Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Bamberg Beschluss vom 17.03.2008 - 2 Ss OWi 265/08 - Teilnahme an einem Aufbauseminar rechtfertigt für sich allein nicht das Absehen vom Regelfahrverbot OLG Bamberg v. 17.03.2008: Teilnahme an einem Aufbauseminar rechtfertigt für sich allein nicht das Absehen vom Regelfahrverbot

Das OLG Bamberg (Beschluss vom 17.03.2008 - 2 Ss OWi 265/08) hat entschieden:
  1. Die Teilnahme des Betroffenen an einem Aufbauseminar für Kraftfahrer rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht das Absehen von einem verwirkten Regelfahrverbot.

  2. Eine Ausnahme kann im Einzelfall nur dann gerechtfertigt sein, wenn neben dem Seminarbesuch eine Vielzahl anderer zu Gunsten des Betroffenen sprechender Gesichtspunkte im Rahmen einer wertenden Gesamtschau durch den Tatrichter festgestellt werden können.

Siehe auch Stichwörter zum Thema Fahrverbot


Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 14.08.2007 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h schuldig gesprochen und gegen ihn eine Geldbuße von 150 Euro verhängt; von dem im Bußgeldbescheid vom 17.11.2006 angeordneten Fahrverbot von einem Monat wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG im Regelfall gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV hat es demgegenüber abgesehen.

Der Entscheidung liegt nach den Feststellungen folgender Sachverhalt zugrunde:
„Am 16.11.2006 gegen 11.21 Uhr befuhr der Betroffene als Führer des PKW Audi in F. die B 2 in Richtung A. Bei km 29,5 überschritt er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 31 km/h. Die festgestellte Geschwindigkeit abzüglich Messtoleranz von 3 km/h belief sich auf 91 km/h.“
Zur Vorahndungssituation des Betroffenen hat das Amtsgericht drei Eintragungen festgestellt:

  • Am 09.06.2004 hielt der Betroffene den erforderlichen Abstand nicht ein, dieser betrug weniger als 4/10 des halben Tachowertes. Er wurde deshalb zu einer Geldbuße von 75 Euro verurteilt, Rechtskraft trat am 16.09.2004 ein.

  • Am 30.06.2005 überschritt der Betroffen die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 30 km/h, wofür er mit einer Geldbuße von 60 Euro geahndet wurde, Rechtskraft trat am 05.01.2006 ein.

  • Am 25.03.2006 kam es zur Unterschreitung des erforderlichen Abstands um weniger als 4/10 des halben Tachowertes, was mit einer Geldbuße von 50 Euro sanktioniert wurde. Rechtskraft trat hier am 29.06.2006 ein.
Zur Begründung seiner Rechtsfolgenentscheidung, insbesondere zum Absehen von einem Fahrverbot, führt das Amtsgericht aus:
„Das Gericht hat davon abgesehen, gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ein Fahrverbot anzuordnen; denn der Betroffene hat freiwillig an der Nachschulung ‚Mobil Plus’ des TÜV Süd teilgenommen und 6 Sitzungen absolviert. Er hat eine Teilnahmebestätigung über diese verkehrspsychologische Maßnahme vorgelegt und für die Teilnahme am Kurs aus eigner Tasche 565 € Kursgebühr bezahlt.

Das Gericht sieht daher die Sanktionsziele des Regelfahrverbots gemäß § 4 Abs. 2 BKatV als bereits erreicht an. Es besteht hinreichender Grund für die Annahme, dass der Betroffene sein Fahrverhalten durch die Teilnahme an der verkehrspsychologischen Intensivberatung nunmehr nachhaltig ändern wird und es daher keiner weiteren Einwirkung durch ein Fahrverbot bedarf.“
2. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde rügte die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet, dass das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbots wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG trotz eines Regelfahrverbots abgesehen hat und vom Amtsgericht allein die Nachschulung als ausreichend angesehen wurde, um kein Fahrverbot mehr zu verhängen.

Das Rechtsmittel hatte - vorläufig - Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde, die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, hat in der Sache Erfolg.

1. Das Amtsgericht hat zutreffend erkannt, dass auf Grund der getroffenen Feststellungen zu den nach §§ 28, 29 StVG verwertbaren Vorahndungen hier hinsichtlich des Fahrverbots ein Regelfall des §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV vorlag. Nach der Verhängung einer Geldbuße wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h mit Rechtskraft vom 05.01.2006 hat der Betroffene mit der vorliegenden Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h am 16.10.2006 innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Vorahndung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung vom mindestens 26 km/h begangen.

Allerdings hält die Auffassung des Amtsgerichts, von einer die Verhängung eines Fahrverbots begründenden beharrlichen Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers sei allein im Hinblick auf den Besuch des Aufbauseminars nicht mehr auszugehen, rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Zwar folgt aus § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV nicht, dass ausnahmslos ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG NJW 1996, 1809/1810). Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb grundsätzlich nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. Der Tatrichter hat innerhalb des ihm eingeräumten Bewertungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen.

