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Europäischer Gerichtshof Urteil vom 30.06.2005 - C-537/03 - Ein Haftungsausschluss für Personenschäden wegen eigenen Verschuldens der Insassen in Versicherungsbedingungen ist unzulässig

EuGH v. 30.06.2005: Ein Haftungsausschluss für Personenschäden wegen eigenen Verschuldens der Insassen in Versicherungsbedingungen ist unzulässig




Der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 30.06.2005 - C-537/03) hat entschieden, dass nationales Recht die Ansprüche von Fahrzeuginsassen wegen Personenschäden gegen den Haftpflichtversicherer des Fahrzeugführers unabhängig vom Mitverschulden der Insassen nicht ausschließen oder unverhältnismäßig begrenzen darf.

   Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens stehen Artikel 2 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und Artikel 1 der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung einer nationalen Regelung entgegen, nach der der Anspruch eines Fahrzeuginsassen auf Schadensersatz durch die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung wegen seines Beitrags zu dem Schaden ausgeschlossen oder unverhältnismäßig begrenzt werden kann.

Dass der betreffende Fahrzeuginsasse der Eigentümer des Fahrzeugs ist, dessen Führer den Unfall verursacht hat, ist ohne Belang.


Siehe auch
Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung
und
Unfälle mit Auslandsberührung / Entschädigungsfonds (Verkehrsopferhilfe) und Büro Grüne Karte

Aus den Entscheidungsgründen:


1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. 1984, L 8, S. 17, im Folgenden: Zweite Richtlinie) und der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 129, S. 33, im Folgenden: Dritte Richtlinie).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau K. Candolin sowie den Herren Viljaniemi und Paananen einerseits (im Folgenden: Kläger) und der Versicherungsgesellschaft Vahinkovakuutusosakeyhtiö Pohjola (im Folgenden: Beklagte) und Herrn Ruokoranta (im Folgenden: Beklagter) andererseits wegen den Klägern infolge eines Autounfalls zu leistenden Schadensersatzes.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 103, S. 1, im Folgenden: Erste Richtlinie) bestimmt:

   „Jeder Mitgliedstaat trifft … alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitäten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt.“

    4 In der siebten und der neunten Begründungserwägung der Zweiten Richtlinie heißt es:

       „Es liegt im Interesse der Unfallopfer, dass die Wirkungen bestimmter Ausschlussklauseln auf die Beziehungen zwischen dem Versicherer und dem für den Unfall Verantwortlichen beschränkt bleiben. …



    Die Familienangehörigen des Versicherungsnehmers, Fahrers oder eines sonstigen Verursachers sollten, jedenfalls bei Personenschäden, einen mit dem anderer Geschädigter vergleichbaren Schutz erhalten.“

    5 In Artikel 2 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie heißt es:

       „Jeder Mitgliedstaat trifft zweckdienliche Maßnahmen, damit jede Rechtsvorschrift oder Vertragsklausel in einer nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG ausgestellten Versicherungspolice, mit der die Nutzung oder Führung von Fahrzeugen durch

    – hierzu weder ausdrücklich noch stillschweigend ermächtigte Personen oder

    – Personen, die keinen Führerschein für das betreffende Fahrzeug besitzen, oder

    – Personen, die den gesetzlichen Verpflichtungen in Bezug auf Zustand und Sicherheit des betreffenden Fahrzeugs nicht nachgekommen sind,

    von der Versicherung ausgeschlossen werden, bei der Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG bezüglich der Ansprüche von bei Unfällen geschädigten Dritten als wirkungslos gilt.

    Die im ersten Gedankenstrich genannte Vorschrift oder Klausel kann jedoch gegenüber den Personen geltend gemacht werden, die das Fahrzeug, das den Schaden verursacht hat, freiwillig bestiegen haben, sofern der Versicherer nachweisen kann, dass sie wussten, dass das Fahrzeug gestohlen war. …“

    6 Artikel 1 der Dritten Richtlinie bestimmt:

       „Unbeschadet des Artikels 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 84/5/EWG deckt die in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG genannte Versicherung die Haftpflicht für aus der Nutzung eines Fahrzeugs resultierende Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers. …“




    Nationales Recht* (folgen längere Zitate der älteren finnischen Bestimmungen)

    9 Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes 1144/2002 am 1. Februar 2003 lautet § 7 Absatz 1 des Gesetzes über die Kraftfahrzeugversicherung wie folgt:

