Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 23.06.2005 - 11 CS 05.1859 - Zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei Epilepsieverdacht

VGH München v. 23.06.2005: Zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei Epilepsieverdacht


Der VGH München (Beschluss vom 23.06.2005 - 11 CS 05.1859) hat entschieden:
Die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, wenn ein an Epilepsie leidender Fahrerlaubnisinhaber nur ein fachärztlich-neurologisches Gutachten beibringt, in dem die Frage nach der Fahrgeeignetheit weder eindeutig mit ja noch mit nein beantwortet wird und dies auf mangelnder Aufklärungsmitwirkung des Betroffenen beruht.


Siehe auch Krankheiten und Fahrerlaubnis


Zum Sachverhalt: Dem 1931 geborenen Antragsteller wurde am 19. Mai 1998 die Fahrerlaubnis der (ehemaligen) Klassen 1 und 3 wiedererteilt, nachdem sie ihm zuvor durch Bescheid des Landratsamts Schweinfurt vom 13. Februar 1997 wegen epileptischer Anfälle entzogen worden war. Unter dem 21. August 2004 teilte die Polizeiinspektion Schweinfurt-Land dem Landratsamt Schweinfurt mit, dass der Antragsteller am 16. August 2004 bei einer Fahrt auf der Bundesstraße 26 nach einem epileptischen Anfall mit seinem Pkw auf die Gegenfahrbahn geraten und entgegen der Fahrtrichtung zwischen Fahrbahn und Straßengraben zur Endstellung gekommen sei. Das Landratsamt gab dem Antragsteller daraufhin unter Bezugnahme auf diesen Vorfall und die Fahrerlaubnisentziehung vom 13. Februar 1997 durch Anordnung vom 11. November 2004 auf, ein fachärztliches Gutachten eines Arztes der Fachrichtung Neurologie oder Nervenheilkunde mit verkehrsmedizinischer Qualifikation zur Klärung der Frage beizubringen, ob er trotz Vorliegens einer nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung die Fahreignung in Frage stellenden Erkrankung (Epilepsie) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 (Fahrerlaubnisklassen 1 und 3) gerecht zu werden. Das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 29. Dezember 2004 kam abschließend zu dem Ergebnis, es lasse sich nicht mit Sicherheit ausschließen, dass der Antragsteller bei der Fahrt vom 16. August 2004 einen epileptischen Anfall erlitten habe. Die von der Behörde geäußerten Zweifel an der Fahreignung könnten somit derzeit nicht ausgeräumt werden. Den vorangehenden Ausführungen, einer ergänzenden Stellungnahme des Gutachters vom 25. Januar 2005 sowie einem Aktenvermerk über ein zwischen ihm und dem Sachbearbeiter des Landratsamts am 3. Februar 2005 geführtes Telefongespräch (Bl. 89 der Behördenakte) ist zu entnehmen, dass der Gutachter deshalb nicht zu einem eindeutigen Ergebnis kommen konnte, weil die Mitarbeit des Antragstellers bei der Aufklärung nicht ausreichend war, dieser insbesondere dem Gutachter nicht erlaubte, in einen Bericht der neurologischen Klinik des Leopoldina-Krankenhauses Schweinfurt vom 16. August 2004 Einsicht zu nehmen.


Aus den Entscheidungsgründen:

Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV liegen in der Person des Antragstellers vor. Das Landratsamt durfte nämlich trotz Vorlage des fachärztlichen Gutachtens des Dr. L. vom 29. Dezember 2004 samt Ergänzung vom 25. Januar 2005 durch den Antragsteller gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf dessen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen. Nach dieser Vorschrift darf ein solcher Schluss gezogen werden, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Diese Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht zu § 15 b StVZO a.F. entwickelt; sie sind auch bei der Anwendung der Fahrerlaubnis-Verordnung zu beachten (vgl. BVerwG vom 9.6.2005 Az. 3 C 21/04 DVBl 2005, 1333; vom 9.6.2005 Az. 3 C 25/04 DVBl 2005, 1337 je m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist die Berechtigung der Gutachtensanordnung vom 11. November 2004 in der Beschwerdebegründung nicht in Abrede gestellt worden; sie steht davon abgesehen auch außer Frage. Der Antragsteller ist in dieser Gutachtensanordnung außerdem auf die Folgen einer Weigerung, sich untersuchen zu lassen, oder einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens hingewiesen worden (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV). Angegriffen wird mit der Beschwerde allein die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe nicht das von ihm "geforderte" Gutachten beigebracht. Diese Feststellung trifft indessen auch nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs zu. Mit der Gutachtensanordnung vom 11. November 2004 wurde vom Antragsteller nicht die Vorlage des Gutachtens eines Facharztes für Neurologie oder Nervenheilkunde beliebigen Inhalts verlangt. Vielmehr sollte, wie dem Antragsteller in der Anordnung vom 11. November 2004 ausdrücklich mitgeteilt wurde, durch das Gutachten die Frage geklärt werden, ob er trotz des Vorliegens einer nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung die Fahreignung in Frage stellenden Erkrankung (Epilepsie) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden. Ein diese Frage bejahendes oder verneinendes Facharztgutachten hat der Antragsteller nicht beigebracht. Der Gutachter konnte nämlich nach eigenem Bekunden wegen unzureichender Mitwirkung des Antragstellers, insbesondere wegen dessen Weigerung, den Gutachter Einsicht in anderweitig angefallene Krankenunterlagen nehmen zu lassen, die Frage der Fahreignung des Antragstellers nicht eindeutig beantworten.

