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Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 24.06.1993 - 1 BvR 689/92 - Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Haschischkonsum es rechtfertigen kann, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu fordern

BVerfG v. 24.06.1993: Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Haschischkonsum es rechtfertigen kann, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu fordern




Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 24.06.1993 - 1 BvR 689/92) hat entschieden:

   Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Haschischkonsum es rechtfertigen kann, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu fordern.

Siehe auch
MPU und Cannabis
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Anmerkung: Die Entscheidung bezieht sich noch auf den früheren § 15 b StVZO als Grundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis; derzeit sind die Grundlagen für die Fahrerlaubnis-Entziehung in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) geregelt.

Zum Sachverhalt:


Der damals knapp 28 Jahre alte Beschwerdeführer war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3. Bei einer Polizeikontrolle im Januar 1990 wurde er gegen 1.45 Uhr zusammen mit einem Bekannten auf einem abgelegenen Parkplatz in seinem abgestellten Kraftwagen angetroffen. Die Polizei stellte etwa 0,5 g Haschisch sicher. Die Befragung der beiden ergab, dass der Bekannte ungefähr 2 g Haschisch zu einem früheren Zeitpunkt in der Düsseldorfer Altstadt erworben hatte, um es einmal auszuprobieren. Er hatte dem Beschwerdeführer, den er zufällig in einer Gaststätte getroffen hatte, angeboten, gemeinsam einen "Joint" zu rauchen, was kurz vor der Polizeikontrolle auch geschah. Die Polizeibeamten stellten unter anderem fest:
  -  Eine Durchsuchung der Personen und des Fahrzeugs nach weiteren BTM verlief ergebnislos.
  -  Beiden Personen war der BTM-Konsum deutlich anzumerken (schwere undeutliche Aussprache, leicht schwankender Gang)

Der Aufforderung der Beamten folgend, ließ der Beschwerdeführer sein Fahrzeug auf dem Parkplatz stehen. Bei seiner Vernehmung am 21. Februar 1990 gab der Beschwerdeführer an, erstmals Haschisch probiert zu haben. Mit Verfügung vom 14. März 1990 wurde das Ermittlungsverfahren gegen ihn gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da es sich lediglich um strafloses Mitrauchen gehandelt habe.

2. Die Polizeibehörde unterrichtete den Oberkreisdirektor über den Vorfall. Die Straßenverkehrsbehörde teilte dem Beschwerdeführer mit, dass wegen des Drogenkonsums Zweifel an seiner Kraftfahreignung bestünden, und gab ihm auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Der Beschwerdeführer unterzog sich zwar der Untersuchung, legte aber das Gutachten nicht vor. Daraufhin setzte die Behörde ihm eine Frist und kündigte für den Fall der Nichtvorlage die Entziehung der Fahrerlaubnis an. Nach ergebnislosen Gegenvorstellungen entzog sie ihm die Fahrerlaubnis. Sein Widerspruch blieb erfolglos.




Das Verwaltungsgericht hob hingegen den Widerspruchsbescheid und die Fahrerlaubnisentziehung auf. Das Oberverwaltungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machte der Beschwerdeführer geltend, die Rechtssache werfe die klärungsbedürftige Frage auf, ob auch bei einmaligem Konsum einer verschwindend geringen Menge einer verhältnismäßig harmlosen Droge die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtmäßig sei.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde zurück. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung. Aus der Weigerung, ein zu Recht angefordertes Gutachten vorzulegen, sei auf die Ungeeignetheit eines Kraftfahrers zu schließen. Aufgrund des unbestrittenen Rauschgiftkonsums, der in unmittelbarem Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr erfolgt sei, habe die Straßenverkehrsbehörde zu Recht Eignungsmängel vermuten können, die allein durch Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens hätten ausgeräumt werden können.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 sowie von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; der Sache nach macht er auch eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geltend.

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die behördliche Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zum Nachweis der Fahreignung beizubringen, steht mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht im Einklang. Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen, die auf der Annahme der Rechtmäßigkeit dieser Massnahme beruhen, verletzen den Beschwerdeführer daher in dem genannten Grundrecht.

I.

