Das Verkehrslexikon
Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 04.06.1986 - 7 C 76/84 - Zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf verkehrsbeschränkende Lärmschutzmaßnahmen
BVerwG v. 04.06.1986: Zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf verkehrsbeschränkende Lärmschutzmaßnahmen
Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 04.06.1986 - 7 C 76/84) hat entschieden:
StVO § 45 Abs 1 S 2 Nr 3 gewährt Schutz vor Straßenverkehrslärm nicht nur dann, wenn dieser einen bestimmten Schallpegel überschreitet; es genügen Lärmeinwirkungen, die jenseits dessen liegen, was im konkreten Fall unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs als ortsüblich hingenommen werden muss.
Siehe auch Straßenverkehrsrechtliche Anordnungen und Lärmschutz
Tatbestand:
Die Kläger zu 2 bis 5 begehren von der Beklagten die Anordnung verkehrsbeschränkender Lärmschutzmaßnahmen für die im reinen Wohngebiet gelegene Straße "Am G" in D.
Sie sind Eigentümer bzw. Miteigentümer und - bis auf die Kläger zu 3, die ihr neu eingerichtetes Einfamilienhaus wegen des Verkehrslärms leerstehen lassen - Bewohner von Wohngrundstücken, die entweder unmittelbar an dieser Straße (Kläger zu 2 und 3) oder im Bereich der Einmündung der "B Straße" (Kläger zu 4 und 5) liegen. Die Straße "Am G" dient seit ihrem Ausbau im Jahre 1979 ebenso wie die in sie einmündende - und von der Landesstraße (Sch Straße) abzweigende - Straße "Zum W", an der die Beigeladene zu 2 wohnt, nicht nur zusätzlich dem Ziel- und Quellverkehr eines Schul- und Sportzentrums, sondern wird auch vom überörtlichen Durchgangsverkehr zur Umgehung der D er Innenstadt benutzt. Im Bereich der Wohnhäuser der Beigeladenen zu 2 und der Kläger zu 2 und 3 ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 der Straßenverkehrsordnung - StVO - auf 30 km/h beschränkt. Die Einfahrt von der Landesstraße in die Straße "Zum W" und von der "B Straße" in die Straße "Am G" ist Fahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 1,5 t durch Zeichen 262 der Straßenverkehrsordnung untersagt.
Seit 1980 wandten sich die Kläger zu 2 bis 5 an die Beklagte mit dem Vorbringen, die Verkehrsbelastung und der dadurch hervorgerufene Straßenverkehrslärm seien mit dem Charakter ihrer Ortserschließungsstraße und des reinen Wohngebiets unvereinbar und für sie unzumutbar. Sie beantragten mit Schreiben vom 12. August 1981, den Durchgangsverkehr durch verkehrsbeschränkende Maßnahmen aus dem Straßenzug herauszuhalten. Die Beklagte lehnte das Begehren mit Schreiben vom 9. September 1981 ab und trug dazu vor, für den Durchgangsverkehr stehe die am Wohngebiet vorbeiführende Landesstraße zur Verfügung; dass ortskundige Kraftfahrer durch das Wohngebiet führen, sei nicht der Verwaltung zuzurechnen; verkehrspolizeiliche Maßnahmen brächten im Gesamtinteresse keine Verbesserung der Situation; eine Überwachung etwaiger Geschwindigkeitsbeschränkungen in dem fraglichen Gebiet sei praktisch nicht durchführbar. Den weiteren Antrag der Kläger vom 11. Februar 1982, den Durchgangsverkehr auf der Straße "Am G" mittels geeigneter verkehrsbehördlicher Maßnahmen herauszunehmen, ließ die Beklagte laut Schreiben vom 15. Februar 1982 unter Hinweis auf ein bereits vom Kläger zu 1 betriebenes Widerspruchsverfahren unbeschieden. Dieses Widerspruchsverfahren hatte die aus den gleichen Gründen begehrte Maßnahme zum Ziel, die Einfahrt von der Landesstraße in die Straße "Zum W", an der der am Verfahren nicht mehr beteiligte Kläger zu 1 wohnt, bis auf den Anliegerverkehr durch Verkehrszeichen zu untersagen; es blieb ebenso erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1982) wie das von dem Kläger zu 1 angestrengte Verwaltungsstreitverfahren. Insoweit ist der Rechtsstreit rechtskräftig beendet.
