Das Verkehrslexikon
OLG Düsseldorf Beschluss vom 29.08.2005 - I-1 U 11/05 - Zur Nichtanwendung einer Harmlosigkeitsgrenze bei der Kausalbeurteilung eines Halswirbelschleudertraumas
OLG Düsseldorf v. 29.08.2005: Zur Nichtanwendung einer Harmlosigkeitsgrenze bei der Kausalbeurteilung eines Halswirbelschleudertraumas
Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 29.08.2005 - I-1 U 11/05) hat zur sog. Harmlosigkeitsgrenze wie folgt geurteilt:
Es gibt keine Harmlosigkeitsgrenze für die Entstehung eines HWS-Traumas. Allein der Umstand, dass sich ein Unfall mit einer geringen, kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung ereignet hat, schließt die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO von einer Ursächlichkeit für eine HWS-Verletzung nicht aus.
Siehe auch Halswirbelschleudertrauma - Lendenwirbelschleudertrauma - unfallbedingte Wirbelsäulenverletzungen
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats gibt es bei Auffahrunfällen keine Harmlosigkeitsgrenze, aufgrund der für bestimmte anstoßbedingte Geschwindigkeitsveränderungen des getroffenen Fahrzeuges im Niedergeschwindigkeitsbereich eine Distorsionsschädigung der Halswirbelsäule des Vordermanns generell auszuschließen ist. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schließt allein der Umstand, dass sich ein Unfall mit einer geringen, kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung ereignet hat, die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO von einer Ursächlichkeit für eine HWS-Verletzung nicht aus (BGH NJW 2003, 1116). Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Dabei erfordert die Überzeugungsbildung keine absolute oder unumstößliche Gewissheit, auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (BGH a.a.O.).
Erst wenn eine vom Schädiger verursachte Primärverletzung feststeht, ist es gerechtfertigt, den Richter hinsichtlich der Feststellung der Schadensfolgen auf Wahrscheinlichkeitserwägungen nach Maßgabe der Beweiserleichterung des § 287 ZPO zu verweisen. Die Notwendigkeit aber den Ursachenzusammenhang zwischen dem Handeln des Schädigers und einer bestimmten Rechtsgutverletzung im Rahmen des Strengbeweises des § 286 ZPO beweisen zu müssen, führt den Geschädigten oft zu erheblichen Beweisschwierigkeiten. Diesen kann aber, je nach den Umständen des Falles, u.a. durch angemessene Anforderungen an den Sachvortrag, Ausschöpfung der angebotenen Beweismittel und sorgfältige, lebensnahe Würdigung der erhobenen Beweise Rechnung getragen werden (BGH NJW 2004, 777, 779). ..."