       “Wer zum eigenen Personenschaden durch vorsätzliches Handeln beiträgt, hat einen Schadensersatzanspruch nur insoweit, als andere Umstände zur Entstehung des Schadens beigetragen haben. Hat der Geschädigte durch grob fahrlässiges Verhalten zum eigenen Personenschaden beigetragen, kann der Schadensersatzanspruch ausgeschlossen oder herabgesetzt werden, wenn dies in Anbetracht der Umstände billig erscheint.“


    Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorlagefragen

    10 Am 21. April 1997 unternahmen T. Candolin, die Mutter der Klägerin Candolin, und die Kläger Viljaniemi und Paananen eine Fahrt im Auto des Letztgenannten, das vom Beklagten gelenkt wurde. Auf dieser Fahrt ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem T. Candolin ums Leben kam und die anderen Fahrzeuginsassen schwer verletzt wurden.

    11 Nach dem Vorlagebeschluss waren der Fahrzeugführer und alle anderen Fahrzeuginsassen betrunken.

    12 Der Porin käräjäoikeus (Gericht des ersten Rechtszugs Pori) verurteilte den Beklagten zu einer Freiheitsstrafe und zur Zahlung von Schadensersatz an die Kläger. Zur Frage der Leistung von Schadensersatz durch die Beklagte befand dieses Gericht, dass die anderen Fahrzeuginsassen die Trunkenheit des Fahrzeugführers hätten bemerken müssen, und entschied, dass nach § 7 Absatz 3 des Gesetzes über die Kraftfahrzeugversicherung in der durch das Gesetz 656/1994 geänderten Fassung grundsätzlich keiner von ihnen einen Anspruch auf Schadensersatz durch diese Versicherungsgesellschaft habe. Wenn es jedoch einen „besonderen Grund“ für die Zahlung von Schadensersatz im Sinne dieser Vorschrift gebe, könne die Beklagte zur Zahlung verpflichtet sein. Unter Berücksichtigung der schweren Verletzungen des Klägers Paananen und in Anbetracht dessen, dass ihm der Beklagte angesichts seiner finanziellen Situation wahrscheinlich keinen Schadensersatz leisten könne, entschied der Porin käräjäoikeus, dass die Beklagte diesen Schadensersatz zu leisten habe. Im Fall der Klägerin Candolin und des Klägers Viljaniemi gebe es dagegen keinen „besonderen Grund“.

    13 Auf die Berufung entschied der Turun hovioikeus (Berufungsgericht Turku), dass die Beklagte nicht für den dem Kläger Paananen vom Beklagten geschuldeten Schadensersatz aufkommen müsse.

    14 Die Kläger legten daraufhin gegen das Urteil des Turun hovioikeus Revision beim vorlegenden Gericht ein. Sie fordern die Deckung ihrer Schäden durch die Versicherungsgesellschaft auf der Grundlage der Kraftfahrzeugversicherung. Die Beklagte bringt gegen ihre Ersatzpflicht vor, dass ein Fahrzeuginsasse, der ein Fahrzeug in dem Wissen besteige, dass er ein höheres Schadensrisiko als gewöhnlich eingehe, für die Folgen seines Handelns selbst einstehen müsse.

    15 Das vorlegende Gericht hat in der Ansicht, dass die zur Zeit des Sachverhalts geltenden Rechtsvorschriften gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden müssen, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

      1.  Zieht Artikel 1 der Dritten Richtlinie, nach dem die Versicherung die Haftpflicht für aus der Nutzung eines Fahrzeugs resultierende Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers decken muss, oder eine andere Vorschrift oder ein anderer Grundsatz des Gemeinschaftsrechts der Berücksichtigung des Beitrags eines Fahrzeuginsassen zu seinem eigenen Schaden nach nationalem Recht Grenzen, wenn es um den Anspruch dieses Fahrzeuginsassen auf Schadensersatz durch die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung geht?

      2.  Ist es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, in anderen als den in Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Zweiten Richtlinie genannten Fällen den Anspruch des Fahrzeuginsassen gegenüber der obligatorischen Haftpflichtversicherung auf Ersatz der von ihm bei dem Unfall erlittenen Schäden wegen seines Verhaltens auszuschließen oder zu begrenzen? Kann dies z. B. dann in Betracht kommen, wenn der Betroffene in das Fahrzeug eingestiegen ist, obwohl er hätte erkennen können, dass das Unfall- oder Schadensrisiko höher als gewöhnlich war?

