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Verwaltungsgericht Lüneburg Urteil vom 22.03.2004 - 5 B 1/04 - Keine Ungeeignetheit, sondern lediglich Zweifel bei letztem Drogenkonsum vor vier Jahren

VG Lüneburg vom 22.03.2004: Keine Ungeeignetheit, sondern lediglich Zweifel bei letztem Drogenkonsum vor vier Jahren




Das Verwaltungsgericht Lüneburg (Urteil vom 22.03.2004 - 5 B 1/04) hat entschieden:

   Liegt der Konsum „harter Drogen” sowie das Fahren unter Drogeneinfluss im Zeitpunkt der Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde fast vier Jahre zurück, so ist nicht mehr von Ungeeignetheit i.S.v. § 11 FeV, sondern von Eignungszweifeln auszugehen, wenn keine Anhaltspunkte für weiteren Drogenkonsum vorliegen. Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) ist in diesem Fall allerdings gerechtfertigt.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)
und
Stichwörter zum Thema Drogen

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Ein überwiegendes öffentliches Interesse an dem Sofortvollzug einer Fahrerlaubnisentziehung mangels Fahreignung liegt dann vor, wenn gegenwärtig die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass dem Betreffenden die zum Führen eines Kfz unumgängliche körperliche und geistige Eignung fehlt und somit ernstlich zu befürchten ist, dass er bereits vor einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdet. Eine solche hohe Wahrscheinlichkeit ist bei der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht zweifelsfrei anzunehmen, so dass die Anordnung des Sofortvollzuges auch angesichts der Tätigkeit des Antragstellers als Berufskraftfahrer nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kfz erweist. Ungeeignetheit kann nur angenommen werden, wenn erwiesene Tatsachen vorliegen, die mit ausreichender Sicherheit auf das Fehlen der notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen an den Fahrzeugführer schließen lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Mängel nach der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV (BGBl. I 1998, S. 2253 ff.) handelt. Die erwiesenen Tatsachen müssen objektiv einen Sachverhalt erkennen lassen, aus dem die Verwaltungsbehörde Rückschlüsse auf eine mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehende Ungeeignetheit ziehen kann.




Nach Ziff. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfällt bereits bei Einnahme von Betäubungsmitteln i. S. d. Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) in der Regel die Eignung zum Führen von Kfz. Es steht jedoch darüber hinaus fest, dass der Antragsteller unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln am 6. 2. 2000 ein Kfz geführt hat. Die direkt nach dem Vorfall entnommene Blutprobe enthielt ausweislich des forensisch-toxikologischen Befundberichts des Instituts für Rechtsmedizin in Bremen (Abteilung Gerichtliche Chemie, Leitung Dr. {D.}) vom 16. 2. 2000 den Wirkstoff MDMA (Ecstasy-Bestandteil) in einer Konzentration von 395 ng/ml sowie THC (Cannabiswirkstoff) in einer Konzentration von 4 ng/ml. Die MDMA-Konzentration war im psychologisch wirksamen Bereich und die THC-Konzentration ließ auf einen gelegentlichen Konsum und eine nur wenige Stunden zurückliegende Einnahme schließen. Eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Antragstellers aufgrund von berauschenden Mitteln ist daher zweifelsfrei anzunehmen. Aufgrund dessen hätte dem Antragsteller bei zeitnahem Handeln der seinerzeit zuständigen Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis ohne eine medizinische Untersuchung entzogen werden müssen. Da der Landkreises N. in der unmittelbaren Folgezeit nicht tätig wurde, ist nun aufgrund des Zeitablaufs von nahezu vier Jahren seit dem Vorkommnis kein Regelfall mehr anzunehmen. Dies liegt allerdings nicht in der Verantwortlichkeit des Antragsgegners, da dieser erst durch den Umzug des Antragstellers und die Übersendung der Fahrerlaubnisakte Kenntnis von dem Vorfall erlangte und unmittelbar danach im Dezember 2003 reagierte. Allerdings hätte der Antragsgegner aufgrund des inzwischen verstrichenen relativ langen Zeitraums von fast vier Jahren nunmehr nur noch von Zweifeln an der Fahreignung des Antragstellers ausgehen dürfen. Zwar haben die durchgeführten Ermittlungen des Antragsgegners bei der Bußgeldstelle der Stadt B. bestätigt, dass der Antragsteller unter Cannabis und Ecstasy ein Kfz geführt hat, jedoch ist auch der weitere Geschehensablauf zu berücksichtigen. Laut Auskunft des KBA vom 2. 12. 2003 ist der Antragsteller – seit dem Führen eines Kfz im Februar 2000 unter der Wirkung berauschender Mittel – nur noch einmal am 21. 10. 2003 wegen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 36 km/h außerhalb einer geschlossenen Ortschaft auffällig geworden. Auch während seiner – seit dem 15. 4. 2003 ausgeführten – Tätigkeit als Berufskraftfahrer trat er straßenverkehrsrechtlich nicht mehr in Erscheinung. Das könnte zwar dafür sprechen, dass die am 6. 2. 2000 feststehende Ungeeignetheit i.S.v. § 3 Abs. 1 StVG möglicherweise nicht mehr vorliegt, lässt aber andererseits auch nicht zwingend auf eine nun wieder vorhandene Eignung des Antragstellers i.S.d. § 11 FeV schließen.

