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OLG Stuttgart Beschluss vom 08.03.1993 - 3 Ss 569/92 - Zur Verfälschung der Fahrtenschreiberaufzeichnung und zur Frage eines Verbotsirrtums beim Irrtum über die Bewertung einer Straftat als Ordnungswidrigkeit

OLG Stuttgart v. 08.03.1993: Zur Verfälschung der Fahrtenschreiberaufzeichnung und zur Frage eines Verbotsirrtums beim Irrtum über die Bewertung einer Straftat als Ordnungswidrigkeit


Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 08.03.1993 - 3 Ss 569/92) hat dem BGH folgende Fragen im Wege des Vorlageverfahrens vorgelegt:
  1. Beeinflußt der Fahrer eines Lastkraftwagens durch störende Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang das Ergebnis der Aufzeichnung im Sinne von StGB § 268 Abs 3, wenn er für den Fahrtenschreiber seines Fahrzeugs eine für Geräte mit anderen Geschwindigkeitsbereichen bestimmte Diagrammscheibe verwendet und dadurch bewirkt, daß die Fahrtgeschwindigkeit unzutreffend aufgezeichnet wird?

  2. Zur Frage eines Verbotsirrtums beim Irrtum über die Bewertung einer Straftat als Ordnungswidrigkeit.


Siehe auch EG-Kontrollgerät - Fahrtenschreiber - Fahrerkarte


Anmerkung:
Der BGH hat die Frage mit Beschluss vom 10.12.1993 - 1 StR 212/93 - im Sinne des vorlegendenOLG beantwortet.

Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht hatte den Angeklagten A. S. wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen und wegen Beihilfe zur Fälschung technischer Aufzeichnungen in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 100,-- DM, den Angeklagten T. S. wegen Fälschens technischer Aufzeichnungen zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 70,-- DM verurteilt.

Das Landgericht hat die Berufungen der Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, daß der Angeklagte A. S. wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen und rechtlich selbständiger Beihilfe hierzu in fünf Fällen verurteilt worden ist.

Der Angeklagte A. S. betreibt als selbständiger Unternehmer eine Spedition, die sich auf Stahltransporte im Güterfernverkehr zwischen Deutschland und Italien über Österreich spezialisiert hat. Ihm obliegt die alleinverantwortliche Leitung des Unternehmens. Gemeinsam mit seinem mitangeklagten Sohn T. S. ist er vorwiegend mit der Leitung und Verwaltung des Unternehmens befaßt, bei Bedarf sind beide jedoch auch als Fahrer firmeneigener Lastzüge tätig. In Lastkraftwagen des Unternehmens sind genormte Tachographengeräte installiert, die Geschwindigkeiten bis zu 140 km/h aufzeichnen. Hierzu bedarf es der Verwendung entsprechend genormter Tachographenscheiben. Bei Verwendung von Tachographenscheiben für Geschwindigkeiten bis zu 125 km/h zeichnen die Geräte die Fahrtgeschwindigkeit zu niedrig auf.

In Kenntnis und in Ausnützung dieser Sachlage hatten der Angeklagte A. S. und fünf seiner Fahrer, unter ihnen sein Sohn T., beim Grenzübertritt von Deutschland nach Österreich in den Fahrtenschreibern ihrer Fahrzeuge die dazugehörigen Tachographenscheiben für den Geschwindigkeitsbereich bis 140 km/h durch solche für den Geschwindigkeitsbereich bis 125 km/h ersetzt. Auf diese Weise sollte erreicht werden, daß im Falle polizeilicher Kontrollen in Österreich und Italien tatsächlich begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht entdeckt würden.

Der Angeklagte A. S. hat selbst als Fahrzeuglenker in der Zeit vom 9. Februar bis 17. Juli 1989 elfmal gerätefremde Tachographenscheiben in Österreich und in Italien verwendet und im übrigen veranlaßt, daß seinem Sohn T. und bei ihm beschäftigten Kraftfahrern in Deutschland die Tachographenscheiben für beide Geschwindigkeitsbereiche bei Fahrtantritt ausgehändigt wurden. Dies hatte zur Folge, daß T. S. zwischen dem 9. Januar 1989 und dem 11. Juli 1989 insgesamt 38 Mal, vier weitere Fahrer zwei, zwei, elf und 79 Mal auf österreichischen Straßen die gerätefremden Diagrammscheiben eingelegt hatten. Im Rahmen einer Kontrolle durch das Gewerbeaufsichtsamt in Stuttgart legte A. S. am 10. August 1989 die in Österreich und in Italien verwendeten gerätefremden Diagrammscheiben vor.

