Das Verkehrslexikon

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OVG Hamburg Beschluss vom 30.01.2002 - 3 Bs 4/02 - Die Fahrerlaubnis kann entzogen werden, wenn die Eignung oder Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen schon im Zeitpunkt der Erteilung gefehlt hat

OVG Hamburg v. 30.01.2002: Die Fahrerlaubnis kann entzogen werden, wenn die Eignung oder Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen schon im Zeitpunkt der Erteilung gefehlt hat


Das OVG Hamburg (Beschluss vom 30.01.2002 - 3 Bs 4/02) hat entschieden:
Die Fahrerlaubnis kann auch dann nach §§ 3 Abs 1 StVG , 46 Abs 1 FeV entzogen werden, wenn die Eignung oder Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen schon im Zeitpunkt der Erteilung gefehlt hat und die aus diesem Grunde rechtswidrige Erlaubnis ohne eine Änderung der Sach- oder Rechtslage mit Wirkung für die Zukunft zum Erlöschen gebracht werden soll, weil Eignung und Befähigung weiterhin fehlen. Deren Fehlen "erweist" sich in einem solchen Fall durch richtige Rechtserkenntnis.


Zum Sachverhalt: Dem Antragsteller wurde die erstmalig im Dezember 1984 erteilte Fahrerlaubnis der Klasse 3, die im Februar 1989 auf die Klasse 2 erweitert worden war, wegen einer Trunkenheitsfahrt am 5. Juni 1997 (Blutalkoholkonzentration von rund 2,1 Promille) durch Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 8. September 1997 entzogen. Nach Vorlage eines Gutachtens des Medizinisch-Psychologischen Instituts des TÜV Nord e.V. vom 6. Juni 1998, das die Eignung des Antragstellers feststellte, erhielt dieser am 8. Juni 1998 erneut die Fahrerlaubnis der Klasse 2.

Am 3. Juli 1999 führte der Antragsteller wiederum ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Die 45 Minuten nach der Trunkenheitsfahrt entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 2,21 Promille auf. Sein Führerschein wurde am Tattag beschlagnahmt. Das Amtsgericht Pinneberg sprach mit Beschluss vom 14. Juli 1999 gemäß § 111 a StPO die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aus. Mit rechtskräftigem Urteil vom 18. Oktober 1999 entzog das Gericht die Fahrerlaubnis und setzte für die Neuerteilung eine Sperrfrist von weiteren 12 Monaten fest.

Am 2. Oktober 2000 beantragte der Antragsteller bei der für seinen damaligen Wohnsitz in Schenefeld örtlich zuständigen Fahrerlaubnisbehörde, dem Kreis Pinneberg, die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse CE. Der Antragsteller unterzog sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung durch den TÜV Nord e.V. Die Gutachter kamen zu dem Ergebnis, es müsse zukünftig mit Fahrten im Zustand alkoholischer Beeinflussung gerechnet werden (Gutachten vom 7.11.2000, S. 11). Mit Bescheid vom 14. November 2000 lehnte der Kreis Pinneberg die Erteilung der Fahrerlaubnis ab.

Nach erneuter Antragstellung im Mai 2001 nahm AVUS als anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung eine medizinisch-psychologische Untersuchung vor (Gutachten vom 28.6.2001). Das Ergebnis lautete dahin, es sei zu erwarten, dass der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Seine Angaben und der von ihm gewonnene Gesamteindruck wiesen auf eine unbewältigte Alkoholproblematik hin, aufgrund derer die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls in problematische Alkoholkonsumgewohnheiten in keiner Weise als vermindert angesehen werden könne. Die Gutachter legten dem Antragsteller nahe, für eine angemessene Aufarbeitung und Bewältigung der Alkoholproblematik fachkundige Beratung in Anspruch zu nehmen (Gutachten S. 20).

Der Kreis Pinneberg erteilte dem Antragsteller am 13. Juli 2001 die Fahrerlaubnis der Klasse CE. Die Sachbearbeiterin der Fahrerlaubnisbehörde hatte zuvor das neue Gutachten in einem persönlichen Gespräch mit dem Antragsteller erörtert. Dieser machte, wie sie vermerkte (Bl. 101 R der Sachakte), "entgegen (erg. dem Ergebnis) des Gutachtens" auf sie "einen sehr gefestigten Eindruck". Der Antragsteller verpflichtete sich in einem "Zusatz zur Verhandlungsniederschrift vom 13.7.2001" (Bl. 102 der Sachakte), für den Zeitraum von zwei Jahren in regelmäßigen Abständen von zwei Monaten seine Leberfunktionswerte (Gamma-GT, GOT, GPT) durch einen Arzt feststellen zu lassen und die Untersuchungsergebnisse unaufgefordert der Straßenverkehrsaufsicht in Pinneberg einzureichen. - Der Antragsteller erhielt die Fahrerlaubnis, ohne dass er sich einer theoretischen und praktischen Prüfung unterziehen musste.

Der Antragsteller verzog nach Hamburg. Die Antragsgegnerin entzog ihm mit Bescheid vom 26. September 2001 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Zur Begründung führt sie an, der Antragsteller sei der Auflage, seine Leberfunktionswerte im Abstand von zwei Monaten vorzulegen, nicht nachgekommen, und er sei deshalb als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei zum Schutz von Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer erforderlich, weil nach dem von AVUS erstatteten Gutachten die Wahrscheinlichkeit nicht vermindert sei, dass der Antragsteller erneut ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr führen werde.

Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 28. September 2001 Widerspruch und legte zugleich ein Attest über die Untersuchung seiner Leberfunktionswerte am 21. September 2001 vor.

Auf den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz des Antragstellers hat die Fahrerlaubnisbehörde ausgeführt: Die Fahrerlaubnis sei gemäß § 3 StVG i.V.m. § 46 FeV zu entziehen. Der Antragsteller sei bereits zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung am 13. Juli 2001 nicht geeignet gewesen, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen. Dies belegten die übereinstimmenden Gutachten des TÜV Nord und der AVUS. Der eigene persönliche Eindruck, den die Sachbearbeiterin des Kreises Pinneberg gewonnen habe, könne den erforderlichen Eignungsnachweis durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten nicht ersetzen. Der Antragsteller habe zudem seine Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht nachgewiesen. Die Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne eine praktische und theoretische Prüfung sei gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV nicht zulässig gewesen, da seit der Beschlagnahme des Führerscheins am 3. Juli 1999 mehr als zwei Jahre verstrichen seien. Der Kreis Pinneberg habe bei seiner Entscheidung die zwingende Rechtslage in beiden Hinsichten verkannt.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 18. Dezember 2001 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt.

Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, die auch Erfolg hatte.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die ihm durch den Kreis Pinneberg erteilte Fahrerlaubnis nach dem Ergebnis summarischer Prüfung zu Recht entzogen. Die von ihr herangezogene Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 und 4 FeV trägt die Entziehung auch für den hier gegebenen Fall, dass Eignung oder Befähigung schon im Zeitpunkt der Erteilung gefehlt haben und die aus diesem Grund rechtswidrige Erlaubnis ohne eine Änderung der Sach- oder Rechtslage mit Wirkung für die Zukunft zum Erlöschen gebracht werden soll, weil Eignung und Befähigung weiterhin fehlen.

aa) Der Antragsteller war im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Antragsgegnerin zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet und ist dies auch gegenwärtig noch. Die Eignung fehlt einer Person, die nicht die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt oder die erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat, § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG . Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist insbesondere derjenige, bei dem Alkoholmissbrauch vorliegt ( § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V. mit Anlage 4 Nr. 8.1). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde u.a. anordnen, dass der Antragsteller ein Gutachten einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beibringt ( § 2 Abs. 8 StVG ). Gemäß §§ 20 Abs. 1 , 13 Nr. 2 b , c und d FeV ist vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden, ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde oder die Fahrerlaubnis aus einem der vorgenannten Gründen entzogen worden war. Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 20 Abs. 3 FeV . Der Hinweis auf die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV hat nur klarstellende Funktion, weil es sich bei § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV nicht um eine Vorschrift für die Ersterteilung, sondern für die "Neuerteilung" der Fahrerlaubnis handelt, die von dem Verweis in § 20 Abs. 1 FeV auf die Vorschriften für die "Ersterteilung" womöglich nicht erfasst sein könnte (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 13.10.2000 - 3 Bf 357/00 -). - Den Antragsteller trifft ein solcher Eignungsnachweis. Er hat im Abstand von kaum mehr als zwei Jahren die Straftat der Trunkenheit im Verkehr ( § 316 StGB ) zweimal begangen. Die Blutalkoholkonzentration war mit über 2 Promille jeweils so hoch, dass auf eine Alkoholgewöhnung zu schließen ist. Seine Eignung ist gegenwärtig nicht nachgewiesen. Nach dem übereinstimmenden Ergebnis der medizinisch-psychologischen Untersuchungen im November 2000 (TÜV Nord) sowie im Juni 2001 (AVUS) ist die Feststellung bisher nicht möglich, dass der Antragsteller sein Alkoholproblem bewältigt hätte. Das Gutachten AVUS hebt ausdrücklich hervor, dass der Antragsteller dazu nur unter Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe in der Lage sein werde. Diesen Weg hat der Antragsteller nicht eingeschlagen, obwohl schon das Gutachten des TÜV Nord vom November 2000 eine solche externe Hilfe dringend empfohlen hatte (Gutachten S. 11). Im Zeitpunkt der Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Juli 2001 bestand danach bei sachkundiger Beurteilung unvermindert die Gefahr, dass der Antragsteller erneut unter Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug führen würde. Die gleiche Gefahrenlage ist zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt gegeben. Nach der wohlbegründeten Einschätzung beider Gutachterstellen muss der Antragsteller mit fachkundiger Hilfe den Weg einer strikt alkoholabstinenten Lebensführung einschlagen. Die Verantwortung in der neuen Lebenspartnerschaft kann dafür eine wichtige Grundlage bilden, sie gewährleistet die erforderliche tiefgreifende Verhaltensänderung (Gutachten TÜV Nord S. 9; AVUS S. 20) allein aber nicht. Die regelmäßige Feststellung der Leberfunktionswerte ist kein geeignetes Mittel, die erforderliche Alkoholabstinenz zu kontrollieren (Gutachten TÜV Nord S. 8). Ebenso wenig bietet der persönliche Eindruck, den die Sachbearbeiterin des Kreises Pinneberg in einem Gespräch mit dem Antragsteller in Anwesenheit seiner Lebenspartnerin gewann, eine Grundlage dafür, den in zwei medizinisch-psychologischen Untersuchungen übereinstimmend erkannten Eignungsmangel zu verneinen oder als behoben anzusehen.

Die Antragsgegnerin ist nicht wegen einer "Vereinbarung" an die Erlaubniserteilung und die ihr zugrunde liegende Eignungsbeurteilung des Kreises Pinneberg gebunden. Die Fahrerlaubnis ist dem Antragsteller entgegen seiner Vorstellung nicht auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (hier gemäß §§ 121 Satz 2, 122 Landesverwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein - LVwG -) erteilt worden. In dem "Zusatz zur Verhandlungsniederschrift vom 13.7.2001" findet sich keine Erklärung des Kreises Pinneberg, die auf den Abschluss eines Vertrages betreffend die Erteilung der Fahrerlaubnis gerichtet wäre. Festgehalten ist darin eine verpflichtende Erklärung allein des Antragstellers. Diese Erklärung hat die Erteilung der Fahrerlaubnis zur Voraussetzung, ihr korrespondiert aber kein vertraglicher Bindungswille des Kreises Pinneberg, der in dem Zusatz schriftlich verlautbart wäre. Dass der Kreis Pinneberg sich vielmehr der einseitigen Handlungsform des Verwaltungsakts bedienen wollte, zeigt auch die Bezeichnung der Verpflichtung des Antragstellers als "Auflage". - Im Übrigen dürften die zwingend ausgestalteten Vorschriften über die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis davon abweichende vertragliche Regelungen betreffend die Anforderungen an die Eignung und deren Nachweis im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs schlechthin ausschließen mit der Folge, dass ein Vertrag über die Neuerteilung der Fahrerlaubnis bei ungeklärten Eignungszweifeln nach Alkoholmissbrauch ( §§ 20 Abs. 1 , 13 FeV ) wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot als nichtig anzusehen wäre (hier § 126 Abs. 1 LVwG i.V.m. § 134 BGB ).

bb) Das Beschwerdegericht lässt offen, ob die Entziehung der Fahrerlaubnis auch darauf gestützt werden könnte, dass der Antragsteller sich als nicht befähigt zum Führen eines Kraftfahrzeugs erwiesen habe. Der Antragsteller hat allerdings die nach § 20 Abs. 1 FeV , § 2 Abs. 2 Nr. 5 StVG für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis erforderliche theoretische und praktische Prüfung gegenwärtig nicht nachgewiesen. Ein Verzicht auf die Fahrerlaubnisprüfung ( § 20 Abs. 2 Satz 1 FeV ) ist nach § 20 Abs. 2 Satz 2 FeV nicht zulässig, weil seit der Beschlagnahme des Führerscheins mehr als zwei Jahre verstrichen sind. Der Führerschein des Antragstellers wurde am 3. Juli 1999 beschlagnahmt. Mit Ablauf des 3. Juli 2001 (vgl. §§ 187 Abs. 1 , 188 Abs. 2 BGB ) war der Antragsteller länger als zwei Jahre ohne Fahrpraxis. Dass dieser Zeitraum bei Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 13. Juli 2001 erst seit wenigen Tagen erreicht war, ist unerheblich. Der Entziehung der Fahrerlaubnis könnte aber entgegenstehen, dass der Antragsteller keine Gelegenheit erhalten hat, die Fahrerlaubnisprüfung abzulegen.

cc) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Befugnis zur Entziehung der Fahrerlaubnis in § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 FeV nicht auf die Fälle beschränkt, in denen nach Erlaubniserteilung Tatsachen eintreten, die das Fehlen der Eignung oder Befähigung des Erlaubnisinhabers ergeben.

Der Gesetzestext enthält eine dahingehende ausdrückliche Einschränkung auf diese Fallgruppe eines Widerrufs (vgl. § 49 Abs. 2 Nr. 3 HmbVwVfG) nicht und unterscheidet sich darin von anderen Gesetzesbestimmungen des Besonderen Verwaltungsrechts des Bundes, die Regelungen zur Aufhebung (Widerruf) einer Erlaubnis wegen nachträglichen Wegfalls ihrer konstitutiven Voraussetzungen treffen. Als Beispiele sind dafür etwa die Vorschriften in § 3 Abs. 5 GüKG , § 18 BJagdG , § 47 Abs. 2 Satz 1 WaffG und § 15 Abs. 2 GaststättenG zu nennen, ferner § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG 1990 für die Beschränkung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung bei (nachträglichem) Entfallen einer Erteilensvoraussetzung (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 23.5.1995, BVerwGE Bd. 98 S. 298, 302 f., 305 f. in Abgrenzung zu der abweichenden vormaligen Regelung in § 7 Abs. 4 AuslG 1965).

Eine Einschränkung auf nachträglich eingetretene Tatsachen hat der Gesetzgeber nach dem Wortlaut der Vorschrift in § 3 Abs. 1 StVG auch nicht mit der Formulierung "erweist sich" vorgenommen. Als ungeeignet oder nicht befähigt kann sich dem Wortsinn nach auch derjenige erweisen, über den nachträglich Tatsachen bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlaubniserteilung vorlagen und zur Versagung der Erlaubnis berechtigt hätten. "Erweist" bezeichnet die Anforderung des Nachweises der Nichteignung oder Nichtbefähigung, der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Entziehung vorliegen muss (BVerwG, Beschl. v. 12.10.1982, Buchholz 442.10 § 4 StVG a.F. Nr. 68 S. 37, 38; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 3 StVG Rdnr. 3).

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat dementsprechend den Anwendungsbereich der Entziehung der Fahrerlaubnis von Beginn an dahin bestimmt, dass es keine Rolle spiele, ob die tatsächlichen Umstände, die der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs entgegenstehen, nachträglich eingetreten sind oder bereits im Zeitpunkt der Erteilung vorlagen (BVerwG, Beschl. v. 27.1.1958, 27.12.1967 und 12.10.1982, Buchholz 442.10 § 4 StVG a.F. Nrn. 3, 28 und 68; ebenso VGH Kassel, Urt. v. 4.6.1985, NJW 1985 S. 2909 ; VGH Mannheim, Beschl. v. 17.12.1991, VBlBW 1992 S. 150 ; Hentschel, a.a.O., § 3 StVG Rdnr. 3 a.E., vgl. aber auch dort Rdnr. 40 sowie Krieger, DVBl. 1963 S. 138, 139). Das Beschwerdegericht sieht diese Auslegung als richtig an. Sie allein wird dem auf die Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs ausgerichteten Zweck der Entziehungsbefugnis gerecht. Die Entziehung der Fahrerlaubnis bei fehlender Eignung oder Befähigung erfolgt zum Schutz der Verkehrsteilnehmer vor den erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit, die von ungeeigneten oder nicht befähigten Kraftfahrern ausgehen. Das Gesetz schreibt das Entziehen wegen des hohen Ranges der gefährdeten Rechtsgüter zwingend vor. Für den Schutzzweck der Gefahrenabwehr ist es ohne Belang, ob sich das Fehlen der Eignung oder Befähigung eines Erlaubnisinhabers aus Umständen ergibt, die nachträglich eingetreten sind oder die schon vor der Erlaubniserteilung bestanden haben. Die Gründe für den Ausschluss eines nicht geeigneten oder nicht befähigten Kraftfahrers vom Straßenverkehr wiegen in beiden Fällen gleich schwer. Sie sind auch in gleichem Maße zwingend, so dass ein sachlicher Grund dafür fehlt, die Entziehung in dem einen Fall zu gebieten, sie in dem anderen Fall aber nach den Grundsätzen der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (vgl. § 48 Abs. 1 HmbVwVfG) in das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde zu stellen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Vertrauen des einzelnen auf den Bestand einer ihm erteilten Fahrerlaubnis, die wegen bereits bestehender Eignungs- oder Befähigungsmängel rechtswidrig ist, hinter dem Schutz von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer zurücktreten muss (BVerwG, Beschl. v. 27.1.1958, Buchholz 442.10 § 4 StVG a.F. Nr. 3; VGH Kassel, Urt. v. 4.6.1985, NJW 1985 S. 2909 ; VGH Mannheim, Beschl. v. 17.12.1991, VBlBW 1992 S. 150 ).

§ 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 FeV zieht danach im Institut der Entziehung der Fahrerlaubnis Regelungsbereiche zusammen, die nach Allgemeinem Verwaltungsrecht in die beiden Aufhebungsfälle des Widerrufs und der Rücknahme geschieden sind. Die Vorschrift modifiziert die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen kodifizierten Grundsätze für Widerruf und Rücknahme (vgl. §§ 48, 49 HmbVwVfG) in mehrfacher Hinsicht. Die Entziehung bringt die Fahrerlaubnis mit Wirkung (allein) für die Zukunft zum Erlöschen, § 3 Abs. 2 Satz 1 StVG . Sie ist zwingend; Ermessen ist nicht eröffnet. Vertrauensschutz greift nicht ein. Der Gesetzgeber ist an das einfachgesetzliche Konzept von Widerruf und Rücknahme nicht gebunden. Soweit er in einzelnen Gesetzen eine eigene Regelung trifft, finden die Widerrufs- und Rücknahmevorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze keine Anwendung (vgl. § 1 Abs. 1 und 2 VwVfG bzw. die entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder; für das Verhältnis von Bundesrecht zu Landesrecht gilt zudem Art. 31 GG ).

Der Senat kann, weil die Antragsgegnerin sich hier zu Recht auf § 3 Abs. 1 StVG stützt, offen lassen, ob und in welchen Fällen neben § 3 Abs. 1 StVG Raum für eine Rücknahme der Fahrerlaubnis gemäß § 48 HmbVwVfG ist. Zu denken ist insoweit an den Fall, dass die Erteilung der Fahrerlaubnis aus Gründen rechtswidrig ist, die weder die Voraussetzungen der Eignung noch die der Befähigung betreffen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 12.1.1996 - OVG Bs VI (VII) 178/95 - BA S. 8).

dd) § 3 Abs. 1 StVG findet auch dann Anwendung, wenn die Fahrerlaubnisbehörde bei unverändertem Sachverhalt nachträglich erkennt, dass sie oder eine andere Behörde die ihr oder dieser bei der Erteilung der Erlaubnis bekannten Tatsachen im Hinblick auf die Feststellung der Eignung oder Befähigung rechtlich fehlerhaft gewürdigt hat, der Fahrerlaubnisinhaber also bei richtiger Rechtsanwendung als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Das Fehlen von Eignung oder Befähigung "erweist" sich in einem solchen Fall durch richtige Rechtserkenntnis.

