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OLG Bamberg Urteil vom 13.04.2006 - 1 U 234/05 - Hat ein Kfz-Führer unter dem Einfluss von 2,4 ng/ml THC nicht situationsbedingt reagiert ist von Fahruntüchtigkeit und Verlust des Versicherungsschutzes auszugehen

OLG Bamberg v. 13.04.2006: Hat ein Kfz-Führer unter dem Einfluss von 2,4 ng/ml THC nicht situationsbedingt reagiert ist von Fahruntüchtigkeit und Verlust des Versicherungsschutzes auszugehen




Das OLG Bamberg (Urteil vom 13.04.2006 - 1 U 234/05) hat entschieden:

   Hat ein Kfz-Führer unter dem Einfluss von 2,4 ng/ml THC wegen ihm während eines Überholmanövers entgegenkommender Fahrzeuge keinen Ausweichversuch unternommen, sondern lediglich gebremst, so ist von drogenbedingter Fahruntüchtigkeit auszugehen, die zur Leistungsfreiheit in der Kfz-Versicherung und zu einem entsprechenden Regress-Anspruch des Versicherers führt.

Siehe auch
Rauschfahrt - drogenbedingte Fahruntüchtigkeit
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Die Parteien stritten um Rückgriffsansprüche der Beklagten nach einem vom Kläger verursachten Verkehrsunfall.

Der Kläger war Eigentümer und Halter des Pkw Honda, amtliches Kennzeichen ..., der bei der Beklagten haftpflichtversichert war.

Mit diesem Fahrzeug überholte der Kläger am .....2001 auf der B .. kurz hinter H. in einer nicht einsehbaren Linkskurve mehrere vorausfahrende Fahrzeuge und kollidierte auf der Gegenfahrbahn frontal mit dem entgegenkommenden Pkw Seat des 51-jährigen H., der dabei tödlich verletzt wurde.




Die bei dem Kläger nach dem Unfall entnommene Blutprobe wies einen Tetrahydrocannabinol (THC)-Gehalt von 2,4 ng/ml auf.

Der Kläger ist Haschischkonsum ent seit 1998. Im Jahr 1999 fiel er sowohl strafrechtlich wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz als auch wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 a StVG (Führens eines Kraftfahrzeugs unter Drogeneinfluss) auf. Im Jahr 2000 beging er zudem einen Geschwindigkeitsverstoß.

Wegen des tödlichen Verkehrsunfalls verurteilte das Amtsgericht Hildburghausen den Kläger am 09.12.2002 im Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten. Das Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass der Kläger drogenbedingt fahruntüchtig war.

Die beklagte Haftpflichtversicherung leistete an die Hinterbliebenen des Unfallopfers bereits bis Anfang 2002 Zahlungen in Höhe von mehr als 5.112,92 Euro, die endgültige Schadensabwicklung ist jedoch noch immer nicht abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 19.02.2002 berief sich die Beklagte gegenüber dem Kläger auf ihre, auf 5.112,92 Euro begrenzte, Leistungsfreiheit bei drogenbedingter Fahruntüchtigkeit gemäß § 2 b der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kraftfahrtversicherung (Version 5/2000)“ und forderte die Zahlung dieses Betrages innerhalb von zwei Wochen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Hiergegen legte der Kläger Berufung ein.

In der Berufungsinstanz wurde der Rechtsstreit diesbezüglich in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, sodass insoweit auch nur noch über die Kosten zu entscheiden war, wobei die Erfolgsaussichten der Klage die entscheidende Rolle spielten.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... c) Zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses bestand sowohl eine Leistungsfreiheit als auch ein Rückforderungsanspruch der Beklagten nach § 2 b Nr. 1 e), Nr. 2 AKB, § 5 Abs. 3 KfzPflVV (entsprechend § 2 b II (1) e), (2), (3) der zwischen den Parteien vereinbarten und von der Beklagten selbst als Anlage B 1 vorgelegten „Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung, gültig ab 01.05.2000“), § 3 Nr. 9 Satz 2 PflVersG.

aa) Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, wonach der Kläger zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfallereignisses infolge Genusses berauschender Mittel nicht in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu führen und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug.




bb) Die Zivilgerichte haben die Frage der rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit in eigener Zuständigkeit zu beantworten, ohne hierbei an die entsprechende Bewertung der Strafgerichte gebunden zu sein. Dies gilt vorliegend sowohl für die Entscheidung des Amtsgerichts Hildburghausen vom 09.12.2002 als auch für jene des Landgerichts Meiningen vom 29.04.2003, zumal die Strafgerichte anderen Beweislastregeln unterworfen sind als die Zivilgerichte.