2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben vermag der vom Tatrichter festgestellte Besuch von sechs Sitzungen eines Aufbauseminars für sich allein betrachtet ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Ausnahme vom Regelfall nicht zu begründen.

a) Es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, die Teilnahme an einem Aufbauseminar mache für sich allein betrachtet bereits die Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots überflüssig. Zielrichtung und Intensität des Fahrverbots sind mit denen eines Aufbauseminars nicht vergleichbar; beide verfolgen ganz unterschiedliche Zwecke. Durch das Fahrverbot soll dem Betroffenen zum einen seine Verfehlung deutlich vor Augen geführt werden. Zum anderen soll er nochmals ausdrücklich zur Beachtung der Verkehrsvorschriften angehalten werden. Der Verordnungsgeber hält es daher für erforderlich, bei einem Versagen, das deutlich über den üblichen nur bußgeldbewehrten Verfehlungen liegt, eindringlich auf den Täter dort einzuwirken, wo er gefehlt hat, nämlich bei der Ausübung seiner Berechtigung zur Führung eines Kfz. In diesem Bereich ist durch das Regelfahrverbot mit seiner Erziehungs- und Denkzettelfunktion ein Einschnitt gerade in die persönliche Handlungsfreiheit bezweckt (vgl. BayObLGSt 1994, 118). Demgegenüber ist das Ziel eines Aufbauseminars für Kraftfahrer die Löschung von Punkten im Verkehrszentralregister gem. § 4 Abs. 4 und 8 StVG. Das Amtsgericht hat auch ausdrücklich festgestellt, dass sich das vom Betroffenen besuchte Seminar vom Umfang her lediglich auf sechs Sitzungen bezog. Ein derartiges Seminar beschränkt somit die persönliche Freiheit des Betroffenen offensichtlich in ungleich geringerem Ausmaß als ein zu verhängendes Fahrverbot (BayObLG NZV 1996, 374; DAR 1999, 221/222). Hinzu kommt, dass es sich bei dem Aufbauseminar um eine Veranstaltung handelt, bei der – außer der finanziellen Aufwendungen - keinerlei Leistungen in Form von Prüfungs- oder Erfolgsnachweisen zu erbringen sind. An diesem Ungleichgewicht von Fahrverbot und Aufbauseminar vermag auch der Umstand, dass der Betroffene die Kosten der Schulung in Höhe von 565 Euro zu tragen hat, nichts zu ändern. Andernfalls würde derjenige, der finanziell nicht in der Lage ist, die nicht unerheblichen Mittel für ein derartiges Seminar aufzubringen, gegenüber den finanziell Bessergestellten benachteiligt.

b) Im übrigen liegt es auf der Hand, dass das Bild der Tat durch einen erst nachträglich eintretenden Umstand nicht zugunsten des Betroffenen verändert werden kann. Der verfahrensgegenständliche Verkehrsverstoß stellt sich damit nach wie vor als Regelfall einer beharrlichen Pflichtverletzung dar. Die freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar mag insoweit zwar als Zeichen von Einsicht und Reue gewertet werden. Sie rechtfertigt aber für sich allein betrachtet grundsätzlich nicht die Annahme, es bedürfe nicht mehr der Einwirkung durch ein Regelfahrverbot. Diese Gesichtspunkte sind daher für sich betrachtet grundsätzlich nicht geeignet, einen Ausnahmefall zu begründen (BayObLG NZV 1996, 374; DAR 1999, 221/222; OLG Düsseldorf, VRS 93, 226; AG Celle ZfS 2001, 520/521; Hentschel Straßenverkehrsrecht 39. Aufl. § 25 StVG Rn. 25).

c) Damit schließt der Senat nicht aus, dass im Einzelfall auf Grund der Teilnahme an einem Aufbauseminar von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann. Dies ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn neben dem Seminarbesuch zusätzlich eine Vielzahl anderer, vom Tatgericht festzustellender Gesichtspunkte zugunsten des Täters sprechen (OLG Bamberg, Beschluss vom 27.12.2006, 2 Ss OWi 1601/06; BayObLG, NZV 1995, 79; DAR 1999, 221), die in einer wertenden Gesamtbetrachtung gewürdigt werden können. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nach den Feststellungen des Amtsgerichts erkennbar nicht vor.

Zugunsten des Betroffenen ist nach den Urteilsfeststellungen hier lediglich noch sein Geständnis zu berücksichtigen. Dieses kann jedoch die Annahme eines Ausnahmefalls ebenfalls nicht stützen (BayObLG NZV 1996, 374; DAR 1999, 221/222; OLG Düsseldorf, VRS 93, 226), weil andererseits gravierende Umstände gegen den Betroffenen sprechen. Der Betroffene ist innerhalb von nur zwei Jahren unter Berücksichtigung der verfahrensgegenständlichen Tat in vier Fällen, nämlich durch zwei Abstandsunterschreitungen und zwei erhebliche Geschwindigkeitsverstöße mit 30 und 31 km/h in Erscheinung getreten. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung dieses Ausmaßes führt in dem jeweiligen Bußgeldbescheid regelmäßig zu dem Hinweis, dass bei erneuter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mindestens 26 km/h innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft ein Fahrverbot verhängt werde. Auch diese Warnungen hat der Betroffene nicht beachtet. Dies alles hat das Amtsgericht nicht in seine Erwägungen zur Verhängung eines Fahrverbots einbezogen. Auch die von der Verteidigung zu Gunsten des Betroffenen angeführten tatrichterlichen Einzelfallentscheidungen (u.a. AG Essen, DAR 2006, 344; AG Rendsburg NZV 2006, 611) bezogen sich auf Fallgestaltungen, bei denen zur Begründung eines Ausnahmefalls neben dem Besuch eines Aufbauseminars jeweils weitere Gesichtspunkte herangezogen wurden. Dazu zählten neben dem Geständnis insbesondere fehlende oder lange zurückliegende Vorahndungen, bestimmte konkrete Verkehrssituationen bzw. sie betrafen Fahrverbote außerhalb eines Regelfalls nach § 4 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Satz 2 BKatV.

III.

Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch sowie in der Kostenentscheidung aufzuheben. Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO).

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Fürstenfeldbruck zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, da in der neuen Verhandlung gegebenenfalls Feststellungen zu der Frage getroffen werden können, ob schon ein einmonatiges Fahrverbot für den Betroffenen - insbesondere auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG - eine unverhältnismäßige Härte darstellt. ..."