Das Verkehrslexikon

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OLG Saarbrücken Urteil v. 27.11.2007 - 4 U 276/07 - Die vorsätzliche Herbeiführung eines Verkehrsunfalls rechtfertigt eine Erhöhung des Schmerzensgeldes

OLG Saarbrücken v. 27.11.2007: Die vorsätzliche Herbeiführung eines Verkehrsunfalls rechtfertigt eine Erhöhung des Schmerzensgeldes


Das OLG Saarbrücken (Urt. v. 27.11.2007 - 4 U 276/07-93) hat entschieden:
Zwar tritt die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes bei Verkehrsunfällen in der Regel zurück, wo die Ausgleichsfunktion im Hinblick auf die erlittenen Verletzungen und unfallbedingten Verletzungsfolgen im Vordergrund steht. Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn der Unfallverursacher vorsätzlich gehandelt hat, mithin sein Kraftfahrzeug als Werkzeug gegen das Unfallopfer eingesetzt hat. In diesem Fall entspricht es der materiellen Gerechtigkeit, dem Unfallopfer eine Genugtuung für das erlittene Unrecht zukommen zu lassen, ebenso wie bei Fällen der schweren Körperverletzung, die sich außerhalb des Straßenverkehrs ereignen.


Siehe auch Schmerzensgeld und Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kfz-Versicherung


Zum Sachverhalt: Der Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall, der sich am 01.11.2004 gegen 16.00 Uhr in ... ereignete, und an dem der damals 39jährige Kläger als Fahrer eines Mountainbikes und der zum Unfallzeitpunkt 77jährige Beklagte als Halter und Fahrer eines Pkw Ford M., amtl. Kennzeichen, beteiligt waren.

Der Kläger bog gemeinsam mit dem Zeugen L. an der Kreuzung S. Straße/M.straße/E.straße nach rechts in die S. Straße in Richtung G. Weiher ein, als sich der Beklagte aus der entgegengesetzten Richtung kommend näherte und nach links ebenfalls in die S. Straße einbiegen wollte. Die Radfahrer fuhren kurz vor dem Beklagten in die Straße ein, der Beklagte hupte und fuhr an ihnen vorbei, woraufhin der Kläger ihm den erhobenen Mittelfinger zeigte. Nachdem der Beklagte und ihm nachfolgend der Kläger und der Zeuge L. von der S. Straße in die Zufahrtsstraße zum Weiher abgebogen waren, in der die zulässige Höchstgeschwindigkeit wegen in der Fahrbahn angebrachter Schwellen auf 30 km/h begrenzt war, versuchte der Kläger in einer leichten Linkskurve den Beklagten, der sehr langsam fuhr, links zu überholen. Der Beklagte lenkte gleichzeitig sein Fahrzeug so weit nach links, bis er sich ganz auf der linken Fahrbahnseite befand und der links neben ihm fahrende Kläger mit der Hand auf die Motorhaube des Wagens schlug. Als es dem Kläger gelang, an dem Beklagten vorbeizukommen und er frontal vor dem Pkw fuhr, kam er zu Fall und geriet unter das Fahrzeug, wo er noch mindestens 20 Meter mitgeschleift wurde und darunter eingeklemmt blieb. Der Beklagte blieb bei laufendem Motor zunächst in dem Fahrzeug sitzen, bis er nach Intervention des Zeugen L. den Motor abschaltete und gemeinsam mit dem Zeugen den schwerverletzten Kläger mit zwei Wagenhebern befreite.

Der Kläger zog sich bei dem Unfall schwere Verletzungen zu.

Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten lehnte unter Hinweis auf § 152 VVG eine Einstandspflicht wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls ab. Durch Urteil des AG Saarbrücken vom 07.12.2005 wurde der nicht vorbestrafte Beklagte wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde mit der Auflage, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 10 000 Euro in monatlichen Raten zu 500 Euro zu zahlen.

