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Verwaltungsgericht München Beschluss vom 21.09.2004 - M 6b S 04.4226 - Zu den Voraussetzungen der Fahreignung bei gelegentlichem Cannabis-Konsum

VG München v. 21.09.2004: Zu den Voraussetzungen der Fahreignung bei gelegentlichem Cannabis-Konsum




Das Verwaltungsgericht München (Beschluss vom 21.09.2004 - M 6b S 04.4226) hat entschieden:

Maßnahmen bei gelegentlichem Cannabiskonsum
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Der Antragsteller ist seit Oktober 1998 Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse 3.

Mit Bußgeldbescheid vom Februar 2000 verhängte die Zentrale Bußgeldstelle V. gegen den Antragsteller eine Geldbuße in Höhe von 200,00 DM, da er am ... Dezember 1999 im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug mit einer Alkoholmenge im Körper geführt hatte, die zu einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 ‰ oder mehr oder zu 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft geführt hatte.

Mit Urteil des Amtsgerichts M. vom September 2002 wurde der Antragsteller wegen eines Vergehens der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt. Weiter wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein eingezogen. Die Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis wurde auf sieben Monate festgesetzt. Der Verurteilung lag der Sachverhalt zu Grunde, dass der Antragsteller im März 2002 als Führer eines Pkw in M. angehalten und einer Verkehrskontrolle unterzogen wurde. Wegen Ausfallerscheinungen wurde auf Veranlassung der Polizei im März 2002 dem Antragsteller um 0.52 Uhr eine Blutprobe entnommen, deren toxikologische Untersuchung laut Bericht des Instituts für Rechtsmedizin der Universität M. vom April 2002 eine Konzentration von THC von 27,8 µg/L, von Hydroxy-THC von 7,0 µg/L sowie von THC-Carbonsäure von 79,6 µg/L ergab. Nach Teilnahme des Antragstellers an einem Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung mit 24 Stunden an 6 Kurstagen, dem das Programm ”Drogen und Gefahren im Straßenverkehr” - DRUGS zu Grunde lag, wurde dem Antragsteller im Dezember 2003 die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, M und L wiedererteilt.




Im Juni 2004 ging bei der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin eine Verkehrsanzeige der Verkehrspolizeiinspektion M. ein, wonach der Antragsteller im März 2004 in I. als Führer eines Kraftfahrzeugs kontrolliert wurde. Nach anfänglicher Weigerung führte der Antragsteller einen Mahsan-Test durch, der positiv verlief. Daraufhin gab der Antragsteller an, am ... Februar 2004 um 23.00 Uhr Haschgebäck (Spacecookies) konsumiert zu haben. Die daraufhin um 17.55 Uhr entnommene Blutprobe ergab bei ihrer Untersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität M. laut Bericht vom ... April 2004 eine Konzentration an THC von 4,7 µg/L und an THC-Carbonsäure von 16,3 µg/L.

Die Fahrerlaubnisbehörde entzog dem Antragsteller daraufhin nach Gelegenheit zum rechtlichen Gehör die Fahrerlaubnis mit Sofortvollzug.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs blieb erfolglos.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Der Sofortvollzug ist auch materiell gerechtfertigt, da nach Auffassung des Gerichts nach der im gerichtlichen Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber grundsätzlich auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers deshalb als überwiegend gegenüber seinem privaten Interesse, vorläufig weiterhin im Besitz seiner Fahrerlaubnis zu bleiben, anzusehen ist, da der von ihm erhobene Widerspruch und eine etwa folgende Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom ... Juni 2004 voraussichtlich erfolglos bleiben werden.

Die von der Antragsgegnerin verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, da davon auszugehen ist, dass der Antragsteller jedenfalls gelegentlich Cannabis konsumiert hat, er bereits mindestens zweimal unter fahreignungsrelevantem Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug geführt und damit den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht getrennt hat und zu befürchten ist, dass er auch in Zukunft den Konsum von Cannabis und das Fahren nicht hinreichend sicher trennen kann. Diese Bewertung, dass der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, ist nach Auffassung des Gerichts ohne ein medizinisch-psychologisches Gutachten möglich, so dass die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) auf die Anordnung der Beibringung eines solchen Gutachtens verzichten konnte.


Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen, oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Ein Kraftfahrer, der Cannabis-Produkte regelmäßig einnimmt, ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1 c StVG, § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis ist er nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 (nur) als geeignet anzusehen, wenn er Konsum und Fahren trennt, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt und keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust gegeben sind.

