Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 22.04.1958 - VI ZR 65/57 - Kein Ersatz von Strafverteidigerkosten vom Verursacher eines Verkehrsunfalls

BGH v. 22.04.1958: Kein Ersatz von Strafverteidigerkosten vom Verursacher eines Verkehrsunfalls


Der BGH (Urteil vom 22.04.1958 - VI ZR 65/57) hat entschieden:
  1. Auch bei Schadensersatzansprüchen, die aus BGB § 823 Abs 1 hergeleitet werden, ist zunächst zu prüfen, ob die Tatfolge, für die Ersatz begehrt wird, in den Schutzbereich des Gesetzes fällt, mit anderen Worten, ob der geltend gemachte Schaden aus der Verletzung eines Rechtsgutes entstanden ist, zu dessen Schutz das Gesetz erlassen worden ist.

  2. Ein an einem Verkehrsunfall Beteiligter, der im Strafverfahren wegen des Unfalls freigesprochen worden ist, kann die Verteidigungskosten des Strafverfahrens nicht nach BGB § 823 Abs 1 von demjenigen ersetzt verlangen, der den Unfall schuldhaft herbeigeführt hat.

Siehe auch Anwaltskosten des Unfallgeschädigten als Schadensersatz und Haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang


Zum Sachverhalt: Der Kläger stieß mit seinem Motorrad auf einer Ortsdurchfahrtsstraße mit dem aus der entgegengesetzten Richtung kommenden Personenkraftwagen des inzwischen verstorbenen Ehemannes der Beklagten zusammen, als dieser in seiner Fahrtrichtung nach links einbog, um dort in eine Seitenstraße zu gelangen. Der Kläger wurde verletzt. Beide Fahrzeuge erlitten Schäden.

Gegen beide Fahrer wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Der Ehemann der Beklagten starb, bevor ihm der wegen fahrlässiger Körperverletzung ergangene Strafbefehl zugestellt werden konnte, aus Gründen, die nicht mit dem Unfall zusammenhängen. Der Kläger wurde, nachdem zunächst ein Strafbefehl gegen ihn ergangen war, durch Urteil des Amtsgerichts G. wegen Überschreitung der zulässigen Fahrgeschwindigkeit (§ 9 Abs 1 StVO) zu einer Geldstrafe von 30 DM verurteilt. Auf seine Revision hob das Bayerische Oberste Landesgericht dieses Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Nunmehr wurde der Kläger mangels Beweises freigesprochen.

Er hat von der Beklagten als Erbin ihres Ehemannes neben verschiedenen anderen Schadensposten, die inzwischen rechtskräftig erledigt sind, 686,88 DM als Ersatz der Kosten verlangt, die ihm durch seine Verteidigung in dem Strafverfahren entstanden sind.

Das Landgericht hat die Ansprüche des Klägers zu 4/5 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die weitergehende Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage hinsichtlich der Strafverteidigungskosten von 686,88 DM abgewiesen.

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Parteien streiten nur noch über die Frage, ob die Beklagte dem Kläger auch die Kosten, die er zu seiner Verteidigung in dem Strafverfahren aufwenden musste, zu 4/5 zu ersetzen hat. Diese Frage hat das Berufungsgericht mit der Begründung verneint, dass zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten des Ehemannes der Beklagten und der Entstehung der Verteidigungskosten kein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Ob die Angriffe begründet sind, die die Revision gegen diese Annahme des Berufungsgerichts erhebt, kann auf sich beruhen, da die Ansicht des Berufungsgerichts, dass dieser Ersatzanspruch des Klägers zu verneinen sei, jedenfalls im Ergebnis rechtlich zu billigen ist.

