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OVG Koblenz Beschluss vom 12.05.2003 - 7 B 10649/03 - Zum Vertrauensschutz nach einer Erteilung einer Fahrerlaubnis trotz an sich gegebenen MPU-Erfordernisses

OVG Koblenz v. 12.05.2003: Zum Vertrauensschutz nach einer Erteilung einer Fahrerlaubnis trotz an sich gegebenen MPU-Erfordernisses


Das OVG Koblenz (Beschluss vom 12.05.2003 - 7 B 10649/03) - hat die nachträgliche Anordnung einer MPU sowie die bei deren Verweigerung folgende Entziehung der Fahrerlaubnis für rechtswidrig erklärt, sofern der erteilenden Behörde bei der Erteilung alle Tatsachen bekannt waren bzw. hätten bekannt sein müssen, die eine vorherige positive MPU erforderlich gemacht hätten:
Die nachträgliche Anordnung einer MPU sowie die bei deren Verweigerung folgende Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtswidrig, sofern der erteilenden Behörde bei der Erteilung alle Tatsachen bekannt waren bzw. hätten bekannt sein müssen, die eine vorherige positive MPU erforderlich gemacht hätten.


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Aus den Entscheidungsgründen:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers in Gestalt der am 3. Dezember 2002 ausgestellten vorläufigen Fahrberechtigung durch Entscheidung vom 26. Februar 2003 anordnen müssen.

Anders als dieses kommt der Senat nämlich zu dem Ergebnis, dass sie in § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV - keine Rechtsgrundlage findet. Von daher überwiegt das private Interesse des Antragstellers daran, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entscheidung. Es trifft zwar zu, dass der Antragsteller sich auch im Zeitpunkt der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis noch "wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss" entgegenhalten lassen musste, mithin die Voraussetzungen des § 13 Nr. 2 b FeV für die Anordnung, zur Klärung der daraus folgenden Eignungszweifel ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, damals vorgelegen haben.

Denn einer Tilgung der mit dem Bußgeldbescheid geahndeten alkoholbedingten Ordnungswidrigkeit nach Ablauf der Zweijahresfrist am 16. Mai 2002 stand nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis entgegen, die das Amtsgericht ... mit Beschluss vom 25. April 2002 wegen der Trunkenheitsfahrt am 2. März 2002 verfügt hatte und die gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 2 StVG im Verkehrszentralregister einzutragen ist. Deshalb - nicht aber wegen der sog. Überliegefrist des § 29 Abs. 7 StVG, die lediglich verwaltungspraktische Bedeutung hat (vgl. die Begründung zu Abs. 7 der Neufassung, Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 29 StVG/Rn 1d), die materiell-rechtlich Wirkung der Tilgungsreife dagegen nicht suspendiert - unterlag jene Auffälligkeit bei Erlass des Strafbefehls vom 3. Juni 2002 keinem Verwertungsverbot, worauf auch die Kreisverwaltung den Antragsteller bereits in Ihrem Schreiben vom 30. Januar 2002 zutreffend hingewiesen hat.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Fahrerlaubnis vorliegend indessen wiedererteilt, ohne die vorherige Beibringung eines Gutachtens anzuordnen; das ist zwar rechtsfehlerhaft gewesen, gestattet aber nicht eine Entziehung dieser Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG.

Als Spezialvorschrift kommt diese Bestimmung nach der Rechtsprechung des Senats, auf die sich auch das Verwaltungsgericht bezogen hat, nur bei - allerdings auch ursprünglichen, d.h. schon bei der Erteilung bestehenden - Eignungsmängeln zur Anwendung, während sonstigen Rechtsmängeln bei der Erteilung der Fahrerlaubnis durch die Bestimmung über die Rücknahme rechtswidriger Erlaubnisse (jetzt: § 1 Abs. 1 LVwVfG i.V. mit § 48 BVwVfG) Rechnung zu tragen ist (Beschluss vom 17. Juli 1996 - 7 B 11349/96.OVG - m.w.N.). Eine erwiesene Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG besteht hier nicht, insbesondere liegt keiner der in § 46 Abs. 1 FeV angeführten Eignungsmängel vor.

Die mangelnde Eignung kann aber auch nicht aufgrund der § 46 Abs. 3 i.V. mit § 11 Abs. 8 FeV daraus geschlossen werden, dass der Antragsteller der - nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ergangenen - Anordnung vom 7. Januar 2003, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, nicht Folge geleistet hat.

Wie der Senat entschieden hat, können Bedenken an der Fahreignung nicht ausschließlich auf Tatsachen gestützt werden, die bereits bei Erteilung der Fahrerlaubnis vorgelegen haben. In seinem Beschluss vom 1. Dezember 1997 - 7 B 12711/97.OVG - hat er dazu ausgeführt:
"Zwar ist bei der von der Straßenverkehrsbehörde vorzunehmenden umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers nach dem Maßstab seiner Gefährlichkeit für den Straßenverkehr die Prüfung nicht auf die nach der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eingetretenen Umstände beschränkt. Vielmehr sind auch frühere Verkehrsverfehlungen - im Rahmen der Rechtsvorschriften - für die Prognose der Fahreignung weiterhin von Bedeutung. Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes verlangt es aber, dass eine erneute Bewertung der Fahreignung nach vorangegangener Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht ohne erheblichen Anlass erfolgt.

Hat die Straßenverkehrsbehörde dem Kraftfahrer im Rahmen des rechtlich Vertretbaren einen "Vertrauensvorschuss" in Form der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eingeräumt, so darf sie sich hierzu in der Folgezeit nicht in Widerspruch setzen und die auch früher schon bekannten Umstände nunmehr lediglich einer anderen Würdigung unterziehen.

.... Eine abweichende Bewertung der Fahreignung und die Geltendmachung von Zweifeln ist deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn sich nach der Wiedererteilung gewichtige neue Umstände ergeben haben."
Daran ist festzuhalten. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Anordnung, wegen der vor der Wiedererteilung liegenden alkoholbedingten Verkehrsauffälligkeiten ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, nicht gerechtfertigt war und ihre Nichtbefolgung dementsprechend auch nicht den Schluss auf die Nichteignung des Antragstellers zuließ.

Dass die Antragsgegnerin bei der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach Ablauf der vom Strafgericht verhängten Sperrfrist von der Ordnungswidrigkeit keine Kenntnis hatte, weil die von ihr anzufordernde Auskunft aus dem Verkehrszentralregister (§ 22 Abs. 2 Satz 2 FeV) noch nicht vorlag, ändert insoweit nichts, da dieser Umstand in der ihr zuzurechnenden Sphäre liegt.

Ob vorliegend eine danach allein in Betracht kommende Rücknahme der unter Verstoß gegen § 13 Abs. 2 b FeV erteilten Fahrerlaubnis erfolgen könnte, mag dahinstehen. Eine Umdeutung der auf § 3 Abs. 1 StVG gestützten gebundenen Entscheidung vom 26. Februar 2003 in eine solche Rücknahme verbietet sich schon deshalb, weil diese in das Ermessen der Behörde gestellt ist und die Umstände des Falles nicht so eindeutig sind, dass seine Ausübung wegen einer Ermessensreduzierung auf Null nur eine einzige rechtmäßige Entscheidung zuließe.


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