Der Kläger hat zum Unfallhergang erstinstanzlich behauptet, der Beklagte habe sich bereits bei der Einfahrt in die S. Straße über ihn aufgeregt in der unzutreffenden Annahme, der Kläger und der Zeuge L. hätten ihm die Vorfahrt genommen. Letztere hätten in der Zufahrtsstraße zum Weiher den wegen der angebrachten Schwellen sehr langsam fahrenden Beklagten überholen wollen, der während des Überholvorgangs des Klägers sein Fahrzeug immer weiter nach links gezogen habe, weshalb der Kläger aus Angst auf die Motorhaube geschlagen und schnell in die Pedale getreten habe, um an dem Beklagten vorbeizukommen. Der Beklagte habe ihn zunächst auf den Gehweg und dann auf den daneben liegenden unbefestigten Streifen abgedrängt. Als er, der Kläger, sich frontal vor dem Fahrzeug befunden habe, habe der Beklagte, der ebenfalls schon mit den linken Rädern auf dem unbefestigten Randstreifen gefahren sei, Gas gegeben und sei von hinten gegen das Hinterrad des Klägers gefahren, weshalb dieser gestürzt sei. Der Beklagte habe den Unfall damit vorsätzlich verursacht.

Zum Unfallhergang hat der Beklagte behauptet, der Kläger habe sich zunächst im toten Winkel befunden und die Linksbewegung seines Pkws sei allein durch den Straßenverlauf bedingt gewesen. Durch das Schlagen auf die Motorhaube habe er sich erschrocken und habe möglicherweise unbewusst nach links eingelenkt. Er habe keinesfalls sein Fahrzeug beschleunigt oder den Kläger schneiden oder abdrängen wollen, vielmehr sei er vom Bremspedal gerutscht. Nachdem er zuerst behauptet hatte, der Kläger habe den Unfall selbst verursacht, hat er zuletzt eingeräumt, den Unfall durch ein möglicherweise unbewusstes Lenken nach links zwar grob fahrlässig, aber nicht vorsätzlich verursacht zu haben.

Das Erstgericht hat den Beklagten mit der angefochtenen Entscheidung zur Zahlung von Schadensersatz in beantragter Höhe und Schmerzensgeld in Höhe weiterer 20 500 Euro verurteilt. Zur Begründung des zugesprochenen Schmerzensgeldbetrags hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Verkehrsunfall vom Beklagten vorsätzlich herbeigeführt worden sei. Dieser habe sich vom Kläger provoziert gefühlt und sei bewusst und gewollt gegen das Hinterrad gefahren, wobei er zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass der Kläger zu Fall komme.

Nachdem die vom Kläger behaupteten Verletzungen sämtlich nachgewiesen seien, sei ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 25 000 Euro für die Unfallfolgen angemessen, auf das die bereits im Rahmen der Bewährungsauflage gezahlten 4 500 Euro anzurechnen seien. Erheblich erhöhend wirke sich hierbei aus, dass der Beklagte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe und auch nach rechtskräftiger Verurteilung im Strafverfahren wenig Einsicht zeige. Andererseits habe er die materiellen Schäden unstreitig gestellt, um das Verfahren zu beschleunigen und zuletzt jedenfalls schriftsätzlich sein grob fahrlässiges Verhalten eingeräumt. Schmerzensgeldmindernd wirke sich auch die vorangegangene Beleidigung seitens des Klägers durch Zeigen des erhobenen Mittelfingers aus.

In der Sache wendete sich der Beklagte mit seiner Berufung gegen die Feststellung des Landgerichts, er habe den Unfall vorsätzlich herbeigeführt.

Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"A.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet, denn das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO. Das Landgericht hat zu Recht nach umfassender Beweiswürdigung eine vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls durch den Beklagten als erwiesen erachtet (Ziffer 1). Auch die Höhe des zugesprochenen Schmerzensgelds begegnet keinen Bedenken (Ziffer 2). ... 1. Dem Kläger steht gem. §§ 823 I, 253 II BGB, 7, 18 StVG ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 25 000 Euro aufgrund des Schadensereignisses vom 01.11.2004 zu. Die verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen die Annahme vorsätzlichen Handelns seitens des Beklagten.

a. Der Beklagte fuhr unstreitig während des Überholversuchs des Klägers so weit nach links, dass er diesen bis auf den unbefestigten Bereich neben der Straße abdrängte. Dass er während dieses Fahrmanövers, für das es nach den sachverständigen Feststellungen keine technische Ursache gab (BA 113, 115), den links neben ihm fahrenden Kläger nicht gesehen hätte, ist nicht nachvollziehbar – zumal die Aufmerksamkeit des Beklagten spätestens durch den Schlag auf die Motorhaube auf den Kläger gelenkt war –, kann jedoch im Ergebnis dahinstehen: Jedenfalls ist der Beklagte, nachdem es dem Kläger gelungen war, ihn zu überholen, und sich das Fahrrad unmittelbar vor dem Pkw befand, bewusst gegen den Hinterreifen des Klägers gefahren, wodurch dieser stürzte.

b) bis f) ... (folgen weitere Ausführungen zur Beweiswürdigung im Einzelfall) g. Der Vorsatz des Beklagten umfasste auch die Verletzung und die damit verbundenen Folgen, die bei diesem Unfall zu erwarten waren. Vorsatz hinsichtlich einer Schadensfolge liegt dann vor, wenn der Täter sich die herbeigeführte konkrete Körperverletzung vorgestellt und er sie gewollt hat (BGH VersR 1983, 477; OLG Hamm, VersR 1985, 726, Saarländisches Oberlandesgericht, NJW-RR 1994, 353). Hierzu ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine generalisierende Vorstellung des Täters über die möglichen Folgen seines Handelns besteht. Bezieht der Täter, wovon in der Regel auszugehen ist, typische Verletzungsfolgen der vorliegenden Art in seine Vorstellung ein, sind diese vom Vorsatz umfasst. Schlüsse auf die Willensrichtung des Täters können z.B. aus der Vorgeschichte der Tat, deren Hergang oder dem anschließenden Verhalten des Täters gezogen werden (OLG Saarbrücken a.a.O.). Nach aller Lebenserfahrung musste der Beklagte bei einer Geschwindigkeit des Pkws von 31 bis 39 km/h mit dem Sturz des Klägers und den eingetretenen Verletzungen rechnen. Anhaltspunkte dafür, dass er dies nicht getan und nicht billigend in Kauf genommen hätte, sind weder dargetan noch ersichtlich.

Der Hinweis der Berufung (GA III 373) auf die bereits vom Landgericht zitierte (GA III 302) Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts (NJW-RR 1994, 353) verfängt nicht im Sinn des Beklagten. Das Landgericht ist aufgrund seiner umfassenden Beweiswürdigung zu der auch vom Senat geteilten Überzeugung gelangt, dass der Beklagte die Verletzungen des Klägers vorsätzlich herbeigeführt hat. Damit ist der Angriff der Berufung verfehlt, das Erstgericht habe dies „letztlich allein“ aus dem vorangegangenen Geschehen im Zusammenhang mit der angeblichen Vorfahrtsverletzung des Klägers abgeleitet.

2. ... (folgen Ausführungen zur Höhe des Schmerzensgeldes)

a. ...

b. Das Landgericht hat zu Recht die vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls aus nichtigem Anlass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes mitberücksichtigt, dessen Genugtuungsfunktion sich auch bei einer lediglich bedingt vorsätzlichen Schädigung auswirkt (vgl. die Grundsatzentscheidung BGHZ 18, 149). Zwar tritt die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes bei Verkehrsunfällen in der Regel zurück, wo die Ausgleichsfunktion im Hinblick auf die erlittenen Verletzungen und unfallbedingten Verletzungsfolgen im Vordergrund steht. Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn der Unfallverursacher vorsätzlich gehandelt hat, mithin sein Kraftfahrzeug als Werkzeug gegen das Unfallopfer eingesetzt hat. In diesem Fall entspricht es der materiellen Gerechtigkeit, dem Unfallopfer eine Genugtuung für das erlittene Unrecht zukommen zu lassen, ebenso wie bei Fällen der schweren Körperverletzung, die sich außerhalb des Straßenverkehrs ereignen.

