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Verwaltungsgericht München Beschluss vom 16.07.1997 - M 6 S 97.3914 - Im Fahrerlaubnisrecht gibt es bei festehender Ungeeignetheit keinen Vertrauensschutz und keine Billigkeitserwägungen

VG München v. 16.07.1997: Im Fahrerlaubnisrecht gibt es bei festehender Ungeeignetheit keinen Vertrauensschutz und keine Billigkeitserwägungen


Das Verwaltungsgericht München (Beschluss vom 16.07.1997 - M 6 S 97.3914) hat entschieden:
Erteilt die Behörde trotz eines negativen medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens eine Fahrerlaubnis, werden bestehende Eignungszweifel objektiv nicht ausgeräumt. Unerheblich ist auch, ob sich die Antragsgegnerin wissentlich oder in Unkenntnis über die bestehenden gesetzlichen Vorschriften hinweggesetzt hat, als sie dem Antragsteller trotz objektiv bestehender Eignungszweifel die Fahrerlaubnis wiedererteilt hat. Ebenfalls ohne Bedeutung ist, daß die Fehlerhaftigkeit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht im Verantwortungsbereich des Antragstellers lag. Unerheblich ist dabei, ob die rechtswidrig erteilte Fahrerlaubnis Vertrauensschutz entfalten kann oder sich die Rechtsposition des Antragstellers zwischenzeitlich verfestigt hat. Die Antragsgegnerin muß die einem ungeeigneten Kraftfahrer erteilte Fahrerlaubnis entziehen. Das bedeutet, daß kein Vertrauensschutz oder Billigkeitserwägungen zu Gunsten des Fahrerlaubnisinhabers möglich sind.


Zum Sachverhalt: Der 1969 geborene Antragsteller erhielt am 16.09.1987 erstmalig eine Fahrerlaubnis der Klasse 3 für drei Jahre auf Probe. Wegen zweier Bußgeldbescheide wurde er am 26.04.1989 von der Antragsgegnerin zur Nachschulung für Fahranfänger aufgefordert; im August 1989 nahm er an einer entsprechenden Maßnahme teil. Ein weiterer Bußgeldbescheid erging, da der Antragsteller am 05.07.1990 ein zulassungspflichtiges Fahrzeug ohne Zulassung gebraucht hatte.

Nachdem die Fahrerlaubnis des Antragstellers am 12.11.1990 vorläufig sichergestellt worden und am 01.02.1991 ein Strafbefehl ergangen war, entzog das Amtsgericht ... dem Antragsteller mit Urteil vom 27.03.1991 die Fahrerlaubnis für weitere sieben Monate wegen eines Vergehens der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs mit einer Blutalkoholkonzentration -BAK- von 1,70 ‰ im Mittelwert.

Die Berufung hiergegen blieb erfolglos (Urteil des Landgerichts ... vom 24.07.1991). Die dem Antragsteller am 26.11.1991 wiedererteilte Fahrerlaubnis wurde ihm nach einem vorläufigen Entzug vom 25.04.1994 durch das Amtsgericht ... mit einer Sperrfrist bis 19.02.1995 erneut entzogen (Urteil vom 20.09.1994 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit zwei rechtlich zusammentreffenden fahrlässigen Körperverletzungen bei einer BAK von 1,57 ‰ im Mittelwert).

Am 06.12.1994, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 03.01.1995, bescheinigte Herr Dipl. Psychologe ... dem Antragsteller die Teilnahme an einer Einzelschulung nach dem Modell "Nüchtern fahren". Er attestierte diesem, es könne davon ausgegangen werden, daß keine erneuten Alkoholauffälligkeiten auftreten würden.

Mit Schreiben vom 27.12.1994 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf, da er aufgrund wiederholter Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften unter Alkoholeinfluß aufgefallen sei. Das daraufhin vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten des TÜV Bayern Sachsen, Begutachtungsstelle für Fahreignung, Abt. ..., vom 16.03.1995 kam zu einem für den Antragsteller negativen Ergebnis. Es wurde die Teilnahme an einer verkehrs-psychologischen Schulung nach dem Modell "..." angeregt. Die Teilnahme an diesem Modell erfolgte nicht.

