Das Verkehrslexikon
OLG Hamm Urteil vom 11.03.2013 - I-6 U 167/12 - Nachweis eines provozierten Auffahrunfalls
OLG Hamm v. 11.03.2013: Zum Nachweis eines provozierten Auffahrunfalls
Das OLG Hamm (Urteil vom 11.03.2013 - I-6 U 167/12) hat entschieden:
Der Beweis einer Einwilligung in ein Unfallgeschehen ist am Maßstab des § 286 ZPO zu messen. Es gelten weder die Grundsätze über den Anscheinsbeweis, noch reicht es aus, wenn der Versicherer nur die erhebliche Wahrscheinlichkeit eines manipulierten Verkehrsunfalls nachweist. Andererseits dürfen die Anforderungen an den in solchen Fällen regelmäßig anzutretenden Indizienbeweis nicht überspannt werden. Das Gericht darf und muss sich zur Überzeugungsbildung mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit ist nicht erforderlich. Eine solche Gewissheit ist bei einem möglicherweise provozierten Unfall nur im Wege des Indizienbeweises zu erlangen. Die gesammelten Hilfstatsachen müssen bei einer Gesamtwürdigung den Schluss auf die gesuchte Haupttatsache rechtfertigen. Die Indizien müssen entweder unstreitig oder bewiesen sein. Mutmaßungen reichen nicht aus.
Siehe auch Unfallmanipulationen - Unfallbetrug - Berliner Modell und Indizienbeweisführung und Unfallbetrug
Gründe:
I.
Gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Die Entscheidung des Landgerichts greift der Kläger mit seiner Berufung an, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge weiter verfolgt. Er macht geltend, das Landgericht habe widersprüchliche Feststellungen getroffen, die die Klageabweisung nicht rechtfertigten. Es habe nicht erkennen lassen, ob es nun von einer Rotlicht oder von einer Grünlicht zeigenden Ampel ausgegangen sei. Daraus, dass der Kläger vor einer Rotlicht zeigenden Ampel gebremst habe, könne ihm kein Vorwurf gemacht werden. Tatsächlich habe er gebremst, um den Radfahrer nicht zu gefährden. Das habe er auch schon am Unfallort zum Ausdruck gebracht. Er habe auch nicht heftig, sondern nur minimal gebremst.
Die Beklagten verteidigen das Urteil mit weiteren Ausführungen. Zu Recht habe das Landgericht ein manipuliertes Unfallereignis festgestellt. Zudem sei die Klage abweisungsreif, da zwei Vorschäden an der Fahrzeugfront den Wiederbeschaffungswert beeinflussten und deren Umfang sowie deren Reparatur unklar geblieben seien.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz zu, insbesondere nicht gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG, 115 VVG. Wie das Landgericht ist auch der Senat davon überzeugt, dass der Unfall für den Kläger nicht unfreiwillig war, sondern dass er diesen provoziert hat. Damit hat er in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt. Diese Einwilligung lässt die Rechtswidrigkeit der Eigentumsbeschädigung entfallen (vgl. BGH VersR 1978, 862).
Die Beklagten haben den ihnen obliegenden Beweis für eine Einwilligung des Klägers in die Beschädigung seines Fahrzeugs im Wege des Indizienbeweises erbracht.
Dieser Beweis einer Einwilligung des Klägers ist am Maßstab des § 286 ZPO zu messen. Es gelten weder die Grundsätze über den Anscheinsbeweis, noch reicht es aus, wenn der Versicherer nur die erhebliche Wahrscheinlichkeit eines manipulierten Verkehrsunfalls nachweist. Andererseits dürfen die Anforderungen an den in solchen Fällen regelmäßig anzutretenden Indizienbeweis nicht überspannt werden. Das Gericht darf und muss sich zur Überzeugungsbildung mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit ist nicht erforderlich (BGH NJW-RR 2007, 312; OLG Hamm VersR 2001, 1127). Eine solche Gewissheit ist bei einem möglicherweise provozierten Unfall nur im Wege des Indizienbeweises zu erlangen. Die gesammelten Hilfstatsachen müssen bei einer Gesamtwürdigung den Schluss auf die gesuchte Haupttatsache rechtfertigen. Die Indizien müssen entweder unstreitig oder bewiesen sein. Mutmaßungen reichen nicht aus (OLG Frankfurt v. 11.03.1999, 1 U 216/97, juris).