Werden im Hinblick auf Betäubungsmittel Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Fahreignung begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde diese durch Anordnung von Maßnahmen nach § 14 FeV aufzuklären, das heißt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 – 4, Abs. 2 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU) anzuordnen. Das hat dann zu geschehen, wenn – wie vorliegend – gem. § 14 Abs. 2 Ziff. 2 FeV zu klären ist, ob der Antragsteller weiterhin Ecstasy oder auch Cannabis einnimmt und unter diesem Einfluss ein Kfz führt.

Der Nachweis von neun stattgefundenen Beratungsterminen in der Zeit vom 11. 2. 2000 bis zum 12. 4. 2000 bei der Suchtberatungsstelle N. allein beseitigt die Zweifel an der Fahreignung nicht. Bei der Verkehrskontrolle am 25. 5. 2000 wurde Cannabis im Fahrzeug gefunden. Dies wurde zwar nicht dem Antragsteller zugeordnet, und auch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde gem, § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, doch zeigt dies, dass sich der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt zumindest noch in Kreisen bewegte, in denen Cannabis besessen wurde, sein soziales Umfeld also nicht geändert hatte. Dem Ziel der Beratungsgespräche – auch weiterhin drogenfrei zu leben – war dies nicht förderlich.



Das vom Antragsteller vorgeschlagene Gutachten (an die Gesellschaft für Labor- und Praxisbedarf in Hamburg eingeschickte fünf Zentimeter lange Haarprobe, um eine Haarwurzelanalyse durchführen zu lassen) vermag die Zweifel an seiner Fahreignung ebenfalls nicht zu beseitigen. Die Verkehrsbehörde kann nicht nachprüfen, ob es sich tatsächlich um eine Haarprobe des Antragstellers handelte, die eingeschickt wurde. Selbst wenn die Haarprobe von dem Antragsteller stammen sollte, würde dadurch nur bestätigt, dass während des letzten halben Jahres keine Betäubungsmittel konsumiert wurden. Eine einjährige Abstinenz nach Entgiftung und Entwöhnung, wie in Ziff. 9.5 der Anlage 4 zur FeV gefordert, ist damit aber noch nicht nachgewiesen. Zweifel an der Fahreignung können nur dadurch ausgeräumt werden, dass bei einer MPU sowohl eine psychologische als auch eine medizinische Beurteilung stattfindet. Die Forderung, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen, ist nicht unverhältnismäßig. Das von dem Antragsteller genannte Gegenbeispiel, dass die Anordnung einer MPU aufgrund einer mehr als 18 Monate zurückliegenden Einnahme von Cannabis (VG Arnsberg, Beschluss vom 21.12.1994 – 6 L 2538/94 –) als rechtswidrig angesehen wurde, ist hier nicht einschlägig. Im Unterschied zu Cannabis handelt es sich bei Ecstasy um eine sogenannte harte Droge, bei deren Einnahme – und erst recht bei nachfolgendem Führen eines Kfz unter dem Einfluss dieser Droge – sofort auf die Ungeeignetheit des Inhabers einer Fahrerlaubnis geschlossen wird. Die vom Antragsgegner nunmehr vertretene Auffassung, dass die weiterhin bestehenden Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers nur gem. § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 2 Ziff. 2 FeV durch ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten ausgeräumt werden können, ist daher sachgerecht. An der Vorbereitung des Gutachtens hat der Antragsgegner durch Mitteilung der zu klärenden Fragen und Übersendung der Unterlagen mitzuwirken (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV). Die Untersuchung erfolgt auf Grund eines Auftrages durch den Betr. und auf seine Kosten (§ 11 Abs. 6 Satz 2, Satz 5 FeV). ..."

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