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Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Beschluss vom 07.05.2003 - 12 G 1123/03 - Zur Bindungswirkung strafgerichtler Fahrerkaubnisentscheidungen

VG Frankfurt am Main v. 07.05.2003: Die in § 4 Abs. 3 StVG vorgeschriebene Bindungswirkung strafgerichtlicher Entscheidungen über die Entziehung der Fahrerlaubnis findet in Verfahren auf Erteilung einer Fahrerlaubnis keine analoge Anwendung




Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (Beschluss vom 07.05.2003 - 12 G 1123/03) hat entschieden:

   Die in § 4 Abs. 3 StVG vorgeschriebene Bindungswirkung strafgerichtlicher Entscheidungen über die Entziehung der Fahrerlaubnis findet in Verfahren auf Erteilung einer Fahrerlaubnis keine analoge Anwendung.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein
und
Die Bindungswirkung des Strafurteils bzw. der Entscheidung im Ordnungswidrigkeitenverfahren gegenüber der Verwaltungsbehörde bei der Beurteilung der Fahreignung und bei Probezeitmaßnahmen

Zum Sachverhalt:


Der Antragsteller ist kroatischer Staatsangehöriger und Inhaber einer kroatischen Fahrerlaubnis. Er hält sich seit mindestens 1991 im Bundesgebiet auf. Der Antragsteller wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Hersbruck vom 18.12.2002 - 7 Ds 703 Js 72912/02 - wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Bereits zuvor war der Antragsteller im Zeitraum von Oktober 1999 bis Oktober 2001 bereits dreial wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Diesen Verurteilungen lag jeweils zugrunde, dass der Antragsteller im öffentlichen Straßenverkehr einen Pkw führte, obwohl er die hierfür erforderliche deutsche Fahrerlaubnis nicht besitzt. Weiterhin liegen gegen ihn rechtskräftige Bußgeldbescheide vor, die im Zeitraum Februar 1996 bis September 1998 ergangen sind, wegen Überholens trotz Überholverbots, wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 23 km/h, wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 31 km/h und wegen Überschreitens der zulässigen Achslast.




Das Amtsgericht Hersbruck sah in seinem Urteil von der in der Anklage beantragten Entziehung der Fahrerlaubnis ab, weil sich der Antragsteller durch die abgeurteilte Tat nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe; daran änderten auch die festgestellten Vorstrafen nichts. Mit Bescheid ohne Datum lehnte die Antragsgegnerin den am 09.10.2002 gestellten Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse "B" ab. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, aufgrund der vom Antragsteller begangenen Verkehrsverstöße seien Bedenken an seiner Fahreignung gegeben. Der Antragsteller sei deshalb anlässlich einer Vorsprache darauf hingewiesen worden, dass gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung der Eignungszweifel erforderlich sei. Nachdem der Antragsteller dies jedoch abgelehnt habe, habe er zu erkennen gegeben, dass er Mängel zu verbergen versuche, die auf seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen ließen. Da sich das Urteil des Amtsgerichts Hersbruck ausschließlich mit dem Vorfall vom 06.08.2002 beschäftige, entfalte es keine Bindungswirkung für das Verwaltungsverfahren.

Der Antragsteller legte gegen den an seinen Bevollmächtigten am 10.03.2003 übermittelten Bescheid am 11.03.2003 Widerspruch ein.

Der Eilantrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin zu verpflichten, bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis des Antragstellers auf die Beibringung eines Gutachtens einer amtlichen anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zu verzichten, blieb erfolglos.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... Der Antrag ist bei sinngemäßer Auslegung darauf gerichtet, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, gem. § 22 Abs. 4 Satz 1 FeV die zuständige Technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Prüfung des Antragstellers zu beauftragen, da der Antragsteller nur nach Ablehnung einer erfolgreichen Fahrerlaubnisprüfung die von ihm begehrte Fahrerlaubnis erhalten kann.

Der so zu verstehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO (Regelungsanordnung) ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.

Dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung steht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Der Antragsteller würde bei einem erfolgreichen Anordnungsverfahren so gestellt, als ob er in der Hauptsache obsiegt hätte, da auch in der Hauptsache nur eine Zulassung zur Fahrerlaubnisprüfung, nicht aber die Erteilung der Fahrerlaubnis möglich ist. Eine derartige Vorwegnahme der Hauptsache ist jedoch mit Rücksicht auf das vorläufige Wesen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens grundsätzlich nicht zulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht und es für den Rechtsschutzsuchenden schlechthin unzumutbar ist, dass Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, da ihm sonst schwerwiegende Nachteile drohen, die ihm auch unter Berücksichtigung der entgegenstehenden Interessen unter keinen Umständen zugemutet werden können (vgl. HessVGH, Beschluss vom 17.05.1999 - 2 TZ 1029/99; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage 2003, § 123, Erl. 14 m.w.N.). Diese Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.