Am 14. April 1983 ordnete die Beklagte an, die Einfahrt in die Straße "Am G" von der B Straße aus werktags von 15 bis 7 Uhr und an Sonn- und Feiertagen für Fahrzeuge zu sperren. Diese Anordnung wurde Ende April 1983 aufgehoben, bevor sie in Kraft getreten war.
Mit der am 4. Januar 1983 erhobenen Klage haben die Kläger zu 2 bis 5 ihr Begehren weiter verfolgt. Das Verwaltungsgericht hat über den Verkehrslärm vor den Grundstücken der Kläger ein Sachverständigengutachten des Landesgewerbeaufsichtsamts eingeholt. Es hat dem Begehren dieser Kläger entsprochen, indem es die Beklagte verpflichtet hat, den Antrag der Kläger, durch geeignete verkehrsbehördliche Maßnahmen eine Beeinträchtigung ihrer Grundstücke durch Straßenverkehr auf der Straße "Am G" in D zu verhindern, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Die Kläger zu 2 bis 5 seien durch den von der Straße ausgehenden Verkehrslärm unzumutbar beeinträchtigt. Der insoweit als Zumutbarkeitsgrenze anzusehende äquivalente Dauerschallpegel von etwa 55 dB(A) am Tage und 45 dB(A) bei Nacht werde auf ihren Grundstücken nach den Feststellungen des Sachverständigen eindeutig überschritten. Die Beklagte sei deshalb verpflichtet, zugunsten dieser Kläger einzuschreiten.
Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Die Weigerung der Beklagten, weitere verkehrsbeschränkende Maßnahmen anzuordnen, verletze keine Rechte der Kläger. Rechtsgrundlage des begehrten Einschreitens sei § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO, wonach die zuständige Straßenverkehrsbehörde zum Schutze der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten könne. Ein solches Einschreiten komme erst dann in Betracht, wenn die Einwirkung so erheblich sei, dass sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere die menschliche Gesundheit gefährde oder aus sonstigen Gründen das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteige. Für ein von anderen Störfaktoren nicht vorbelastetes reines Wohngebiet sei die Grenze des noch zumutbaren Straßenverkehrslärms bei einem äquivalenten Dauerschallpegel (Außenpegel) von nicht unter 60 dB(A) am Tage und 50 dB(A) bei Nacht anzusetzen. Ein Immissionsgrenzwert von 60 dB(A) am Tage ermögliche noch eine normale Unterhaltung im Außenwohnbereich und damit eine angemessene Nutzung von Balkonen, Terrassen und Hausgärten; ein Immissionsgrenzwert von 50 dB(A) bei Nacht entspreche bei zum Zwecke der Lüftung spaltbreit geöffnetem Fenster einem Innengeräuschpegel von 35 dB(A), der sich bei einem durchschnittlich lärmempfindlichen Menschen noch nicht schlafstörend auswirke. Dabei sei ein objektiver Maßstab geboten und zu berücksichtigen, dass der Straßenverkehrslärm grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen sei. Ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens erreiche der auf die Wohnhäuser der Kläger einwirkende Verkehrslärm die genannten unteren Grenzwerte nicht. Soweit für die Wohnhäuser der Kläger zu 4 und 5 höhere Grenzwerte ermittelt worden seien, beruhten sie auf Messverfahren, die den Besonderheiten des Verkehrslärms nicht ausreichend Rechnung trügen. - Die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage, ob verkehrsberuhigende Maßnahmen "im Hinblick auf die Belästigung der Anwohner durch Abgase" in Betracht kämen, sei nicht zu beantworten, weil diese Frage nicht Gegenstand des bei der Beklagten gestellten Antrags gewesen sei. Die Kläger hätten nicht geltend gemacht, dass sie unzumutbaren Abgasimmissionen ausgesetzt seien; der allgemeine Hinweis auf eine hohe Verkehrsbelastung reiche hierfür nicht aus.
