Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Aachen Beschluss vom 05.01.2006 - 3 L 821 / 05 - Aus einer Blutprobe ergibt sich aus einem Wert von 122,3 ng/ml Delta-9-THC-Carbonsäure (THC-COOH) gelegentlicher Konsum

VG Aachen v. 05.01.2006: Aus einer Blutprobe ergibt sich aus einem Wert von 122,3 ng/ml Delta-9-THC-Carbonsäure (THC-COOH) gelegentlicher Konsum




Das Verwaltungsgericht Aachen (Beschluss vom 05.01.2006 - 3 L 821 / 05) hat entschieden:

   Die in dem Erlass des Ministeriums für Verkehr, Energie und Landesplanung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2002 (Az. VI B 2-21 -03/2.1) genannten "Grenzwerte" zur Beurteilung der Cannabiskonsumgewohnheiten gelten nur bei Eignungsuntersuchungen, bei denen der Proband die Möglichkeit hat, einige Tage drogenfrei zu bleiben, bis er zur Untersuchung bzw. Blutentnahme geht. Für eine Blutprobe, die direkt nach einer Verkehrskontrolle abgenommen wird, dürfen sie nicht zugrundegelegt werden. Jedoch ergibt sich aus einem Wert von 122,3 ng/ml Delta-9-THC-Carbonsäure (THC-COOH) jedenfalls gelegentlicher Konsum.

Siehe auch
Gelegentlicher Cannabiskonsum
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die angefochtene Ordnungsverfügung vom 22. November 2005 ist als offensichtlich rechtmäßig anzusehen. Sie entzieht dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, M und L und fordert ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, den eingezogenen Führerschein unverzüglich abzugeben bzw. zu übersenden.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) und Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 FeV. Danach ist derjenige regelmäßig zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet anzusehen, der gelegentlich Cannabis konsumiert und nicht zwischen Konsum und Fahren trennen kann.

Beide Voraussetzungen sind in der Person des Antragstellers erfüllt. Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert.




So gab der Antragsteller nach dem ärztlichen Bericht unmittelbar nach der hier in Rede stehenden Autofahrt vom 18. August 2005 gegenüber dem die Blutprobe entnehmenden Arzt an -dies räumt der Antragsteller auch mit Schreiben vom 21. Dezember 2005 gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten ein -, dass er damals etwa zwei Joints wöchentlich geraucht habe. Dies stellt aber ohne weiteres einen "gelegentlichen" Konsum - im Sinne eines mehrmals im Monat, aber deutlich weniger oft als täglich stattfindenden Konsums - dar.

Unabhängig von den eigenen Angaben des Antragstellers kann aufgrund des durch das Gutachten der RWTH Aachen vom 1. September 2005 festgestellten Wertes von 122,3 ng/ml Delta-9-THC-Carbonsäure (THC-COOH) davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller jedenfalls gelegentlich, wenn nicht sogar schon regelmäßig Cannabis konsumiert. Dieser Wert übersteigt den nach Erlasslage in Nordrhein-Westfalen für die Annahme eines gelegentlichen Konsums geltenden Grenzwert von mindestens 5,0 ng/ml THC-COOH deutlich, vgl. Ziffer 6.4.1 des auf wissenschaftlicher Grundlage erstellten Erlasses des Ministeriums für Verkehr, Energie und Landesplanung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2002 (Az. VI B 2-21 -03/2.1).

Zwar hat PD Dr. G. N. vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn auf eine entsprechende Anfrage des Gerichts in einem anderen Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wegen der Entziehung einer Fahrerlaubnis (vgl. Kammerbeschluss vom 24. November 2004 - 3 L 978/04 -) bestätigt, dass die in dem Erlass genannten "Grenzwerte" zur Beurteilung der Cannabiskonsumgewohnheiten nur bei Eignungsuntersuchungen gelten, bei denen der Proband die Möglichkeit habe, einige Tage drogenfrei zu bleiben, bis er zur Untersuchung bzw. Blutentnahme gehe. Für eine Blutprobe, die - wie hier - nach akutem Konsum abgenommen werde, könne/dürfe man die im Erlass genannten Werte nicht zugrunde legen.

Bei einmaliger Aufnahme - einer durchschnittlichen Menge von 15 mg THC - kann aber ein THC-COOH - Wert von allenfalls 40 - 50 ng/ml erreicht werden. Liegt der Wert also - im Falle des Antragstellers sogar deutlich - höher, ist von gelegentlichem Konsum auszugehen.

   Vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 28. September 2004 - 4 K 1327/04 - (juris).

Zwar macht der Antragsteller nunmehr geltend, dass er den Cannabiskonsum eingestellt habe; in seinem Schreiben vom 21. Dezember 2005 ist allerdings nur die Rede davon, dass er sich "vorgenommen" habe, nach den Ferien "komplett" aufzuhören. Auch ist maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung des Antragsgegners der Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung. Die Änderung seines Konsumverhaltens hat der Antragsteller jedoch bislang in keinster Weise nachgewiesen, so dass dieser Vortrag hier nicht zu einem anderen Ergebnis führen kann.

Das fehlende Trennungsvermögen zwischen Cannabiskonsum und Führen eines Kraftfahrzeuges im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist durch die Fahrt vom 19. August 2005 belegt.




Es ist allgemein anerkannt, dass der akute, durch den Nachweis der psychoaktiven Substanz THC im Serum belegte Genuss von Cannabis Beeinträchtigungen der für die Fahreignung wichtigen Faktoren, wie Wahmehmungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie Psychomotorik, hervorruft und zu Leistungseinschränkungen im Bereich der Koordination, der Fähigkeit, seltene Signale bei einer ereignisarmen oder langweiligen Aufgabe zu entdecken und zu beantworten, und des Vorgangs des Auffassens und des Erkennens eines Gegenstandes führt.

   Vgl. nur Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Bad.-Württ.), Beschluss vom 10. Mai 2004 -10 S 427/04 -, juris, mit weiteren Nachweisen (m.w.N.).

Hinsichtlich der Konzentration der psychoaktiven Substanz THC im Serum eines Fahrzeugführers, ab der die Fahrtüchtigkeit des Betreffenden beeinträchtigt sein kann, kann auf die

   Aussagen in dem vom Bundesverfassungsgericht in den Verfahren 1 BvR 2062/96 und 1 BvR 1143/98 in Auftrag gegebenen Gutachten zur Fahreignung bei Cannabiskonsum von Prof. Dr. I., im Internet veröffentlicht: http://www.psychologie.uni- wuerzburg.de/methoden/methff_nonjava.html,

verwiesen werden. Hier wird unter Auswertung von mehreren wissenschaftlichen Studien ausgeführt, dass bei THC-Konzentrationen unter 2 ng/ml keine Risikoerhöhung erfolgt, während bei höheren Konzentrationen eine Risikoerhöhung eintritt. Im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts (§ 24a Abs. 2 StVG) wird darüber hinaus davon ausgegangen, dass bereits bei einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml ein zeitnaher Cannabiskonsum mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gegeben ist.

   Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10. Mai 2004, am angegebenen Ort (a.a.O.), m.w.N.; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (Bay. VGH), Beschluss vom 3. Februar 2004 -11 CS 04.157 -, juris; Oberverwaltungsgericht Niedersachsen (OVG Nds.), Beschluss vom 11. Juli 2003 -12 ME 287/03 -, juris.



Aufgrund des beim Antragsteller ca. 49 Minuten - Dauer zwischen Polizeikontrolle und Blutentnahme - nach Fahrtende ermittelten THC-Wertes von 16,6 ng/ml liegt eindeutig eine "Rauschfahrt" vor, wobei nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung bereits eine solche "Rauschfahrt" ausreicht, um von fehlendem Trennungsvermögen ausgehen zu können.

   Vgl. etwa Bay. VGH, Beschluss vom 3. Februar 2004, a.a.O.; OVG Nds., Beschluss vom 11. Juli 2003, a.a.O.

Sind demnach in der Person des Antragstellers beide Entziehungsvoraussetzungen (gelegentlicher Cannabiskonsum und fehlendes Trennungsvermögen) erfüllt, so ist - wegen des Fehlens atypischer Umstände - die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlich zwingend.

Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht anzunehmen. Der erforderliche Ausschluss der aus der derzeitigen Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Fahrzeugen resultierenden erheblichen Gefahren für die Allgemeinheit kann nur durch die Entziehung der Fahrerlaubnis - insoweit handelt es sich gemäß § 3 Abs. 1 FeV um eine gebundene Entscheidung - erreicht werden. Der Einwand, auf die Fahrerlaubnis aus beruflichen Gründen dringend angewiesen zu sein, rechtfertigt es nicht, den Antragsteller unter Inkaufnahme von Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer vorläufig am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Im Interesse der Gefahrenabwehr müssen vielmehr die Nachteile, die einem Fahrerlaubnisinhaber - auch in beruflicher Hinsicht - entstehen, in Kauf genommen werden.

   Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Oktober 1998 - 2 BvQ 32/98 -, Deutsches Autorecht 1998, 466 f.



Auch im Übrigen ist die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung nicht gerechtfertigt. Die Anordnung, den Führerschein unverzüglich nach Zustellung der Ordnungsverfügung abzuliefern, findet ihre Grundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV, die Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Nicht- oder nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins in §§ 55 Abs. 1, 57, 60 und 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW). Die Höhe des Zwangsgeldes steht auch in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck, den Antragsteller zur Abgabe seines Führerscheins zu bewegen (vgl. § 58 VwVG NRW). ..."

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