Vom Vorliegen eines provozierten Unfalls durch den Kläger ist der Senat aufgrund der vorzunehmenden Gesamtwürdigung der für eine und gegen eine Unfallmanipulation sprechenden Indizien überzeugt.
1. Bereits die Art des Unfalls und die anschließende Abrechnung der Schäden sprechen dabei für eine Unfallmanipulation in Form eines provozierten Verkehrsunfalls. Die Beklagte zu 1) ist hinten auf das Klägerfahrzeug aufgefahren. Es ist dem Senat aus zahlreichen ähnlich gelagerten Fällen bekannt, dass solche Auffahrkonstellationen häufig für provozierte Unfälle gewählt werden, da sie gut beherrschbar und weitgehend ungefährlich sind. Die Frage der Haftung ist in solchen Konstellationen zumeist eindeutig, da eine Mitverursachung durch das vordere Fahrzeug selten in Betracht kommt und ein Anscheinsbeweis für die Alleinhaftung des Auffahrenden spricht.
Solche Auffahrunfälle führen regelmäßig zu hohen Sachschäden, die jedoch mit relativ geringem Aufwand reparabel sind. Dies macht derartige Unfallmanipulationen wirtschaftlich interessant. Die Abrechnung der Schäden erfolgt sodann typischerweise - so auch hier - auf fiktiver Reparaturkosten-Basis. Das vorprozessual eingeholte und der Klageforderung zugrunde gelegte Gutachten des Sachverständigen Y weist Reparaturkosten in Höhe von 9.447,04 € netto aus. Und der Kläger ist als gelernter Karosseriebauer und Lackierer in der Lage, die Schäden selbst in der Werkstatt, in der er angestellt ist, oder in der Werkstatt seines Cousins in Stand zu setzen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er bestätigt, die Schäden an seinem Fahrzeug auch selbst repariert zu haben.
In diesem Zusammenhang auffällig und für provozierte Unfälle ebenfalls typisch ist, dass der geschädigte PKW zwar älteren Datums, aber hochwertig war, das Fahrzeug allerdings Vorschäden aufwies, die dem Sachverständigen, der das vorprozessual eingeholte Gutachten gefertigt hat, nicht bekannt waren. Die Kenntnis des Klägers von einem großen Vorschaden an der Fahrzeugfront ist unstreitig. Gleichwohl hat der Kläger dem Sachverständigen Y nicht mitgeteilt, dass er den Schaden vorne nur oberflächlich repariert hat und beschädigte elektronische Teile für über 5.400,00 € nicht erneuert wurden. Die Kenntnis davon hätte - aus Sicht des Klägers negativen - Einfluss auf die Schätzung des Wiederbeschaffungs- und des Restwertes gehabt und damit auf die Frage, ob überhaupt auf Reparaturkostenbasis abgerechnet werden kann.
Ebenfalls auffällig und typisch für manipulierte Unfälle ist hier, dass der Kläger den PKW erst vier Monate vor dem Unfall erworben, aber bereits mindestens einen Vorunfall mit dem Fahrzeug hatte, für den er ebenfalls Schadensersatz von einer Versicherung verlangt hat. Er war zudem bereits der 10. Halter des 11 Jahre alten PKW.
Zur Überzeugung des Senats sprechen auch weitere Details des Unfallhergangs für eine Unfallmanipulation. So ist ein typischerweise anzutreffendes Indiz für eine Manipulation, dass der Unfall bei Dunkelheit geschieht. Ungewöhnlich ist auch ein nicht nur unwesentliches Bremsen vor einer unstreitig Grünlicht zeigenden Fußgängerampel, die sich unmittelbar vor einer Autobahnauffahrt befindet. Für eine Unfallmanipulation typisch ist zudem, dass das geschädigte Fahrzeug - wie hier - nach dem Unfall veräußert und nicht weiter gehalten wird.