Die Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

1. a) Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses Recht schützt grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter (vgl. BVerfGE 32, 373 <378 ff.>; 44, 353 <372 f.>; 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; 84, 192 <194 f.>). Der Schutz ist um so intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen, die als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gegenüber aller staatlicher Gewalt Achtung und Schutz beansprucht (vgl. BVerfGE 32, 373 <378 f.>; 65, 1 <45 f.>).

b) Das von der Straßenverkehrsbehörde geforderte Gutachten setzt die Erhebung höchstpersönlicher Befunde, die unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fallen, voraus. Das gilt nicht nur für den medizinischen, sondern in gesteigertem Maße auch für den psychologischen Teil der Untersuchung.

Gegenstand des medizinischen Teils einer zur Feststellung der Fahreignung angeordneten medizinisch-psychologischen Untersuchung sind der allgemeine Gesundheitszustand, der Bewegungsapparat, das Nervensystem, unter Umständen auch innere Organe, die Sinnesfunktionen, die psychische Verfassung, die Reaktionsfähigkeit und die Belastbarkeit (vgl. dazu und zum Folgenden: Himmelreich/Janker, MPU-Begutachtung, 1992, S. 130 ff.). Bei Verdacht auf Drogenkonsum werden entsprechende Konsumgewohnheiten durch labormäßige Harnuntersuchungen (Drogenscreening) erkundet. Schwere zurückliegende und gegenwärtige Krankheiten in der Familie des Untersuchten werden erfragt. Dazu gehören auch Fragen nach Alkohol- oder Drogenkonsumgewohnheiten im Zusammenhang mit früheren und heutigen Lebensumständen. Die neurologische Untersuchung erstreckt sich auf Reflexe sowie Zittern von Händen, Kopf und Augenlidern.




Der Psychologe erforscht zunächst den Lebenslauf: Elternhaus, Ausbildung, Beruf, Familienstand, Kinder, besondere Krankheiten, Operationen, Alkohol, Rauchen, finanzielle Verhältnisse, Freizeitgestaltung. Sodann werden Ablauf und Ursachen etwaiger Gesetzesverstöße und die vom Betroffenen daraus gezogenen Lehren erörtert. Leistungsfähigkeit, Verhalten unter Leistungsdruck, Schnelligkeit und Genauigkeit der optischen Wahrnehmung, Reaktionsvermögen bei schnell wechselnden optischen und akustischen Signalen und Konzentration werden getestet.

Diese Befunde stehen dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung noch näher als die rein medizinischen Feststellungen, die bei der geforderten Untersuchung zu erheben sind. Sie sind deswegen stärker von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Die bei dem psychologischen Teil der Untersuchung ermittelten Befunde zum Charakter des Betroffenen berühren seine Selbstachtung ebenso wie sein gesellschaftliches Ansehen. Er muss die Einzelheiten in einer verhörähnlichen Situation offenlegen. Hinzu kommt, dass die Beurteilung des Charakters im wesentlichen auf einer Auswertung von Explorationsgesprächen beruht, einer Methode, die nicht die Stringenz von Laboruntersuchungen aufweist und Unwägbarkeiten nicht ausschließt.

2. In diesen Schutzbereich ist durch die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen und der Behörde vorzulegen, eingegriffen worden.

Es stand dem Beschwerdeführer zwar frei, ob er der Anordnung folgen wollte. Für den Fall seiner Weigerung hatte die Behörde jedoch die Entziehung der Fahrerlaubnis angekündigt. Jedenfalls die Ankündigung dieser Rechtsfolge, die der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte entspricht, verleiht bereits der auf § 15 b Abs. 2 StVZO gestützten Gutachtenanforderung Eingriffscharakter (vgl. BVerfGE 74, 264 <281 ff.>).

3. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist allerdings nicht absolut geschützt. Vielmehr muss jeder Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 32, 273 <279>; 65, 1 <44>). Hier ist der Eingriff jedoch nicht gerechtfertigt.




a) Gegen die gesetzliche Grundlage, auf die die angegriffenen Entscheidungen gestützt werden, bestehen allerdings keine Bedenken.

