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Verwaltungsgericht Aachen Beschluss vom 30.05.2006 - 3 L 254/06 - Zur Notwendigkeit einer mindestens einjährigen Abstinenz nach Fahrungeeignetheit wegen früheren Ecstasy-Konsums

VG Aachen v. 30.05.2006: Zum mehrfachen Konsum von Ecstasy und Speed mit der Folge der Notwendigkeit einer mindestens einjährigen Abstinenz vor der Wiedererteilung


Das Verwaltungsgericht Aachen (Beschluss vom 30.05.2006 - 3 L 254/06) hat entschieden:
Ist von einem (eingeräumten) mehrfachen Konsum von Ecstasy und Speed - beides Amphetaminderivate - über einen längeren Zeitraum auszugehen, führt dies nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung zur Ungeeignetheit im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG. Dieser Eignungsmangel besteht solange fort, bis zumindest eine einjährige durchgängige Abstinenz nachgewiesen ist, wobei den Betroffenen eine entsprechende Nachweisobliegenheit trifft.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Drogen


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Antragsgegner ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin derzeit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet ist.

Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen insbesondere dann gegeben, wenn Erkrankungen und Mängel nach der Anlage 4 der FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV ist bei der "Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis)" die Eignung oder bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gegeben. Diese Bewertung gilt gemäß Nr. 3 Satz 1 der Vorbemerkungen zur Anlage 4 FeV für den Regelfall. Die in Ziffer 9 der Anlage 4 enthaltene Differenzierung lässt ein im Interesse der Verkehrssicherheit unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Gefährdungspotentials von Betäubungsmitteln sinnvolles Stufensystem erkennen: Bei den die Fahreignung in besonderem Maße negativ beeinflussenden Substanzen, die unter das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) fallen, soll - mit Ausnahme von Cannabis, für das eine differenzierte Regelung getroffen ist - bereits die bloße Einnahme dieser Substanzen die Fahreignung für alle Fahrerlaubnisklassen im Regelfall ausschließen. Dadurch, dass der Verordnungsgeber auf den eindeutigen Begriff der Einnahme abgestellt hat, wird verhindert, dass im Einzelfall zu Lasten der Verkehrssicherheit die Fahrerlaubnisbehörde und gegebenenfalls nachfolgend die Gerichte die Wirksamkeit des jeweiligen Betäubungsmittels auf den jeweiligen Fahrerlaubnisinhaber prüfen sollen. Eine solche Vorgehensweise würde nämlich der besonderen Gefährlichkeit der unter das BtMG fallenden Betäubungsmittel und den Erfordernissen der Verkehrssicherheit nicht gerecht. Bei Einnahme von Betäubungsmitteln muss daher das Interesse des einzelnen Fahrerlaubnisinhabers, der derartige Betäubungsmittel konsumiert hat, grundsätzlich zum Schutze dritter Verkehrsteilnehmer zurückstehen.

Die Antragstellerin hat im Zuge des Strafverfahren wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln bei ihrer polizeilichen Vernehmung am 13. Mai 2005 eingeräumt, seit etwa 1,5 Jahren Speed und "Teile" (Ecstasy-Tabletten) konsumiert und zwar 1-2 mal im Monat am Wochenende 2-3 Nasen Speed "gezogen" und 3-4 Teile "eingeworfen" zu haben. Ist somit von einem (eingeräumten) mehrfachen Konsum von Ecstasy und Speed - beides Amphetaminderivate - über einen längeren Zeitraum auszugehen, führt dies nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung zur Ungeeignetheit im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG (vgl. etwa Oberverwaltungsgericht (OVG) Niedersachsen, Beschluss vom 19. November 2004 - 12 ME 404/04 -; OVG Brandenburg, Beschluss vom 22. Juli 2004 - 4 B 37/04 -, OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. März 2004 - 1 M 2/04 - (jeweils zum einmaligen Konsum von Amphetaminen); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. März 2003 - 19 B 186/03 -).

Dem steht nicht entgegen, dass der (eingeräumte) Konsum mittlerweile mehr als ein Jahr zurück liegt; die Antragstellerin will den Konsum einen Monat vor der polizeilichen Vernehmung am 13. Mai 2005 eingestellt haben. Nr. 9.5 Anlage 4 FeV enthält die Aussage, dass zur Wiedererlangung der Eignung im Regelfall eine einjährige Abstinenz nach Entgiftung und Entwöhnung erforderlich ist. Daraus kann gefolgert werden, dass - jedenfalls in aller Regel - ein festgestellter Eignungsmangel solange fortbesteht, bis zumindest eine einjährige durchgängige Abstinenz nachgewiesen ist, wobei den Betroffenen eine entsprechende Nachweisobliegenheit trifft (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Bad.-Württ.), Urteil vom 30. September 2003 - 10 S 1917/02 -; VG Meiningen, Beschluss vom 15. März 2006 - 2 E 106/06 -).

Diese Ausführungen gelten für den Regelfall. Eine kürzere Dauer der Abstinenz bzw. eines Abstinenznachweises ist für die Wiedererlangung der Kraftfahrereignung aber nur dann als ausreichend anzusehen, wenn besondere Umstände in der Person des Betroffenen (insbesondere Kompensationen der Wirkungen des Betäubungsmittelkonsums durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen, vgl. Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 FeV) gegeben sind. Im Entziehungsverfahren obliegt es grundsätzlich dem Fahrerlaubnisinhaber, das Bestehen solcher atypischen Umstände in seiner Person substantiiert darzulegen (vgl. VGH Bad.-Württ., a.a.O.).

Einen solchen Nachweis hat die Antragstellerin auch nicht ansatzweise geführt. Es finden sich nicht einmal Indizien dafür, dass derartige atypische Umstände bei ihr zum - für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung maßgeblichen - Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vorlagen. Weder ein Nachweis einzelner ärztlicher Drogenscreenings mit negativem Befund noch eine längere unbeanstandete Verkehrsteilnahme würde im Übrigen ausreichen, atypische Umstände im vorgenannten Sinne darzutun.

Vor diesem Hintergrund ist eine Drogenabstinenz der Antragstellerin bislang nicht belegt, so dass nach wie vor aufgrund des eingeräumten Drogenkonsums von der Ungeeignetheit zum Führen von Kfz auszugehen ist.

Sonstige Gründe, die eine Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht anzunehmen. Der erforderliche Ausschluss der aus der derzeitigen Ungeeignetheit der Antragstellerin zum Führen von Fahrzeugen resultierenden erheblichen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer kann nur durch eine sofort wirksame Entziehung der Fahrerlaubnis erreicht werden. Im Interesse der Gefahrenabwehr hat die Antragstellerin dabei auch etwaige Nachteile in Kauf zu nehmen, die ihr in beruflicher Hinsicht entstehen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Oktober 1998 - 2 BvQ 32/98 -, im Internet verfügbar unter www.bverfg.de). ..."



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