Wann ein regelmäßiger Konsum von Cannabis vorliegt und wann nur ein gelegentlicher, wird weder von der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung definiert noch von dieser selbst. Nach insoweit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen ist für die Unterscheidung eines einmaligen, gelegentlichen oder regelmäßigen Konsums von Cannabis die Konzentration des sich nur langsam abbauenden wirkungsfreien Metaboliten THC-COOH, der THC-Carbonsäure heranzuziehen, da aufgrund der langen Halbwertzeit der THC-Carbonsäure bei häufigerer Cannabisaufnahme eine Kumulierung dieses Metaboliten im Blut des Konsumenten zu beobachten ist (siehe Daldrup, Käferstein, Köhler, Mayer, Musshoff, Entscheidung zwischen einmaligem/gelegentlichem und regelmäßigem Cannabiskonsum, Blutalkohol 2000, 39 ff.). Für die Feststellung eines kurzfristig zurückliegenden aktuellen Konsums ist dagegen die vergleichsweise rasch abfallende Konzentration der für die Rauscherzeugung wirksamen Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) maßgeblich.




Daldrup und seine Mitautoren teilen offensichtlich die Auffassung des Erlasses des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, wonach bei einer THC-Carbonsäure Konzentration von 5 bis 75 ng/ml ein gelegentlicher Konsum von Cannabisprodukten vorliegt. Diese Werte gehen allerdings davon aus, dass die Blutproben aufgrund einer Aufforderung durch die Straßenverkehrsbehörde entnommen werden, wobei dann eine Abstinenz von einigen Tagen unterstellt werden kann, weshalb unter Berücksichtigung der stark variierenden Halbwertzeit zwischen 1 ½ und 6 Tagen z.B. für die Annahme eines regelmäßigen Konsums von Cannabisprodukten, für den der Grenzwert von 75 ng/ml gilt, bei einer nur wenige Stunden nach dem letzten Konsum abgenommenen Blutprobe ein regelmäßiger Cannabiskonsum, d.h. ein nahezu täglicher Konsum erst bei einer Konzentration von 150 ng/ml vorliegt. Diese Erkenntnisse liegen offensichtlich auch der Aussage von Prof. Dr. D. zu Grunde, der im Verfahren des Gerichts M 6a K 01.3406 als Sachverständiger einvernommen wurde, wonach bei einem einmaligen Probierkonsum von Cannabis der THC-Carbonsäurewert nach Rauchende langsam ansteigt und einige Stunden nach Rauchende maximal 10 ng/ml erreicht, was nach den oben genannten Darlegungen bedeutet, dass er einige Tage später auf 5 ng/ml und darunter absinkt, da dann eine Kumulation des Wertes durch mehrfachen gelegentlichen Cannabiskonsum nicht stattfindet.

Im Falle des Antragstellers wurde im Rahmen der Untersuchung der ihm am ... März 2004 um 17.55 Uhr entnommenen Blutprobe entsprechend dem Bericht des Instituts für Rechtsmedizin der Universität M. vom ... April 2004 ein THC-Carbonsäurewert von 16,3 µg/L = 16,3 ng/ml festgestellt. Hieraus ist zu schließen, dass der Antragsteller zum damaligen Zeitpunkt jedenfalls gelegentlicher, wenn auch nicht häufiger Konsument von Cannabisprodukten gewesen ist. Der festgestellte THC-Wert von 4,7 µg/L = 4,7 ng/ml belegt, dass der Antragsteller entgegen seinen Angaben gegenüber der Polizei nicht mehrere Tage vorher Cannabis konsumiert hat, sondern jedenfalls am gleichen Tage, dem ... März 2004. Es ist nämlich wissenschaftlich anerkannt, dass THC im Blut im Regelfall nur vier bis sechs Stunden, höchstens jedoch bis zu zwölf Stunden nachweisbar ist. Aufgrund des bei der Untersuchung festgestellten THC-Wertes von 4,7 ng/ml steht fest, dass der Antragsteller bei seiner Fahrt am ... März 2004 unter einem fahreignungsrelevanten Cannabiseinfluss gestanden hat. Dabei kommt es aufgrund der Höhe des Wertes vorliegend nicht darauf an, ab welchem THC-Wert auf jeden Fall mit Auswirkungen auf die Teilnahme am Straßenverkehr zu rechnen ist. Prof. Dr. D. nimmt dies, wie bei seiner Befragung als Sachverständiger in der mündlichen Verhandlung des Verfahrens M 6a K 01.3406 ausgeführt, bereits ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml an, einem Wert, ab dem auch das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung von Cannabis nach § 24 a Abs. 2 StVG als Ordnungswidrigkeit bestraft wird. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht anscheinend, wie sich aus seinen Beschlüssen vom 19. Januar 2004 (Az.: 11 CS 03.3278) und vom 3. Februar 2004 (Az.: 11 CS 04.157) ergibt, auf der Grundlage des im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 (NJW 2002, 2378) zitierten Gutachtens von Prof. Dr. K. davon aus, dass bei einer THC-Konzentration im Blut von unter 2,0 ng/ml wohl keine Risikoerhöhung für den Verkehr stattfindet. Der Antragsteller hat selbst den Wert von 2,0 ng/ml um mehr als das Doppelte überschritten. Es steht damit fest, dass der Antragsteller als gelegentlicher Cannabiskonsument unter dem erheblichen Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug geführt und damit den Konsum von Cannabis und das Fahren nicht getrennt hat.



