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Landgericht Limburg Urteil vom 14.10.2005 - 3 S 2/05 - Zur Beschädigung eines Kfz durch eine Bahnschranke bei Steckenbleiben auf dem Bahngleis

LG Limburg v. 14.10.2005: Zur Mithaftung bei Hilfeleistung zwischen Fahrern von auf Bahngleisen liegengebliebenen Fahrzeugen




Das Landgericht Limburg (Urteil vom 14.10.2005 - 3 S 2/05) hat entschieden:

   Bleiben zwei Fahrzeuge hintereinander infolge eines Defekts des ersten auf einem beschrankten Bahnübergang stehen und hilft der Führer des zweiten Fahrzeugs beim Verbringen des ersten, so haftet der Halter des ersten Fahrzeugs aus der Betriebsgefahr zu 100 %, wenn durch die sich inzwischen schließende Schranke das zweite Fahrzeug beschädigt wird.

Zum Sachverhalt:


Am Unfalltag befuhr der Bekl. zu 1) mit dem bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversicherten Pkw nach dem Öffnen der Schranke auf den Bahngleiskörper, wo er wegen eines Defekts stehen blieb; der ihm folgende Fahrzeugführer (der Streithelfer) musste daher hinter ihm anhalten und half sodann dabei, das Fahrzeuge des Bekl. zu 1) vom Bahnkörper zu verbringen. Während dieser Tätigkeit wurden die Schranken erneut geschlossen, wodurch das von dem Helfer geführte Fahrzeug des Klägers beschädigt wurde.

Während das Amtsgericht der Klage nur teilweise stattgab, hatte der Kl. mit der Berufung Erfolg und erreichte, dass die Bekl. ihm vollen Ersatz zu leisten haben.





Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der KI. hat gegen die Bekl. im Einklang mit dem angefochtenen Urteil dem Grunde nach Anspruch auf Schadensersatz. Die Kammer teilt jedoch den Haftungsausgleich des AG nicht und erachtet eine Haftungsquote von 100% für angemessen. Die Verpflichtung zum Schadensersatz hängt nach § 17 Abs. 1 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist.

Der Streithelfer B. hat den Unfall nicht schuldhaft verursacht. Er hat insbesondere nicht gegen § 19 Abs. 4 StVO verstoßen, wonach ein Fahrzeugführer vor dem Andreaskreuz zu warten hat, wenn der Bahnübergang wegen des Straßenverkehrs nicht zügig und ohne Aufenthalt überquert werden kann. Ein Fahrzeugführer darf nur dann auf den Bahnübergang einfahren, wenn er jenseits des Gleisbereichs mit Gewissheit genügend Platz zum Anhalten oder Weiterfahren hat. Bei stockendem dichtem Verkehr muss vermieden werden, dass bei einer Zugankündigung Fahrzeuge im Gleisbereich anhalten (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 19 Rz. 28). So liegt der Fall hier aber nicht.


Allein dass der Streithelfer B. im Gleisbereich zum Stehen kam, mag ein Verschulden indizieren, aber nicht begründen. Aufgrund der - unstreitigen - Gesamtumstände ist ein Verschulden des Streithelfers B. zu verneinen. Der Streithelfer B. stand als zweites Fahrzeug wartend vor einer geschlossenen Schranke. Als nach Öffnung der Schranken das vor ihm wartende Fahrzeug anfuhr, war die Fahrbahn vor ihnen frei. Die Gefahr einer Verkehrsstockung bestand nicht. Dass ein in Betrieb befindliches Fahrzeug nach wenigen Metern auf den Gleisen liegen bleibt, muss nicht vorhergesehen werden und in die eigene Fahrweise eingestellt werden. Dann aber ist es nicht schuldhaft, wenn der Streithelfer ebenfalls im Bereich der Gleisanlage zum Stehen kam.

Ein Schuldvorwurf liegt auch nicht darin, dass der Streithelfer B. es unterlassen hat, den Gleisbereich sofort zu räumen - und zwar noch bevor das Fahrzeug des Bekl. zu 1) aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich entfernt worden war. Die vom Streithelfer getroffene Güterabwägung begründet kein Verschulden. Die Parteien mussten damit rechnen. dass jederzeit ein Zug kommen kann (vergl. Hentschel a.a.O. Rz. 28). Dies gilt um so mehr, als es sich um eine vielgenutzte Bahnlinie handelte. Es bestand die konkrete und den Parteien bewusste Gefahr einer Kollision eines Zuges mit dem Fahrzeug des Bekl. zu 1). Leben und Gesundheit von Menschen sowie erhebliche Sachwerte waren gefährdet. Der Streithelfer entschloss sich in dieser Situation zu helfen, das Fahrzeug des Bekl. zu 1) aus dem Gleisbereich zu schieben. Dass die Zeit nicht ausreichte, auch noch das von ihm gesteuerte Fahrzeug aus dem Gleisbereich zu fahren, ist dem Streithelfer nicht im Sinne einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten vorzuwerfen, sondern belegt die Nähe der Gefahr.




Auch wenn der Unfall von keinem Fahrzeugführer verschuldet worden ist und die Betriebsgefahren beider Fahrzeuge gleich zu bewerten sind, rechtfertigt der Verursachungsbeitrag des Beklagtenfahrzeugs eine volle Haftung. Der Verursachungsbeitrag des Beklagtenfahrzeugs überwiegt so stark. dass der des anderen Beteiligten demgegenüber zurücktritt. Der technische Defekt des Beklagtenfahrzeugs war die primäre Ursache. Dass das Klägerfahrzeugs beschädigt worden ist, hat seine Ursache darin, dass der Fahrer des Klägerfahrzeugs sich an der Vermeidung eines folgenschweren Unfalls mit jedenfalls unvergleichlich höheren materiellen Schäden beteiligte. Dann aber ist es sachgerecht, dass die Bekl. den wesentlich geringeren Schaden, der durch die sich schließende Schranke am Klägerfahrzeug entstanden ist, in voller - unstreitiger - Höhe zu tragen hat. ..."

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