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BayObLG Urteil vom 31.03.1998 - 2St RR 44/98 - Zur Täuschung im Rechtsverkehr wenn der Täter die Beeinträchtigung des Rechtsverkehrs voraussieht
BayObLG v. 31.03.1998: Zur Täuschung im Rechtsverkehr wenn der Täter die Beeinträchtigung des Rechtsverkehrs voraussieht
Das BayObLG (Urteil vom 31.03.1998 - 2St RR 44/98) hat entschieden:
"Zur Täuschung im Rechtsverkehr" handelt ein Täter auch dann, wenn er in erster Linie einen außerrechtlichen Erfolg erstrebt, die Beeinträchtigung des Rechtsverkehrs aber als sichere Folge seines Tuns voraussieht (Aufgabe BayObLG München, 18. April 1967, RReg 3 a St 5/67, BayObLGSt 1967, 62).
Siehe auch Kfz-Kennzeichen und Urkundenfälschung und sonstige Verfälschungsdelikte
Zum Sachverhalt: Nach den Feststellungen mietete die Mutter des Angeklagten, der am 11.5.1997 21 Jahre alt wurde, für den 20. und 21.5.1997 als Geburtstagsgeschenk einen Pkw der Marke Mercedes 300 SL. Der Angeklagte entfernte die amtlichen Regensburger Kennzeichen und ersetzte sie durch ein Kennzeichen von Neustadt a.d. Waldnaab, das für den Pkw des Freundes der Mutter ausgegeben worden war. Der Angeklagte wollte auf diese Weise erreichen, dass ihm ein Freund, der Zeuge S. die Behauptung glaube, er (der Angeklagte) sei Eigentümer des Fahrzeugs. Mit den falschen Kennzeichen fuhr er am 20. und 21.5.1997 auf öffentlichen Straßen, bis er am 21.5.1997 von der Polizei kontrolliert wurde. Der Angeklagte war nach seiner eigenen Einlassung der Auffassung, mit seinem Verhalten lediglich den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit zu erfüllen.
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen Urkundenfälschung. Seine Berufung sowie die Revision blieben erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... a) Das Landgericht ist in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte den Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erfüllt hat, indem er falsche Kennzeichen an dem Fahrzeug angebracht und dieses anschließend im öffentlichen Verkehr benutzt hat.
Keinen Bedenken begegnet zunächst die Annahme, dass es sich bei dem amtlichen Kennzeichen um eine mit dem Fahrzeug zusammengesetzte Urkunde handelt, die der Angeklagte verfälscht hat.
Zu Recht hat das Landgericht auch die subjektiven Voraussetzungen des Tatbestandes bejaht. Dies gilt ohne Frage für die Annahme des Vorsatzes hinsichtlich der Handlung des Fälschens und Gebrauchmachens einer Urkunde. Nach den Feststellungen des Landgerichte war sich der Angeklagte des Unrechts seines Verhaltens bewusst. Er hat mithin zumindest laienhaft erkannt, dass er mit dem Auswechseln der Nummernschilder den Beweisgehalt der zusammengesetzten Urkunde verändert und damit die Eignung, im Rechtsverkehr (zutreffend) Beweis zu erbringen, beseitigt hat.
Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend auch das Merkmal "zur Täuschung im Rechtsverkehr" als gegeben angesehen. Die Revision weist insoweit allerdings in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht darauf hin, dass gegen das Vorliegen dieses Teils des subjektiven Tatbestandes im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLGSt 1967, 62) Bedenken bestehen. In der genannten Entscheidung wird die Auffassung vertreten, das Merkmal "zur Täuschung im Rechtsverkehr" verlange eine Absicht im Sinne des sogenannten dolus directus ersten Grades; es reiche mithin nicht aus, wenn der Täter die Folge einer Täuschung im Rechtsverkehr als sichere Konsequenz seines Tuns voraussehe, vielmehr müsse es ihm gerade hierauf ankommen.
Die Entscheidung hat in der Literatur überwiegend Ablehnung gefunden (Lenckner NJW 1967, 1890; Cramer JZ 1968, 30; Tröndle StGB 48. Aufl. § 267 Rn. 29; LK/Tröndle StGB 10. Aufl. § 267 Rn. 199; SK/Samson StGB § 267 Rn. 86; Samson JuS 1970, 369/376; Herzberg ZStW 1976, 68/95; Neuhaus GA 1994, 224; NK/Puppe § 267 Rn. 98 ff., die sogar dolus eventualis für ausreichend hält; Wessels Strafrecht Besonderer Teil, Teil 1 21. Aufl. Rn. 811; Lackner StGB 22. Aufl. § 267 Rn. 25; zustimmend Maurach-Schröder Strafrecht Besonderer Teil Teilband 2 6. Aufl. § 65 IV 4 b). Der Senat hält an der früheren Rechtsprechung nicht fest. Die übrigen Strafsenate des Bayerischen Obersten Landesgerichts haben auf Anfrage erklärt, dass sie dem folgen.
Die Entscheidung in BayObLGSt 1967, 62 ist zum einen auf die Entstehungsgeschichte der Neufassung des § 267 StGB im Jahre 1943 gestützt, die nichts dafür hergebe, dass die Anforderungen an die innere Tatseite der Bestimmung herabgesetzt werden sollten; zum anderen wird auf das Gebot der Rechtsstaatlichkeit abgestellt, das eine Strafbarkeit im Vorfeld des eigentlich schädigenden Verhaltens ohne die besondere Willensrichtung verbiete.
