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Oberlandesgericht Schleswig Beschluss vom 04.01.2021 - 7 U 150/20 - Beweislast und Indizienbeweisführung bei Unfallmanipulationen

OLG Schleswig v. 04.01.2021: Beweislast und Indizienbeweisführung bei Unfallmanipulationen




Das Oberlandesgericht Schleswig (Beschluss vom 04.01.2021 - 7 U 150/20) hat entschieden:

  1.  Bei der Behauptung, der Geschädigte sei mit der Verletzung seines Rechtsgutes einverstanden gewesen, handelt es sich um den Einwand der fehlenden Rechtswidrigkeit. Ein solcher Rechtfertigungsgrund ist vom Schädiger bzw. im Falle der Direktklage von dessen Haftpflichtversicherung nach dem Maßstab des § 286 ZPO zu beweisen.

  2.  Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation kann der unmittelbaren Überzeugungsbildung des Tatrichters dienen. Beweisanzeichen können sich z.B. ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, den persönlichen Beziehungen oder wirtschaftlichen Verhältnissen. Selbst wenn es für jede einzelne verdächtige Feststellung bei separater Betrachtung eine unverfängliche Erklärung geben mag, kann deren durch Zufall nicht mehr lebensnah erklärbare Häufung die Schlussfolgerung auf ein gemeinsames betrügerisches Vorgehen zu Lasten des beklagten Versicherers begründen.

  3.  Ein wichtiges objektives Kriterium ist die fehlende Kompatibilität. Das ist bei einem Parkplatzunfall z.B. dann der Fall, wenn sich nach den Feststellungen des Sachverständigen die behauptete und skizzierte Kollisionsstellung der beteiligten Fahrzeuge mit einem üblichen Ausparkvorgang durch das unfallverursachende Fahrzeug nicht in Einklang bringen lässt. Wenn der Kläger daraufhin seinen Vortrag entsprechend anpasst, ist dies unplausibel.

  4.  Bei im Laufe des Prozesses festgestellten Vorschäden ist es nicht Aufgabe des Gerichts, den technisch und rechnerisch abgrenzbaren Schaden von Amts wegen zu ermitteln. Der Geschädigte hat vielmehr auszuschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs zuvor vorhanden waren, Zweifel gehen insoweit zu seinen Lasten.

  5.  Bei gestellten Unfällen ist ein Parkplatzunfall zur Nachtzeit häufig anzutreffen. Bei einer solchen Konstellation sind Personenschäden1 nicht zu erwarten, außerdem können aufgrund der geringen Geschwindigkeiten Schäden dosiert beigebracht werden, sodass sich das Risiko für die Beteiligten deutlich minimiert.

Siehe auch Indizienbeweisführung und Unfallbetrug
und
Unfallmanipulationen - Unfallbetrug - Berliner Modell


Gründe:


I.

Der Kläger beansprucht von der Beklagten Schadensersatz aufgrund eines behaupteten Verkehrsunfalls, der sich am Abend des 21.07.2016 auf dem Kundenparkplatz eines Spielcasinos in B. ereignet haben soll. Der Kläger trägt vor, das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug Citroën Jumper, amtl. Kennzeichen: … (Fahrer Zeuge I.) habe sein Fahrzeug BMW 530d xDrive Automatik (FIN: xxx; amtl. Kennzeichen: …) im unteren rechten Bereich erheblich beschädigt. Er habe das Fahrzeug am 15.02.2015 erworben. Die Reparaturkosten inklusive Mehrwertsteuer betrügen 13.850,02 €, der Wiederbeschaffungswert 18.500,00 € und der Restwert des Fahrzeuges brutto 8.630,00 €.

Der Kläger hat beantragt,

   die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.322,07 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.08.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, es läge ein manipulierter Unfall vor.- Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges (Zeuge E.), des Zeugen I. sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 06.08.2020 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Landgericht davon überzeugt, dass hier ein manipulierter Unfall vorliegt. Dies folge aus der ungewöhnlichen Häufung von Beweisanzeichen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er rügt die Verletzung einer Hinweispflicht gem. § 139 ZPO. Eine Häufung von Indizien, die für eine Manipulation sprechen, läge nicht vor. Bei den von dem Sachverständigen ermittelten Vorschäden handle es sich um nicht offenbarungspflichtige Gebrauchsspuren wie z.B. Kratzer am Seitenspiegel. Die unfallbedingt eingetretenen Schäden seien davon wirtschaftlich unproblematisch abgrenzbar.



Der Kläger beantragt,

   das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.322,07 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 16.08.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen und - für den Fall des Unterliegens - die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.


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II.

Die Berufung des Klägers hat im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert auch keine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadenersatz gem. §§ 7 Abs. 1, 17 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG bzw. §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2, 249 ff. BGB zu.