Am 03.04.1995 wurde die Fahrerlaubnis dem Antragsteller erneut erteilt.

Aufgrund einer Anfrage der Antragsgegnerin vom 10.12.1996 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt am 13.12.1996 mit, daß neben den gerichtlichen Entscheidungen vom 01.02.1991 und 25.04.1994 zwei weitere Eintragungen im Verkehrszentralregister für den Antragsteller eingetragen seien:
  • Bußgeldbescheid vom 28.10.1992, rechtskräftig seit dem 08.04.1993, am 12.09.1992 die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft von 50 km/h um 40 km/h überschritten.

  • Bußgeldbescheid vom 13.03.1996, rechtskräftig seit dem 01.04.1996, am 27.01.1996 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 41 km/h überschritten.
Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller daraufhin mit Schreiben vom 24.02.1997 auf, bis 26.03.1997 ein medizinisch-psychologische Untersuchung vorzulegen oder freiwillig auf die Fahrerlaubnis zu verzichten. Zwar habe er an einer Einzelschulung teilgenommen, diese ersetze aber eine medizinisch-psychologische Untersuchung nicht. Es bestünden Anhaltspunkte, daß die Fahrerlaubnis unter Verstoß gegen rechtliche Vorschriften erteilt worden sei. Zweifel könnten nur durch eine Vorlage einer positiven MPU ausgeräumt werden. Sollte der Antragsteller nicht bereit sein, auf die Fahrerlaubnis zu verzichten, bzw. sich der MPU zu unterziehen, werde ihm die Fahrerlaubnis entzogen.

Nachdem der Antragsteller am 05.03.1997 endgültig erklärt hatte, keine medizinisch-psychologische Untersuchung durchführen zu wollen, entzog die Antragsgegnerin ihm mit Bescheid vom 21.05.1997 die Fahrerlaubnis der Klasse 3. Gleichzeitig wurde der Antragsteller aufgefordert, seinen Führerschein unverzüglich zurückzugeben. Zudem wurde ihm ein Zwangsgeld in Höhe von DM 500,-- angedroht und die sofortig Vollziehung des Bescheides angeordnet. Die Wiedererteilung sei rechtswidrig erfolgt, da aufgrund der wiederholten Verstöße gegen verkehrs- und strafrechtliche Vorschriften nach § 15 c Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 StVZO und § 12 Abs. 1 StVZO i.V.m. den Eignungsrichtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 19.03.1983 (Ministerialblatt -MABl- Nr. 8 - 1983) i.d.F. vom 01.03.1990 die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle angeordnet werden müsse. Eine verkehrspsychologische Schulung sei lediglich ein Hilfsmittel zur Problemerkennung und diene nur zur Vorbereitung einer Begutachtung, könne diese aber nicht ersetzen. Auch sei es für die Anwendung von § 4 Abs. 1 StVG i.V.m. § 15 b StVZO unerheblich, ob die Umstände, die die Nichteignung begründeten, vor oder nach Erteilung der Fahrerlaubnis aufgetreten seien. Es käme nicht auf die Kenntnis oder Unkenntnis der Behörde von den maßgeblichen Umständen an. Da die Zweifel an der Geeignetheit bislang nicht durch die Vorlage einer positiven MPU ausgeräumt, sondern durch die erneute Verkehrsauffälligkeit noch verstärkt worden seien, sei die Anordnung zur Beibringung eines weiteren Fahreignungsgutachtens zwingend erforderlich gewesen. Nachdem er sich geweigert habe, sich dieser Begutachtung zu unterziehen, habe er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Die sofortige Vollziehung sei angeordnet worden, da die weitere Teilnahme am Straßenverkehr erhebliche Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum der übrigen Vekehrsteilnehmer mit sich bringen würde. Die Wiedererteilung sei erfolgt, obwohl die Zweifel an der Fahreignung nicht beseitigt worden seien. Nachdem kurz nach der Wiedererteilung erneut Verkehrsvorschriften verletzt worden seien, könne auch nicht von einer zwischenzeitlichen Verkehrsbewährung ausgegangen werden, so daß weitere Verstöße zu erwarten seien.