      3.  Steht das Gemeinschaftsrecht der Berücksichtigung der Trunkenheit des Fahrzeugführers als Umstand, der seine Fahrtüchtigkeit beeinflusst, entgegen?

      4.  Steht das Gemeinschaftsrecht, wenn der Fahrzeugeigentümer einem Betrunkenen das Führen des Fahrzeugs gestattet hat, einer strengeren Beurteilung seines Anspruchs auf Ersatz des von ihm erlittenen Personenschadens durch die Pflichtversicherung als im Fall der anderen Fahrzeuginsassen entgegen?




    Zu den Vorlagefragen

    16 Mit diesen zusammen zu prüfenden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Zweiten Richtlinie und Artikel 1 der Dritten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch eines Fahrzeuginsassen auf Schadensersatz durch die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung wegen seines Beitrags zu dem Schaden ausgeschlossen oder begrenzt werden kann, und ob die Antwort anders ausfällt, wenn der Fahrzeuginsasse der Eigentümer des Fahrzeugs ist.

    17 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Erste, die Zweite und die Dritte Richtlinie zum einen den freien Verkehr der Fahrzeuge mit gewöhnlichem Standort im Gebiet der Gemeinschaft sowie der Fahrzeuginsassen gewährleisten und zum anderen den bei durch diese Fahrzeuge verursachten Unfällen Geschädigten unabhängig davon, an welchem Ort innerhalb der Gemeinschaft sich der Unfall ereignet, eine vergleichbare Behandlung garantieren sollen (Urteil vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-129/94, Ruiz Bernáldez, Slg. 1996, I-1829, Randnr. 13).

    18 Vor dem Hintergrund dieses Opferschutzgedankens hat der Gerichtshof entschieden, dass Artikel 3 Absatz 1 der Ersten Richtlinie einer Regelung entgegensteht, nach der sich der Versicherer auf Rechtsvorschriften oder Vertragsklauseln berufen kann, um Dritten, die Opfer eines durch das versicherte Fahrzeug verursachten Unfalls sind, Schadensersatz zu verweigern (Urteil Ruiz Bernáldez, Randnr. 20).

    19 Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Zweiten Richtlinie auf diese Verpflichtung nur insoweit Bezug nimmt, als es um Rechtsvorschriften oder Versicherungsvertragsklauseln geht, mit denen die Nutzung oder Führung von Fahrzeugen in bestimmten Fällen (zum Führen des Fahrzeugs nicht ermächtigte Personen, Personen, die keinen Führerschein für das betreffende Fahrzeug besitzen, oder Personen, die den gesetzlichen Verpflichtungen in Bezug auf Zustand und Sicherheit des betreffenden Fahrzeugs nicht nachgekommen sind) von der Versicherung ausgeschlossen wird (Urteil Ruiz Bernáldez, Randnr. 21).

    20 Abweichend von dieser Verpflichtung sieht Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 vor, dass bestimmte Unfallopfer in Anbetracht der Situation, die sie selbst geschaffen haben (Personen, die ein Fahrzeug bestiegen haben, von dem sie wussten, dass es gestohlen war), vom Versicherer nicht entschädigt zu werden brauchen (Urteil Ruiz Bernáldez, Randnr. 21).

    21 Als Bestimmung, die von einer allgemeinen Regel abweicht, muss Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Zweiten Richtlinie jedoch eng ausgelegt werden.

    22 Wie der Generalanwalt in Nummer 42 seiner Schlussanträge zu Recht ausgeführt hat, würde jede andere Auslegung es den Mitgliedstaaten gestatten, die Entschädigung von Dritten, die Opfer eines Verkehrsunfalls geworden sind, auf bestimmte Umstände zu beschränken, was die genannten Richtlinien gerade verhindern sollen.

    6 23 Daraus folgt, dass Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine Rechtsvorschrift oder Versicherungsvertragsklausel, mit der die Nutzung oder Führung von Fahrzeugen von der Versicherung ausgeschlossen wird, Dritten, die Opfer eines Verkehrsunfalls geworden sind, nur dann entgegengehalten werden kann, wenn der Versicherer nachweisen kann, dass die Betroffenen, die das Fahrzeug, das den Schaden verursacht hat, freiwillig bestiegen haben, wussten, dass es gestohlen war.