Die geständigen Angeklagten haben sich dahingehend eingelassen, sie hielten ihr Verhalten nicht für strafbar, sondern lediglich für "Verwaltungsunrecht", das in Deutschland nicht verfolgbar sei.

Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten entgegen der Rechtsansicht des Bayerischen Obersten Landesgerichts (VRS 46, 124) als jeweils (fortgesetzten) Verstoß gegen § 268 Abs. 1 und Abs. 3 StGB bzw. (fortgesetzte) Beihilfe dazu gewertet. Es hat wegen des Auslandsbezugs der Tat § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB angewendet und auch eine Strafbarkeit nach § 293 des österreichischen Strafgesetzbuches bejaht.

In dieser Ansicht hat sich das Landgericht bestätigt gesehen durch von ihm eingeholte Rechtsauskunft des Präsidenten des Landesgerichts Innsbruck vom 20. Januar 1992 und des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg vom 14. Oktober 1991. Der Irrtum der Angeklagten über die Qualifizierung der Tat als Ordnungswidrigkeit statt als Straftat sei kein Verbotsirrtum.

Der Generalstaatsanwalt hält die von den Revisionen geäußerte Rechtsansicht für unzutreffend und stimmt der Ansicht des Landgerichts zu. Wegen der entgegenstehenden Ansicht des Bayerischen Obersten Landesgerichts (VRS 46, 124) regt er an, die Sache nach § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.

Das OLG würde das landgerichtliche Urteil im Schuldspruch bestätigen, sah sich daran jedoch durch den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27. September 1973 (4 St 86/73, VRS 46, 124 ff) gehindert.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... Ob die Verwendung von Diagrammscheiben, die für Fahrtenschreiber mit anderen Geschwindigkeitsbereichen bestimmt sind, § 268 Abs. 3 StGB verwirklicht, wird bislang in Rechtsprechung und Schrifttum uneinheitlich beantwortet.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht, a. a. O., hat die Rechtsfrage mit der Begründung verneint, bei dieser Vorgehensweise werde nicht auf den technischen Ablauf der Aufzeichnung eingewirkt, sondern lediglich die Schreibunterlage verändert. Dieser Ansicht haben sich - meist ohne nähere Begründung - im Ergebnis angeschlossen Rüth, in: Rüth/Berr/Berz, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., 1988, § 57 a StVZO Rn. 22; Eser, Strafrecht IV, 3. Aufl., 1979, Nr. 19 Anm. 84; Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 24. Aufl., 1991, § 268 Rn. 32; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 31. Aufl., 1991, § 57 a StVZO Rn. 9, denen zufolge aber das falsche Einlegen einer gerätegerechten Diagrammscheibe § 268 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklichen soll. Auch Schilling, Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1970, S. 65, verneint eine Strafbarkeit nach § 268 StGB, weil der Austausch der Schreibunterlage "den technischen Ablauf als solchen unberührt" lasse.

2. Demgegenüber sieht eine wohl vorherrschende Literaturmeinung § 268 Abs. 3 StGB als verwirklicht an. Nach Tröndle, Leipziger Kommentar zum StGB, 10. Aufl., 1988, § 268 Rn. 33 b und Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl., 1993, § 268 Rn. 13 c, bilden die genormte Diagrammscheibe und der Tachograph eine "technische Einheit". Zum selben Ergebnis gelangen z. B. Lackner, StGB, 19. Aufl., 1992, § 268 Anm. 4 b; Maurach/Schroeder, Strafrecht - Besonderer Teil, Bd. 2, 7. Aufl., 1991, Rn. 85; Hirsch, ZStW 85 (1973), S. 721 (726) und Puppe, Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972, S. 253.

3. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an:

Aufzeichnungen eines Fahrtenschreibers auf der Diagrammscheibe sind unstreitig technische Aufzeichnungen im Sinne des § 268 Abs. 2 StGB (BGHSt 28, 300; Schneider; NStZ 1993, 16 mit weiteren Nachweisen). Das Ergebnis dieser Aufzeichnung wird im Falle der Verwendung eines gerätefremden Schaublattes "durch störende Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang" im Sinne des § 268 Abs. 3 StGB beeinflußt.

