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OLG Hamm Urteil vom 03.02.2006 - 9 U 117/05 - Keine Erstattung der Verteidigerkosten nach falscher Beschuldigung im Straßenverkehr

OLG Hamm v. 03.02.2006: Keine Erstattung der Verteidigerkosten nach falscher Beschuldigung im Straßenverkehr




Das OLG Hamm (Urteil vom 03.02.2006 - 9 U 117/05) hat entschieden:

  1.  Wird dem Kläger auf Grund einer Anzeige von Seiten des Beklagten (wegen eines vermeintlichen groben und gefährlichen Fahrmanövers in einer Autobahnbaustelle) die Fahrerlaubnis vorläufig über einen längeren Zeitraum entzogen, kann er den beklagten Anzeigeerstatter deshalb nicht auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, auch wenn dieser später zu dem Vorfall unterschiedliche Darstellungen gibt, die schließlich zur Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger führen. Ein solches Aussageverhalten begründet nicht schon den Vorwurf der falschen Anschuldigung.

  2.  Unterschiedliche Aussagen des Anzeigeerstatters geben keinen Anlass zur Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens.


Siehe auch
Falschangaben über den Fahrzeugführer gegenü9ber der Bußgeldstelle
und
Falsche Verdächtigung

Gründe:


A.

Der Kläger begehrt materiellen Schadensersatz i. H. v. 25.342,09 € und in einer Größenordnung von 2.000 € vorgestelltes Schmerzensgeld aus Anlass des durch eine Strafanzeige des Beklagten gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung, in welchem ihm für die Zeit vom 28.1.2003 bis zur Verfahrenseinstellung am 22.1.2004 die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen war. Der Beklagte hatte den Kläger am 6.9.02 gegen 8:00 Uhr gegenüber Beamten der Autobahnpolizeiwache M bezichtigt, ihn auf der BAB ... in Fahrtrichtung C bei N verkehrswidrig und erheblich gefährdend mit seinem Pkw Audi überholt zu haben, indem er mittig an seinem, des Beklagten, auf dem rechten Fahrstreifen geführten Pkw Mercedes und einem weiteren, auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Pkw vorbeigefahren sei und sodann beim Einscheren auf den rechten Fahrstreifen ihn zu einem starken Abbremsen zur Vermeidung eines Auffahrunfalls genötigt habe. Dem Kläger wurde daraufhin mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 28.1.2003 vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen. Nachdem der Kläger erstinstanzlich vom AG Münster zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, obwohl der Beklagte in der Hauptverhandlung den Überholvorgang anders – nämlich rechts über den Standstreifen statt mittig – dargestellt hatte, wurde das Strafverfahren in der Berufungsinstanz schließlich mit Zustimmung des Klägers gemäß § 153 StPO eingestellt, nachdem der Beklagte als Zeuge in der Hauptverhandlung den Überholvorgang erneut abweichend – nunmehr über den linken Fahrstreifen – beschrieben hatte.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe ihn von Anfang an zu Unrecht bezichtigt, während jener zwischenzeitlichen Erinnerungsverlust hinsichtlich des genauen Ablaufs des Überholvorgangs behauptet und geltend gemacht hat, er habe sich stets um eine wahrheitsgemäße Schilderung bemüht und nie die Absicht gehabt, den Kläger wahrheitswidrig zu belasten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da es sich nach Anhörung der Parteien von einem Tatvorsatz des Beklagten hinsichtlich des Vergehens nach § 164 StGB nicht hat überzeugen können. Insoweit sei zumindest nicht auszuschließen, dass der von dem Beklagten bei seinen Zeugenvernehmungen gleichbleibend geschilderte Handlungskern eines bedrohlichen und verkehrswidrigen Überholvorgangs trotz der bestehenden Abweichungen in der Darstellung von Einzelheiten zutreffend sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das angefochtene Urteil einschließlich seiner Entscheidungsgründe Bezug genommen.




Mit der Berufung begehrt der Kläger Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits; hilfsweise verfolgt sein erstinstanzliches Klageziel weiter. Er rügt unzulängliche Tatsachenfeststellung des Landgerichts, das verfahrensfehlerhaft seinem Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Unglaubhaftigkeit der belastenden Angaben des Beklagten nicht nachgekommen sei und auch deshalb das Vorliegen des nötigen Anbeweises für seine, des Klägers, beantragte Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO verkannt habe. Die – bewusste – Unwahrhaftigkeit der vom Beklagten in seiner Strafanzeige erhobenen Anschuldigung erweise sich – zumindest hinlänglich für die weiter beantragte Beweiserhebung – aus dem zweimaligen Wechsel der Darstellung des angeblich gefährlichen Überholvorgangs im Lauf des Strafverfahrens und seinem Versuch, die Widersprüche auf deren Vorhalt hin vorgeblichen Fehlern der seine vorhergehenden Aussagen aufnehmenden Personen zuzuschreiben.

