Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Düsseldorf Urteil vom 25.06.2013 - I-1 U 193/12 - Schmerzensgeld bei Verkehrsunfall mit Dauerfolgen und Berücksichtigung von Mitverschulden

OLG Düsseldorf v. 25.06.2013: Schmerzensgeld bei Verkehrsunfall mit Dauerfolgen und Berücksichtigung von Mitverschulden


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 25.06.2013 - I-1 U 193/12) hat entschieden:
Erleidet ein 24-jähriger Mann unfallbedingt eine komplette Unterschenkelfraktur mit verbleibender eingeschränkter Beugefähigkeit des linken Kniegelenks, eine dauerhafte Sensibilitätsminderung am vorderen Unterschenkel sowie eine Narbenbildung, so ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000 Euro bei einer Haftungsquote von 50% angemessen. Weiter ist die Feststellung einer Eintrittspflicht des Schädigers für künftige materielle und immaterielle Schäden geboten.


Siehe auch Schmerzensgeld

Gründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nur im Hinblick auf die begehrte Feststellung und einen weitergehenden Schmerzensgeldanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG in Höhe von 2.000,00 € begründet. Mit der außergerichtlich geleisteten Zahlung in Höhe von insgesamt 4.000,00 € und den nunmehr zuerkannten 2.000,00 € ist der dem Kläger durch den Unfall entstandene Schmerzensgeldanspruch angemessen befriedigt. Dabei legt auch der Senat eine Haftungsquote der Beklagten von 50 % zugrunde, wie sie die Parteien als unstreitig in das Verfahren eingeführt haben.

1.Die vom Landgericht für hinreichend befundene Höhe des Schmerzensgeldes von 4.000,00 € wird insbesondere im Hinblick auf das junge Alter des Klägers den dauerhaft verbleibenden Beeinträchtigungen nicht gerecht.

a. Für die Höhe des Ausgleichs des immateriellen Schadens kommt es auf das Ausmaß der konkreten Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten an, also auf Art und Umfang der unfallbedingten physischen und psychischen Verletzungen und Verletzungsfolgen, insbesondere auf die Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, die in Anspruch genommenen therapeutischen Hilfen wie Operationen und Krankenhausaufenthalte, auf den voraussichtlichen weiteren Krankheitsverlauf sowie insbesondere auf den zu befürchtenden Dauerschaden mit seinen Auswirkungen für das berufliche und soziale Leben des Verletzten (Senat, Urteil vom 11. Oktober 2010, Az.: I - 1 U 236/10 mit Hinweis auf BGH VersR 1955, 615; Senat, Beschluss vom 2. November 2011, Az.: I - 1 W 32/11). Da im Bereich von Verkehrsunfällen im wesentlichen die Ausgleichsfunktion im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung der Lebensverhältnisse im Vordergrund steht und der Genugtuungsfunktion geringere Bedeutung zukommt, sind die in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge als Orientierungshilfe für die Bemessung des Schmerzensgeldes heranzuziehen (BGH VersR 1976, 967).

b. Der Kläger hat im Alter von 24 Jahren unfallbedingt eine Schrägfraktur der mittleren Tibiadiaphyse im linken Unterschenkel sowie eine zwei-Etagen-Fibulafraktur erlitten. Diese komplette Unterschenkelfraktur musste mit einem Marknagel operativ versorgt werden. Dem diesbezüglich aussagekräftigen Privatgutachten von Dr. ... vom 06.08.2011 ist zu entnehmen, dass der linke Oberschenkel auch fast vier Jahre nach dem Unfallgeschehen noch in der groben Kraft leicht verschmächtigt ist. Auch hat der Privatsachverständige in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers festgestellt, dass die Beugung des linken Knies noch immer, wenn auch nur minimal, eingeschränkt ist. Der Kläger beklagt insoweit nachvollziehbar, dass er nicht mehr für einen längeren Zeitraum in die Hocke gehen könne. Zudem schwelle sein Knie bei stärkerer Belastung nach wie vor an und er sei darin gehindert, Ausdauersportarten auszuüben.

Eine vermehrte Arthrosebildung oder vermehrte Entkalkung infolge der Fraktur sind im Bereich des linken Unterschenkels nicht erkennbar (Bl. 8 d.A.). Als Folge der unfallbedingten Unterschenkelfraktur links verbleibt dem Sachverständigen zufolge eine leicht eingeschränkte Beugefähigkeit des linken Kniegelenks, eine Sensibilitätsminderung am vorderen Unterschenkel sowie eine Narbenbildung. Dabei sei das Ausheilungsergebnis als sehr gut zu bewerten. Der Sachverständige stellt eine Gebrauchsfähigkeitseinschränkung für das linke Bein mit 1/20 Beinwert fest, ohne dass von Veränderungen für die absehbare Zukunft auszugehen sei. Die unfallbedingte konkrete Behinderung für die zurückliegende Zeit schätzt er für die Zeit vom 05.10. bis 31.12.2007 auf 100 %, vom 01.01.2008 bis 31.01.2008 auf 50 %, vom 01.02.2008 bis 29.02.2008 auf 20 %, vom 01.03.2008 bis 11.11.2009 auf 10 %, nach der operativen Entnahme des Nagels vom 12.11.2009 bis 24.11.2009 auf 100 %, vom 25.11.2009 bis 27.12.2009 auf 50 %, vom 28.12.2009 bis 30.06.2010 auf 10 % und vom 01.07.2010 bis auf weiteres auf 3,5 %.

