Das Verkehrslexikon
Amtsgericht Dortmund Urteil vom 26.07.2016 - 425 C 10995/15 -
AG Dortmund v. 26.07.2016:
Das Amtsgericht Dortmund (Urteil vom 26.07.2016 - 425 C 10995/15) hat entschieden:
- Nach Neufassung der AKB kann nicht mehr zwingend davon ausgegangen werden, dass in jedem Fall eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 StGB auch ein Fall der Arglist i.S.d. § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG vorliegt.
- Vielmehr muss anhand von Indizien ermittelt werden, ob der subjektive Tatbestand erfüllt ist.
- Zum Kausalitätsgegenbeweis gem. § 28 Abs. 3 VVG.
Siehe auch Arglist und Obliegenheitsverletzung im Versicherungsregress und Stichwörter zum Thema unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht Ansprüche aus einem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag. Der Beklagte fährt als geringfügig Beschäftigter ein Taxi, das bei der Zedentin haftpflichtversichert ist.
Am 27.06.2014 wollte der Beklagte mit diesem Taxi einen Dialyse-Patienten in der K. Straße in Dortmund abholen. Beim Wenden mit dem Taxi stieß der Beklagte beim Rückwärtsfahren gegen einen Begrenzungspoller im Eigentum der LEG.
Der Beklagte bemerkte den Unfall und stieg daraufhin aus dem Fahrzeug aus, um den Schaden zu begutachten. Anschließend verließ er die Unfallstelle ohne Feststellungen zu seiner Person, zum Fahrzeug und der Art seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen. Er wurde dabei durch Herrn S. beobachtet, der die Polizei verständigte. Diese war, als der Beklagte zu der Mietwagenzentrale zurückkehrte, bereits vor Ort. Der Beklagte räumte der Polizei gegenüber ein, gefahren zu sein und den Unfall verursacht zu haben. Es wurden durch die Polizeibeamten Messungen am Unfallfahrzeug vorgenommen. Ein Alkoholtest wurde nicht durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft Dortmund leitete gegen den Beklagten ein Ermittlungsverfahren ein. Dieses wurde gem. § 153 a StGB gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von 400 EUR eingestellt.
Die L.-Allgemeine Versicherungs-AG regulierte den am Poller eingetretenen Schaden in Höhe von 1.767,50 EUR zu Gunsten der geschädigten LEG Wohnen NRW GmbH. Der Haftpflichtversicherer forderte den Beklagten mit Schreiben vom 17.12.2014 unter einer Fristsetzung von 3 Wochen auf, den von ihm regulierten Betrag zu erstatten. Der Beklagte lehnte eine Rückzahlung ab.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe durch das Entfernen vom Unfallort eine arglistige Verletzung seiner sich aus E 1.3 der AKB ergebenden Obliegenheiten begangen. Dies führe zur Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 28 II VVG. Somit stehe ihr ein Rückzahlungsanspruch bzgl. der von ihr regulierten Schäden gegenüber der Beklagten zu.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.767,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.01.2015 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, er habe keine durch den Unfall verursachten Schäden an dem Poller feststellen können. Er ist der Ansicht, seinen Verpflichtungen gegenüber der Versicherung vollständig nachgekommen zu sein, da er seinem Arbeitgeber und Halter des PKW alle erforderlichen Angaben gegeben zu haben. Er sei davon ausgegangen, dass dieser die Schadensmeldung auch gemacht habe.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Das AG Dortmund ist gemäß § 32 ZPO örtlich und gemäß § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.
Die Klägerin ist aktiv legitimiert.
Die Voraussetzungen für eine gewillkürte Prozessstandschaft gemäß § 185 BGB analog liegen vor.
Die Klägerin macht einen ihr von der L.-Allgemeinen-Versscherungs-AG abgetretenen Anspruch im eigenen Namen geltend und tritt somit als gewillkürte Prozessstandschafterin auf. Der fragliche Anspruch war auch materiell-rechtlich abtretbar, und die Klägerin hat ein eigenes rechtsschutzwürdiges Interesse (vgl. BGH, Urt. v. 22.12.1988- VII ZR 129/88) an der Geltendmachung. Das eigene, in diesem Fall wirtschaftliche Interesse, ergibt sich aus der Tatsache, dass zwischen der Klägerin und der L.-Allgemeinen-Versicherung-AG eine Geschäftsbeziehung besteht, welche die Klägerin ermächtigt, offene Forderungen der Versicherung im eigenen Namen gegen Provision notfalls auch gerichtlich geltend zu machen.