Der in der Beschwerdebegründung vorgebrachte Einwand, dass die Forderung, andere Ärzte von ihrer gesetzlichen Schweigepflicht zu entbinden, in der Verfügung vom 11. November 2004 nicht erhoben worden sei, greift nicht durch. Die Anordnung, ein Gutachten über die wegen einer Erkrankung nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung Zweifeln unterliegende Fahreignung beizubringen, schließt die Forderung ein, an der Klärung der Fahreignung soweit notwendig und möglich mitzuwirken, insbesondere zweckdienliche Angaben zu der in Rede stehenden Erkrankung zu machen, sich erforderlichen Untersuchungen zu unterziehen und sonstige für die Fragestellung aussagekräftige Unterlagen gegebenenfalls durch Entbindung anderer Ärzte von der gesetzlichen Schweigepflicht beizubringen.

Die Nichtvorlage eines die gestellte Frage gleichviel in welchem Sinn beantwortenden Gutachtens berechtigt die Fahrerlaubnisbehörde, ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 FeV die mangelnde Fahreignung des Betroffenen zugrunde zu legen, nach den in der Rechtsprechung zu § 15 b StVZO aufgestellten, aber auch für die neue Rechtslage geltenden Grundsätzen freilich nur dann, wenn sie ohne ausreichenden Grund erfolgt (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38 Aufl. 2005, RdNr. 22 zu § 11 FeV). Davon ist hier auszugehen. Dem Gutachter die Einsichtnahme in anderweitig angefallene Krankenunterlagen und damit eine sichere Beurteilung seiner Fahreignung zu ermöglichen, wäre dem Antragsteller zumutbar gewesen. Dieser kann sich für seine gegenteilige Auffassung nicht wie bei der Vorsprache beim Landratsamt am 21. Februar 2005 (vgl. Behördenakt Bl. 93) auf sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung berufen. Ebenso wenig kann er in diesem Zusammenhang mit Erfolg geltend machen, dass die Forderung, andere Ärzte von ihrer gesetzlichen Schweigepflicht zu entbinden, jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehre. Ein Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. hierzu BVerfG vom 15.12.1983 BVerfGE 65, 1) scheidet hier schon deshalb aus, weil mit einer Gutachtensanordnung gemäß § 11 Abs. 2 FeV kein Zwang ausgeübt wird, das geforderte Gutachten vorzulegen oder zu seiner Erstellung notwendige Informationen preiszugeben (vgl. zum ähnlichen Problem der auf eine Aussageverweigerung hin ergehenden Anordnung eines Fahrtenbuchs BVerwG vom 11.8.1999 NZV 2000, 385). Dass nach § 11 Abs. 8 FeV von einer diesbezüglichen Weigerung auf die mangelnde Fahreignung des Betroffenen geschlossen werden darf, lässt dessen Recht, die verlangte Mitwirkung an der Klärung seiner Fahreignung zu versagen, unberührt und ist deshalb unter dem Blickwinkel des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung unbedenklich. Da es hier nach dem Gesagten schon an einem Eingriff in dieses verfassungsrechtlich gewährleistete Recht fehlt, bedarf es auch nicht hinsichtlich jeder einzelnen für die Erfüllung einer Gutachtensanordnung nach § 11 Abs. 2 FeV notwendigen Mitwirkungshandlung des Betroffenen einer besonderen gesetzlichen Anordnungsgrundlage. Eine allgemeine gesetzliche Regelung für die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens liegt im Übrigen in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4, 7 und 8 StVG, § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 FeV vor.

Dementsprechend hat das OVG Hamburg mit Beschluss vom 27. August 2003 (DAR 2004, 411 = ZfS 2004, 289) entschieden, dass es der Weigerung im Sinn des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV, ein Gutachten beizubringen, gleichstehe, wenn der Betroffene die rechtmäßig angeordnete Überprüfung der Fahreignung durch Versagung seiner notwendigen und zumutbaren Mitwirkung (im entschiedenen Fall die zur Klärung des Cannabiskonsums erforderliche Haaranalyse durch Kürzung des Haupthaars) verhindert.

erwiesen sein muss und bei Unaufklärbarkeit die materielle Beweislast die Behörde trifft. Nicht zu folgen ist jedoch seiner Auffassung, dass es hier an der erstgenannten Voraussetzung fehle und deshalb die zuletzt angeführte Beweislastregelung zum Zuge komme. Nach § 11 Abs. 8 FeV darf die Behörde unter den dort bestimmten Voraussetzungen auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der durch diese Vorschrift zugelassene Schluss auf die Nichteignung steht dem Beweis der Nichteignung gleich. Da die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV, wie vorstehend dargelegt wurde, hier gegeben sind, kann folglich davon ausgegangen werden, dass sich der Antragsteller im Sinn des § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und des § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Eine für eine Beweislastentscheidung Raum bietende Unaufklärbarkeit liegt somit nicht vor. ..."



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