Das Verkehrslexikon

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Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 07.06.2005 - 2 BvR 401/05 - Zum Beschleunigungsgebot bei Verfahren mit vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis

BVerfG v. 07.06.2005: Zum Beschleunigungsgebot bei Verfahren mit vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis


Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 07.06.2005 - 2 BvR 401/05) hat entschieden:
Ermittlungsverfahren, in denen eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet wurde, sind daher mit besonderer Beschleunigung zu führen. Durch eine effektive Verfahrensgestaltung ist eine rasche Klärung der Dauerhaftigkeit des Ausschlusses vom Straßenverkehr zu gewährleisten und - mit Rücksicht auf die Unschuldsvermutung - der Gefahr eines übermäßigen "Vorwegvollzuges" der Maßregel vor der erstinstanzlichen tatrichterlichen Entscheidung zu begegnen.


Siehe auch Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Bürger hat aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle von Maßnahmen der öffentlichen Gewalt. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet zumal auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 88, 118 <124>).

Auch das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes erfordert die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 63, 45 <69>; BVerfGK 1, 269 <278 ff.>).

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO ist eine Präventivmaßnahme, die der Allgemeinheit Schutz vor weiteren Verkehrsstraftaten gewähren soll (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2000 - 2 BvQ 30/00 -, NJW 2001, S. 357 ). Strafprozessuale Grundrechtseingriffe wie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis müssen auch im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Dieser Grundsatz setzt staatlichen Eingriffen Grenzen, die insbesondere auch durch Abwägung der in Betracht kommenden Interessen zu ermitteln sind. Führt die Abwägung zu dem Ergebnis, dass die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen im konkreten Fall ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll, so verletzt der gleichwohl erfolgte Eingriff den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 44, 353 <373>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2000 - 2 BvQ 30/00 -, a.a.O.).

Auch wenn die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht schematisch mit dem Überschreiten einer bestimmten Verfahrensdauer begründet werden kann, sondern bei der Entscheidung gemäß § 111 a Abs. 2 StPO die Sicherheitsbelange der Allgemeinheit und die weiteren Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gründe des eingetretenen Zeitablaufs, in den Blick zu nehmen sind, erlangt mit zunehmender Verfahrensdauer nicht nur die Frage an Bedeutung, ob der Maßregelzweck bereits durch die vorläufige Entziehung erreicht wurde und daher ein Fortbestehen des Eignungsmangels nicht anzunehmen ist (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 111 a Rn. 9 m.w.N.). Bei der vorzunehmenden Abwägung gewinnen in diesen Fällen das Beschleunigungsgebot und die Unschuldsvermutung als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 74, 358 <371>) immer größeres Gewicht (vgl. ähnlich zur Untersuchungshaft BVerfGE 53, 152 <158 f., 162>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. September 2001 - 2 BvR 1316/01 -, NJW 2002, S. 207 <208>).

Ermittlungsverfahren, in denen eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet wurde, sind daher mit besonderer Beschleunigung zu führen. Durch eine effektive Verfahrensgestaltung ist eine rasche Klärung der Dauerhaftigkeit des Ausschlusses vom Straßenverkehr zu gewährleisten und - mit Rücksicht auf die Unschuldsvermutung - der Gefahr eines übermäßigen "Vorwegvollzuges" der Maßregel vor der erstinstanzlichen tatrichterlichen Entscheidung zu begegnen.

2. Zwar ist im vorliegenden Verfahren auf der Grundlage des Vorbringens der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich, weshalb die vom Amtsgericht Schwalmstadt am 13. Dezember 2004 und 1. März 2005 angeordneten Beweiserhebungen nicht bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt hätten vorgenommen werden können, wie dies die Beschwerdeführerin sogar angeregt hatte. Auch wenn deshalb die Annahme einer vermeidbaren Verfahrensverzögerung nahe liegt, erweisen sich die angegriffenen Entscheidungen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten doch als noch vertretbar. Mit Blick auf die Stärke des vom Landgericht eingehend erörterten Tatverdachts, die erlittenen Verletzungen des Geschädigten und die angenommene voraussichtliche Dauer des Führerscheinentzugs ist es unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten noch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Fortdauer des vorläufigen Führerscheinentzugs mit Rücksicht auf die Sicherheitsbelange der Allgemeinheit anordnete. ..."



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