Schließlich spricht als sehr starkes Indiz für eine Unfallprovokation, dass der Kläger am Unfallort, vor dem Landgericht und vor dem Senat jeweils unterschiedliche Unfalldarstellungen abgegeben hat. Hatte er noch unmittelbar am Unfallort der Beklagten zu 1) vorgeworfen, sie sei bei einer Rotlicht zeigenden Ampel auf sein Fahrzeug aufgefahren, hat er bei seiner Anhörung vor dem Landgericht behauptet, die Ampel sei dabei gewesen, von rot auf grün umzuspringen. Er habe gebremst, da der Zeuge N, der Fahrradfahrer, so schnell auf die für diesen rote Fußgängerampel zugefahren sei. Vor dem Senat hat sich der Kläger schließlich dahingehend eingelassen, er habe sich schon von weitem auf den Fahrradfahrer konzentriert. Dieser sei mit hohem Tempo auf die Ampel zugefahren. Er habe Angst gehabt und habe gebremst. Daran, welche Farbe die Ampel für ihn gezeigt habe, könne er sich nicht erinnern. Weitere Details zum Unfallhergang, zu den Gesprächen mit der Beklagten zu 1) am Unfallort und zu den Angaben gegenüber dem Sachverständigen Y waren für den Kläger ebenfalls nicht erinnerlich.
Der Senat folgt den Angaben des Klägers nicht. Sie sind widersprüchlich und teilweise nicht nachvollziehbar. Sie werden zudem durch die Einlassung der Beklagten zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat widerlegt. Diese hat glaubhaft geschildert, dass der Kläger vor der Grünlich zeigenden Ampel grundlos, plötzlich und stark gebremst habe. Am Unfallort habe der Kläger ihr Vorwürfe gemacht, da sie angeblich bei Rotlicht der Ampel auf sein Fahrzeug aufgefahren sei. Vom Fahrradfahrer und einer Bremsung wegen dessen Gefährdung sei zunächst nicht die Rede gewesen. Diesen Vorwurf konnte der Kläger nach Angaben der Beklagten zu 1) am Unfallort in deutscher Sprache gut verständlich formulieren. Auch die Unfallaufnahme durch die Polizei erfolgte laut Angaben der Beklagten zu 1) auf Deutsch. Anderes haben die den Unfall bearbeitenden Polizeibeamten in der Unfallakte auch nicht notiert. Die Beklagte zu 1) hatte sich nach eigenen Angaben, denen der Senat auch insoweit Glauben schenkt, bereits beim Landgericht darüber gewundert, dass für den Kläger ein Dolmetscher bestellt worden war. Vor dem Senat hat der Kläger angegeben, kaum Deutsch zu sprechen. Deshalb sei er am Unfallort falsch verstanden worden. Die Einlassung der Beklagten zu 1) wird durch die Aussage des Zeugen N vor dem Landgericht bestätigt. Auch dieser hat angegeben, dass der Kläger plötzlich und grundlos gebremst habe, als er auf die für diesen Grünlicht und ihn, den Zeugen, selbst Rotlicht zeigende Ampel zugefahren sei. Er sei auf diese Ampel lediglich zugerollt.
2. Die im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden entlastenden Indizien begründen vorliegend keine Zweifel des Senats an einer Unfallmanipulation durch den Kläger. So könnte gegen ein grundloses Abbremsen vor der Ampel sprechen, dass der Kläger laut der Aussage des Zeugen N vor dem Landgericht bereits am Unfallort angedeutet haben soll, er habe gedacht, der Zeuge fahre zu schnell an die Ampel heran und überquere die Straße. Nach dessen Behauptung am Unfallort hätte der Zeuge N aber eine Grünlicht zeigende Ampel vor sich gehabt mit der Folge, dass er über die Straße hätte fahren dürfen. Zudem spricht eher gegen eine Unfallmanipulation, dass es einen unabhängigen Zeugen für den Unfall gibt und der Unfallort nicht an einer abgelegenen Stelle liegt. Letzteres ist jedoch bei provozierten Unfällen häufig der Fall, da der Unfall aus dem Verkehrsfluss heraus provoziert werden muss.
Diese Indizien vermögen die Überzeugung des Senats von einer Unfallmanipulation durch einen provozierten Verkehrsunfall nicht zu erschüttern. Vor allem aufgrund des am Unfall beteiligten Fahrzeugs, der Unfallkonstellation und der Tatsache, dass der Kläger drei unterschiedliche Unfalldarstellungen behauptet hat, ohne sich an sonstige Details rund um das Unfallgeschehen erinnern zu können, ist der Senat vom Vorliegen eines provozierten Verkehrsunfalls hinreichend überzeugt.
3. Mangels Hauptanspruchs stehen dem Kläger auch keine Nebenansprüche zu.
4. Die Kostenentscheidung resultiert aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen der Revisionszulassung gem. § 543 ZPO lagen nicht vor.