Eine für eine technische Aufzeichnung nach § 268 Abs. 2 StGB notwendige Darstellung von Daten, Meßwerten oder Geschehensabläufen ist dem Tachographenschreiber nur möglich in Verbindung mit einer Diagrammscheibe. Wird eine andere Schreibunterlage, z. B. ein beliebiges Stück Papier, in den Tachographen eingelegt, so werden darauf nicht Daten, Meßwerte oder Geschehensabläufe in einer für den Rechtsverkehr ohne aufwendige und fehlergeneigte Bearbeitung ablesbaren Form dargestellt. Wenn der Aufzeichnungsvorgang die Verwendung einer Diagrammscheibe notwendig voraussetzt, muß zum ordnungsgemäßen, unmanipulierten Aufzeichnungsvorgang nicht nur die unbeeinflußte Funktion des Geräts selbst, sondern auch die Verwendung einer gerätegerechten Diagrammscheibe gehören.

Zum selben Ergebnis führt der § 268 StGB zugrundeliegende Echtheitsbegriff. Diese Vorschrift schützt das Vertrauen des Rechts- und Beweisverkehrs darin, daß die Aufzeichnung das Ergebnis eines unmanipulierten Ablaufes eines technischen Gerätes ist. Mit solchen Aufzeichnungen verbindet sich die Erwartung, daß sie ohne die bei menschlichen Aufzeichnungsvorgängen möglichen Unachtsamkeiten, Irrtümer oder bewußten und zielgerichteten Verfälschungen zustandegekommen sind. Für die Frage der Enttäuschung dieser Verkehrserwartung ist es dabei unerheblich, an welcher Stelle und auf welche Weise der Aufzeichnungsvorgang manipuliert wird. Der technische Laie ist sich der Details des technischen Ablaufs in aller Regel gar nicht bewußt. Schon begrifflich gehört zu einem Aufzeichnungsvorgang aber auch ein Gegenstand, auf den gezeichnet wird. Ohne diesen findet keine Aufzeichnung statt, sondern nur ein sinnloser Leerlauf.

Für den vom Schutzzweck umfaßten Aufzeichnungsvorgang gehören deshalb Tachograph und die normierte, gerätespezifische Diagrammscheibe zusammen; beide bilden eine "technische Einheit" (Tröndle, a.a.O.). Bei Vorlage einer in einem anderen als für sie vorgesehenen Fahrtenschreibertyp beschrifteten Diagrammscheibe wird darüber getäuscht, welcher Herstellungsvorgang und welcher Fahrtenschreibertyp die Aufzeichnung erstellt hat.

Diesem Verständnis vom Schutzzweck des § 268 StGB liegt die Auffassung zugrunde, die der BGH in seiner Entscheidung vom 6. Februar 1979 (BGHSt 28, 300, 303, 304) entwickelt hat.

Der BGH hat in dieser Entscheidung zu Recht herausgearbeitet, daß der entscheidende Bezugspunkt des Vertrauens in die Richtigkeit eines automatisierten Vorgangs darin liegt, daß dieser Vorgang von menschlicher Einwirkung unberührt und in Übereinstimmung mit der Programmierung des Gerätes abläuft. Zur "Programmierung" eines Tachographen in diesem Sinne gehören aber die automatisierten und normierten technischen Abläufe im Inneren des Gerätes ebenso wie die für den Aufzeichnungsvorgang wesentliche normierte Tachographenscheibe. Dem entspricht es, wenn der BGH in seinem Urteil vom 7. Februar 1980 (BGHSt 29, 204, 209, 210) für den kriminalpolitischen Zweck der Vorschrift in Parallele zu den Urkundsdelikten wesentlich auf die Sicherheit und Verläßlichkeit der Beweisführung mit technischen Aufzeichnungen und damit auf das Aufzeichnungsergebnis abhebt.

Daß § 268 Abs. 3 StGB keine Einwirkung auf den Tachographen oder dessen Funktion selbst voraussetzt, erschließt sich im übrigen auch schon aus seinem naheliegenden Wortsinn. Dieser verlangt entgegen der Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und von Schilling, je a.a.O., nämlich keine Störung des Aufzeichnungsmechanismus, sondern läßt eine solche des - umfassenderen - "Aufzeichnungsvorgangs" ausreichen. Einwirkungen auf das Gerät als solche fallen schon unter § 268 Abs. 1 Nr. 1 StGB.