Am 26.05.1997 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.05.1997, über den noch nicht entschieden ist.

Beim Bayerischen Verwaltungsgericht München hat der Antragsteller am 03.06.1997 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

Der Antrag hatte Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Antragsgegnerin hat zwar das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes formell ausreichend begründet. Nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der angefochtene Bescheid wohl auch materiell gerechtfertigt, so daß der Widerspruch des Antragstellers voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Das Gericht kommt jedoch im Gegensatz zur Antragsgegnerin im Rahmen seiner zu treffenden Ermessensentscheidung zu dem Ergebnis, daß der Schutz der Allgemeinheit vor einer möglichen Gefährdung durch eine vorläufige weitere Verkehrsteilnahme des Antragstellers dessen Interesse, vor einer endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit der fahrerlaubnisentziehenden Maßnahme vom Vollzug dieser Maßnahme verschont zu bleiben, nicht überwiegt. Letzte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Entzugsbescheids müssen im Hauptsacheverfahren geklärt werden; bis dahin ist nicht mit besonderen Gefahren durch den Antragsteller zu rechnen, die zu erheblichen Gefährdungen anderer führen könnten.

Gemäß § 4 Abs. 1 StVG, § 15 b Abs. 1 StVZO ist eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Ungeeignet ist u.a., wer erheblich gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat (§ 15 b Abs. 1 Satz 2 StVZO). Nach ständiger Rechtsprechung kann die Behörde auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen und demgemäß die Fahrerlaubnis entziehen, wenn der Kraftfahrer ein Gutachten grundlos nicht beibringt, das die Behörde gemäß § 15 b Abs. 2 StVZO zurecht gefordert hat, um begründete Zweifel an der Fahreignung zu klären. Der Schluß von der Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung auf die Nichteignung des Kraftfahrers hat seine Grundlage in der Verletzung der dem Betroffenen gemäß § 15 b Abs. 2 StVZO obliegenden Mitwirkungspflicht, den notwendigen Teil an der Klärung der berechtigten Zweifel beizutragen, die gegen seine Fahreignung bestehen (BayVGH vom 23.05.1996, Az.: 11 B 96.336; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 34. Aufl. 1997, RdNr. 13 zu § 15 b StVZO).

Dieser Mitwirkungspflicht ist der Antragsteller erkennbar nicht nachgekommen. Die Antragsgegnerin hat gemäß § 15 b Abs. 2 StVZO zurecht ein Gutachten über eine medizinisch-psychologische Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gefordert, da berechtigte Zweifel an dieser Eignung bestehen. Die Anordnung der Antragsgegnerin war erforderlich, geeignet und auch verhältnismäßig.

Erteilt die Behörde trotz eines negativen medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens eine Fahrerlaubnis, werden bestehende Eignungszweifel objektiv nicht ausgeräumt. Die am 03.04.1995 erfolgte Wiedererteilung der Fahrerlaubnis durch die Antragsgegnerin war rechtswidrig, denn sie stand nicht im Einklang mit den hierfür maßgeblichen Vorschriften. Die Wiedererteilung der vom Antragsteller beantragten Fahrerlaubnis hatte nach § 15 c Abs. 1 StVZO zu erfolgen. Danach gelten für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften für die Ersterteilung mit Ausnahme des § 9 c StVZO. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 StVG ist die Fahrerlaubnis zu erteilen, wenn nicht Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Ungeeignet ist dabei insbesondere, wer unter erheblicher Wirkung geistiger Getränke am Verkehr teilgenommen hat (vgl. § 15b Abs. 1 Satz 2 StVZO). Da dem Antragsteller bereits mehrfach wegen Alkoholdelikten die Fahrerlaubnis entzogen worden war, hatte die Antragsgegnerin zurecht vor der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle gefordert (vgl. § 15 c Abs. 3 Satz 2, Satz 1 StVZO), um die Eignung des Antragstellers zu ermitteln. Das von diesem vorgelegte Fahreignungsgutachten vom 16.03.1995 kam zu dem Ergebnis, daß der Antragsteller die für die Erteilung der Fahrerlaubnis erforderliche Eignung zum damaligen Zeitpunkt nicht besessen hat. Es sei zu erwarten, daß der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluß führen werde. Der Antragsteller hatte somit die bestehenden Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht durch ein entsprechendes Fahreignungsgutachten ausräumen können.