Dies gilt auch nach der Neufassung des § 253 II BGB durch das 2. Schadensrechtsänderungsgesetz, wodurch die Unterscheidung zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung eigentlich aufgegeben worden ist. Inzwischen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es nunmehr für die Bemessung des Schmerzensgeldes gleichgültig ist, ob der Schädiger nur aus Gefährdung oder auch aus einfacher Fahrlässigkeit haftet (OLG Celle NJW 2004, 1185; Palandt, BGB, 66. Aufl., § 253 Rdn. 11 m.w.N.). Allgemeine Kriterien zur künftigen Bemessung von Schmerzensgeldern bei verschuldensunabhängiger Haftung hat der VI. Zivilsenat des BGH noch nicht entwickelt. Nach Auffassung des OLG Celle sei nach wie vor von der Doppelfunktion des Schmerzensgeldes auszugehen, wenn auch bei Verkehrsunfällen die Genugtuungsfunktion weitgehend in den Hintergrund trete, außer dem Schädiger sei ein grober Verkehrsverstoß anzulasten (OLG Celle VersR 2005, 91). Vorliegend kann dahin gestellt bleiben, ob und inwieweit ein grob fahrlässiges Verhalten des Schädigers sich schmerzensgelderhöhend auswirkt (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 29.08.2005, 12 U 190/04, in: Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge 2007, Nr. 1650). Jedenfalls im Fall vorsätzlichen Handelns besteht eine derart andere Unrechtsqualität des Handelns im Vergleich mit der bloßen Gefährdungshaftung des StVG, die bloße Unglücksschäden, nicht aber Unrechtsschäden abgelten soll, dass eine Berücksichtigung dieses Umstandes im Rahmen der Schmerzensgeldzumessung nach wie vor geboten ist (vgl. hierzu Diederichsen, VersR 2005, 433).

c. Im Streitfall war schmerzensgeldmindernd zu berücksichtigen, dass der Kläger den Beklagten vor dem Unfallereignis dadurch provoziert hat, dass er ihn durch Zeigen des erhobenen Mittelfingers beleidigt hat. Etwas relativierend ist der Umstand zu werten, dass dem wiederum eine Vorfahrtsverletzung des Beklagten und ein Anhupen und Gestikulieren vorausging. Nicht zum Nachteil des Klägers zu berücksichtigen war dagegen die Tatsache, dass dieser bei dem Überholversuch mit der Hand auf die Motorhaube des Pkw geschlagen hat, wobei er das Fahrzeug beschädigt und den Beklagten möglicherweise erneut provoziert hat; denn es spricht nach der Beweisaufnahme alles dafür, dass er dies in Notwehr und in der Absicht getan hat, den Beklagten von seinem gefährdenden Fahrmanöver abzubringen. Ein verkehrswidriges Verhalten des Klägers, das sich gem. § 9 StVG indirekt auch auf die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes auswirkte, ist nicht festgestellt. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts ist nicht ersichtlich, dass ein Überholen des Beklagten verkehrswidrig gewesen wäre; auch eine vorausgegangene Vorfahrtsverletzung, wie vom Beklagten behauptet, ist nicht nachgewiesen.

d. Nicht schmerzensgeldmindernd zu berücksichtigen war die rechtskräftige Verurteilung des Beklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wirkt sich die strafrechtliche Verurteilung des Täters jedenfalls bei vorsätzlichen Straftaten auf die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes und auf dessen Bemessung grundsätzlich nicht aus (BGH NJW 1996, 1591 m.w.N.). ..."