Das Verkehrslexikon
Amtsgericht Wetzlar Urteil vom 15.07.2010 - 32 C 1651/09 - Verkehrsunfall eines Pkw mit einem den Fußgängerüberweg überquerenden Radfahrer
AG Wetzlar v. 15.07.2010: Verkehrsunfall eines Pkw mit einem den Fußgängerüberweg überquerenden Radfahrer
Das Amtsgericht Wetzlar (Urteil vom 15.07.2010 - 32 C 1651/09) hat entschieden:
Kommt es zu einem Verkehrsunfall eines Radfahrers, der verbotswidrig einen Gehweg befährt und fahrend einen Fußgängerüberweg überquert, mit einem heranfahrenden Pkw, so haftet der Radfahrer allein. Der Fahrzeugführer ist bei der Annäherung eines Radfahrers nicht verpflichtet, mit mäßiger Geschwindigkeit an den Fußgängerüberweg heranzufahren.
Tatbestand:
Die Parteien begehren wechselseitig Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 19.08.2009.
Am vorbenanntem Tag gegen 11:00 Uhr befuhr die Klägerin mit ihrem Pkw VW Golf, amtliches Kennzeichen ... die H... Straße in W... und wollte über die B... brücke auf die Bundesstraße ... in Fahrtrichtung L... auffahren. Die Beklagte befuhr zum gleichen Zeitpunkt mit dem Fahrrad verbotswidrig den Gehweg der B... brücke in gleicher Fahrtrichtung. Im Kreuzungsbereich G... straße ist für Fußgänger unter der B... ein Fußgängerüberweg vorhanden. Diesen Fußgängerüberweg wollte die Klägerin auf ihrer Fahrt nach D... überqueren. Die Beklagte hielt am Fußgängerüberweg nicht an, um ihr Fahrrad über den Zebrastreifen zu schieben. Stattdessen befuhr sie den Zebrastreifen. Auf dem Zebrastreifen kam es dann zur Kollision zwischen dem klägerischen Fahrzeug und der Beklagten. Hierbei entstand am klägerischen Fahrzeug ein der Höhe nach unstreitiger Schaden von 894,55 Euro wegen dessen Zusammensetzung auf Bl. 4 d. A. verwiesen wird. Neben den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt die Klägerin Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen Folgeschäden aus dem Verkehrsunfall zu ersetzen. Zur Begründung führt die Klägerin aus, dass die Klägerin auf Basis des Kostenvoranschlages ihr Fahrzeug reparieren lassen möchte. Im Reparaturfall würden 151,91 Euro an Mehrwertsteuer fällig. Auch hat die Klägerin für die Dauer des Reparaturzeitraums Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten oder auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung.
Die Beklagte begehrt im Wege der Widerklage Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 250,00 Euro sowie Schadensersatz wegen behaupteter Schäden am Fahrrad sowie Kauf von Medikamenten etc. in Höhe von insgesamt 139,03 Euro.
Die Klägerin behauptet, sie habe ihren Pkw bei Erreichen des Fußgängerüberwegs kurz abgestoppt. Da sich zum Unfallzeitpunkt am Fußgängerüberweg keine vorfahrtsberechtigten Personen in Form von Fußgängern befunden hätten, habe die Klägerin den Zebrastreifen überfahren und habe ihre Fahrt in Richtung D... fortsetzen wollen. Als sie den Fußgängerüberweg mit ihrem Pkw schon fast wieder verlassen gehabt habe, sei ihr die Beklagte mit dem Fahrrad mit erheblicher Geschwindigkeit in die rechte Seite des Pkws gefahren und habe das Fahrzeug beschädigt. Die Beklagte habe ihrerseits am Fußgängerüberweg nicht angehalten, um ihr Fahrrad über den Zebrastreifen zu schieben. Stattdessen habe sie versucht sich in voller Fahrt die Vorfahrt zu erzwingen.
Die Beklagte hat fristgemäß gegen das am 06.01.2010 zugestellt Versäumnisurteil mit Schriftsatz vom 07.01.2010 Einspruch eingelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
Die Beklagte beantragt,
das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Widerklagend beantragt sie,
die Klägerin sowie die Drittwiderbeklagten zu verurteilen an sie Schadensersatz in Höhe von 139,03 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sowie Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 250,00 Euro zu zahlen.
Die Klägerin und die Drittwiderbeklagte beantragen,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, sie habe den Fahrradweg mit langsamer Geschwindigkeit befahren. Am Fußgängerüberweg habe sie ihre Fahrt bis annähernd zum Stand verlangsamt und mit Blick über die linke Schulter den Autoverkehr überprüft. Da kein Fahrzeug auf der Fahrbahn ersichtlich gewesen sei, habe sie in langsamer Fahrt mittig auf dem Fahrrad sitzend den Fußgängerüberweg überfahren wollen. Als sie sich bereits in Fahrbahnmitte des Fußgängerüberweges befunden gehabt habe, sei sie plötzlich hinten vom Pkw der Klägerin erfasst und zu Boden gerissen worden. Die Klägerin sei ihrerseits trotz bevorstehenden Fußgängerüberweges ganz offenbar so schnell gefahren, dass sie nicht rechtzeitig habe bremsen können. Die Klägerin sei jedenfalls in Anbetracht der Verkehrssituation zu schnell gefahren und habe ihrer Pflicht aus § 1 StVO nicht genügt. Die Klägerin habe in dieser Situation besondere Vorsicht walten lassen müssen gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern. Auch in Geradeausfahrt der Beklagtenseite währe es aufgrund der Fahrweise der Klägerin unvermeidlich zum Unfallereignis gekommen. Schon daraus ergebe sich, dass das Befahren des Fußgängerüberweges mit dem Fahrrad für den Schaden keineswegs ursächlich gewesen sei.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlage Bezug genommen.
