Das Verkehrslexikon
OLG Köln Urteil vom 08.11.1989 - 13 U 130/89 - Der Anscheinsbeweis spricht gegen den Kfz-Führer, der auf der Autobahn auf den Grünstreifen oder auf die Gegenfahrbahn gerät
Der Anscheinsbeweis spricht gegen den Kfz-Führer, der auf der Autobahn auf den Grünstreifen oder auf die Gegenfahrbahn gerät
Gegen den Führer eines Fahrzeugs, welches auf der Autobahn auf den Grünstreifen oder gar auf die Gegenfahrbahn gerät, ist der Anscheinsbeweis anwendbar (OLG Frankfurt VR 1978, 828; OLG Köln VR 1990, 390).
So hat beispielsweise bereits das OLG Köln (Urteil vom 08.11.1989 - 13 U 130/89) - allerdings nicht für die Autobahn - entschieden:
- Kommt ein Fahrer von einer übersichtlichen Fahrbahn ab, so spricht der Anscheinsbeweis für Verschulden, wenn kein Versagen technischer Einrichtungen oder fehlerhafte Fahrweise eines anderen in Betracht kommt.
- Beruft sich der Kraftfahrer darauf, dass ein vom Regelfall abweichender Geschehensablauf vorgelegen habe, weil er habe niesen müssen und deshalb von der Fahrbahn abgekommen sei, ist er für dieses Vorbringen beweispflichtig.
- Wenn auch zum Nachweis grober Fahrlässigkeit die Regeln des Anscheinsbeweises nicht anwendbar sind, kann doch aus äußeren Beweisanzeichen auf bestimmte innere Tatsachen und Vorgänge geschlossen werden.
Gründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Der Beklagte haftet der Klägerin für den an dem gemieteten Lastkraftwagen entstandenen Schaden, obwohl die Parteien vereinbart haben, dass durch Zahlung eines besonderen Entgelts die Haftung des Mieters ausgeschlossen sein sollte. Der Haftungsausschluss tritt nämlich dann nicht ein, wenn der Mieter den Schaden durch grobes Verschulden herbeigeführt hat. Die Klägerin hat den Beweis geführt, dass der Beklagte den Verkehrsunfall, bei dem der Schaden entstanden ist, zumindest durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat.
Ein grob fahrlässiges Fehlverhalten des Beklagten liegt hier allerdings nicht schon darin, dass er die vorgeschriebene Geschwindigkeit Überschritten hat. Die Geschwindigkeitsbegrenzung war eine Regelung, die einen Baustellenbereich betraf, der noch nicht begonnen hatte. Dem Schutz eines auf dem Gehweg geparkten Fahrzeugs sollte die Regelung nicht dienen.
Das grob fahrlässige Fehlverhalten liegt aber darin, dass der Beklagte grundlos in einer weiten Rechtskurve nach rechts von der Fahrbahn abkam, auf den Bürgersteig geriet und dort einen auf dem Bürgersteig abgestellten Pkw beschädigte, wobei am Lkw im vorderen Bereich und am hinteren Unterfahrschutz Schaden entstand. Nach den Regeln des Anscheinsbeweises trifft den Beklagten an dem Unfall ein Verschulden, denn es ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Fahrers spricht, wenn dieser vom Fahrstreifen abkommt.
Kommt ein Fahrer von einer übersichtlichen Fahrbahn ab (OLG Köln VR 66, 769; BAG NJW 1967, 269) oder gerät ein Kraftfahrer auf den Autobahn-Grünstreifen (OLG Köln VR 66, 530) oder die Gegenfahrbahn, so spricht der Anscheinsbeweis für Schuld, wenn kein Versagen technischer Einrichtungen oder fehlerhafte Fahrweise eines anderen als Ursache in Betracht kommt (BGH VR 67, 557); es sei denn das Abkommen von der Fahrbahn beruht auf besonderen erwiesenen Umständen (Thomas-Putzo, § 286 Anm. 4a; VR 66, 278, 769). Der Anschein spricht gegen den, der auf übersichtlicher Straße bei Normalwetter und -sicht von der Fahrbahn abkommt (BGH VR 67, 882; weitere Nachweise bei Jagusch/Hentschel, 28.Aufl. § 7 StVG Rn.49 ff.). Der Anschein spricht gegen den von gerader oder gekrümmter Fahrbahn Abkommenden (VR 84. 130: 1185; DAR 75. 331). Bei Abkommen von der Fahrbahn spricht der Anscheinsbeweis für Schuld, jedoch nicht auch für grobe Fahrlässigkeit (VRS 57, 86).
Der Beklagte kam in einer Rechtskurve auf sehr breiter Straße ohne Gegenverkehr bei mäßiger Geschwindigkeit nach rechts von der Fahrbahn ab. Daraus folgt zunächst nach der einhelligen Rechtsprechung, dass der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Beklagten spricht. Soweit er sich darauf beruft, dass ein vom Regelfall abweichender Geschehensablauf vorgelegen habe, ist der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig. Das Landgericht hat insoweit die Beweislast nicht zutreffend gesehen. Dieser abweichende Geschehensablauf soll hier darin gelegen haben, dass der Beklagte heftig niesen musste. Den Beweis hierfür hat der Beklagte jedoch nicht geführt. Eine Parteivernehmung nach § 447 ZPO scheiterte am Widerspruch der Klägerin; eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO kam nicht in Betracht, weil das Ergebnis der Verhandlung nicht ausreichte, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Behauptung des Beklagten zu erbringen.