Die Klage ist aber unbegründet.
Der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt der geltendgemachte Anspruch zu.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Rückerstattung des von ihr regulierten Schadens in Höhe von 1.767,50 EUR gemäß §§ 426 II S.1 BGB, 115 I S.4 VVG, da sie nicht gemäß § 28 II VVG gegenüber dem Beklagten leistungsfrei geworden ist.
Der Beklagte als Fahrer, die Firma S. als Halterin und die Beklagte waren gegenüber der geschädigten LEG Gesamtschuldner eines gem. § 7 StVG iVm § 115 VVG bestehenden Schadensersatzanspruchs. Es ist aber nicht so, dass der Beklagte im Innenverhältnis allein für den Schaden einzustehen hat, da hier keine Leistungsfreiheit gem. § 28 Abs. 2, 3 VVG bestand.
Danach ist der Versicherer leistungsfrei, wenn der Vertrag bestimmt, dass der Versicherer bei Verletzung einer vom Versicherungsnehmer zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet ist, und wenn der Versicherungsnehmer eine solche Obliegenheit vorsätzlich verletzt hat. Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer. Jedoch ist abweichend von Absatz 2 der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Die Regelung des letzten Satzes gilt wiederum nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat.
Durch das Entfernen vom Unfallort, ohne zuvor zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die erforderlichen Feststellungen bzgl. seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung zu ermöglichen, hat der Beklagte gegen seine vertraglichen Obliegenheiten aus E 1.3 der AKB verstoßen und zugleich eine Unfallflucht gemäß 142 I StGB begangen. Er handelte auch mit Vorsatz, da er den Unfall bemerkte und sich trotzdem bewusst vom Unfallort entfernte. Gemäß § 47 I VVG hat auch der mitversicherte Fahrer die Obliegenheiten des Versicherungsvertrages zu beachten.
Jedoch ist dem Beklagten keine Arglist im Sinne von § 28 III S.2 VVG vorzuwerfen, weshalb der Kausalitätsgegenbeweis gemäß §28 III S.1 VVG nicht ausgeschlossen ist (dazu Nugel, ZAP F. 9 S. 901, 904).
In jeder Unfallflucht zugleich einen arglistigen Obliegenheitsverstoß im Sinne von § 28 III S.2 VVG zu sehen, widerspricht der Systematik des § 28 VVG.
Wenn schon jedes vorsätzliche Verhalten im Sinne von § 142 I StGB ausreichen würde, um Arglist zu bejahen, wären das zusätzliche Merkmal der Arglist und der Kausalitätsgegenbeweis überflüssig.
Der Gesetzgeber hat gerade mit der zusätzlichen Voraussetzung der Arglist, welche den Kausalitätsgegenbeweis für den Fall der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung ausschließt, gezeigt, dass vorsätzliches Verhalten allein für die Leistungsfreiheit des Versicherers nicht ausreicht.
Außerdem wäre dem Versicherungsnehmer somit in jedem Fall der Unfallflucht der Kausalitätsgegenbeweis verwehrt.
Der § 28 VVG enthält für unterschiedliche Verschuldensformen unterschiedliche Rechtsfolgen. Die grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung führt zu einer anteiligen Leistungsfreiheit des Versicherers, während die vorsätzliche in der Regel zu dessen Leistungsfreiheit führt. Diesem abgestuften System würde eine Pauschalierung widersprechen.
Bezogen auf die früheren Versionen der AKB war Konsens, dass die unscharf formulierte Obliegenheit "alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann", durch die für den § 142 I StGB geltenden Grundsätze konkretisiert werden sollte (vgl. BGH, VersR 2000, 222). Dieser Umstand hatte früher zur Folge, dass jeder Fall des § 142 I StGB automatisch eine Obliegenheitsverletzung darstellte. Die neue Fassung der AKB, die hier einschlägig ist, enthält hingegen eine sprachlich konkret gefasste Obliegenheit, weshalb ein Rückgriff auf das StGB mittlerweile entbehrlich ist (vgl. OLG Saarbrücken, ZfSch 2016, 211).
Hieraus ergibt sich, dass der Versicherte, um das Merkmal der Arglist zu erfüllen, einen gegen die Interessen der Versicherung gerichteten Zweck verfolgen muss. Zusätzlich muss ihm bewusst sein, dass sein Verhalten den Versicherer im Rahmen der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann (vgl. BGH, NJW-RR 2009, 1036).