Der Antragsteller musste sich dessen auch bewusst sein, da, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, sein letzter Cannabiskonsum (weit) weniger als zwölf Stunden zurückgelegen haben muss. Nach Auffassung des Gerichts liegen deshalb die Voraussetzungen der Regelvermutung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung für die Annahme einer fehlenden Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs vor, die die Straßenverkehrsbehörde dazu berechtigen und verpflichten, gemäß § 11 Abs. 7 FeV auch ohne weitere gutachterliche Aufklärung gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen (BayVGH vom 14.10.2003 Az.: 11 CS 03.2433; vom 19.1.2004 Az.: 11 CS 03.3278 und vom 3.2.2004 Az.: 11 CS 04.157; VGH Baden-Württemberg vom 7.3.2003 Az.: 10 S 322/03; VG Augsburg vom 23.12.2003 Az.: AU 3 S 03.1931 sowie ständige Rechtsprechung der Kammer). Die Vermutung, dass der Antragsteller nicht willens oder nicht in der Lage ist, den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen, wird insbesondere dadurch bestätigt, dass der Antragsteller weniger als drei Monate nach Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis, die ihm wegen einer Fahrt unter erheblichem Cannabiseinfluss (27,8 ng/ml THC) mit Urteil des Amtsgerichts M. vom ... September 2002 entzogen worden war und trotz seiner Teilnahme im November/Dezember 2003 an einem Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung, dem das Programm ”Drogen und Gefahren im Straßenverkehr” - DRUGS zu Grunde gelegen hatte, erneut unter Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug geführt hat. Der Antragsteller hat also aus dem vorherigen Entzug seiner Fahrerlaubnis nichts gelernt. Allenfalls hat er die Häufigkeit seines gelegentlichen Cannabiskonsums reduziert. Um seine Fahreignung wiederzuerlangen, muss der Antragsteller nach der neueren Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 3.2.2004 Az.: 11 CS 04.157) entsprechend Nr. 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung auch in seinem Fall eines die Fahreignung ausschließenden Cannabiskonsums (hier: fehlendes Trennvermögen) eine einjährige Abstinenz einhalten. Zusätzlich zur Abstinenz ist die Wiedererlangung der Fahreignung davon abhängig zu machen, dass der Antragsteller die Änderung seiner Einstellung und seines Verhaltens sowie deren Stabilität durch Beibringung eines psychologischen Gutachtens einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung belegt. In diesem Gutachten muss ihm bestätigt werden, dass er die ausreichende Gewähr dafür bietet, auch in Zukunft drogenabstinent zu leben oder bei einem nach ausreichend langer Abstinenzzeit wieder aufgenommenen gelegentlichen Cannabiskonsum in der Lage zu sein, diesen Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen.

Nach alldem war dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aufgrund mangelnder Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 46 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zu entziehen. Damit verbleibt es beim Vorrang des öffentlichen Interesses daran, dass der Antragsteller bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens und ggf. eines Verwaltungsstreitverfahrens in der Hauptsache nicht mehr am Straßenverkehr teilnehmen kann. ..."

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   Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis ist der Betroffene nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 (nur) als geeignet anzusehen, wenn er Konsum und Fahren trennt, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt und keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust gegeben sind. Liegen Anhaltspunkte für mangelndes Trennvermögen vor, ist die Fahrerlaubnis ohne vorherige MPU zu entziehen.