Da also nicht bewiesen ist, dass der Beklagte niesen musste, spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Beklagte infolge Unaufmerksamkeit oder infolge eines Fahrfehlers von der Fahrbahn abgekommen ist. Generell spricht dies alleine noch nicht für grobe Fahrlässigkeit. Diese kann jedoch aus den Gesamtumständen hergeleitet werden.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in hohem Maße außer acht lässt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten muss. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei grober Fahrlässigkeit um ein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, welches das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt (vgl. OLG Köln, VersR 1989, 952 m.w.N.). Die Beurteilung dieser Frage hängt maßgeblich von inneren Vorgängen und Willensentscheidungen ab, die der äußeren Wahrnehmung in der Regel entzogen sind. Dies kann es im Einzelfall schwierig machen, hinsichtlich der subjektiven Seite eine grobe Fahrlässigkeit nachzuweisen, zumal insoweit die Regeln des Anscheinsbeweises nicht anwendbar sind (h.M., vgl. OLG Köln, a.a.O.). In solchen Fällen ist es zulässig und erforderlich, aus äußerem Verhalten und äußeren Beweisanzeichen auf bestimmte innere Tatsachen und Vorgänge zu schließen, da sonst der tatrichterlichen Erkenntnis subjektiver Tatbestände in vieler Hinsicht lähmende Beschränkungen auferlegt würden (BGH VersR 1972, 944, 945; 1974, 593, 594). Die Annahme auch grober Fahrlässigkeit auf Grund äußerer Beweisanzeichen ist allerdings dann nicht begründet, wenn die praktische Möglichkeit eines den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht rechtfertigenden Verlaufs besteht.
Hier sprechen alle Anzeichen für ein unentschuldbares Fehlverhalten des Beklagten, dafür, dass er den Unfall entweder vorsätzlich herbeiführte oder geradezu blindlings gefahren ist, als er gegen die Fliehkraft in einer Rechtskurve nach rechts von der Fahrbahn abkam, ohne die Fahrtrichtung rechtzeitig zu korrigieren, was ohne weiteres möglich gewesen wäre.
Der Beklagte befuhr eine Rechtskurve mit erheblichem Abstand zum Fahrbahnrand und kam nach rechts von der Fahrbahn ab. Dazu kann es nur kommen, wenn das Fahrzeug viel zu weit nach rechts gesteuert wird. Dies ist ein willentliches Verhalten. Hier hat der Beklagte mit Kraft und Vorsatz nach rechts gelenkt. Selbst wenn er dabei die Auswirkung seines Lenkverhaltens anfangs falsch eingeschätzt haben sollte, hätte er bei Einhaltung des von ihm behaupteten weiten seitlichen Abstandes zum rechten Fahrbahnrand die Richtung mühelos korrigieren können, eben weil das Fahrzeug - der Fliehkraft folgend - die Richtung nach links geändert hätte, wenn der Beklagte die Kraft auf das Lenkrad zurückgenommen hätte. Daraus ergibt sich, dass der Beklagte - wenn nicht in voller Absicht - dann doch infolge eines jede Sorgfalt missachtenden Fehlverhaltens nach rechts gesteuert und diese Fahrtrichtung trotz des drohenden Zusammenstoßes mit dem geparkten PKW viel zu spät korrigiert hat. Darin liegt zumindest eine Sorglosigkeit, die das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt.
Für die praktische Möglichkeit eines den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht rechtfertigenden Verlaufs ist kein Anhaltspunkt ersichtlich.
Anlass zu weiterer Sachaufklärung, die der Beklagte im nachgelassenen Schriftsatz vom 11.10.89 begehrt, besteht nicht, zumal das Urteil nicht auf das im Ermittlungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten gestützt ist. Die Schadenshöhe ergibt sich aus dem von der Klägerin in zweiter Instanz vorgelegten Sachverständigengutachten. Darin wird zwar auf Altschäden am Fahrzeug der Klägerin hingewiesen, die Schadensberechnung erfasst jedoch nur die vom Beklagten verursachten Schäden. Dies folgt u. a. daraus, dass der Sachverständige Abzüge für eine Wertverbesserung verneint. Die Beschädigungen an der vorderer Stoßstange und am hinteren Unterfahrschutz sind ebenfalls unfallbedingt. Zwar lassen sich nach dem in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten diese Schäden an Hand der Lichtbilder nicht zweifelsfrei dem Unfall zuordnen, sie sind jedoch möglich und ohne weiteres erklärbar. Auch hier streitet für die Klägerin ein Anscheinsbeweis.
Der Schadensersatzanspruch der Klägerin beträgt danach insgesamt 12.754,13 DM. Das sind 20,-- DM weniger, als in der Klageschrift berechnet und urkundlich bewiesen; als Kostenpauschale steht der Klägerin ein Betrag von 30,-- DM zu nicht aber 50,-- DM. Verzug vor Klagezustellung und höhere Zinsen als 4 % hat die Klägerin nicht dargelegt und nicht zu Beweis gestellt.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Gegenstandswert: 12.774,13 DM.
Beschwer für den Beklagten: 12.754,13 DM.
Beschwer für die Klägerin: 20,-- DM.