Es besteht keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Erteilung eines Prüfauftrages an die zuständige Technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr gem. § 22 Abs. 4 Satz 1 FeV hat. Der Antragsteller hat nämlich nicht nachgewiesen, dass er sämtliche hierfür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Da der Antragsteller im Besitz einer kroatischen Fahrerlaubnis ist und bezogen auf den Tag der Stellung seines Antrags auf Ersterteilung einer deutschen Fahrerlaubnis am 09.10.2002 sich mehr als drei Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat, sind gem. § 31 Abs. 1 Satz 2 FeV für die Erteilung der Fahrerlaubnis die allgemeinen Vorschriften der §§ 7 f. FeV anwendbar, mit Ausnahme der Vorschriften über die Ausbildung. Zwar hat der Antragsteller die gem. § 12 Abs. 3 FeV geforderte Sehtestbescheinigung sowie den gem. § 19 Abs. 3 FeV erforderlichen Nachweis über die Teilnahme an einer Unterweisung in lebensrettenden Sofortmaßnahmen vorgelegt. Der Antragsteller hat jedoch die bestehenden Bedenken an seiner Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr nicht ausgeräumt. Die Eignungszweifel ergeben sich daraus, dass der Antragsteller bereits mehrfach gegen Verkehrsvorschriften verstoßen hat. So wurde er bereits viermal wegen der Straftat des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG verurteilt. Darüber hinaus ergingen gegen ihn wegen verkehrsrechtlicher Ordnungswidrigkeiten vier Bußgeldbescheide. Nach einer Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes an die Antragsgegnerin vom 11.02.2003 ergeben die im Verkehrszentralregister erfassten Entscheidungen nach der Anlage 13 zu § 40 FeV insgesamt 31 Punkte. Der Antragsteller besitzt also eine Neigung, sich über bestehende Verkehrsvorschriften hinweg zu setzen. Die sich hieraus ergebenden Zweifel an seiner Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges kann der Antragsteller nur durch die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ausräumen (vgl. § 11 Abs. 3 FeV).



Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Antragsgegnerin bei der Beurteilung der Frage, ob der Antragsteller die erforderliche Eignung besitzt (§ 11 FeV) nicht gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG an die Ausführungen im Urteil des Amtsgerichts Hersbruck vom 18.12.2002 gebunden. Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG kann die Verkehrsbehörde im Rahmen eines Entziehungsverfahrens u.a. hinsichtlich der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht zum Nachteil des Fahrerlaubnisinhabers vom Inhalt eines strafgerichtlichen Urteils abweichen, wenn dieses sich auf den Sachverhalt bezieht, der Anlass für das Tätigwerden der Verkehrsbehörde ist. Die somit nach dieser Vorschrift für die Verkehrsbehörde bestehende Bindungswirkung greift im vorliegenden Fall jedoch nicht. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift tritt die Bindungswirkung der Verkehrsbehörde nur im Rahmen eines Verfahrens auf Entziehung einer Fahrerlaubnis ein. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch nicht die Entziehung der kroatischen Fahrerlaubnis des Antragstellers, sondern die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis. Die Vorschrift des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG kann auch nicht analog auf den Fall der Erteilung einer Fahrerlaubnis angewendet werden. Gegen eine solche Analogie spricht der Umstand, dass die Regelung Ausnahmecharakter besitzt. Durch die in ihr vorgeschriebene Bindungswirkung wird die Verkehrsbehörde nämlich ausnahmsweise daran gehindert, die Voraussetzungen für ein behördliches Tätigwerden eigenverantwortlich zu prüfen und zu entscheiden. Weiterhin ergibt sich auch nicht aus Sinn und Zweck des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG dessen analoge Anwendung auf den hier zu entscheidenden Fall. Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafrichter (durch § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (durch § 3 StVG i.V.m. § 46 FeV) eingeräumte Befugnis, einem Kraftfahrer bei Ungeeignetheit die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass überflüssige und aufwendige Doppelprüfungen unterbleiben und dass es nicht zu widersprechenden Entscheidungen kommen kann (BVerwG, Beschluss vom 20.12.1988 - 7 B 199/88 - , NJW 1989, 1622). Zwar kann es auch in Fällen der vorliegenden Art zu einer Prüfung der Eignung sowohl im strafgerichtlichen Urteil als auch im behördlichen Verfahren kommen, nicht aber zu widersprechenden Entscheidungen. Derartige widersprechende Entscheidungen liegen nicht bereits dann vor, wenn die strafgerichtliche Eignungsbeurteilung anders ausfällt als die der Verwaltungsbehörde, sondern nur dann, wenn eine abweichende Rechtsfolge gesetzt wird. Dies wäre z.B. der Fall, wenn das Strafgericht von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen hat, die Verwaltungsbehörde aber gleichwohl eine Entziehungsverfügung erlässt. Eine solche abweichende Rechtsfolge ist in dem vorliegenden Fall jedoch nicht möglich. Gegenstand des strafgerichtlichen Urteils des Amtsgerichts Hersbruck war die Frage der Entziehung der kroatischen Fahrerlaubnis des Antragstellers. Demgegenüber ist Gegenstand des verwaltungsbehördlichen Verfahrens die Frage, ob dem Antragsteller eine deutsche Fahrerlaubnis zu erteilen ist. ..."

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