Mit der Bejahung der adäquaten Kausalität ist nämlich noch nicht der für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentliche Gesichtspunkt behandelt. Die bisherige Betrachtungsweise, die die Frage der Haftungsbegrenzung nur unter dem Gesichtspunkt des adäquaten Kausalzusammenhangs sieht, ist nicht immer geeignet, das Problem der Begrenzung der Haftung in geeigneter Weise zu lösen (von Caemmerer, Das Problem des Kausalzusammenhangs im Privatrecht, Freiburger Universitätsreden, Heft 23 der neuen Folge, und NJW 1956, 569, 570; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I. Band 2. Aufl § 14 III bei Seite 121ff und NJW 1955, 1009; 1958, 627). Der Bundesgerichtshof hat ebenfalls schon in früheren Urteilen seine Ansicht zu erkennen gegeben, dass die Formel der adäquaten Kausalität nicht immer ausreicht, um dem Problem der Haftungsbegrenzung gerecht zu werden (vgl BGHZ 8, 325, 329; 10, 107, 108; 20, 137, 142, 143). Auf der Suche nach anderen Wegen hat von Caemmerer (aaO) im Anschluss an die Forschungsergebnisse Rabels (Warenkauf I, 473-509) mit Recht die Frage ins Licht gerückt, ob die Tatfolge, für die Ersatz begehrt wird, innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm liegt. Diese Fragestellung ist für die Haftung aus Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs 2 BGB) geläufig und anerkannt. Hier ist, wie auch der erkennende Senat in seinen Urteilen BGHZ 12, 213, 217 und 19, 114, 126 anschließend an die Rechtsprechung des Reichsgerichts ausgesprochen hat, Voraussetzung der Haftung, dass der Schaden im Rahmen der durch das Schutzgesetz geschützten Interessen liegt, dass also der Schaden aus der Verletzung eines Rechtsgutes entstanden ist, zu dessen Schutz die Rechtsnorm erlassen worden ist. Diese Begrenzung gilt aber nicht minder, wenn wie hier Ersatzansprüche aus § 823 Abs 1 BGB hergeleitet werden. Auch im Rahmen dieser Bestimmung muss zunächst gefragt werden, ob der geltend gemachte Schaden innerhalb des Schutzzweckes dieser Vorschrift liegt, maW ob es sich dabei um Folgen handelt, die in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen wurde. Daher sind als erstes der Sinn und die Tragweite der vom Täter verletzten Rechtsnorm zu untersuchen (vgl auch Nipperdey in Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts 14. Aufl § 216 III S 943 und Landgericht Stade in DAR 1958, 47 Nr 26).

Der Kläger begehrt mit dem Ersatz der Verteidigungskosten Ersatz eines Schadens, den er an seinem Vermögen erlitten hat, also einen Vermögensschaden. dass in § 823 Abs 1 BGB, aus dem der Kläger in erster Linie seine Ansprüche gegen die Beklagte herleitet, das Vermögen als solches nicht geschützt wird, ist allgemein anerkannt. Es kann sich daher nur fragen, ob dieser Schaden des Klägers unter einem anderen Gesichtspunkt in dem Gefahrenbereich liegt, um den es in § 823 Abs 1 BGB geht. Diese Vorschrift schützt in dem hier in Betracht kommenden Teil die Unversehrtheit des Körpers, der Gesundheit und des Eigentums. Sie will durch das Verbot, diese Rechtsgüter und Rechte anderer zu verletzen, und durch die Pflicht zur Wiedergutmachung, die an einen schuldhaften Verstoß gegen diese Bestimmung geknüpft ist, gegen alle Gefahren schützen, die sich bei einer Verletzung dieser Rechtsgüter und Rechte ergeben. Nur die Folgen dieser Verletzung der geschützten Rechtsgüter und Rechte werden dem Täter zugerechnet und nur in diesem Rahmen sind die Interessen des Geschädigten im Gesetz geschützt.

Wird jemand, wie im vorliegenden Falle der Kläger, bei einem Unfall verletzt und sein Kraftfahrzeug beschädigt, so liegen die Kosten, die zur Wiederherstellung der Gesundheit und zur Instandsetzung des Fahrzeugs erforderlich sind, ohne Zweifel innerhalb des Schutzzweckes, dem § 823 Abs 1 BGB dient. Das gleiche gilt von dem Verdienstausfall, den der Verletzte erleidet, weil er wegen der Unfallverletzung seinem Berufe nicht nachgehen kann, und von dem Nutzungsausfall, der ihm entsteht, weil er den beim Unfall beschädigten Kraftwagen in seinem Geschäft nicht nutzbringend verwenden kann. All dies sind Folgen des Unfalls, die mit der Körperverletzung und der Beschädigung des Kraftfahrzeugs zusammenhängen. Sie fallen, obwohl es sich zum Teil um Vermögensschäden handelt, in den Bereich, der von § 823 Abs 1 BGB geschützt wird. Ganz anders verhält es sich aber bei den Aufwendungen, die das Strafverfahren für den Kläger mit sich gebracht hat. Insoweit sind durch den Unfall keine Gefahren verwirklicht worden, die das Gesetz verhüten will. Diese Aufwendungen haben mit der Körperverletzung und der Sachbeschädigung, die der Kläger durch den Unfall erlitten hat, nichts zu tun, denn sie beruhen darauf, dass gegen den Kläger der Verdacht bestand, eine strafbare Handlung begangen zu haben, und dass die Strafverfolgungsbehörde sich deshalb entschlossen hat, ein Strafverfahren gegen den Kläger einzuleiten. Diese Gefahr, in ein Strafverfahren verwickelt zu werden, liegt im Rahmen eines allgemeinen Risikos, das jeden Staatsbürger trifft. Sie ist unabhängig von der Körperverletzung und der Sachbeschädigung, die ein Unfallbeteiligter erleidet, denn sie besteht auch dann, wenn ein Unfall keinen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat, ja selbst dann, wenn die zur Last gelegte Fahrweise überhaupt nicht zu einem Unfall führt. Dieses jedermann treffende Risiko, in ein Strafverfahren verwickelt zu werden und deshalb Kosten für die Verteidigung aufbringen zu müssen, gehört nicht zu den Gefahren, die das Gesetz abwenden will, indem es in § 823 Abs 1 BGB die Unversehrtheit der Gesundheit und des Eigentums unter seinen Schutz stellt. Liegt dieses Risiko aber außerhalb der Gefahren, gegen die § 823 Abs 1 BGB Schutz bietet, mit anderen Worten: handelt es sich um eine Folge des Unfalls, die außerhalb des Schutzbereichs des Gesetzes liegt, so scheidet § 823 Abs 1 BGB als Grundlage für einen Anspruch auf Ersatz dieses Schadens aus, ohne dass es darauf ankommt, ob zwischen der Handlung des Täters und dem geltend gemachten Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht.