Der Zurückweisung der Berufung beantragende Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und hält daran fest, den Kläger nicht zu Unrecht bezichtigt zu haben.. Der Senat hat die Parteien persönlich gemäß § 141 ZPO gehört. Wegen des Inhalts ihrer Angaben wird auf den Berichterstattervermerk zum Protokoll der Berufungsverhandlung vom 3.2.2006 verwiesen.

Die Strafakten 64 Js 815/02 und 12 Js 249/04 StA Münster sind zur Ergänzung des Parteivorbringens Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.




B.

I.

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache erfolglos, weil ihm der erhobene Anspruch weder aus § 823 II BGB i. V. m. § 164 StGB noch aus § 826 BGB zusteht. Beide Anspruchsgrundlagen haben zur Voraussetzung, dass der Beklagte den Kläger vorsätzlich zu Unrecht bezichtigt ( und dabei eine zeitweilige Entziehung dessen Fahrerlaubnis als möglich vorhergesehen und billigend in Kauf genommen ) hat. Das hat der Kläger auch in der Berufungsinstanz nicht zu beweisen vermocht.

II.

An die Feststellung des Landgerichts, eine vorsätzliche Falschbezichtigung liege nicht vor, ist der Senat prinzipiell gemäß § 529 I ZPO gebunden, solange nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen. a) Derartige Zweifel werden regelmäßig durch erhebliche Verfahrensfehler bei der Beweisaufnahme begründet. Entgegen der Ansicht der Berufung liegen solche hier jedoch nicht vor.


1. Das Landgericht war nicht gehalten, ein aussagepsychologisches Gutachten bezüglich der Glaubhaftigkeit der Angaben des Beklagten einzuholen. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von erwachsenen Aussagepersonen und der Glaubhaftigkeit ihrer Bekundungen ist in der Regel ureigene Aufgabe des Richters, die von ihm persönlich zu leisten ist und zum Wesen richterlicher Rechtsfindung gehört; vgl. nur Zöller/ Greger , ZPO 25. Aufl. § 373 Rz. 10 a. E., § 402 Rz. 7. Die – auch stillschweigende – Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens ist nur dann fehlerhaft, wenn etwa bei einem Zeugen dessen Persönlichkeit solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel an der Sachkunde des Gerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit berechtigt sind; BGH NJW-RR 1997, 1110 = MDR 1997, 739 = VersR 1997, 834; BGH NJW 1998, 2753/4. Der Umstand allein, dass der Beklagte im Lauf des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens drei – z. T. erheblich – verschiedene Versionen des Überholvorgangs gegeben hat, dies womöglich auch mit der vom Kläger behaupteten Versicherung ihrer jeweiligen Richtigkeit, reicht dafür aber nicht hin. Derartige Auffälligkeiten vermag und hat der Richter mit – keineswegs, wie die Berufung meint, angemaßter – eigener Sachkunde bei seiner Beweiswürdigung zu bewältigen.

2. Auch eine Parteivernehmung des Klägers gemäß § 448 ZPO hatte das Landgericht nicht durchzuführen. Die Parteivernehmung darf von Amts wegen nur angeordnet werden, wenn aufgrund einer vorausgegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht, so dass bereits "einiger Beweis" erbracht ist; BGH NJW 1989, 3222/3. Allein damit, dass nicht alle drei Darstellungen des Beklagten von dem Verkehrsgeschehen in ihren Einzelheiten wegen der insoweit bestehenden Widersprüche richtig sein können, ist die Behauptung des Klägers, keine davon treffe zu und – entscheidender noch – der Beklagte habe vorsätzlich die Unwahrheit gesagt, noch nicht "anbewiesen". Der Frage nach der prozessualen Form der Parteiangaben misst der Senat im Übrigen auch keine entscheidende Bedeutung bei, weil das Landgericht beide Parteien persönlich gemäß § 141 ZPO gehört hat. Die freie Würdigung "des gesamten Inhalts der Verhandlungen" im Rahmen von § 286 ZPO gestattet im Einzelfall durchaus, den persönlichen Parteiangaben ebenso viel oder sogar mehr Glauben zu schenken als dem Ergebnis einer förmlichen Parteivernehmung. Aus diesem Grund bestand auch für den Senat, der sich in der Berufungsverhandlung durch die Parteianhörung einen eigenen Eindruck verschafft hat, keine Veranlassung zu einer förmlichen Parteivernehmung, zumal nicht ersichtlich ist, dass diese zu weiteren Erkenntnissen geführt hätte.




