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Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Urteil vom 18.05.2005 - 6 E 6836/04 - Einmaliger oder gelegentlicher Cannabiskonsum rechtfertigen keine MPU oder fachärztliche Untersuchung

VG Frankfurt am Main v. 18.05.2005: Einmaliger oder gelegentlicher Cannabiskonsum rechtfertigen keine MPU oder fachärztliche Untersuchung




Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 18.05.2005 - 6 E 6836/04) hat entschieden:

   Ein einmaliger oder gelegentlicher Cannabiskonsum ohne konkrete Verknüpfung mit der Teilnahme am Straßenverkehr begründet regelmäßig keinen Verdacht auf Dauerkonsum und rechtfertigt damit weder eine Aufforderung, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen, noch eine solche, sich fachärztlich auf Dauerkonsum begutachten zu lassen.

Siehe auch
MPU-Anordnung nach Cannabiskonsum
und
Stichwörter zum Thema Cannabis


Zum Sachverhalt:


Der Kläger befand sich seit dem 19.08.1997 im Besitz der Fahrerlaubnisklassen BE, C1E und CE. Am 25.01.2004 wurde der Kläger einer Verkehrskontrolle unterzogen. Bei der Überprüfung wurde deutlich, dass die Augen des Klägers gerötet und die Pupillen verengt waren und auf Lichteinfall nicht reagierten. Auf diesen Umstand angesprochen erklärte der Kläger, dass er am Vorabend, dem 24.01.2004, einen Joint geraucht habe. Seitens der die Verkehrskontrolle durchführenden Polizeiinspektion Oppenheim wurde daraufhin eine Blutprobe entnommen und diese auf Betäubungsmittel hin toxikologisch untersucht. Das daraufhin seitens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Mainz durchgeführte Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass im Blut des Klägers Cannabinoide nachgewiesen wurden, und zwar Tetrahydrocannabinol mit einem Anteil von 20,3 ng/ml, Hydroxy-THC mit einem Anteil von 2,9 ng/ml und THC-Carbonsäure mit 28 ng/ml. Die festgestellten Cannabinoidkonzentrationen weisen laut dem Gutachten auf eine ganz engfristige Cannabisaufnahme hin. Ein starker aktueller Cannabiseinfluss zum Blutentnahmezeitpunkt sei anzunehmen. Anlässlich der Verkehrskontrolle am 25.01.2004 händigte der Kläger den Polizeibeamten noch ein verschlossenes Plastiktütchen mit einer braunen Substanz, welches sich in seiner Hosentasche befunden hatte, aus.

Mit Schreiben vom 06.07.2004 ordnete der Beklagte die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit Drogenscreening an. Das Gutachten solle klären, ob der aktenkundigen Drogenauffälligkeit des Klägers ein Probierverhalten, eine gelegentliche Einnahme oder häufiger bzw. regel- und gewohnheitsmäßiger Konsum zugrunde liege und inwieweit ein "Trennvermögen" zwischen Drogenkonsum und Führen eines Kraftfahrzeuges bei ihm bestehe sowie ob er trotz der festgestellten/vermuteten Drogenabhängigkeit ein Kraftfahrzeug sicher führen könne. Als Frist für die Vorlage des Gutachtens wurde dem Kläger der 06.10.2004 genannt. Da der Kläger auf dieses ihm am 16.07.2004 zugestellte Schreiben nicht reagierte, entzog der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 07.10.2004 die ihm erteilte Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen BE und C1E und ordnete wegen des besonderen öffentlichen Interesses die sofortige Vollziehung dieses Bescheides an.