Die Vorschriften über die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung stehen nicht zur Disposition der Erlaubnisbehörde. Durch sie wird der Behörde kein Ermessensspielraum eingeräumt, ob und wann die Fahrerlaubnis wieder zu erteilen ist. Dies gilt auch für die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit bestehende Zweifel ausgeräumt werden können. Da § 15 c Abs. 3 StVZO zwingend die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle fordert, darf im Umkehrschluß eine Fahrerlaubnis nur erteilt werden, wenn das Fahreignungsgutachten positiv ist. Um bestehende Fahreignungszweifel auszuräumen, können andere Erkenntnisquellen allenfalls kumulativ zu einem positiven medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachten herangezogen werden. Diese zu erstellen ist gemäß § 15 c Abs. 3 Satz 1 StVZO den amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstellen vorbehalten. Im Gegensatz zu § 12 Abs. 1 StVZO, der der Behörde ein Ermessen einräumt, welche Art von Gutachten sie zur Prüfung der Eignung einfordert, ist nach § 15 c Abs. 3 Satz 1 StVZO in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle anzuordnen. Daraus folgt, daß von der Beibringung eines solchen Gutachtens ausnahmsweise nur dann abgesehen werden kann, wenn keinerlei Zweifel an der charakterlichen Eignung bestehen, was hier aufgrund der Vorgeschichte offensichtlich nicht der Fall ist (Jagusch/Hentschel, a.a.O., RdNr. 1 zu § 15 c StVZO). § 15 c Abs. 3 Satz 1 ist insoweit speziell zu § 15 c Abs. 1 StVZO. Da ein Bundesgesetz, die StVZO, in § 15 c Abs. 3 Satz 1 StVZO die Erforderlichkeit einer Beibringung einer MPU als Regel vorschreibt, greift das Argument, daß keine geeignete Rechtsgrundlage für die ausschließliche Durchführung einer MPU vorliegt nicht.

In Bayern ist nur der Technische Überwachungsverein Bayern e.V. als medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle nach den Vorschriften der StVZO amtlich anerkannt. Dies schließt jedoch nicht aus, daß u.U. auch andere Stellen amtlich anerkannt werden können. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip ist hierin nicht zu ersehen. Es ist im übrigen nicht Sache der Antragsgegnerin, daß derzeit nur eine Institution amtlich anerkannt ist; sie ist hierfür nicht zuständig.

Unerheblich ist auch, ob sich die Antragsgegnerin wissentlich oder in Unkenntnis über die bestehenden gesetzlichen Vorschriften hinweggesetzt hat, als sie dem Antragsteller trotz objektiv bestehender Eignungszweifel die Fahrerlaubnis wiedererteilt hat. Ebenfalls ohne Bedeutung ist, daß die Fehlerhaftigkeit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht im Verantwortungsbereich des Antragstellers lag.

Da die Eignungszweifel durch die rechtswidrig erteilte Fahrerlaubnis objektiv nicht beseitigt werden konnte, durfte die Antragsgegnerin vom Antragsteller erneut die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle fordern. Nur so konnte die Antragstellerin abklären, ob die ursprünglich bestandenen Fahreignungszweifel zwischenzeitlich entfallen waren (§ 15 b Abs. 2 StVZO). Dieses berechtigt geforderte Gutachten hat der Antragsteller grundlos nicht beigebracht und somit die ihm obliegende Mitwirkungspflicht verletzt. Unerheblich ist dabei, ob die rechtswidrig erteilte Fahrerlaubnis Vertrauensschutz entfalten kann oder sich die Rechtsposition des Antragstellers zwischenzeitlich verfestigt hat. Die Antragsgegnerin muß die einem ungeeigneten Kraftfahrer erteilte Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 1 StVG, § 15 b Abs. 1 StVZO entziehen. Das bedeutet, daß im Verfahren nach § 4 StVG kein Vertrauensschutz oder Billigkeitserwägungen zu Gunsten des Fahrerlaubnisinhabers möglich sind (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 04.06.1995 NJW 1985, 2910; VGH Mannheim Beschl. v. 17.12.1991 NZV 1992, 254).