Die Kritik hat nicht nur darauf hingewiesen, dass auch vor Erlass des § 267 StGB in der Neufassung von 1943 die Auslegung des Begriffs der "rechtswidrigen Absicht" streitig gewesen sei, vielmehr hat sie zu Recht auf die sprachliche Änderung abgestellt, die den Begriff der Absicht vermeidet und nach ihrem Sinn und Zweck die Abgrenzung zu Verhaltensweisen gewährleisten soll, die außerhalb des Rechtsverkehrs erfolgen und damit den schutzwürdigen Beweisverkehr nicht tangieren. Gerade die Sicherung des Rechtsverkehrs gebietet aber, auch solche Täuschungshandlungen in den Bereich der Strafbarkeit einzubeziehen, die nicht nur den außerrechtlichen Bereich berühren, sondern auch eine Beziehung zum Rechtsverkehr aufweisen.
Das zweite Argument betrifft, worauf vor allem Cramer (JZ 1968, 30/31) hingewiesen hat, allenfalls die beiden ersten Alternativen des § 267 Abs. 1 StGB, da es sich beim Gebrauchmachen nicht mehr um eine typische Vorbereitungshandlung handelt, sondern um die Realisierung der Täuschung und damit den unmittelbaren Angriff auf das geschützte Rechtsgut. Zumindest für diese hier (auch) in Frage stehende Alternative ist eine Einschränkung des Anwendungsbereichs daher nicht gerechtfertigt. Dies erkennt das Bayerische Oberste Landesgericht auch an anderer Stelle an, wenn es ausführt (MDR 1958, 264), ein für § 267 StGB ausreichender Vorsatz liege bei Gebrauch einer (im vollen Umfang) verfälschten Urkunde im Rechtsverkehr in der Regel vor. Eine Täuschung des Grenzbeamten durch die damalige Angeklagte, die ihr Geburtsdatum im Pass verändert hatte, um ihrem Begleiter das wahre Alter zu verheimlichen, wurde daher nur deshalb verneint, weil die Urkunde nur teilweise verfälscht und dieser Teil für die Entscheidung des Grenzbeamten nicht bestimmend gewesen sei.
Im Interesse der Effektivität des Rechtsgüterschutzes, d.h. bei § 267 StGB der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs, ist es aber geboten, Täuschungshandlungen, auch wenn sie primär auf einen außerrechtlichen Effekt zielen, in den Anwendungsbereich der Bestimmung aufzunehmen, wenn sie als sicherer (Neben-)Effekt zu einer Störung des Beweisverkehrs im Rechtsleben führen. Gerade weil der Gesetzgeber die drei Alternativen des § 267 Abs. 1 StGB gleichwertig nebeneinander gestellt hat, gilt dies nicht nur für das Gebrauchmachen, sondern auch für die dem Gebrauchmachen gleichgestellten Vorbereitungshandlungen der Alternativen 1 und 2. Für die Frage der Rechtssicherheit macht es nämlich keinen Unterschied, ob es dem Täter auf die Verletzung des Rechtsgutes ankommt oder ob er sie als sichere Folge seines Tuns voraussieht. Der Täter ist in beiden Fällen für das geschützte Rechtsgut gefährlich (vgl. zum Vorstehenden vor allem Lenckner NJW 1967, 1890 und Cramer JZ 1968, 30).
Der vorliegende Fall dokumentiert dies beispielhaft. Für die Belange des Straßenverkehrs ist es von elementarer Wichtigkeit, dass Fahrzeuge aufgrund ihres Kennzeichens zuverlässig identifiziert werden können. Wer daher Kennzeichen vertauscht, gefährdet diese Belange unabhängig davon, ob der Kennzeichentausch in erster Linie zum Scherz, aus Imponiergehabe oder tatsächlich mit dem Ziel erfolgt, sich einer Identifizierung zu entziehen.
Es ist deshalb unerheblich, ob der Angeklagte tatsächlich nur oder vor allem deshalb die falschen Kennzeichen angebracht hat, um seinen Freund zu beeindrucken, da ihm die sichere Folge einer Täuschung der übrigen Verkehrsteilnehmer und der kontrollierenden Polizei bekannt war. Dass er sein Unrecht nur als Ordnungswidrigkeit und nicht als Straftat eingestuft hat, ändert an der Verwirklichung des Tatbestandes nichts.
b) Da § 267 StGB mithin tatbestandlich erfüllt ist, kommt § 22 StVG nicht zur Anwendung (vgl. BayObLGSt 1977, 115; 1981, 156; OLG Düsseldorf NJW 1997, 1793; Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 34. Aufl. § 22 StVG Rn. 13; Mühlhaus/Janiszewski StVO 14. Aufl. § 22 StVG Rn. 8). Es kann deshalb auch offenbleiben, ob § 22 Abs. 2 StVG die in Abs. 1 geforderte Absicht voraussetzt oder das Gebrauchmachen im öffentlichen Verkehr in Kenntnis der fehlerhaften Kennzeichen ausreicht (vgl. Drees/Kuckuk/Werny Straßenverkehrsrecht 7. Aufl. § 22 StVG Rn. 19; Rüth/Berr/Berz Straßenverkehrsrecht 2. Aufl. § 22 StVG Rn. 17).
c) Da der Angeklagte die Kennzeichen angebracht hat, um sie bei Fahrten im Straßenverkehr zu benutzen, und diesen Plan auch realisiert hat, hat das Landgericht zu Recht nur wegen eines Vergehens der Urkundenfälschung verurteilt (vgl. Schönke/Schröder/Cramer StGB 25. Aufl. § 267 Rn. 79). ..."