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BGH Urteil vom 18.02.1992 - VI ZR 367/90 - Zum Haushaltsführungsschaden - Substantiierung durch Alleinstehenden
BGH v. 18.02.1992: Zum Haushaltsführungsschaden - Substantiierung durch Alleinstehenden
Der BGH (Urteil vom 18.02.1992 - VI ZR 367/90) hat entschieden:
- Zu den Anforderungen an die Substantiierung im Rahmen des ZPO § 287 bei der Geltendmachung von unfallbedingtem Mehrbedarf an Haushilfen nach BGB § 843.
- Zur Abgrenzung von Vermögensschäden gegenüber Nichtvermögensschäden.
- Dass der Geschädigte tatsächlich keine Haushaltshilfe eingestellt hat, lässt seinen Ersatzanspruch nicht entfallen, sofern es sich um einen im Verhältnis zum Schädiger überobligationsmäßigen Verzicht handelt, auf den sich der Schädiger nicht berufen kann. In derartigen Fällen bemisst sich der nach § 843 BGB zu ersetzende Mehraufwand nach dem Nettolohn, der für die verletzungsbedingt nicht mehr ausführbaren oder nicht mehr zumutbaren Hausarbeiten an eine Hilfskraft hätte gezahlt werden müssen. Einer spezifizierteren Darlegung bedarf es dazu nicht. Gegebenenfalls ist der Umfang der zugrundezulegenden Arbeiten zu schätzen (§ 287 ZPO).
Tatbestand:
Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall am 13. Juni 1974 erheblich verletzt. In einem am 17. Februar 1978 vor dem Landgericht Bochum (1 O 453/77) geschlossenen Vergleich verpflichtete sich die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallschädigers, dem Kläger allen erstattungsfähigen materiellen Schaden seit dem 1. September 1977 sowie allen materiellen Zukunftsschaden aus dem Unfall zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf öffentliche Versicherungsträger übergegangen sind. Im Verlaufe weiterer Rechtsstreitigkeiten kam es am 22. Januar 1987 zu einem Vergleich vor dem Oberlandesgericht Hamm (6 U 57/86), in dem sich die Beklagte zur Abgeltung aller Ansprüche des Klägers für die Zeit bis zum 31. Dezember 1983 verpflichtete, 170.000 DM zu zahlen.
Im vorliegenden Verfahren macht der Kläger nunmehr die ab 1. Januar 1984 entstandenen Schäden geltend. Insoweit verlangt er u.a. den Ersatz von unfallbedingtem Mehrbedarf und weiteren Folgekosten sowie 18.000 DM für die Minderung des Wohnwertes seines Hauses.
Das Landgericht hat durch Teilurteil die Klage in Höhe von 41.714 DM, nämlich hinsichtlich der Wohnwertminderung und des Mehrbedarfs abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch Versäumnisurteil zurückgewiesen. Nach Einspruch des Klägers hat es dieses Versäumnisurteil aufrechterhalten. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche wegen des unfallbedingten Mehrbedarfs in den Jahren 1984 bis 1986 in Höhe von 23.714 DM weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger kein Anspruch wegen des mit 14.400 DM bezifferten Mehrbedarfs für eine Haushaltshilfe zu, da er dazu seine Aufwendungen nicht konkret dargelegt habe. Für den weiter geltend gemachten Ersatz von Mehrbedarf in Höhe von 9.314 DM fehle es hinsichtlich der einzelnen Schadenspositionen an einer Schätzungsgrundlage nach § 287 ZPO.
II.
Hiergegen wendet sich die Revision zu Recht.
1. Kosten für eine Haushaltshilfe
Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht eine Vermehrung der Bedürfnisse für die Haushaltshilfe verneint hat, lassen nicht erkennen, dass sich das Berufungsgericht mit dem Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt hat.
Der Kläger hat vorgetragen, er lebe allein und behelfe sich nur mühsam; er versuche sich durch Tiefkühlkost notdürftig zu ernähren; er könne unfallbedingt nicht putzen und daher das Haus praktisch nicht mehr sauberhalten; aus diesem Grunde benötige er für täglich zwei Stunden eine Haushaltshilfe. Die Kosten für den in Frage stehenden Zeitraum hat er auf 14.400 DM (36 x 400 DM) berechnet. Mangels Geld habe er allerdings auf die Einstellung einer Haushaltshilfe verzichten müssen. Das Berufungsgericht legt diesen Vortrag seiner Beurteilung zugrunde. Es meint jedoch, auch unter Berücksichtigung des im Sozialgerichtsverfahren erstatteten Gutachtens, eine nennenswerte Vermehrung der Bedürfnisse gegenüber seinen Aufwendungen vor dem Unfall nicht feststellen zu können, da der Kläger als Alleinstehender auch vor dem Unfall bei voller Arbeitskraft in seinem Haushalt nur beschränkt einsatzfähig gewesen sei; er könne trotz der Unfallbehinderung durchaus längere Wege im Hause zurücklegen und versorge sich nach wie vor selbst, wenn dies auch beschwerlicher sei als zu der Zeit, als er noch voll berufstätig gewesen sei.