Es besteht jedoch kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Dieses besondere Vollzugsinteresse kann dabei nicht allein durch die offensichtliche Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsaktes begründet werden (Redeker/von Oertzen Kommentar zur VwGO, 12. Auflage 1997, § 80 RdNr. 49; Eyermann Fröhler, Kommentar zur VwGO, 9. Auflage 1988, § 80 RdNrn. 47 ff.; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Auflage 1986, RdNrn. 653 ff.). Unstreitig berechtigt die offensichtliche Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts für sich allein die Behörde nicht, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Denn die Rechtmäßigkeit ist Voraussetzung für den Erlaß und kann, da § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 VwGO ausdrücklich ein "besonderes" öffentliches Vollzugsinteresse fordert, nicht die Rechtfertigung für den Vollzug des Verwaltungsaktes sein. Deshalb kann auch bei einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt das Gericht die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung nur bestehen lassen, wenn nach seiner Beurteilung ein öffentliches Interesse daran besteht, den offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt vor Eintritt seiner Bestandskraft zu vollziehen. Dies ist nicht der Fall, wenn der Sofortvollzug den Grundsatz der Gleichbehandlung oder Verhältnismäßigkeit verletzt oder zu einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotenen Härte führt (Finkelnburg/Jank, RdNrn. 653 ff.).

Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, ist der Verwaltungsakt schon nicht offensichtlich rechtmäßig. Außerdem ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung unverhältnismäßig. Das private Interesse des Antragstellers, vorläufig weiterhin im Besitz seiner Fahrerlaubnis zu verbleiben, überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehung, da vom Antragsteller keine so gravierenden Gefahren für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer ausgehen, daß die Bestandskraft des Bescheides vom 21.05.1997 nicht abgewartet werden könnte.

Die abzuwägenden Interessen müssen mit dem Gewicht eingestellt werden, das sie in dem jeweiligen Einzelfall konkret haben (Kopp, Kommentar zur VwGO, 10. Auflage 1994, RdNr. 81).

Daher kann allein eine weitere Verkehrsauffälligkeit nach der unrechtmäßigen Wiedererteilung der Fahrerlaubnis das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht begründen.

Es ist vielmehr eine Einzelfallentscheidung unter Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer und des privaten Interesses des Antragstellers an der vorläufigen weiteren Verkehrsteilnahme zu treffen.

Nach der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 03.04.1995 hat der Antragsteller keine weiteren Trunkenheitsfahrten begangen. Da die letzte Trunkenheitsfahrt am 16.01.1994 stattfand, seitdem also fast 3 ? Jahre vergangen sind, kann von einer gewissen Bewährung ausgegangen werden. Der Verstoß vom 27.01.1996 war eine Geschwindigkeitsüberschreitung und steht nicht im Zusammenhang mit der Problematik Alkohol und Verkehr. Auch bezüglich dieser Geschwindigkeitsüberschreitung liegt eine Bewährung vor, da das letzte Delikt 3 ? Jahre vorher, nämlich am 12.09.1992 begangen wurde. Außerdem wurde am 13.12.1996 eine Vollauskunft durch das Kraftfahrt-Bundesamt auf Anfrage der Antragsgegnerin erstellt. Zwar befindet sich darauf kein Eingangsstempel, aber es kann davon ausgegangen werden, daß die Antragsgegnerin zumindest Ende Dezember 1996 die Auskunft erhalten hat. Nachdem der Antragsteller erst am 24.02.1997 das erste Mal von der Antragsgegnerin angeschrieben wurde, ist davon auszugehen, daß diese von keiner akuten Gefahr des Antragstellers für die anderen Verkehrsteilnehmer ausgegangen ist, da sie ansonsten früher hätte eingreifen müssen. Auch insoweit ist der angeordnete Sofortvollzug nicht verhältnismäßig.

Unter Betrachtung der Gesamtumstände, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis am 21.05.1997 geführt haben, erscheint es daher unverhältnismäßig, einen Sofortvollzug anzuordnen. ..."



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