Mit der Revision rügen die Kläger zu 2 bis 5 die Verletzung materiellen Rechts und des Verfahrensrechts. Das Berufungsurteil beruhe auf einer verengten Sicht der Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO. Das bloße Zurückgehen auf bestimmte Lärmgrenzwerte entspreche nicht der bisherigen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht habe seine insoweit beanspruchte Sachkunde nicht näher dargelegt; es habe sich nicht mit abweichenden, auf Sachverständigenerfahrung beruhenden Lärmwerten auseinandergesetzt, es habe seine Aufklärungspflicht verletzt. Die Benutzung der in einem reinen Wohngebiet verlaufenden örtlichen Erschließungsstraße zum Durchgangsverkehr durch täglich etwa 2 000 Kraftfahrzeuge sei schon für sich genommen ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Das Berufungsgericht sei ferner zu Unrecht nicht der Frage nachgegangen, ob verkehrsberuhigende Maßnahmen im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO auch zum Schutze vor Abgasen erforderlich seien. Diese Frage sei Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1 beantragen, die Revision zurückzuweisen. Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Kläger zu 2 bis 5 ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht von der Zulässigkeit der von den Klägern erhobenen Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) sowie davon ausgegangen, dass die Kläger als Anlieger der Straße "Am G" für ihr Begehren, die durch den Verkehr auf dieser Straße verursachte, von ihnen für unzumutbar gehaltene Lärmbeeinträchtigung ihrer Grundstücke mittels straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen zu beseitigen, ein geschütztes Recht geltend machen können. Zwar ist § 45 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung in der Fassung vom 21. Juli 1980 (BGBl. I S. 1060) - StVO -, der die Verkehrsbehörde ermächtigt, aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs verkehrsbeschränkende Maßnahmen anzuordnen, grundsätzlich auf den Schutz der Allgemeinheit und nicht auf die Wahrung der Interessen einzelner gerichtet (BVerwGE 37, 112, 113; ebenso Urteile des Senats vom 13. Juni 1980 - BVerwG 7 C 32.77 - in Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 9 und vom 29. Juni 1983 - BVerwGE 7 C 102.82 - in Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 13). Die genannte Rechtsprechung des Senats hat aber anerkannt, dass der einzelne einen - auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde begrenzten - Anspruch auf verkehrsregelndes Einschreiten in bestimmten Fällen, nämlich dann haben kann, wenn die Verletzung seiner geschützten Individualinteressen in Betracht kommt. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 45 Abs. 1 StVO, insbesondere soweit Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift den Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen herausstellt, umfasst nicht nur die Grundrechte wie körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG). Dazu gehört auch im Vorfeld der Grundrechte der Schutz vor Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen (vgl. BVerwGE 59, 221, 227 f.). Soweit § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO gegen derartige grundrechtsgefährdende oder billigerweise nicht mehr zuzumutende Verkehrseinwirkungen schützen will und die Kläger, wie sie es getan haben, als Straßenanlieger diesen Schutz geltend machen, kann ein öffentlich-rechtlicher Individualanspruch gegeben sein. Der von den Klägern zusätzlich angeführte Regelungsfall des § 45 Abs. 1 a Nr. 4 StVO scheidet allerdings als Anspruchsgrundlage aus, weil diese Regelung den Sonderschutz für Erholungsgebiete betrifft, der über den hier allein in Betracht kommenden Schutz der Gebietsart "reines Wohngebiet" hinausgeht.
