, dass in Ausnahmesituationen, z.B. bei Anschaffung schwerer Gegenstände, die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum privaten Transport bis ans Haus in Betracht komme. Ferner ist für die Frage der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung, dass auch die Beförderung von P e r s o n e n von und zu Wohnhäusern in der Fußgängerzone nicht schlechthin ausgeschlossen, sondern in bestimmten Notfällen - namentlich in Notstandssituationen i.S. des § 16 OWiG - trotz des bußgeldbewehrten Verbots (§ 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO) rechtlich erlaubt ist (vgl. dazu Beschluss vom 3. Mai 1988 - BVerwG 7 B 73.88 - Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 8).
Zusätzlich ist nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt und dem von ihm in das Verfahren eingeführten Lageplan zu berücksichtigen, dass das Grundstück des Klägers in der einen Richtung nur etwa 40 m, in der anderen nur etwa 80 m von Straßen entfernt liegt, die dem öffentlichen Straßenverkehr unbeschränkt zur Verfügung stehen und auch von Taxis befahren werden können. In ähnlich kurzer Entfernung zum Grundstück des Klägers befinden sich eine U-Bahn-Station, eine Bushaltestelle sowie ein öffentliches Parkhaus. Die Fußwege, die bei Nichtzulassung des privaten Anliegerverkehrs für den Kläger verbleiben, sind demnach so kurz, dass sie, gemessen an dem öffentlichen Interesse am möglichst weitgehenden Ausschluss des Kraftfahrzeugverkehrs aus dem Fußgängerbereich, keine unverhältnismäßige oder unzumutbare Belastung darstellen. Die vom Kläger geltend gemachten Lästigkeiten und Unannehmlichkeiten, die auch kurze Fußwege mit sich bringen können, muss der Kläger wegen der Lage seines Wohngrundstücks in einer innerstädtischen Fußgängerzone hinnehmen.
3. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und das im Ergebnis zutreffende klageabweisende erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.