cc) Eine absolute Fahruntüchtigkeit des Klägers hat das Landgericht angesichts des THC-Gehalts von 2,4 ng/ml im Blut des Klägers und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Unterschied zu alkoholbedingter Beeinträchtigung Grenzwerte für drogenbedingte Fahruntüchtigkeit nicht existieren, zwar zu Recht verneint, ebenso zutreffend hat es aber eine relative - drogenbedingte - Fahruntüchtigkeit festgestellt. Diese ergibt sich auch nach Überzeugung des Senats zweifelsfrei aus der Kombination von festgestelltem Drogeneinfluss und dem vom Kläger gezeigten Fahrverhalten.

dd) Dabei ist es entgegen der Auffassung des Klägers gänzlich unerheblich, ob der Unfall tatsächlich, wie von ihm behauptet, auch von einem Nüchternen verursacht worden wäre. Der Umstand, dass auch nicht unter Drogeneinfluss stehende Kraftfahrer häufig verkehrswidrig überholen, ist für sich nicht geeignet, eine Qualifizierung des konkret zur Beurteilung stehenden Fahrverhaltens als von Drogen beeinflusst auszuschließen (zur alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit vgl. Senatsentscheidung vom 17. März 2006 in 1 U 21/06; BGH VersR 1986, 141; OLG Düsseldorf in NJW-RR 2001, 101). Soweit eine Prüfung des Alternativverhaltens eines nicht unter Drogeneinfluss stehenden Kraftfahrers überhaupt in Betracht zu ziehen ist, so ist ohnehin nicht das Fahrverhalten eines beliebigen, sondern allenfalls das eines typischen, nicht rauschmittelbeeinträchtigten Kraftfahrers zu berücksichtigen und dem konkreten, zur Beurteilung stehenden Fahrverhalten des drogenbeeinflussten Kraftfahrers gegenüber zu stellen.




Das Landgericht hat hierzu unter Zugrundelegung des eingeholten Sachverständigengutachtens bereits in ausführlicher Weise sämtliche Umstände benannt, die im Zusammenwirken mit dem beim Kläger festgestellten THC-Gehalt den zwingenden Schluss auf seine drogenbedingte Fahruntüchtigkeit begründen. Der Senat teilt diese Auffassung.

ee) Insbesondere ist auch der Senat der Überzeugung, dass die Reaktion des Klägers bei Erkennen des Gegenverkehrs fehlerhaft war und diese Fehlerhaftigkeit auf seine Drogenbeeinflussung zurückzuführen ist. Nach Einschätzung des Senats ist dem typischen, nicht rauschmittelbeeinträchtigten Überholer bei Wahrnehmung eines entgegenkommenden Kraftfahrzeugs unmittelbar und sofort das größere Schadensrisiko eines Frontalzusammenstoßes gegenüber dem deutlich geringeren Schadensrisiko bei einem Ausweichen nach links oder rechts bewusst, selbst wenn dieses Ausweichen eine Kollision mit dem in gleicher Fahrtrichtung fahrenden, überholten Fahrzeug zur Folge hätte. Zwar schließt dieses unmittelbar vorhandene Risikobewusstsein eine - auch vom Kläger durchgeführte - Vollbremsung nicht gänzlich aus, doch lässt sie den nicht rauschmittelbeeinträchtigten Kraftfahrer spätestens bei erkennbarer Unvermeidbarkeit eines Frontalzusammenstoßes grundlegend anders, nämlich durch Ausweichen, reagieren. Die klägerische Auffassung, dass es zur Beantwortung dieser Frage der Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens bedurft hätte, teilt der Senat nicht, zumal es sich insoweit nicht um die Bewertung technischer Vorgänge, sondern um die Beurteilung menschlichen Reaktionsverhaltens handelt.



ff) Die vom Kläger am .....2000 begangene Ordnungswidrigkeit, bei der er die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h überschritten hatte, widerlegt entgegen der Auffassung des Klägers nicht seine drogenbedingte Fahruntüchtigkeit zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfallgeschehens vom .....2001.

Vielmehr belegt sie allein einen ca. 10 Monate vor dem Unfall stattgefundenen Geschwindigkeitsverstoß des Klägers, dessen rauschmittelbedingte Ursache weder positiv noch negativ festgestellt wurde.

gg) Selbst wenn man dem, auf die von der Beklagten als Anlage B 1 vorgelegten Versicherungsbedingungen gestützten, klägerischen Sachvortrag folgend davon ausgehen würde, dass der Kläger mit seinem Feststellungsbegehren insoweit obsiegt hätte, als eine Leistungsfreiheit sowie ein Rückgriffsanspruch von lediglich 5.000,-- Euro und nicht - der Behauptung der Beklagten entsprechend - 5.112,92 Euro bestünde, so würde es sich hierbei um eine nur geringfügige Zuvielforderung handeln, die die vollständige Kostentragungspflicht des Klägers nicht entfallen ließe, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. ..."

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