2. Das Berufungsgericht geht davon aus, die Kläger könnten sich für ihr Begehren nicht auf die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO stützen, denn sie seien durch den Verkehrslärm auf der Straße vor ihren Grundstücken nicht unzumutbar beeinträchtigt. Für ein von anderen Störgeräuschen nicht vorbelastetes reines Wohngebiet, von dem hier ausgegangen werden müsse, sei die Grenze des noch zumutbaren Straßenverkehrslärms bei einem äquivalenten Dauerschallpegel (Außenpegel) - jetzt als Mittelungspegel bezeichnet - von nicht unter 60/50 dB(A) tags/nachts anzusetzen; dieser Pegel werde im Falle der Kläger nach den Messungen und Berechnungen des gehörten Sachverständigen nicht erreicht. Zur Rechtfertigung seiner Ansicht, dass eine Störwirkung von Verkehrsgeräuschen, die unterhalb der genannten Grenzwerte lägen, zu verneinen sei, hat das Berufungsgericht sich ausschließlich und ohne weitere eigene Würdigung auf die Ausführungen bei Fickert (Planfeststellung für den Straßenbau (1978), Erl.-Nr. 10, Rdnr. 50) bezogen. Die Revision hat insoweit Verfahrensrügen erhoben und die fehlende Darlegung der Sachkunde des Gerichts sowie Aufklärungsmängel geltend gemacht. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die schalltechnischen Orientierungswerte für den angemessenen Schutz vor Belastungen durch Verkehrslärm, die nach der Vornorm DIN 18005 Teil I "Schallschutz im Städtebau" vom Mai 1971 und dem Entwurf vom April 1982 der Bauleitplanung zugrunde gelegt werden sollen; diese Werte betragen für einen auf den Rand der Baufläche bezogenen Beurteilungspegel (Mittelungspegel, ggf. mit Zuschlägen für Ton- und Impulshaltigkeit) 50/40 dB(A) tags/nachts. Auch das vom Verwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten ist von diesen Planungsrichtwerten ausgegangen und hat seine Empfehlung, zugunsten der Kläger einzuschreiten, mit dem Hinweis begründet, dass im vorliegenden Falle eine erheblich höhere Lärmbelastung ermittelt worden sei.
Es kann offenbleiben, ob die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen durchgreifen, denn das angefochtene Urteil verletzt materielles Bundesrecht, nämlich § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO, soweit es ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten der Beklagten nach dieser Vorschrift erst bei Verkehrsgeräuschen jenseits der Lärmgrenzwerte von 60/50 dB(A) tags/nachts für möglich erachtet. Das Berufungsgericht orientiert sich bei seinen Überlegungen, welcher Verkehrslärm den Anwohnern (noch) zumutbar ist und damit keine ein Einschreiten nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO erst ermöglichende Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt, an Erwägungen, die für den Neubau von Straßen, also im Zusammenhang mit einer Straßenplanfeststellung entwickelt worden sind und dort ihre Berechtigung haben mögen; dies zeigt mit aller Deutlichkeit sein Hinweis auf das schon erwähnte, das Planfeststellungsrecht betreffende Werk von Fickert. Eine solche Orientierung ist jedoch rechtsfehlerhaft. Sie verkennt, dass sich die Frage nach dem Maß der hinzunehmenden Lärmbeeinträchtigung nur im Rahmen des jeweiligen rechtlichen Kontextes beantworten lässt, in dem sie sich stellt; insoweit sind jedoch die einschlägigen Normen des Straßenrechts von anderer Struktur als die des Straßenverkehrsrechts. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anwohner im Zusammenhang mit dem Bau einer neuen Straße Schallschutzmaßnahmen fordern kann, ist in § 17 Abs. 4 des Bundesfernstraßengesetzes (FStrG) und in den vergleichbaren Vorschriften der Landesstraßengesetze geregelt. Danach sind derartige Maßnahmen dann vorzusehen, wenn sie erforderlich sind, um die Benutzung der Grundstücke gegen Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen zu sichern. Sind sie technisch undurchführbar oder stehen ihre Kosten außer Verhältnis zum Schutzzweck, so hat der Träger der Straßenbaulast eine angemessene Entschädigung zu leisten. Die Erheblichkeit der Lärmbeeinträchtigung oder - was gleichsteht - ihre Unzumutbarkeit kennzeichnet damit eine äußerste, im Wege gerechter Abwägung zu Lasten des Betroffenen nicht mehr oder nur gegen Entschädigung überwindbare Grenze (vgl. BVerwGE 48, 56 (68)); hieraus folgt - wie zur Klarstellung hinzugefügt sei -, dass Lärmbelästigungen, die diese Grenze nicht erreichen, keineswegs stets und generell, sondern nur in dem Rahmen hingenommen werden müssen, der einer gerechten Abwägung standhält.