Die amtliche Ermittlungsakte wurde zu Beweiszwecken beigezogen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet, das Versäumnisurteil war daher aufrecht zu halten. Die Widerklage ist unbegründet.
Aufgrund der objektiven Tatsachen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte in der konkreten Situation den Unfall alleine schuldhaft verursacht hat. Zunächst ist sie verbotswidrig auf dem Gehsteig gefahren und hat sich hierbei dem Fußgängerüberweg genähert. Indem die Beklagte unstreitig den Fußgängerüberweg fahrend benutzt hat, genießt sie nicht den Schutz des § 26 Abs. 1 StVO, so dass sie verbotswidrig handelte. Die Beklagte hat sich daher rechtswidrig verhalten, indem sie den Fußgängerüberweg auf dem Fahrrad sitzend überquert hat. Ein Verschulden der Klägerin am zustande kommen des Unfalls ist nicht ersichtlich. Sie hat auch nicht erkennbar gegen § 1 StVO verstoßen. Zwar hat die Klägerseite selbst eingeräumt, dass sie die Beklagte auf dem Fahrrad sitzend und auf dem Gehweg fahrend vor erreichen des Fußgängerüberweges bereits bemerkt hatte. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin vor dem Fußgängerüberweg - wie sie behauptet - kurz angehalten hat oder einfach weitergefahren ist. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 StVO ist der Fahrzeugführer nur dann verpflichtet, mit mäßiger Geschwindigkeit an den Fußgängerüberweg heranzufahren, wenn Fußgänger oder Rollstuhlfahrer erkennbar den Überweg benutzen wollen. Ist das wie nach den hier getroffenen Feststellungen nicht der Fall, darf der Fahrzeugführer auch vor dem Fußgängerüberweg beschleunigen und diesen zügig überqueren. Die Klägerin musste daher in der konkreten Situation ihr Fahrzeug nicht anhalten bzw. ihre Fahrt verlangsamen. Hinzukommt, dass aufgrund der Beschädigungen an dem Fahrzeug der Klägerseite eindeutig feststeht, dass die Unfallschilderung der Beklagten nicht zutreffen kann. Die Beklagte behauptet, sie habe sich bereits mittig auf dem Fußgängerüberweg befunden als sie plötzlich hinten vom Pkw der Klägerin erfasst und zu Boden gerissen worden sei. Diese Unfallschilderung ist mit den Beschädigungen an dem klägerischen Fahrzeug nicht in Einklang zu bringen. Die vorgelegten und auf Bl. 6 ff. d. amtlichen Ermittlungsakte befindlichen Lichtbilder des klägerischen Fahrzeugs zeigen eindeutig, dass die Anstoßstelle am klägerischen Fahrzeug im Bereich des vorderen rechten Radkastens war. Würde die Unfallschilderung der Beklagten zutreffen, müsste die Beschädigung am klägerischen Fahrzeug vorne und nicht an der Seite sein. Hieraus ergibt sich eindeutig, dass die Beklagte offenbar aufgrund Unaufmerksamkeit gegen die rechte Seite des klägerischen Fahrzeugs stieß. Aus dem Beschädigungsbild ergibt sich auch, dass der Unfall für die Klägerin unabwendbar war, so dass auch der Ansatz der Betriebsgefahr ausscheidet. Nach alle dem hat die Beklagtenseite die vollständige Einstandspflicht für die der Klägerin aus dem Unfall entstandenen Schäden. Diese sind unstreitig in Höhe von 894,55 Euro auszugleichen. Die Beklagte befindet sich aufgrund ihres Antwortschreibens vom 19.10.2009 ab diesem Zeitpunkt in Verzug, da dieses Antwortschreiben als endgültige Erfüllungsverweigerung anzusehen ist. Die Beklagte hat daher den gesetzlichen Zinssatz in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.10.2009 als Verzugschaden zu zahlen.
Des Weiteren ist die Beklagte verpflichtet, die geltend gemachten, der Höhe nach unstreitigen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 120,67 Euro zuzüglich gesetzlicher Zinsen ab dem 19.10.2009 als Verzugschaden zu zahlen.
Der geltend gemachte Feststellungsantrag hinsichtlich der zukünftigen materiellen Folgeschäden aus dem Verkehrsunfall ist zulässig, da die Klägerin ein besonderes Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO hat. Zur Begründung führt die Klägerin aus, dass sie beabsichtigt, dass Fahrzeug reparieren zu lassen, wodurch Mehrwertsteuer fällig wird. Auch beabsichtigt sie, für die Dauer des Reparaturzeitraums Ersatz der Mietwagenkosten oder Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung zu beanspruchen. Diese zukünftigen materiellen Schäden rechtfertigen es, einen entsprechenden Feststellungsantrag zu stellen, so dass auch insoweit die Klage begründet ist. Nach alle dem war das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
Aufgrund der getroffenen Haftungsverteilung war die Widerklage abzuweisen. Insoweit bedurfte es nicht der Klärung der Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldes sowie der streitigen Schadenspositionen.
Der Ausspruch über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.