Die Gesamtschau aller Umstände lässt auch zur Überzeugung des Senats nur den Schluss zu, dass es sich bei dem Vorfall vom 21.07.2016 auf dem Parkplatz in B. um ein manipuliertes Geschehen handelt.

Ist der äußere Schadenshergang hinreichend dargelegt, trägt der Schädiger nach dem Maßstab des § 286 ZPO die Darlegungs- und Beweislast, dass der vermeintlich Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt hat. Insoweit gilt das strenge Beweismaß, das die volle Überzeugung des Tatgerichts erfordert (BGH, Urteil vom 01.10.2019, VI ZR 164/18, NJW 2020, 1072 - 1074). Eine Überzeugungsbildung im Sinne von § 286 Abs. 1 ZPO setzt jedoch nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraus, sondern es genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, a.a.O., mit Hinweis auf BGH, Urteile vom 11.11.2014, VI ZR 76/13; vom 04.11.2003, VI ZR 28/03; vom 18.01.2000, VI ZR 375/98; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.03.2013, 1 U 99/12).

Bei der Behauptung, der Geschädigte sei mit der Verletzung seines Rechtsgutes einverstanden gewesen, handelt es sich um den Einwand des Schädigers hinsichtlich der fehlenden Rechtswidrigkeit seines Tuns (vgl. Klein, Beweisverfahren beim Verdacht des manipulierten Unfallgeschehens im Zivilprozess, ZfS 2020, 188 ff., 189). Ein solcher Rechtfertigungsgrund ist vom Schädiger bzw. im Falle der Direktklage nach § 115 VVG von dessen Haftpflichtversicherung zu beweisen.


Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation kann der unmittelbaren Überzeugungsbildung des Tatrichters dienen. Beweisanzeichen können sich z.B. ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, den persönlichen Beziehungen oder wirtschaftlichen Verhältnissen (OLG Schleswig, Beschluss vom 23.09.2016, 7 U 58/16; OLG Schleswig, Beschluss vom 23.10.2018, 7 U 18/18, SchlHA 2019, 306 - 308). Unerheblich ist dabei, ob die deliktstypischen Indizien bei isolierter Betrachtung jeweils auch als unverdächtig gelten. Ausschlaggebend ist vielmehr eine Gesamtwürdigung, bei der aus einer Indizienkette auf die planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann (OLG Hamm, Urteil vom 14.06.2016, 9 U 183/15, Rn. 24). Selbst wenn es für jede einzelne verdächtige Feststellung bei separater Betrachtung eine unverfängliche Erklärung geben mag, kann deren durch Zufall nicht mehr lebensnah erklärbare Häufung die Schlussfolgerung auf ein gemeinsames betrügerisches Vorgehen zu Lasten des beklagten Versicherers begründen (LG Dortmund, Urteil vom 02.03.2020, 21 O 348/17, juris Rn. 46 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung vorstehender Grundsätze ist auch der Senat davon überzeugt, dass hier gewichtige Indizien für die Annahme eines manipulierten Unfallgeschehens vorliegen, die den Einwand der fehlenden Rechtswidrigkeit des Tuns beweisen. Die Gesamtschau aller Umstände lässt bei lebensnaher Betrachtung keine vernünftigen Zweifel daran, dass es sich hier um einen manipulierten Unfall handelt.

Der Sachverständige M. hat versucht, aufgrund des Vortrags des Klägers in seinen Gutachten vom 29.11.2018 sowie vom 14.11.2019 das behauptete Geschehen zu rekonstruieren. Er hat festgestellt, dass sich die erforderliche Kollisionsstellung der Fahrzeuge unter Einbeziehung der Bekundungen des Zeugen E. zur Parkposition des Klägerfahrzeugs mit einem „üblichen Ausparkvorgang durch den Fahrer des Transporters Citroën Jumper nicht in Einklang bringen lässt“. Die Kollisionsposition des Transporters sei durch einen einmaligen Rückwärts-​Ausparkvorgang - unabhängig von der ursprünglichen Parkposition - nicht zu erreichen gewesen. Sie wäre vielmehr nur durch verschiedene Rangiervorgänge mit einer Endgeschwindigkeit von mindestens 10 km/h zu erreichen gewesen, um die Schäden an der rechten Seite des Klägerfahrzeugs herbeizuführen. Es bestehen somit erhebliche Zweifel, ob sich die Kollision tatsächlich so - wie von dem Zeugen I. im Termin am 26.06.2019 bekundet und skizziert (vgl. die Skizze Bl. 198 d. A.) - ereignet hat. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Zeuge I. - wie er selbst behauptet - vor der Kollision ein etwa 45-​minütiges Telefonat im Auto geführt haben will und anschließend im Dunkeln mit dem Transporter „blind“ rückwärts über den Parkplatz gefahren sein will. Schließlich wäre das Fahrzeug des Klägers im Rück- bzw. Seitenspiegel ohne weiteres erkennbar gewesen. Es ist dem Senat nicht verborgen geblieben, dass der Kläger - nach Vorlage des ersten schriftlichen Sachverständigengutachtens - seinen Vortrag zum Unfallhergang angepasst hat. Mit der Klagschrift hat der Kläger ein Lichtbild eingereicht (Anlage K 1, Bl. 6 GA), auf dem er selbst noch die konkrete Parkposition seines Fahrzeugs markiert hat. Die Bekundungen des Zeugen I. zu einer anderen Parkposition des klägerischen Fahrzeugs (vgl. Protokoll vom 26.6.2019) sind deshalb unplausibel.