Anders als die Regelung des § 17 Abs. 4 FStrG knüpft die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO nicht an eine solche Grenze an, jenseits derer die zuständige Behörde zu verkehrsrechtlichen Maßnahmen verpflichtet ist. Sie gibt dem einzelnen nur einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, und zwar auch dann, wenn die Lärmbeeinträchtigungen so intensiv sind, dass sie im Rahmen einer Planfeststellung Schutzauflagen auslösen würden. Dies rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen als Mittel der Lärmbekämpfung dort ausscheiden müssen, wo sie die Verhältnisse nur um den Preis bessern können, dass an anderer Stelle neue Unzuträglichkeiten auftreten, die im Ergebnis zu einer verschlechterten "Gesamtbilanz" führen, etwa weil sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigen oder im Hinblick auf eintretende Änderungen von Verkehrsströmen noch gravierendere Lärmbeeinträchtigungen von Anliegern anderer Straßen zur Folge haben. Hinzu kommt der bereits für den planungsrechtlichen Lärmschutz anerkannte Gesichtspunkt (BVerwGE 51, 15, 34; 61, 295, 299), dass die Grenze des billigerweise zumutbaren Verkehrslärms fließend ist und mindestens solange einen Spielraum lässt, wie es an der Bestimmung durch eine Rechtsnorm fehlt, eine Tatsache, die nach dem Scheitern des Entwurfs eines Verkehrslärmschutzgesetzes (Bundestags-Drucksache 8/1671 und 8/3730) andauert. Daraus ergibt sich: § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO ermöglicht und gewährt Schutz vor Verkehrslärm nicht erst dann, wenn dieser einen bestimmten Schallpegel überschreitet; es genügt vielmehr, dass der Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss. Nur dies entspricht auch dem Schutzzweck der in Rede stehenden Vorschrift; sie zielt darauf ab, die rechtliche Zulässigkeit, Verkehrslärmschutz mittels verkehrsregelnder Maßnahmen zu gewähren, eher zu erleichtern als zu erschweren. Dabei ist nicht nur auf die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Anlieger sowie auf das Vorhandensein bzw. Fehlen einer bereits gegebenen Lärmvorbelastung abzustellen. Maßgeblich sind auch andere Besonderheiten des Einzelfalles, so etwa der hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in Verbindung mit dem Vortrag der Kläger gegebene Umstand, dass eine Ortserschließungsstraße entgegen ihrer eigentlichen Funktion zunehmend vom überörtlichen Verkehr als sogenannter Schleichweg in Anspruch genommen wird und damit Lärmbelästigungen auslöst, die von den Anliegern reiner Wohnstraßen üblicherweise nicht hingenommen werden müssen. Denn ein Verkehrslärm, der von den Anliegern einer Bundesfernstraße (einschließlich Ortsdurchfahrt) oder auch einer Landstraße bzw. einer Kreisstraße wegen ihrer der Widmung entsprechenden Verkehrsbedeutung ertragen werden muss, ist nicht ohne weiteres in gleicher Weise den Anliegern einer Ortserschließungsstraße zumutbar. Demgemäß haben die Straßenverkehrsbehörden u.a. darauf hinzuwirken, dass vom Durchgangsverkehr in erster Linie die dafür gewidmeten überörtlichen Straßen und nicht die örtlichen Erschließungsstraßen reiner Wohngebiete benutzt werden (ebenso Hess.VGH, Urteil vom 18. Mai 1982 - II OE 108/78 - in VerkMitt. 1983, 24).
Von den vorstehenden Grundsätzen gehen auch die vom Bundesminister für Verkehr zu § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO erlassenen "Vorläufigen Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung vor Lärm" vom 6. November 1981 (VerkBl. S. 428) aus. Ihnen liegt im Ausgangspunkt die Vorstellung zugrunde, dass sich die Schutzbedürftigkeit im Sinne dieser Vorschrift nicht nach einem abstrakt festgelegten Lärmpegel - hier für ein vorbelastungsfreies reines Wohngebiet - bestimmt, sondern sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles richtet. Nach den Richtlinien kommt zwar ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten der Behörde "insbesondere in Betracht", wenn "der vom Straßenverkehr herrührende Mittelungspegel" am Immissionsort den Richtwert von 70/60 dB(A) tags/nachts überschreitet. Das besagt jedoch nur, dass in derartigen Fällen sich das Ermessen der Behörde zu einer Pflicht zum Einschreiten verdichten kann; es bedeutet also nicht, dass geringere Lärmeinwirkungen straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen ausschlössen. Dementsprechend geben die Richtlinien der Behörde im Einzelfall u.a. auf, den Grad der Beeinträchtigung im Hinblick auf die Leichtigkeit der Realisierung von Abwehrmaßnahmen zu beurteilen.