b) Die Freiheit der erstinstanzlichen Beweiserhebung von Verfahrensfehlern schließt Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung aus anderen Umständen, namentlich aus dem Beweisergebnis und dem Inhalt der Beweiswürdigung zwar nicht aus. Solche Zweifel greifen im vorliegenden Fall aber zumindest nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung nicht durch. Die Berufung will sie zum einen auf die – allerdings unübersehbaren – Widersprüche in den Schilderungen des Beklagten im Strafverfahren von dem Ablauf des von ihm dargestellten Überholvorgangs stützen, zum anderen auf dessen angebliche Erklärung der Widersprüche durch Missverständnisse oder Fehler der jeweiligen Vernehmungsperson. Daran ist richtig, dass solche Auffälligkeiten "klassische Lügensignale" im Sinne der Beweiswürdigungslehre sein können, die dem Gericht Veranlassung zu besonders kritischer Würdigung geben müssen. Sie vermögen hier aber den Senat nicht davon zu überzeugen, dass der Beklagte wissentlich falsch den Kläger der Straßenverkehrsgefährdung bezichtigt hat. Seine Schilderungen sind in dem charakteristischen "Kern" immer gleich geblieben, wonach der Audi schnell von hinten herangekommen ist, riskant überholt und sodann den Mercedes beim Einscheren höchst gefährdend geschnitten hat. Die Abweichungen darin, ob das Überholen mittig zwischen zwei Fahrzeugen und den Fahrspuren erfolgte, rechts neben dem auf dem rechten Fahrstreifen fahrenden Beklagten, mithin über den Standstreifen oder noch links neben dem auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Beklagten betreffen zwar kein unwesentliches Randgeschehen, sind aber trotzdem mit partieller Erinnerungsschwäche des Beklagten, der vor dem Senat glaubhaft eine starke Erregung durch das Erlebnis höchster Gefahr bei dem Überholvorgang geschildert hat, erklärbar. In dieser Erregung mochte sich ihm nur das von dem Audi des Beklagten ausgehende prägende Gefahrensignal einer Beinahekollision im Gedächtnis verfestigt haben. Denkbar ist dabei, dass der Beklagte verschiedene Phasen des von ihm geschilderten komplexen Verkehrsgeschehens, in dem Rechtsüberholen von Anfang an eine Rolle spielte, später durcheinander gebracht hat. Technische unmöglich war das Fahren zu dritt nebeneinander bei den aus dem Vermessungsprotokoll Bl. 19 der Akte 64 Js 815/02 StA Münster ersichtlichen nutzbaren Fahrbahnbreiten von 7,20 m bzw. 7,60 m nicht.

Bei allem ist im Blick zu behalten, dass es letztlich nicht darauf ankommt, ob der Beklagte eine objektiv wahrheitsgemäße Darstellung des Überholvorgangs gegeben hat, sondern allein darauf, ob er wider besseres Wissen den Kläger eines Verkehrsverstoßes bezichtigt hat. Insoweit sprechen die Abweichungen in seinen Aussagen eben nicht spezifisch für eine vorsätzlich falsche Anschuldigung, denn gerade dann wäre zu erwarten gewesen, dass der Beklagte konstant bei seiner ersten Version geblieben wäre. Auch seine Erklärungen der Widersprüche mit Missverständnissen bei früheren Vernehmungen bzw. deren Protokollierung wären kein ausreichendes Indiz für eine lügenhafte Aussage. Solche Fehler kommen vor, hier können sogar die zahlreichen handschriftlichen Änderungen des Protokolls seiner Aussage in der Verhandlung beim Strafrichter auf deren Missverständlichkeit hindeuten.



Dagegen spricht für eine zumindest subjektive Berechtigung der Anzeige des Beklagten, dass deren Erstattung für ihn von Anfang an mit einiger, sicher vorauszusehender Unbequemlichkeit verbunden war, die man üblicherweise nicht ohne triftigen Grund auf sich nimmt. Außerdem hat der Beklagte aus freien Stücken dort angehalten, wo der Kläger von der Streifenwagenbesatzung gestellt worden war, und seine Beschuldigung gegenüber einem der Beamten wiederholt. Im Falle einer bewußt falschen Anschuldigung wäre er der Gefahr ausgesetzt gewesen, sogleich etwa bei einer nahe liegenden Gegenüberstellung als plumper Lügner entlarvt zu werden. Dass der Beklagte sich leichtfertig und grundlos einem solchen Risiko ausgesetzt hätte, darf nach der Lebenserfahrung als höchst unwahrscheinlich gelten. Einen sachfremden Grund des Beklagten, etwa den ihm bis dahin völlig unbekannten Kläger aus persönlicher Abneigung zu schädigen, hat dieser nicht aufzuzeigen vermocht.

Schließlich hat umgekehrt der Kläger bei seiner Anhörung durch den Senat Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit geweckt. Auf die Fragen, ob die Polizeibeamten ihm nach dem Anhalten eine verkehrsgefährdende Fahrweise vorgeworfen haben und wie er darauf reagiert habe, hat der Kläger deutlich ausweichend geantwortet, so als habe er in jener Situation gar nicht wissen können, was ihm anzulasten sei. Auf weiteren Vorhalt musste er dann einräumen, dass doch ein konkretes Fahrverhalten mit Bezug zum Fahrzeug des Beklagten in Rede stand und dabei auch dessen Mercedes, den der Kläger zunächst ohne Verbindung zu seiner Befragung nur beiläufig wahrgenommen haben wollte, von einem der Polizisten aufgesucht wurde.


III.

Die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels hat der Kläger gemäß § 97 ZPO zu tragen.

Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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