Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 02.06.2005 - III ZR 358/04 - Zum Anscheinsbeweis bei Fußgängersturz in der Nähe einer Gefahrenstelle

BGH v. 02.06.2005: Zum Anscheinsbeweis bei Fußgängersturz in der Nähe einer Gefahrenstelle




Der BGH (Urteil vom 02.06.2005 - III ZR 358/04) hat entschieden:

   Stürzt ein Fußgänger in unmittelbarer Nähe einer Gefahrenstelle, so liegt nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises der Schluss nahe, dass die Gefahrenstelle Ursache des Sturzes war (im Anschluss an BGH, Urt. vom 13. Februar 1962 - VI ZR 81/61 - VersR 1962, 449).

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die beklagte Gemeinde wegen Verletzung ihrer Straßenverkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz in Anspruch. Am Morgen des 14. Januar 2003 stürzte der Kläger bei Dunkelheit auf dem Gehweg der verkehrsberuhigten B. straße in G. Nach seinem erstinstanzlichen Vortrag war dort um einen im Boden verlegten Absperrhahn herum die Pflasterung herausgerissen. Über diese losen Steine sei er gestolpert, in eine Bodenöffnung gerutscht und umgeknickt. Dabei habe er sich erheblich verletzt und sei jetzt noch arbeitsunfähig. Die Mosaik-Basaltsteine an dieser Stelle seien nicht vorschriftsmäßig befestigt gewesen, da sie nicht entsprechend der Ausschreibung in Mörtel, sondern lose in Sand verlegt worden seien. Außerdem sei die Beklagte von Anwohnern darüber informiert worden, dass sich Steine aus dem Pflaster gelöst hätten.

Die Vorinstanzen haben die auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, mindestens 5.500 €, sowie auf Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden des Klägers gerichtete Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.


Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat sich aufgrund der Unfallschilderung des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung nicht davon überzeugt gesehen, dass das in der Straße befindliche Loch ursächlich für den Sturz des Klägers gewesen sei. Als der Kläger gefallen sei, habe er nach seiner Darstellung die Ursache dafür nicht bemerkt. Er habe nur das Gefühl gehabt, dass jemand sein Bein festhalte. Am Nachmittag habe er die Unfallstelle besichtigt und das Loch in der Pflasterung bemerkt. Es sei daher naheliegend, dass er daraufhin die Schlussfolgerung gezogen habe, mit dem Schuh in das Loch getreten und dadurch zu Fall gekommen zu sein. Das sei indes nur eine Möglichkeit, ohne dass dadurch andere unfallursächliche Möglichkeiten ausgeschlossen wären. Wenn die Straßenlaterne zwei Meter von der Unfallstelle entfernt nicht gebrannt habe, wie es nach dem Klagevorbringen in Betracht komme, müsse der Kläger in eine dunkle Zone getreten sein. Dies hätte ihm auffallen müssen. Zudem habe er in der Klageschrift den Unfallhergang noch anders geschildert. Danach wolle er auf lose auf dem Fußweg liegende Basaltsteine getreten, über diese in die Bodenöffnung gerutscht und dann umgeknickt sein. Diese Beschreibung des Unfallhergangs sei aber mit seiner Schilderung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungssenat nicht in Übereinstimmung zu bringen.




II.

Das hält den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat sich mit der Frage, ob der Beklagten eine Verletzung ihrer in Niedersachsen hoheitlich ausgestalteten (§ 10 Abs. 1 NStrG) Straßenverkehrssicherungspflicht zur Last fällt, insbesondere, ob ihr der gefährliche Zustand des Fußwegs vor dem Unfall bekannt war, nicht befasst. Für die Revisionsinstanz ist dies demnach zugunsten des Klägers zu unterstellen.

2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger in unmittelbarer Nähe der Gefahrenstelle, wie sie sich aus dem Loch in der Pflasterung des Gehwegs und den lose darum herumliegenden Pflastersteinen ergab, gestürzt. Ein solcher Geschehensablauf legt aber, was das Berufungsgericht verkennt, nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises den Schluss nahe, dass die verkehrswidrige Gefahrenquelle Ursache des Sturzes war (BGH, Urteil vom 13. Februar 1962 - VI ZR 81/61 - VersR 1962, 449, 450; Senatsbeschluss vom 17. September 1987 - III ZR 138/86 - Umdruck S. 3; s. auch BGH, Urteil vom 26. Mai 1954 - VI ZR 186/53 - VersR 1954, 401, 402). Das verkürzt zugleich die Darlegungslast des Klägers. Er muss somit weder vortragen noch beim Bestreiten der Beklagten zur Überzeugung des Gerichts beweisen, wie im einzelnen es zu dem Unfall gekommen ist. Den für ihn streitenden Beweis des ersten Anscheins für eine Unfallursächlichkeit der Gefahrenstelle zu erschüttern, ist vielmehr Sache der Beklagten. Sie hat daher zumindest die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs, d.h. eines nicht auf die Gefahrenstelle zurückgehenden Unfallhergangs, darzutun und gegebenenfalls nachzuweisen.

Mit Rücksicht darauf überspannt das Berufungsgericht hier die Anforderungen an einen schlüssigen Klagevortrag. Es genügt, dass der Kläger, wie er es im Kern stets behauptet hat, wegen des gefährlichen Lochs im Fußweg oder der herumliegenden, ähnlich gefährlichen Pflastersteine zu Fall gekommen sein will. Andere realistisch in Frage kommende Möglichkeiten, die den sich anbietenden Schluss auf die Unfallursächlichkeit entkräften könnten, zeigt das Berufungsgericht nicht auf; auch die Beklagte hat hierzu nichts vorgetragen.




III.

Auf dieser Grundlage kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben. Eine eigene Sachentscheidung des Senats - auch nur zum Anspruchsgrund - scheidet mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen aus. Das angefochtene Urteil ist deswegen aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die fehlenden Feststellungen nachholen kann. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass es überzogen wäre, dem Kläger mit dem Landgericht im Rahmen der Prüfung eines etwaigen Mitverschuldens vorzuhalten, er hätte sich nur mit einer Taschenlampe auf die Straße begeben dürfen, falls die Straßenlaterne nahe der Unfallstelle nicht gebrannt haben sollte.

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