Zur Ermittlung dieses erforderlichen subjektiven Tatbestandsmerkmals zur Feststellung der Arglist ist auf Indizien abzustellen, die sich aus dem Verhalten des Versicherungsnehmers und dem Unfallhergang ergeben. Dabei ist die Arglist anhand von Indizien positiv festzustellen.
Auch eine dem Versicherten zu unterstellende Absicht, seine Unfallbeteiligung als Fahrer durch das Verlassen des Unfallortes zu verschleiern, würde den Interessen der Versicherung nicht zuwiderlaufen, da in diesem Fall keine Ansprüche gegen sie geltend gemacht werden könnten. Ein gegen die Interessen der Versicherung gerichteter Zweck kann im Rahmen der Unfallflucht nur darin gesehen werden, die Versicherung zu einer Leistung zu bewegen, zu der sie rechtlich nicht verpflichtet ist. Dies kann jedoch bei der kompletten Verschleierung des Unfalls nie der Fall sein.
Auch die Tatsache der unterbliebenen ausreichenden Schadensmeldung kann weder als Indiz für die Arglist noch als arglistige Obliegenheitsverletzung auf Grund der Besonderheiten des vorliegenden Falles herangezogen werden. Der Beklagte ist angestellter Fahrer hat zwar eine vertragliche Verpflichtung zur Schadensmeldung, er hat aber keine Nachteile durch eine Schadensregulierung. Er muss einen eventuellen Rückstufungsschaden nicht tragen. Es kann ihm deshalb nicht unterstellt werden, dass er die Schadensmeldung unterlassen hat, um die Zedentin zu schädigen und sich zu bereichern.
Weitere Indizien, welche für ein arglistiges Verhalten des Beklagten sprechen, sind nicht ersichtlich.
Der Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 28 III S.1 VVG ist als erbracht anzusehen, da der Klägerin keine Feststellungsnachteile durch das Verhalten des Beklagten entstanden sind.
Nach der Rechtsprechung (vgl. BGH, NVersZ 2001, 330) kann der Versicherungsnehmer diesen Beweis nur so führen, dass er zunächst die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten ausräumt und dann abwartet, welche Behauptungen der Versicherer über Art und Ausmaß aufstellt, die der Versicherer dann ebenfalls zu widerlegen hat.
Aus dem vorliegenden Sachverhalt ergeben sich keine Zweifel an der Regulierungspflicht und der Höhe des Schadens.
Es handelt sich um einen vergleichsweise unkomplizierten Unfall, bei dem keine Feststellungsschwierigkeiten bestanden. Der Beklagte ist aufgrund von Unachtsamkeit gegen den Poller gefahren. Der Unfall wurde von einem Zeugen bemerkt, welcher die Polizei verständigte. Dieser gelang es, die erforderlichen Feststellungen hinsichtlich Schuld, Schaden, Unfallfahrer und Wagen unverzüglich zu ermitteln. Zweifel hätten sich allenfalls hinsichtlich der Fahrtüchtigkeit des Beklagten ergeben können.
Die sehr zeitnah nach dem Unfallgeschehen ermittelnden Polizeibeamten hatten hinsichtlich der Fahrtüchtigkeit des Beklagten keine Zweifel und keinen Anlass damals noch mögliche Feststellungen zu treffen. Ein Anscheinsbeweis dahingehend, dass nach der Lebenserfahrung mittels der Unfallflucht die Fahruntüchtigkeit verschleiert werden soll, existiert nicht. Die Lebenssachverhalte sind hier viel zu unterschiedlich. Vielmehr müssen sich aus den Umständen des Unfalls und dem Verhalten des Fahrers diesbezügliche Anhaltspunkte ergeben. Anhaltspunkte, die in diese Richtung deuten, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil, als die Polizei den Beklagten kurze Zeit später vernahm, ist ein Alkoholtest mangels Indizien nicht durchgeführt worden.
Nach alledem ist der Zedentin durch die Obliegenheitsverletzung keine Risikovergrößerung entstanden. Der Kausalitätsgegenbeweis ist geführt. Eine Quote, wie sie § 28 Abs. 2 VVG vorsieht ist gar nicht mehr zu bilden (LG Dortmund, zfs 2010, 515).
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 I, 708 Nr.11, 711 ZPO.