Dieser Begründung kann der Senat nicht entnehmen, dass das Berufungsgericht die vom Kläger in Bezug genommenen Feststellungen im Gutachten von Dr. D., das dieser am 13. Juli 1981 im Verfahren vor den Sozialgerichten (S 10 An 105/78, L 18 An 117/79) erstattete, ausreichend berücksichtigt hat. Der Sachverständige stellte seinerzeit fest, das rechte Bein des Klägers sei 10 cm kürzer als das linke und die Muskulatur des rechten Beines sei hochgradig verschmächtigt; es blieben schwerwiegende Beeinträchtigungen an beiden Kniegelenken sowie eine Spitzfußstellung rechts. Er leitete daraus die Folgerung ab, dass der Kläger nur noch leichte Arbeiten im Sitzen ohne Zwangshaltung verrichten könne. Im übrigen beschrieb er die Beeinträchtigung wie folgt: "Kein Gehen, kein Stehen, kein Bücken, kein Kriechen, kein Heben und Tragen von Lasten". In Übereinstimmung damit hat der Kläger im Berufungsrechtszuge unter Beweisantritt vorgetragen, er könne auf dem rechten Knie nicht mehr knien, da er das Knie nicht mehr beugen könne; auf dem linken Knie sei ihm ein Knien wegen der Schmerzen nicht möglich.
Es liegt auf der Hand, dass jemand, der unfallbedingt auf die beschriebene Weise beeinträchtigt ist, den eigenen Haushalt nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigen kann. Diese Einschränkung wird in aller Regel auch nicht dadurch kompensiert, dass der Geschädigte nicht mehr berufstätig ist und seine verbliebene Kraft voll im Haushalt einsetzen kann. Dass der Kläger tatsächlich keine Haushaltshilfe eingestellt hat, lässt seinen Ersatzanspruch nicht entfallen, sofern es sich um einen im Verhältnis zum Schädiger überobligationsmäßigen Verzicht handelt, auf den sich die Beklagte nicht berufen kann. In derartigen Fällen bemisst sich der nach § 843 BGB zu ersetzende Mehraufwand nach dem Nettolohn, der für die verletzungsbedingt nicht mehr ausführbaren oder nicht mehr zumutbaren Hausarbeiten an eine Hilfskraft hätte gezahlt werden müssen (st.Rspr.; vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1989 - VI ZR 247/88 - VersR 1989, 1273, 1274). Einer spezifizierteren Darlegung bedarf es dazu nicht. Gegebenenfalls ist der Umfang der zugrundezulegenden Arbeiten zu schätzen (§ 287 ZPO). Soweit das Berufungsgericht eine konkretere Darlegung des unfallbedingten Mehrbedarfs an Haushilfe vermisst, ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des § 287 ZPO nicht die gleichen Anforderungen an die Substantiierung gestellt werden können wie in anderen Fällen, denn diese Vorschrift erleichtert dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegungslast (BGHZ 74, 221, 226; BGH, Urteile vom 14. April 1969 - II ZR 44/66 - WM 1969, 832, 834; vom 24. September 1986 - IVa ZR 236/84 - VersR 1987, 180, 182; vom 22. Oktober 1987 - III ZR 197/86 - NJW-RR 1988, 410 = BGHR ZPO § 287 Abs. 1 Gewinnentgang 3).
2. Kleiderpauschale
Auch in bezug auf die geltend gemachte Kleiderpauschale lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen, dass sich das Berufungsgericht mit dem Vorbringen des Klägers ausreichend auseinandergesetzt hat. Der Kläger hatte geltend gemacht, er trage rechts einen Frankfurter Innenschuh mit Orthese; über dem Innenschuh trage er mittellange Strümpfe; unter dem Innenschuh müsse er darüber hinaus noch knielange saugfähige Wollstrümpfe tragen; diese Strümpfe, die er mehrmals täglich wechseln müsse, scheuerten sich an der Sohle des Innenschuhs sehr schnell durch; er müsse also unfallbedingt von vornherein zwei statt ein Paar Socken tragen. Seinen Mehraufwand hat der Kläger in Anlehnung an die an Kriegsversehrte gezahlte Pauschale auf monatlich 44 DM, insgesamt 1.584 DM berechnet.
Mit diesem Vorbringen hat der Kläger seinen Anspruch in ausreichender Weise substantiiert und dem Tatrichter eine zureichende Grundlage für eine Schadensfeststellung nach § 287 ZPO, jedenfalls durch Schätzung eines Mindestschadens geliefert.
