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Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss vom 31.07.2006 - 10 K 2124/06 - Ein THC-COOH-Wert von 91,4 ng/ml aus einer nach akutem Konsum gewonnenen Blutprobe genügt nicht für die Annahme, dass gelegentlicher Konsum vorliegt

VG Stuttgart v. 31.07.2006: Ein THC-COOH-Wert von 91,4 ng/ml, der sich nicht aus einer im Screening-Verfahren gewonnenen Blutuntersuchung ergibt, sondern lediglich aus einer nach akutem Konsum gewonnenen Blutprobe, genügt nicht für die Annahme, dass gelegentlicher Konsum vorliegt


Das Verwaltungsgericht Stuttgart (Beschluss vom 31.07.2006 - 10 K 2124/06) hat entschieden:

   Ein THC-COOH-Wert von 91,4 ng/ml, der sich nicht aus einer im Screening-Verfahren gewonnenen Blutuntersuchung ergibt, sondern lediglich aus einer nach akutem Konsum gewonnenen Blutprobe, genügt nicht für die Annahme, dass gelegentlicher Konsum vorliegt.

Siehe auch
THC-COOH-Wert und Cannabis-Konsumformen
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Der im Jahr 1980 geborene Antragsteller wurde am 3.4.2006 gegen 11.30 Uhr von der Polizei als Fahrer eines PKW kontrolliert. Nach den getroffenen Feststellungen wurde eine Beeinflussung von Betäubungsmitteln festgestellt. Ein Protzek-Urintest verlief positiv auf Cannabis. Die chemisch-toxikologische Untersuchung der daraufhin angeordneten Blutprobe ergab ausweislich des Gutachtens des Universitätsklinikums Ulm vom 13.4.2006 einen positiven Befund hinsichtlich Cannabinoiden. Mittels der gaschromatographisch-massenspektrometrischen Untersuchung wurde eine Konzentration von

  -  4,6 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC),
  -  2,9 ng/ml Hydroxy-THC und
  -  91,4 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-COOH)

nachgewiesen. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, es könne von einer Cannabis-Aufnahme ausgegangen werden.

Dem Antragsteller wurde daraufhin ohne weitere Ermittlungen die Fahrerlaubnis entzogen Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Gegen diese Verfügung ließ der Antragsteller am 1.6.2006 Widerspruch erheben und beantragte - erfolgreich - die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.




Aus den Entscheidungsgründen:

"... Allerdings dürfte nicht mit der erforderlichen Sicherheit erwiesen sein, dass der Antragsteller Cannabis gelegentlich, d.h. öfter als nur einmal konsumiert hat. Er selbst räumt insoweit lediglich ein, er habe am 2.4.2006, am Vortrag der Kontrolle, experimentell Cannabis eingenommen. Anhaltspunkte für einen weiteren Konsum von Cannabis ergeben sich aus den dem Gericht vorliegenden Akten nicht. Auch die beim Antragsteller festgestellte hohe Konzentrationen von 91,4 ng/ml THC-COOH lässt nach dem aktuellen Kenntnisstand des Gerichts nicht den Rückschluss zu, der Antragsteller konsumiere gelegentlich Cannabis.

In der Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, inwieweit der THC-COOH-Wert Rückschlüsse auf die Annahme von gelegentlichem Cannabiskonsum in Abgrenzung zum einmaligen bzw. experimentellen Konsum zulässt (vgl. zum Meinungsstand: Krause, in: Ferner, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. 2006, S. 855). Nach dem Erlass des Ministeriums für Verkehr, Energie und Landesplanung des Landes Nordrhein-Westfalen liegt bereits bei einer THC-COOH-Konzentration von 5 bis 75 ng/ml ein gelegentlicher Konsum von Cannabisprodukten mit Verdacht auf regelmäßigen Konsum vor. Allerdings ist bei Anwendung des Erlasses zu berücksichtigen, dass die dort genannten „Grenzwerte“ zur Beurteilung der Cannabiskonsumgewohnheiten nur bei Blutuntersuchungen gelten, die von der Fahrerlaubnisbehörde angeordnet wurden, und nicht für Blutproben, die - wie hier - nach akutem Konsum abgenommen wurden (vgl. OVG Münster, B.v. 1.3.2004 - 19 B 148/04 - zit. nach juris; VG Aachen, B.v. 24.11.2004 - 3 L 978/04 - zit. nach juris). Daneben wird vertreten, dass auch bei einmaligem Konsum von Cannabis die THC-COOH-Konzentration auf bis zu 100 ng/ml ansteigen kann (vgl. hierzu Krause, a.a.O.; VGH München, B.v. 27.3.2006 - 11 CS 05.1559 -, zit. nach www.fahrerlaubnisrecht.de; OVG Brandenburg, B.v. 13.12.2004 - 4 B 206/04 -, Blutalkohol 2006, S. 161 ff.). Diese Ansicht ist auf eine Studie von Huestis/Henningfield/Cone zurückzuführen, bei der der Konsum von 33,8 mg THC in einem Fall zu einer THC-COOH-Konzentration von ca. 100 ng/ml führte (vgl. VGH München, B.v. 27.3.2006 - 11 CS 05.1559 -, a.a.O.; OVG Brandenburg, B.v. 13.12.2004 - 4 B 206/04 -, a.a.O.). Danach dürfte zwar im Gegenschluss bei einem THC-COOH-Wert von über 100 ng/ml ein einmaliger bzw. experimenteller Konsum auszuschließen sein. Dementsprechend wird auch angenommen, dass THC-COOH-Werte von über 100 ng/ml bei gleichzeitigem THC-Nachweis für eine Kumulation, d.h. einen mindestens zweimaligen und damit gelegentlichen Konsum, sprechen und einen Verdacht auf regelmäßigen Konsum rechtfertigen (Medizinisch-Psychologisches Institut, TÜV Süd, MPI-Infobrief 2/2004, S. 3). Der beim Antragsteller nachgewiesene Wert von 91,4 ng/ml THC-COOH liegt jedoch unter der „Grenze“ von 100 ng/ml. Damit dürfte nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen sein, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert bzw. konsumiert hat.


Der Antragsgegner hätte danach nicht, wie geschehen, die Voraussetzungen der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ohne weitere Sachaufklärung bejahen dürfen. Dennoch ist der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als offen anzusehen. Denn der Antragsgegner kann Ermittlungen darüber, ob der Antragsteller tatsächlich lediglich einmal Cannabis konsumiert hat, noch im anhängigen Widerspruchsverfahren bzw. in einem sich ggf. anschließenden Klageverfahren anstellen. In Betracht käme hier die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV (vgl. OVG Brandenburg, B.v. 13.12.2004 - 4 B 206/04 -, a.a.O.).

Die daher anzustellende Interessenabwägung führt jedoch zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Denn die bloße Möglichkeit, dass die Behauptung des Antragstellers, er habe lediglich experimentell Cannabis konsumiert, durch ein ärztliches Gutachten widerlegt und somit gelegentlicher Cannabiskonsum nachgewiesen werden könnte, reicht nicht aus, um den Antragsteller zum Entscheidungszeitpunkt wie einen ungeeigneten Kraftfahrzeugführer zu behandeln. Das öffentliche Interesse ist auch deswegen nicht berührt, weil der Antragsteller dann, wenn der Antragsgegner zunächst, d.h. vor einer Entziehung, die erforderlichen Sachverhaltsermittlungen, insbesondere durch Anordnung eines ärztliches Gutachtens, angestellt hätte, selbst im Falle eines negativen Gutachtens bis zur fristgerechten Vorlage dieses Gutachtens hätte fahren dürfen. ..."

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