§ 15 b Abs. 2 StVZO findet in § 6 Abs. 1 Nr. 1 StVG eine Ermächtigungsgrundlage, die den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügt. Die Norm selbst entspricht rechtsstaatlichen Anforderungen; sie ist insbesondere hinreichend bestimmt. Nach dem Rechtsstaatsprinzip müssen Vorschriften so bestimmt gefasst sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Sachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Auslegungsbedürftigkeit macht eine Norm nicht unbestimmt (vgl. BVerfGE 78, 205 <212> m.w.N.; st. Rspr.). Diesen Anforderungen genügt § 15 b Abs. 2 StVZO jedenfalls in dem Verständnis, das die Vorschrift in der Praxis der Gerichte und Behörden gefunden hat. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, der die Straßenverkehrsbehörden folgen, setzt die Anforderung eines Gutachtens nach § 15 b Abs. 2 StVZO voraus, dass aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte Bedenken gegen die Kraftfahreignung des Betroffenen bestehen und dass das angeforderte Gutachten ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um die aufgetauchten Eignungszweifel aufzuklären (vgl. etwa BVerwG, Buchholz, 442.10, § 4 StVG). Eine genauere tatbestandliche Umschreibung ist nach der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts und mit Rücksicht auf den Normzweck kaum möglich.

Auch in materieller Hinsicht bestehen gegen § 15 b Abs. 2 StVZO keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Straßenverkehr birgt hohe Risiken für Leben, Gesundheit und Eigentum vieler Bürger. An die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen müssen daher hohe Anforderungen gestellt werden. Um dies sicherzustellen, ist auch eine präventive Kontrolle von Kraftfahrern, wie sie in § 4 Abs. 1 StVG, § 15 b StVZO vorgesehen ist, grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich.

b) Die Gerichte haben jedoch bei der Auslegung des § 15 b Abs. 2 StVZO dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht hinreichend Rechnung getragen. Sie haben insbesondere nicht beachtet, dass die Auslegung nicht zu einer unverhältnismäßigen Grundrechtsbeschränkung führen darf.

Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird bei der Auslegung des § 15 b Abs. 2 StVZO unter Berücksichtigung der allgemeinen gesetzlichen Massstäbe für die Erteilung und Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann angemessen Rechnung getragen, wenn die Anforderung eines Gutachtens sich auf solche Mängel bezieht, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht und umsichtig verhalten wird. Außerdem ist nicht bereits jeder Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, ein hinreichender Grund für die Anforderung eines medizinisch- psychologischen Gutachtens. Vielmehr müssen der Entscheidung über die Anforderung tatsächliche Feststellungen zugrundegelegt werden, die einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen. Schliesslich ist bei der Entscheidung über die Art des nach § 15 b Abs. 2 Nr. 1 bis 3 StVZO anzufordernden Gutachtens dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen Rechnung zu tragen. In jeder der genannten Hinsichten begegnen die angegriffenen Entscheidungen Bedenken.

aa) Sie lassen nicht eindeutig erkennen, worin sie einen Eignungsmangel sehen.

Der Hinweis, dass auch bei einmaligem Cannabiskonsum Echoräusche möglich sind, könnte dahin verstanden werden, dass bereits der einmalige Genuss als Eignungsmangel angesehen wird. Eine solche Auslegung des § 15 Abs. 1 StVZO wäre jedenfalls mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unvereinbar. In diesem Fall wäre die Anforderung eines Gutachtens schon nicht geeignet, den Zweck von § 15 b Abs. 2 StVZO zu erreichen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass bereits einmaliger Cannabiskonsum zu unvorhersehbaren Echoräuschen (Flashbacks) führen kann, so lässt sich daraus ein in der Person des Betroffenen liegender genereller Eignungsmangel nicht ableiten. Beim sogenannten Echorausch handelt es sich um ein Phänomen, das nach den vorliegenden Erkenntnissen nur innerhalb eines absehbaren Zeitraums nach dem Genuss auftreten kann. Wie lange dieser Zeitraum andauert, ist umstritten. Überwiegend werden einige Tage oder Wochen, vereinzelt wird auch ein Zeitraum von einem halben Jahr genannt (Menke, in: Jensch , Haschisch und Verkehrssicherheit, 1984, S. 53). Wird die Fahrerlaubnis erst nach dieser Zeitspanne entzogen, so kann die Massnahme nicht mehr auf diesen Umstand gestützt werden. Ausserdem ist nicht erkennbar, inwieweit eine medizinisch-psychologische Untersuchung geeignet ist, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Echorausches festzustellen.

bb) Näher liegt es, dass die Behörde und die ihr folgenden Gerichte einen Mangel erst bei gewohnheitsmässigem Cannabiskonsum annehmen. Sie gehen erkennbar davon aus, dass jedenfalls dann ein Echorausch mit einiger Wahrscheinlichkeit eintreten kann. Dies könnte sich dahin auswirken, dass der Betroffene unvorhergesehen von einem die Fahreignung ausschließenden Zustand überrascht wird, während er ein Kraftfahrzeug führt. Ausserdem könnte besorgt werden, dass ein gewohnheitsmässiger Cannabiskonsument dazu neigt, in akut berauschtem Zustand ein Kraftfahrzeug zu führen.

Eine Auslegung des § 15 b Abs. 2 StVZO, wonach die Feststellung einmaligen Cannabisgebrauchs für sich genommen bereits ein hinreichend tragfähiger Anhaltspunkt für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist, schränkt aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht übermässig ein. Angesichts des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs, der mit der Anforderung eines solchen Gutachtens verbunden ist, sind deutlichere Anzeichen für einen Eignungsmangel zu fordern. Die derzeitigen Erkenntnisse über den Gebrauch von Cannabis erlauben nicht den Schluss, dass jeder, der mit einer Haschischzigarette angetroffen wird, gewohnheitsmässiger Konsument sein könnte. Nach der Repräsentativerhebung des Bundesgesundheitsministeriums gelangt die Mehrzahl der Cannabiskonsumenten nicht über das Probierstadium hinaus. Danach wurde die Droge von 57,3 vom Hundert der Konsumenten nur 1 bis 5 mal, von weiteren 16,8 vom Hundert nur 6 bis 19 mal genommen. Ausserdem ist die Annahme, dass gewohnheitsmäßige Cannabiskonsumenten dazu neigen, in akutem Rauschzustand ein Kraftfahrzeug zu führen, in ihren tatsächlichen Voraussetzungen keineswegs gesichert. Fehlt es schon an hinreichend aussagekräftigen Anzeichen für regelmässigen Cannabisgebrauch, so muss die Behörde vor Anforderung eines Gutachtens zumindest versuchen, in einer Erörterung des Vorfalls mit dem Betroffenen weitere Klarheit zu gewinnen.




Gemessen daran reichen die Feststellungen, die im Falle des Beschwerdeführers zur Anforderung eines medizinisch- psychologischen Gutachtens geführt haben, für die Annahme, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sein könnte, nicht aus:

Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer beim einmaligen Genuss einer Haschischzigarette angetroffen wurde, konnte auch unter den gegebenen Umständen keinen für die Anforderung eines Gutachtens hinreichenden Verdacht begründen, dass er regelmässiger Cannabiskonsument ist. Seine Einlassung, er habe nur einmal probieren wollen, wird durch die Tatsachen erhärtet, dass nicht er, sondern sein Bekannter das Haschisch besorgt hatte und dass auch bei diesem nur eine geringe Menge sichergestellt wurde. Das Verwaltungsgericht hat darauf hingewiesen, dass die sichergestellte Menge nicht auf die Vorratshaltung eines gewohnheitsmässigen Konsumenten hindeute. Der allgemeine Hinweis des Oberverwaltungsgerichts, dass Drogen- und Alkoholkonsumenten ihre Gebrauchsgewohnheiten häufig herunterspielen, vermag dies nicht zu entkräften. Dass der Beschwerdeführer in Wahrheit eine grössere Menge als die angegebene zu sich genommen habe, wird durch die bei ihm festgestellten Rauscherscheinungen nicht hinreichend belegt.

cc) Abgesehen davon verletzen die angegriffenen Entscheidungen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG auch dadurch, dass die Gerichte eine medizinisch-psychologische Untersuchung für zulässig gehalten haben, obwohl die zuvörderst klärungsbedürftige Frage, ob gewohnheitsmässiger Cannabiskonsum vorliegt, bei dem heutigen Stand der Untersuchungstechniken bereits durch Harn-, Blut- oder Haaruntersuchungen hätte geklärt werden können. § 15 b Abs. 2 Nr. 1 StVZO sieht ausdrücklich die Möglichkeit einer fachärztlichen Untersuchung vor. Eine solche Untersuchung greift wesentlich schonender in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Hängt, wie hier von der Behörde und den Gerichten angenommen worden ist, der vermutete Eignungsmangel davon ab, ob der Betroffene Cannabis gewohnheitsmässig konsumiert, dann ist daher zunächst diese Frage zu klären. Erst danach könnte gegebenenfalls eine medizinisch-psychologische Untersuchung geboten sein.

Da die angegriffenen Gerichtsentscheidungen schon danach keinen Bestand haben, braucht der Frage nicht nachgegangen zu werden, ob hinreichend gesichert ist, dass regelmässiger Cannabiskonsum nach rauschfreien Intervallen zu unvorhersehbaren Rauschzuständen (Echoräuschen) führen kann. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Ausführungen des Gutachtens "Krankheit und Kraftverkehr" zu diesem Punkt zumindest überprüfungsbedürftig sind (Fischer/Täschner, Flashback nach Cannabiskonsum - eine Übersicht, Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie, 1991, S. 443 ff.; Kreuzer, Drogen und Sicherheit des Strassenverkehrs, NStZ 1993, S. 209 ff.). Auch das Bundesgesundheitsministerium räumt in seiner Stellungnahme ein, dass sogenannte Flashbacks bei reinem Cannabiskonsum äusserst selten sind.


II.

Gegen die angegriffenen Entscheidungen bestehen ferner im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) erhebliche Bedenken. Die Gerichte haben gebilligt, dass die Verkehrsbehörde bei der Anforderung des Gutachtens ungleich strengere Massstäbe angewendet hat, als dies nach der allgemeinen Behördenpraxis bei Alkoholgenuss geschieht.

1. Der allgemeine Gleichheitssatz verlangt um so strengere Beachtung, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Der unterschiedlichen Tragweite des Grundrechts entspricht eine abgestufte Kontrolldichte bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung. Bei Regelungen, die sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken, prüft das Bundesverfassungsgericht nach, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 60, 123 <134>; 82, 126 <146>; BVerfG, EuGRZ 1993, S. 100 <103>).

Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens beeinträchtigt, wie dargelegt, in erheblicher Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht, zumal von der Vorlage des Gutachtens die Fahrerlaubnis abhängt. Diese hat ihrerseits erheblichen Einfluss auf die Ausübung von grundrechtlich geschützten Freiheiten. Das gilt nicht nur für die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), sondern darüber hinaus je nach Lage der Dinge auch für spezielle Freiheitsrechte wie etwa die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Deshalb sind an die Gründe, die eine Ungleichbehandlung bei der Anforderung von Gutachten rechtfertigen können, strenge Massstäbe anzulegen.

2. Die Behördenpraxis, die von den Gerichten gebilligt worden ist, beruht auf den Eignungsrichtlinien, deren Beachtung den Strassenverkehrsbehörden durch Verwaltungsvorschriften der Länder zur Pflicht gemacht worden ist. Alkoholkonsum begründet danach - abgesehen von konkretem Alkoholismusverdacht - grundsätzlich nur dann Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn "wiederholte Verkehrszuwiderhandlungen unter Alkoholeinfluss" festgestellt wurden. Eine Verkehrszuwiderhandlung begeht, wer mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 Promille oder mehr im Strassenverkehr ein Kraftfahrzeug führt (§ 24 a StVG) oder wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke ein Fahrzeug nicht sicher führen kann (§ 316 StGB; vgl. auch § 315 c StGB). Bei erstmals alkoholauffälligen Kraftfahrern kann die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr in Frage kommen, wenn sonstige Umstände des Einzelfalles den Verdacht auf überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung nahelegen.



Demgegenüber ist die Bewertung zweifelsbegründender Umstände im Hinblick auf die Fahreignung von Cannabiskonsumenten, die den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegt, erheblich strenger. Bereits einmaliger Cannabiskonsum wird auch ohne Verkehrszuwiderhandlung als Umstand betrachtet, der Zweifel an der Fahreignung begründet. Der blosse Besitz einer Menge von 14 g Marihuana kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausreichen, um eine Anordnung nach § 15 b Abs. 2 StVZO zu rechtfertigen (BVerwG, Buchholz, 442.10, § 4 StVG Nr. 87). Die darin liegende Ungleichbehandlung wird vom Oberverwaltungsgericht auch eingeräumt.

3. Hinreichende Gründe, die eine Ungleichbehandlung dieses Ausmasses rechtfertigen könnten, sind nicht ohne weiteres ersichtlich, auch wenn zwischen Cannabis und Alkohol durchaus Unterschiede bestehen. Dies bedarf jedoch keiner abschliessenden Entscheidung, da die Verfassungsbeschwerde bereits aus anderen Gründen Erfolg hat. ..."

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