3. Benzinkosten für die Benutzung eines Pkw
Die Versagung eines Ersatzanspruchs für erhöhte Benzinkosten von insgesamt 450 DM (3 Jahre x 150 DM) hält rechtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand. Der Kläger verlangt diesen Betrag, weil er unfallbedingt auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges mit Automatikgetriebe angewiesen sei, das mehr Benzin verbrauche als ein Fahrzeug mit Schaltgetriebe. Die vollständige Versagung eines Ersatzanspruchs, weil es nach Auffassung des Berufungsgerichts an einer Schätzungsgrundlage fehle, beanstandet die Revision mit Recht. Das Berufungsgericht erkennt selbst an, dass durch den Gebrauch eines Automatik- statt eines Schaltgetriebes höhere Kosten für Benzin anfallen können. Mag auch die vom Kläger behauptete jährliche Kilometerleistung von 15.000 "völlig offen" sein, wie das Berufungsgericht meint, so lässt sich doch wenigstens eine Mindestfahrleistung schätzen. Die vom Berufungsgericht erwogene Möglichkeit, dass der Kläger unfallbedingt heute weniger Fahrten mit dem Kraftfahrzeug ausführt als früher, berührt die Ersatzpflicht der Beklagten für den Mehrverbrauch des unfallbedingt benützten Automatikfahrzeuges im Verhältnis zu einem Wagen mit Schaltgetriebe nicht. Entscheidend ist insoweit allein, dass die Benutzung eines Kraftfahrzeuges für den Kläger, soweit es um die tatsächlich ausgeführten Fahrten geht, unfallbedingt teurer ist als ohne seine Behinderung.
4. Kosten für Wagenpflege und Reparaturen
Soweit der Kläger Mehraufwendungen von 1.500 DM für die Unterhaltung seines Kraftfahrzeuges verlangt, weil er verletzungsbedingt seinen Pkw nicht mehr selbst waschen und reparieren könne, enthält das Berufungsgericht überhaupt keine Ausführungen. Das beanstandet die Revision mit Recht als verfahrensfehlerhaft (§ 287 ZPO).
5. Kosten für die Beschaffung eines automatik-getriebenen Ersatzfahrzeuges
Rechtsfehlerhaft ist auch die Versagung des Ersatzes von Mehrkosten für die Anschaffung eines automatik-getriebenen Pkws in Höhe von 2.000 DM.
Der Kläger hat hierzu vorgetragen, dass er einen 1986 angeschafften, unfallbedingt mit einem Automatikgetriebe ausgerüsteten Pkw 1987 wegen eines Getriebeschadens trotz eines Pkw-Wertes von 2.000 DM habe verschrotten müssen, weil ein automatisches Ersatzgetriebe nicht zu beschaffen gewesen sei. Wäre das Fahrzeug, wie vor dem Unfall, mit einem Schaltgetriebe ausgerüstet gewesen, hätte er es wieder instandsetzen können. Die Darlegung eines ursächlichen Zusammenhanges der behaupteten Verwertung unter Wert mit dem Unfall hat das Berufungsgericht zu Unrecht vermisst.
6. Mehrfahrten mit dem Pkw
Die Kosten für die vermehrte Benutzung eines Kraftfahrzeuges, die er auf 3.780 DM beziffert, kann der Kläger dagegen nur zum Teil ersetzt verlangen. Der Kläger hat dazu vorgetragen, er habe früher Sport getrieben und Veranstaltungen besucht. Dies könne er unfallbedingt nicht mehr tun. Er halte sich nunmehr hauptsächlich zu Hause auf, fahre aber häufiger zu seinen Verwandten. Der Kläger verlangt also einen finanziellen Ausgleich dafür, dass er sich nicht mehr wie vor dem Unfall betätigen könne und sich stattdessen anderen Beschäftigungen mit einem höheren Kostenaufwand zuwenden müsse.
Bei dem Verzicht auf die Teilnahme an Sportveranstaltungen handelt es sich indessen um einen immateriellen Schaden, der nach § 847 BGB durch die Zahlung eines Schmerzensgeldes ausgeglichen wird. Das Schmerzensgeld erfasst aber seinem Wesen nach auch diejenigen Aufwendungen, mit denen der Kläger den mit dem Verzicht verbundenen Verlust an Lebensfreude durch vermehrte Fahrten zu seinen Verwandten auszugleichen versucht.
Um einen Vermögensschaden handelt es sich lediglich, soweit der Kläger seinen Mehraufwand damit begründet, dass er wegen seiner Unfallverletzungen keine Großeinkäufe mehr tätigen könne, sondern täglich zu kleineren Einkäufen nach R. fahren müsse. Die damit verbundenen Mehrkosten, die ggf. zu schätzen sein werden, kann der Kläger, sofern sie unfallbedingt sind, nach § 842 BGB ersetzt verlangen.
III.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat macht von der Möglichkeit der Zurückverweisung an einen anderen Senat des Berufungsgerichts Gebrauch (§ 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO).