Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Braunschweig Urteil vom 10.06.2005 - 6 A 202/05 - Zur Verhängung einer 15-monatigen Fahrtenbuchauflage zur künftigen Gefahrenabwehr

VG Braunschweig v. 10.06.2005: Zur Verhängung einer 15-monatigen Fahrtenbuchauflage zur künftigen Gefahrenabwehr


Das Verwaltungsgericht Braunschweig (Urteil vom 10.06.2005 - 6 A 202/05) hat entschieden:
Eine 15-monatige Fahrtenbuchauflage ist nach einem Rechtsüberholen auf der Autobahn bei mangelnder Mitwirkung des Halters an der Fahrerermittlung bzw. bei subjektiv unmöglicher Mitwirkung wegen "miserablen" Gedächtnisses im Interesse künftiger Gefahrenabwehr rechtmäßig.


Siehe auch Fahrtenbuch-Auflage - Fahrtenbuch führen


Zum Sachverhalt: Gegen den Führer eines Fahrzeugs des Kl. wurde am 04.02.2004 Anzeige erstattet, und zwar u. a. wegen verbotenen Rechtsüberholens auf der Autobahn.

Auf den Anhörungsbogen vom 11.02.2004 antwortete der Kl. unter Hinweis auf die Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht (Ziff. 2):
"Kann ich nicht mehr nachvollziehen. Mehrere Personen zu Ziff. 2 gefahren."
Mit Bescheid vom 08.03.2005 gab der Bekl. dem Kl. auf, für die Dauer von 15 Monaten für das o. g. Fahrzeug - auch für ein Ersatzfahrzeug - ein Fahrtenbuch zu führen.

Widerspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kl. nicht in seinen Rechten.

1. Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Kl. als Fahrzeughalter getroffene Fahrtenbuchanordnung ist § 31 a I StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier der Fall.

a) Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften in dem genannten Sinne ist nach der Überzeugung des Gerichts bereits darin zu sehen, dass die Zeugin E. am 03.02.2004 gegen 7.45 Uhr auf der BAB 391 in Fahrtrichtung Süden vom Personenkraftwagen des Kl. rechts überholt worden ist. Das Rechtsüberholen stellt einen gravierenden Verkehrsverstoß dar, der den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 5 I, 49 I Nr. 5 StVO erfüllt, dessen Ahndung im Verkehrszentralregister zu erfassen und dort gemäß Nr. 5.4 der Anlage 13 zu § 40 FeV - Punktebewertung nach dem Punktsystem - mit 3 Punkte zu bewerten ist.

Wäre die Person ermittelt worden, die das Fahrzeug zum Vorfallszeitpunkt geführt hat, wäre gegen sie zumindest wegen vorsätzlichen Rechtsüberholens eine Ordnungswidrigkeit zu verhängen gewesen.

...

b) Die Feststellung des Fahrzeugführers, der bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug gefahren hat, war der zuständigen Ordnungsbehörde darüber hinaus i. S. d. § 31 a StVZO nicht möglich. Eine solche Sachlage ist gegeben, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich insoweit danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei kann sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab oder erklärt er, dazu nicht im Stande zu sein, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. v. 17. 12. 1982 - Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 11 m. w. Nw.; Beschl. v. 21. 10. 1987 - Buchholz, aaO, Nr. 18 m.w.N.; Beschl. v. 23. 12. 1996 - 11 B 84/96; Nds. OVG, Beschl. v. 17. 2. 1999 - 12 L 669/99, Beschl. v. 8. 11.2004 - 12 LA 72/04).

Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Ermittlungsaufwand der Polizei ausreichend. Mit seiner Berufung auf das ihm im Ordnungswidrigkeiten- wie im Strafverfahren zustehende Zeugnisverweigerungsrecht hat der Kl. unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass er bei der Fahrerfeststellung nicht mitzuwirken bereit war. Da sich sonstige Ermittlungsansätze nach den Erklärungen der Zeugin F., sie könne die Person nicht genauer beschreiben, die mit dem BMW des Kl. gefahren sei, drängten sich weitere Ermittlungen nicht auf.

Soweit der Kl. angibt, er habe sich schon bei Erhalt des ihm unter dem 11.02.2005 übersandten Schreibens der Polizei, das er nach Aktenlage am 1. 3. 2005 unter Hinweis auf die Belehrung zum Zeugnisverweigerungsrecht („Ziff. 2") mit der Bemerkung zurückgesandt hat „Kann ich nicht mehr nachvollziehen. Mehrere Personen zu Ziff. 2 gefahren”, nicht mehr erinnern können, wer das Fahrzeug gefahren habe, kann ihn auch dies nicht entlasten. Wer trotz der konkreten Informationen zur Tatzeit und zum Tatort schon wenige Tage nach dem geschilderten Vorfall keinerlei Beitrag zur Ermittlung mehr leisten kann, hat entweder ein so miserables Gedächtnis oder so wenig Überblick über den Kreis der in Betracht kommenden Benutzer, dass die Verhängung eines Fahrtenbuches (bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen) zur Gefahrenabwehr in nicht geringerem Maße als bei einer Mitwirkungsverweigerung geboten ist. Für den Tatbestand des § 31 a StVZO ist nicht entscheidend, ob der Fahrzeughalter, der sein Fahrzeug auch anderen überlässt, subjektiv in der Lage gewesen ist, den schließlich verantwortlichen Fahrzeugführer zu benennen (vgl. dazu bereits VG Braunschweig. Urt. v. 11. 2. 2004 – 6 A 193/03 -; VD 2004,165; Urt. v. 9. 6.2005 - 6 A 191/05). Als Maßnahme der Gefahrenabwehr ergänzt die Fahrtenbuchanordnung die für das fragliche Fahrzeug bestehende Kennzeichnungspflicht nach § 6 I Nr. 2 a StVG i. V. m. den §§ 18, 23 StVZO. Sie verfolgt den Zweck, die gebotene Überwachung der Fahrzeugbenutzung durchführen und den Fahrzeughalter zur zukünftigen Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes anhalten zu können. In den Fällen, in denen das Kraftfahrzeug auch an Dritte weitergegeben wird, hilft das Fahrtenbuch auch dem Halter bei der Überwachung der Fahrzeugbenutzer bzw. der eigenen Erinnerung.

c) Die Verhängung eines Fahrtenbuches für die Dauer von 15 Monaten ist angesichts der konkreten Umstände dieses Einzelfalles, insbesondere wegen der Schwere der Anlasstat sowie der Mitwirkungsverweigerung des Kl., auch nicht unverhältnismäßig. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass sich die Bemessung der Fahrtenbuchdauer auch an der Bewertung des begangenen Verkehrsverstosses orientieren kann, die der Gesetzgeber nach der Anlage 13 zu § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung zum Zwecke der „Punktebewertung nach dem Punktsystem” vorgenommen hat. Da bereits ein Verstoß gegen das Verbot, rechts zu überholen, gemäß Nr. 5.7 der genannten Bewertung im Verkehrszentralregister zur Eintragung von drei Punkten führt, und der Bekl. nach seiner dem Gericht bekannten und gebilligten neueren Verwaltungspraxis in solchen Fällen die Dauer des Fahrtenbuches grundsätzlich mit 15 Monaten bemisst (vgl. etwa Urt. v. 9. 6. 2005 - 6 A 191/05), ist der Kl. weder übermäßig noch gleichheitswidrig betroffen.

Die angegriffene Fahrtenbuchanordnung widerspricht auch nicht dem Zweck des § 31 a StVZO. Die Fahrtenbuchanordnung soll nicht nur Verkehrszuwiderhandlungen durch den Fahrzeughalter vorbeugen, sondern hat eine umfassendere Aufgabe. Mit ihr soll sichergestellt werden; dass bei künftigen Verkehrsverstößen mit dem Fahrzeug die Feststellung des Fahrers, anders als in dem Anlassfall, ohne Schwierigkeiten möglich ist. Sie richtet sich an den Fahrzeughalter, weil dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Fahrzeug besitzt. Auch wenn von dem Fahrzeughalter selbst keine Verkehrszuwiderhandlungen zu befürchten wären, stünde dies der Fahrtenbuchanordnung nicht entgegen. Ein „doppeltes Recht”, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Straf- und/oder Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht (BVerwG, Beschl. v. 22. 6. 95, Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 22 m. w. Nw.; Nds. OVG, Beschl. v. 10. 12. 1997 - 12 L 5612/97; VG Braunschweig, Urt. v. 5. 11. 1997 - 6 A 6120/97; Urt. v. 23. 6. 1999 - 6 A 103/99).

Unerheblich ist auch, wenn der Kl. in der Fahrtenbuchauflage eine härtere Sanktion sieht, als bei einer förmlichen Bestrafung. Die Fahrtenbuchauflage dient nicht der Bestrafung und kann schon deswegen nicht mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe verglichen werden, weil sie der (zukünftigen) Gefahrenabwehr dient. Zu diesem Zweck wäre sie nur dann nicht geeignet, wenn der Kl. schlechterdings nicht bereit wäre, dem Gebot zu folgen. Davon kann indessen nicht ausgegangen werden.

Frei von Ermessensfehlern ist die Fahrtenbuchanordnung auch, soweit sie sich auf ein Ersatzfahrzeug erstreckt. Die Anordnung eines Fahrtenbuchs für ein Ersatzfahrzeug, die ihre Rechtsgrundlage ebenfalls in § 31 a I 2 StVZO findet, ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in aller Regel vereinbar. Nur so kann bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sichergestellt werden, dass die Regelungen in § 31 a StVZO nicht leer laufen und der Halter sich seiner Verpflichtung nicht durch den Verkauf des von der Fahrtenbuchanordnung unmittelbar erfassten Fahrzeugs entzieht. Anhaltspunkte, die für den vorliegenden Fall eine Ausnahme rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich. ..."



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