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Die Klage hatte hingegen Erfolg.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Für den Fall, dass Zweifel an der Eignung im Hinblick auf die Abhängigkeit oder die Einnahme von Betäubungsmitteln bestehen, trifft § 14 FeV eine differenzierte Regelung darüber, wann die Einholung eines ärztlichen und wann die eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen ist. Nach § 14 Abs. 1 S. 1 FeV ist ein ärztliches Gutachten einzuholen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 FeV kann die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens darüber hinaus angeordnet werden, wenn der Betroffene Betäubungsmittel widerrechtlich besitzt oder besessen hat. Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens kann nach § 14 Abs. 1 S. 4 FeV dann angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Aus der amtlichen Begründung (BR-DrS 443/98, S. 26; abgedruckt bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage, § 14 FeV Rdnr. 1) ergibt sich, dass diese Differenzierung daraus resultiert, dass die Einnahme von Betäubungsmitteln mit Ausnahme von Cannabis regelmäßig zur Nichteignung führt (vgl. Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Nur bei anderen Betäubungsmitteln als Cannabis muss also die Abhängigkeit oder die Einnahme allein nachgewiesen werden, wofür eine ärztliche Untersuchung ausreicht. Bei Cannabis hingegen ist zu unterscheiden zwischen regelmäßiger oder nur gelegentlicher Einnahme. Bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis ist die Eignung in der Regel ebenfalls ausgeschlossen (vgl. Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV). Bei nur gelegentlicher Einnahme von Cannabis dagegen ist in der Regel die Eignung gegeben. Diese Regelung steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welches ausgeführt hat, dass ein einmaliger oder gelegentlicher Cannabiskonsum ohne konkrete Verknüpfung mit der Teilnahme am Straßenverkehr regelmäßig keinen Verdacht auf Dauerkonsum und damit weder eine Aufforderung, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen, noch eine solche, sich fachärztlich auf Dauerkonsum begutachten zu lassen, rechtfertigt (Beschl. v. 05.07.2001 - 3 C 13/01, NJW 2002, 78). Diese Rechtsprechung trägt nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Angemessenheit der eingreifenden Maßnahme im Verhältnis zum Anlass des Einschreitens Rechnung (Beschl. v. 20.06.2002 - 1 BvR 2062/96, NJW 2002, 2378).

Die Voraussetzungen für die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens durch den Kläger nach § 14 Abs. 1 S. 4 FeV liegen nicht vor. Dem Kläger kann nicht nachgewiesen werden, dass er Cannabis gelegentlich konsumiert. Unter gelegentlichem Konsum im Sinne der FeV kann nur ein mehrmaliger Cannabiskonsum verstanden werden. In der deutschen Sprache wird mit dem Wort "gelegentlich" die Häufigkeit von Geschehnissen umschrieben im Sinne von "manchmal", "häufiger" aber nicht "regelmäßig", "öfters", "hin und wieder" oder "ab und zu". Damit ist die Beschreibung eines mehr als einmal eingetretenen Ereignisses gemeint. Davon zu unterscheiden ist ein lediglich einmaliger nur zu Probierzwecken erfolgender Gebrauch von Cannabis, welcher nach dem medizinischen Sprachgebrauch als sogenannter experimenteller Gebrauch oder Probierverhalten bezeichnet wird (VG Karlsruhe, Beschl. v. 02.02.2001 - 10 K 3593/00). Auch nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg setzt der Begriff der gelegentlichen Einnahme einen mehrmaligen Cannabiskonsum voraus; ein einmaliger Konsum reicht hierfür nicht aus (Beschl. v. 29.09.2003 - 10 S 1294/03, VRS 106, 74). Auch das Bundesverwaltungsgericht differenziert in der bereits zitierten Entscheidung (a. a. O.) zwischen einmaligem und gelegentlichem Cannabiskonsum.



Bei dem Kläger kann vom Vorliegen eines gelegentlichen Cannabiskonsums nicht ausgegangen werden. Bei ihm ist lediglich der einmalige Konsum von Cannabis, am 24. bzw. 25.01.2004, nachgewiesen. Dass bei dem Kläger anlässlich der Verkehrskontrolle vom 25.01.2004 aufgefundene Tütchen mit einer braunen Substanz ändert an dieser Feststellung nichts, da zum einen ungeklärt geblieben ist, um welche Substanz es sich dabei handelt. Zum anderen lässt allein das Auffinden dieser Substanz im Besitz des Klägers nicht von vornherein zwingend den Schluss darauf zu, dass diese Substanz zum Eigenverbrauch bestimmt gewesen ist.

Dem Beklagten mag zwar zuzugeben sein, dass das Führen des Kraftfahrzeuges unter dem Einfluss von Cannabis darauf schließen lässt, dass der Kläger den Konsum dieses Betäubungsmittels und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht zu trennen vermag. Doch setzt die fehlende Trennungsbereitschaft bzw. -fähigkeit nach Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV eben eine gelegentliche Einnahme von Cannabis voraus, um zu einer Ungeeignetheit eines Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu gelangen. Ob im Falle des Klägers deshalb die Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FeV gefordert werden konnte (so VGH Baden-Württemberg a. a. O.; anderer Auffassung aber Geiger, DAR 2003, 97, 99), kann das Gericht dahingestellt sein lassen. In jedem Fall war die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens als eine wesentlich gravierendere und den Kläger belastendere Maßnahme rechtswidrig. ..."

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