    24 Was den Ausschluss oder die Begrenzung des Anspruchs auf Schadensersatz durch die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung wegen des Beitrags des unfallgeschädigten Fahrzeuginsassen zu dem Schaden anbelangt, ergibt sich aus dem Zweck der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie und aus ihrem Wortlaut, dass sie nicht die Haftpflichtregelungen der Mitgliedstaaten harmonisieren sollen und dass es diesen beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nach wie vor freisteht, die Haftpflicht für Schäden aus Verkehrsunfällen mit Kraftfahrzeugen selbst zu regeln (Urteil vom 14. September 2000 in der Rechtssache C-348/98, Mendes Ferreira und Delgado Correia Ferreira, Slg. 2000, I-6711, Randnrn. 23 und 29).

    25 Die Beklagte sowie die finnische, die deutsche, die österreichische und die norwegische Regierung vertreten hierzu die Ansicht, dass das Gemeinschaftsrecht der Beurteilung der Frage nach nationalem Haftpflichtrecht, welche Bedeutung dem Beitrag des Fahrzeuginsassen zu dem von ihm erlittenen Schaden zukomme, keine Grenzen ziehe.




    26 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.


    27 Die Mitgliedstaaten müssen bei der Ausübung ihrer Befugnisse das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 3 Absatz 1 der Ersten Richtlinie, Artikel 2 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie und Artikel 1 der Dritten Richtlinie, beachten, deren Ziel es ist, sicherzustellen, dass alle verkehrsunfallgeschädigten Fahrzeuginsassen ihre Schäden über die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ersetzt bekommen können.

    28 Die nationalen Vorschriften über den Ersatz von Verkehrsunfallschäden dürfen die genannten Artikel deshalb nicht ihrer praktischen Wirksamkeit berauben.

    29 Dies wäre insbesondere der Fall, wenn eine auf allgemeinen und abstrakten Kriterien beruhende nationale Regelung dem Fahrzeuginsassen allein wegen seines Beitrags zu dem Schaden den Anspruch auf Schadensersatz durch die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nähme oder ihn unverhältnismäßig begrenzte.

    30 Der Schadensersatz für den Geschädigten darf seinem Umfang nach nur unter außergewöhnlichen Umständen auf der Grundlage einer Einzelfallbeurteilung begrenzt werden.

    31 Im Rahmen der dem nationalen Gericht zukommenden Beurteilung, ob solche Umstände vorliegen und die Begrenzung des Schadensersatzes verhältnismäßig ist, ist der Umstand, dass der betroffene Fahrzeuginsasse der Eigentümer des Fahrzeugs ist, dessen Führer den Unfall verursacht hat, ohne Bedeutung.

    32 Denn indem Artikel 1 der Dritten Richtlinie vorsieht, dass die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung die Haftpflicht für Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers decken muss, nimmt er nur eine Unterscheidung zwischen dem Fahrzeugführer und den anderen Fahrzeuginsassen vor.

    33 Außerdem verlangen die oben in den Randnummern 18 bis 20 in Erinnerung gerufenen Schutzzwecke, dass der Fahrzeugeigentümer, der sich beim Unfall nicht als Fahrzeugführer, sondern als Fahrzeuginsasse im Fahrzeug befand, rechtlich allen anderen unfallgeschädigten Fahrzeuginsassen gleichgestellt wird.




    34 Diese Auslegung wird durch die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts untermauert. In der siebten Begründungserwägung der Zweiten Richtlinie heißt es, dass es im Interesse der Unfallopfer liege, dass die Wirkungen bestimmter Ausschlussklauseln auf die Beziehungen zwischen dem Versicherer und dem für den Unfall Verantwortlichen beschränkt blieben. Um einen mit dem Schutz anderer Drittgeschädigter vergleichbaren Schutz zu gewähren, wie es in der neunten Begründungserwägung dieser Richtlinie heißt, hat deren Artikel 3 den Versicherungsschutz für Personenschäden auf die Familienmitglieder des Versicherungsnehmers, des Fahrers oder jeder anderen haftbaren Person ausgedehnt. Artikel 1 der Dritten Richtlinie ist noch weiter gefasst, indem er den Ersatz von Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers vorsieht. Somit ist der Fahrzeugeigentümer, wenn er Fahrzeuginsasse ist, nicht vom Schadensersatz ausgeschlossen.

    35 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Artikel 2 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie und Artikel 1 der Dritten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch eines Fahrzeuginsassen auf Schadensersatz durch die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung wegen seines Beitrags zu dem Schaden ausgeschlossen oder unverhältnismäßig begrenzt werden kann. Dass der betreffende Fahrzeuginsasse der Eigentümer des Fahrzeugs ist, dessen Führer den Unfall verursacht hat, ist ohne Belang.

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