Die Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs lässt es nicht zu, die Fahrerlaubnis anders als im Fall nachträglich erlangter Kenntnis von entscheidungserheblichen Tatsachen dann bestehen zu lassen, wenn die Erteilung allein auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht, die dem Fahrerlaubnisinhaber nicht angelastet werden kann. Die Gefahren, die von einem ungeeigneten oder nicht befähigten Kraftfahrer ausgehen, unterscheiden sich nicht danach, ob die Fahrerlaubnisbehörde bei der Erteilung im Irrtum über den entscheidungserheblichen Sachverhalt war oder die gesetzlichen Anforderungen an die Eignung und Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen verkannte. Im Hinblick auf den Zweck der Gefahrenabwehr besteht kein sachgerechter Grund, den Rechtsanwendungsfehler vom dem Anwendungsbereich der Entziehung der Fahrerlaubnis auszunehmen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung dürfte dies nicht anders sehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.1.1958, Buchholz 442.10 § 4 StVG a.F. Nr. 3 mit Bezugnahme auf Urt. v. 18.10.1956, Buchholz 442.00 § 13 PBefG Nr. 1 betr. die Entziehung einer als rechtsfehlerhaft erkannten Verlängerung einer Verkehrsgenehmigung trotz bekannter Verfehlungen des Unternehmers). Zu § 47 Abs. 1 Satz 1 WaffG 1976 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Behörde die waffenrechtliche Erlaubnis ausnahmslos auch dann zurücknehmen muss, wenn sie nachträglich einen Rechtsanwendungsfehler erkennt, der zur Erlaubniserteilung unter Verstoß gegen zwingendes Recht geführt hat, weil der Zweck des Gesetzes, einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit zu leisten, eine Differenzierung der Rücknahmepflicht nach der Art des Entscheidungsfehlers nicht zulässt (Urt. v. 30.4.1985, BVerwGE Bd. 71 S. 248, 249 f.; Urt. v. 28.4.1987, Buchholz 402.5 WaffG Nr. 48 S. 12 f.; zur gleichen Problematik bei der Anwendung von § 15 Abs. 1 GaststättenG vgl. Michel/ Kienzle, Das Gaststättengesetz, Kommentar, 13. Auflage 1999, § 15 Rdnr. 1).

Ist die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 StVG danach auch im Falle eines Rechtsanwendungsfehlers bei der Erlaubniserteilung geboten, soweit die Eignung oder Befähigung berührt sind, entsteht die Frage nach dem Ausgleich von Vermögensnachteilen des Betroffenen, der auf den Bestand der Erlaubnis vertraut hat. Eine unmittelbare Anwendung von § 48 Abs. 3 HmbVwVfG dürfte ausscheiden. Ein Ausgleich des Vertrauensschadens hängt aber von einem Rückgriff auf diese Bestimmungen nicht ab, soweit eine Ersatzpflicht aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung nach § 839 BGB , Art. 34 GG besteht. An der Verletzung einer gegenüber dem Fahrerlaubnisinhaber bestehenden Amtspflicht fehlt es bei der rechtswidrigen Feststellung von Eignung oder Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht deshalb, weil die Prüfung dieser Merkmale allein den Schutzanspruch der anderen Verkehrsteilnehmer berührt. Zu den Amtspflichten bei der Erteilung einer Erlaubnis oder Genehmigung dürfte es auch gehören, einen Vertrauenstatbestand, der rechtlich nicht gesichert ist, nicht erst entstehen zu lassen (vgl. BGH, Urt. v. 25.1.1973, BGHZ 60 S. 112 , 116 ff. betr. eine rechtswidrig erteilte Baugenehmigung; MünchKommBGB-Papier, 3. Aufl. 1997, § 839 Rdnr. 241, in Bezug auf sämtliche präventiven Erlaubnisse). Einer näheren Prüfung bedarf diese Frage hier nicht, weil sie die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht berührt.

b) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begegnet keinen Bedenken. Sie kann allgemein mit der Ungeeignetheit des Kraftfahrers begründet werden ( OVG Hamburg, Beschl. v. 25.4.1995 - OVG Bs VII 42/95 -).

Da der Antragsteller wegen einer unbewältigten Alkoholproblematik als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werden muss, ist es nicht zu verantworten, ihn vorläufig weiter als Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen und dadurch andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr zu bringen. Sein berufliches Interesse an dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs muss, so gewichtig es ist, hinter der Gewährleistung des Schutzes der anderen Verkehrsteilnehmer zurückstehen. Für die wegen der Schwangerschaft der Lebenspartnerin notwendigen Fahrten kann ein Taxi gerufen werden. ..."



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