Ein weiteres Indiz liegt in dem Umstand, dass der Kläger unstreitig alte Schäden im Anstoßbereich verschwiegen hat. Diese Schäden wurden erst während des Prozesses durch den Sachverständigen aufgedeckt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sind die Beschädigungen am unteren Bereich des rechten Vorderkotflügels und angrenzend an der Vorderkante der Beifahrertür sowie die Beschädigungen im unteren vorderen Bereich der rechten Seitenwand, am rechten Hinterrad, sowie die Schürf- und Schrammspuren am rechten Außenspiegel nicht kompatibel. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, den technisch und rechnerisch abgrenzbaren Schaden von Amts wegen zu ermitteln (KG Berlin, Urteil vom 27.08.2015, 22 U 152/14, juris Rn. 42; OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.05.2014, 4 U 393/11, NZV 2015, 235, 237). Der Geschädigte hat vielmehr auszuschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs zuvor vorhanden waren, Zweifel gehen insoweit zu seinen Lasten.

Schließlich sprechen auch die äußeren Umstände für eine Manipulation. Der vermeintliche Unfall soll sich zur Nachtzeit (gegen 23.00 Uhr) auf einem nicht beleuchteten Parkplatz ohne Zeugen ereignet haben. Auffällig ist auch die Fahrzeugkonstellation: Bei dem Klägerfahrzeug handelt es sich um ein Fahrzeug der Oberklasse (BMW 530d xDrive, 6 Zylinder, Saphirschwarz Metallic) während auf Beklagtenseite ein über 16 Jahre alter Transporter (Citroën Jumper Turbo D) beteiligt gewesen sein soll. Die Schadensabrechnung soll fiktiv auf Gutachtenbasis erfolgen. Der Kläger hat sein Fahrzeug unmittelbar nach der behaupteten Kollision am 08.08.2016 privat weiterveräußert (vgl. Kaufvertrag Anlage K 3, Bl. 30 GA). Eine derartige Konstellation ist bei manipulierten Unfällen häufig anzutreffen, weil bei hochwertigen Fahrzeugen hohe Reparaturkosten anfallen, während auf Schädigerseite nur sehr geringe finanzielle Einbußen drohen. Dies gilt insbesondere bei Verwendung von robusten Altfahrzeugen, bei denen es regelmäßig auf Kratzer und kleinere Beschädigungen nicht mehr ankommt.



Das Schadensbild - überwiegend Streifschäden - ist ebenfalls ein typisches Indiz für eine Unfallmanipulation. Solche Schäden können meist wesentlich kostengünstiger in Privat-​/Niedrigpreiswerkstätten oder in Eigenregie repariert werden, als dies im Gutachten unter Annahme einer Reparatur in einer Fachwerkstatt kalkuliert wird. So können letztlich bei fiktiver Abrechnung auf Gutachtenbasis hohe Gewinne erzielt werden.

Schließlich ist auch die Unfallkonstellation auf Parkplätzen bei gestellten Unfällen häufig anzutreffen. Bei einer solchen Konstellation sind Personenschäden nicht zu erwarten, außerdem können aufgrund der geringen Geschwindigkeiten Schäden dosiert beigebracht werden, sodass sich das Risiko für die Beteiligten deutlich minimiert (OLG Schleswig, Beschluss vom 23.10.2018, 7 U 18/18, juris Rn. 9). Schließlich ist auch das Präsentieren einer vermeintlich klaren Haftungslage bei manipulierten Unfällen typisch - hier die Beschädigung eines parkenden PKW, um möglichst eine schnelle und vollständige Regulierung zu erreichen (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 21.12.2017, 4 U 124/16).

Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nach alledem gem. § 286 ZPO nicht zu beanstanden. Eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht nach § 139 ZPO liegt nicht vor. Vielmehr ist - ausweislich des Protokolls vom 26.06.2019 - das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien erörtert worden (Bl. 196 d. A.).

Nach alledem ist die Berufung des Klägers offensichtlich unbegründet.

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