Bei alledem darf freilich nicht verkannt werden, dass der Lärmschutz durch Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Behörde gestellt ist. Diese hat dabei sowohl die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen, als auch die Interessen anderer Anlieger in Rechnung zu stellen, ihrerseits von übermäßigem Lärm verschont zu bleiben, der als Folge verkehrsberuhigender Maßnahmen durch Verlagerung des Verkehrs eintreten kann. Die Behörde darf dabei in Wahrung allgemeiner Verkehrsrücksichten und sonstiger entgegenstehender Belange von derartigen Maßnahmen um so eher absehen, je geringer der Grad der Lärmbeeinträchtigung ist, dem entgegengewirkt werden soll. Umgekehrt müssen bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen die einer Ablehnung durch verkehrsberuhigende oder verkehrslenkende Maßnahmen entgegenstehenden Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen schon von einigem Gewicht sein, wenn mit Rücksicht auf diese Belange ein Handeln der Behörde unterbleibt. Jedenfalls darf die zuständige Behörde auch bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen absehen, wenn ihr dies mit Rücksicht auf die damit verbundenen Nachteile gerechtfertigt erscheint.
Die Abweisung der Klage lässt sich nach alledem mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten. Da die dem angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Feststellungen nicht ausreichen, dem erkennenden Senat eine Entscheidung in der Sache zu ermöglichen, muss der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dem Berufungsurteil lässt sich zwar entnehmen, dass der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Einschreiten gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO nicht von vornherein ausscheidet. Dies gilt auch deswegen, weil der auf die Wohngrundstücke der Kläger einwirkende Straßenverkehrslärm nach den Messungen und Berechnungen des Sachverständigengutachtens, dessen Feststellungen das Berufungsgericht zugrunde gelegt hat, nur knapp unter der vom Berufungsgericht angenommenen Zumutbarkeitsgrenze liegt und der Sachverständige aufgrund seiner Feststellungen ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten empfohlen hat. Das Berufungsgericht hat jedoch - von seinem rechtlichen Ausgangspunkt her konsequent - die vorwiegend auf Sicherheitsbelange der betroffenen Verkehrsteilnehmer gestützten Erwägungen der Beklagten nicht tatrichterlich gewürdigt, die diese dem Begehren der Kläger entgegengehalten hat.
3. Von dieser Zurückverweisung wird nicht ein Begehren der Kläger erfasst, das auf den straßenverkehrsrechtlichen Schutz vor Abgasen gerichtet ist. Ein solches Begehren war nicht Inhalt des von der Beklagten im behördlichen Vorverfahren nicht beschiedenen Antrags der Kläger, der allein Gegenstand ihrer Untätigkeitsklage sein kann. Das Berufungsgericht hat auf diese Sachlage - entgegen der Rüge der Revision - zu Recht hingewiesen; es hat sich deshalb auch nicht auf dieses Begehren - etwa im Wege der Klageänderung - eingelassen. Die Feststellung des Berufungsgerichts und seine daran geknüpfte Würdigung, die Kläger hätten im behördlichen Vorverfahren die Tatsache unzumutbarer Abgasimmissionen weder geltend gemacht noch zur eigenständigen Anspruchsgrundlage erhoben, widerspricht nicht den vorliegenden Akten, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat.
4. In dem erneuten Berufungsverfahren wird auch zu prüfen sein, ob angesichts der Lärmwertfeststellungen des Sachverständigen sowie angesichts des Sachvortrages der Beteiligten ein verkehrsrechtlicher Lärmschutz der Kläger zumindest für die Nachtzeit in Betracht kommt. Aus dem bisherigen Vorbringen der Beklagten ist nicht erkennbar, dass auch während dieses Zeitraums für das südlich der Straße "Am G" gelegene Schul- und Sportzentrum das erhebliche Straßenverkehrsbedürfnis fortbesteht, das die Beklagte als wesentlichen Grund für ihren Entschluss angegeben hat, die von den Klägern begehrten Verkehrsbeschränkungen nicht anzuordnen. Deshalb könnte sich anbieten, den Rechtsstreit durch einen Vergleich entsprechenden Inhalts zu beenden.