c. Die immateriellen Schäden des Klägers werden unter Berücksichtigung der vorgenannten Beeinträchtigungen und der 50%-igen Haftung der Beklagten mit insgesamt 6.000,00 € angemessen kompensiert. Dabei hat das Berufungsgericht das erstinstanzlich zuerkannte Schmerzensgeld auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob es überzeugt. Es darf sich nicht darauf beschränken, die Ermessensausübung der Vorinstanz auf Rechtsfehler zu überprüfen (BGH VersR 2006, 710). Unter Berücksichtigung der dauerhaft verbleibenden Beeinträchtigungen, die für einen jungen Mann nicht als unerheblich eingestuft werden können, und der sich über Monate ziehenden Heilungsdauer aufgrund von zwei durchzuführenden Operationen ist das von der Beklagten bereits gezahlte Schmerzensgeld nicht als hinreichend anzusehen. Hingegen erscheint das vom Kläger geforderte Schmerzensgeld von insgesamt 15.000,00 € bei Einrechnung des hälftigen Mitverschuldens übersetzt.

Dies gilt auch bei Einbeziehung der Vergleichsrechtsprechung zum Schmerzensgeld zu Unterschenkelfrakturen. Insoweit ist zunächst auf eine Entscheidung des Senats vom 23.03.2010, Az.: I - 1 U 156/09, veröffentlicht in juris, zu verweisen, die für eine Zweietagenfraktur des rechten Unterschenkels mit einer Verriegelungsnagelung, einer fünf Monate währenden Arbeitsunfähigkeit mit anschließender Entfernung des Osteosynthesematerials, einer dauerhaft eingeschränkten Erwerbsfähigkeit von weniger als 10 % bei Empfindsamtkeitsstörung und keiner wesentlich gestörten Belastbarkeit der Gelenke das Schmerzensgeld mit 7.500,00 € bemisst. Aus den im genannten Urteil des Senats zitierten Entscheidungen des OLG Saarbrücken vom 22.01.1993 (laufende Nummer 1258 der Schmerzensgeldtabelle nach Hacks/Ring/Böhm, 28. Aufl., 2010), vom Landgericht Frankenthal vom 11. August 1994 (laufende Nummer 1409 der vorgenannten Schmerzensgeldtabelle), des OLG Köln vom 15. Juni 1998 (VersR 1999, 243, laufende Nummer 1669 der vorgenannten Schmerzensgeldtabelle) sowie des OLG Köln vom 18.02.2000 (laufende Nummer 1670 der Schmerzensgeldtabelle) ergibt sich ein entsprechendes Bild. Zudem hat der Senat in seiner Entscheidung vom 23.07.1999 (VersR 2001, 250) für eine nach neun Monaten folgenlos verheilten Unterschenkelstückbruch ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 DM zuerkannt. Angesichts des Zeitablaufs seit den vorgenannten Entscheidungen - mit Ausnahme der Entscheidung des Senats vom 23.03.2010 - erscheint ein Schmerzensgeld angemessen, welches eine maßvolle Erhöhung des Ausgangsbetrages zugrunde legt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass - anders als in den vergleichsweise genannten Entscheidungen - der Kläger die Fraktur im Alter von 24 Jahren erlitten hat und er nachvollziehbar unter den Einschränkungen bei der sportlichen Betätigung daher besonders beeinträchtigt ist.

2. Zinsen stehen dem Kläger unter dem Gesichtspunkt des Verzugs seit dem 01.10.2011 zu, §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.

3. Zudem kann der Kläger einen Anspruch auf Feststellung einer zukünftigen materiellen wie immateriellen Schadenersatzverpflichtung der Beklagten mit Erfolg geltend machen. Hierbei ist das Mitverschulden des Klägers jeweils zu berücksichtigen. Für einen begründeten Feststellungsantrag ist genügend, wenn eine nicht eben entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichungen der Schadenersatzpflicht durch Auftreten weiterer, bisher noch nicht erkennbarer und voraussehbarer Leiden besteht. Ein Feststellungsanspruch kann bei schwereren Unfallverletzungen nur verneint werden, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen zu rechnen. An die Darlegung der für ein Feststellungsbegehren erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass spätere Schadensfolgen eintreten könnten, hat die Rechtsprechung stets maßvolle Anforderungen gestellt (BGH VersR 1991, 779). Bezogen auf den Kläger steht fest, dass dessen Unfallverletzungen nicht gänzlich folgenlos ausgeheilt sind. Dem in der Sache nicht angegriffenen und nachvollziehbaren Gutachten des Privatsachverständigen ist - wie bereits ausgeführt - zu entnehmen, dass der Kläger weiterhin unter einer leicht eingeschränkten Beugefähigkeit des linken Kniegelenkes, einer Sensibilitätsminderung und einer Sensibilitätsminderung am vorderen Unterschenkel leidet. Dabei ist von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 3,5 % bzw. 1/20 Beinwert auszugehen. Diesbezüglich lässt sich nicht mit letzter Sicherheit vorhersagen, wie sich diese Beeinträchtigungen in Zukunft entwickeln werden. Soweit der Sachverständige darauf abstellt, dass in absehbarer Zeit nicht mit einer Veränderung der Dauerfolgen zu rechnen ist, so besagt dies nicht zugleich, dass auf längere Sicht nicht weitere Schäden eintreten können.

4. Den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten kann der Kläger als Bestandteil seines Schadens auf der Grundlage einer 1,3 Geschäftsgebühr und einem Gegenstandswert von 4.000,00 € (1.000,00 € vorgerichtliche Zahlung nach Einschaltung des Klägervertreters, 2.000,00 € weiteres Schmerzensgeld und 1.000,00 € aufgrund der begehrten Feststellung) zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer und damit in Höhe von 402,81 € geltend machen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs.1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug: 12.000,00 €.



Datenschutz    Impressum