Diesem Ergebnis steht, worüber der III. und IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sich einig sind, das Urteil des III. Zivilsenats BGHZ 26, 69, 76f nicht entgegen. Der dort entschiedene Fall betraf eine Verurteilung aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung (§ 839 BGB in Verbindung mit Art 34 GG), bei der anders als in § 823 Abs 1 BGB nicht nur bestimmte Rechte und Rechtsgüter geschützt sind, sondern jeder Schaden zu ersetzen ist. Daher ist es nicht erforderlich, die Sache dem Großen Senat für Zivilsachen zur Entscheidung vorzulegen (§ 136 GVG). Ob für den Fall der Amtshaftung der Ansicht des III. Zivilsenats beizutreten ist, kann auf sich beruhen, denn in dem jetzt zu entscheidenden Fall kommt dieser rechtliche Gesichtspunkt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht.

In Übereinstimmung mit der Auffassung des erkennenden Senats ist auch Wussow (Das Unfallhaftpflichtrecht 6. Aufl, Textziffern 722 und 870-873 sowie VersR 1957, 8) der Meinung, ein an einem Verkehrsunfall Beteiligter, der wegen des Unfalls im Strafverfahren freigesprochen worden ist, könne die Verteidigungskosten des Strafverfahrens nicht aus § 823 Abs 1 BGB von demjenigen ersetzt verlangen, der den Unfall schuldhaft herbeigeführt hat. Allerdings kann die Begründung, mit der er zu dieser Meinung gelangt, nicht in allem gebilligt werden. Vor allem kann, wie schon der III. Zivilsenat in seinem BGHZ 26, 69, 77 hervorgehoben hat, nicht angenommen werden, dass § 842 BGB eine Haftungsbegrenzung ausspricht. Er stellt vielmehr nur klar, dass auch Nachteile für Erwerb und Fortkommen als Vermögensschaden zu ersetzen sind. Das entspricht der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Lehre (vgl ua Chomse, NJW 1958, 533).

Auch aus § 823 Abs 2 BGB in Verbindung mit § 13 StVO kann der Kläger keinen Anspruch auf Ersatz der Verteidigungskosten gegen die Beklagte herleiten. Diese Bestimmung kann, wie schon dargelegt wurde, ebenfalls nur insoweit angewandt werden, als der Schutzzweck des verletzten Schutzgesetzes reicht. Der Schaden muss durch den Verstoß gegen das Schutzgesetz an einem Rechtsgut, dass die Schutzvorschrift sichern sollte, und infolge einer Gefahr entstanden sein, vor der sie schützen sollte (BGHZ 19, 114, 124; Urt v 12. Juli 1957 - I ZR 52/55 - NJW 1957, 1762 Nr 6). § 13 StVO, den der Beklagte verletzt hat, schützt, abgesehen von der Aufrechterhaltung der Ordnung, der diese Bestimmung mit ihrer Vorfahrtregelung dient, ebenfalls nur die Gesundheit und das Eigentum der Verkehrsteilnehmer, nicht aber deren allgemeine Vermögensbelange. Der Schaden, der allein noch in Streit ist (Verteidigungskosten), berührt aber weder die Gesundheit noch das Eigentum des Klägers, sondern ein Interessengebiet, dass hier nicht geschützt ist (vgl RG DR 1940, 1779 Nr 10 und Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht 6. Aufl S 125 und 126).

Dafür, dass § 164 StGB (falsche Anschuldigung) als verletztes Schutzgesetz oder § 826 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht kommen könnte, ist nichts dargetan.

Der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Verteidigungskosten ist hiernach unter keinem der in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte begründet. ..."