IV.

Auf die Beantwortung der dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegten Rechtsfrage kommt es im vorliegenden Strafverfahren an.

1. Soweit sich der Angeklagte A. S. wegen (fortgesetzter) Beihilfe zur Fälschung technischer Aufzeichnungen nach § 268 Abs. 3 StGB in fünf Fällen strafbar gemacht hat, handelt es sich um eine Inlandstat, so daß sich die Strafbarkeit allein nach deutschem Strafrecht richtet (§§ 3, 9 Abs. 2 StGB).

2. Gleiches trifft zu auf das Gebrauchmachen von den manipulierten Diagrammscheiben durch deren Vorlage beim Gewerbeaufsichtsamt in Stuttgart (§§ 3, 9 Abs. 1 StGB).

3. Nur soweit die Angeklagten als Täter in Österreich die Diagrammscheiben ausgewechselt haben, ist § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu beachten.

Zwar ist die Fälschung technischer Aufzeichnungen als solche weder in Österreich noch in Italien strafbar. Jedoch haben sich die Angeklagten insoweit nach § 293 des österreichischen Strafgesetzbuches wegen Fälschens von Beweismitteln strafbar gemacht. Der Senat schließt sich der im landgerichtlichen Urteil zitierten Rechtsauskünfte des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht und des Präsidenten des Landesgerichts Innsbruck an.

§ 293 des österreichischen Strafgesetzbuches bezieht die Fälschung technischer Aufzeichnungen ein, wenn der Täter mit dem Vorsatz handelt, das Beweismittel in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren zu gebrauchen. Beweismittel im Sinne dieser Vorschrift ist alles, was geeignet ist, vor Gericht oder Verwaltungsbehörden Beweis zu erbringen (Foregger/Serini, StGB, 5. Aufl., 1991, § 293 Anm. II; Leukauf/Steininger, StGB, 2. Aufl., 1979, § 293 Rn. 2 f.).

Fahrtenschreiberdiagramme sind Beweismittel im Sinn dieser Vorschrift (OGH, öRiZ 1987, S. 49; Kienapfel, Wiener Kommentar zum StGB, § 223 Rn. 117, 122). Unecht ist das Beweismittel auch, wenn es - wie hier - inhaltlich unrichtig ist (Foregger/Serini, a.a.O.). Die Angeklagten haben nach den Feststellungen des Landgerichts auch mit dem Vorsatz gehandelt, die Aufzeichnungen im Falle einer polizeilichen Kontrolle während der Fahrt in Österreich zu gebrauchen.

4. Schließlich erübrigt sich die Vorlegungsfrage nicht wegen Vorliegens eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 StGB). Zwar haben die Angeklagten die Verwendung der normwidrigen Diagrammscheiben zu Täuschungszwecken als Ordnungswidrigkeiten bzw. österreichische Verwaltungsstraftaten und nicht als Kriminalstraftaten nach § 268 StGB bzw. § 293 öStGB eingestuft. Jedoch handelt es sich bei dieser unrichtigen rechtlichen Bewertung nicht um einen Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB.

a) Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Irrtum über die Einordnung einer Zuwiderhandlung als Ordnungswidrigkeit statt als Straftat das Unrechtsbewußtsein entfallen läßt und damit ein Verbotsirrtum vorliegt, der bei seiner Unvermeidbarkeit zum Ausschluß der Schuld führt, ist noch nicht abschließend geklärt.

aa) Landgericht und Generalstaatsanwaltschaft halten einen solchen Irrtum des Täters offenbar stets für irrelevant. Sie befinden sich damit in Übereinstimmung mit einem Teil des Schrifttums (z. B. Dreher/Tröndle, a.a.O., § 17 Rn. 3; Lackner, StGB, 19. Aufl., 1991, § 17 Rn. 2).

Die Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs (BGHSt 11, 263, 266) eignet sich als Beleg indessen nicht. Dort hatte der Bundesgerichtshof lediglich über den Sonderfall eines Irrtums des Täters über die Einordnung einer Zuwiderhandlung in Fällen echter Mischtatbestände nach § 6 Abs. 2 WiStG 1949/1952 entschieden.

Auch wer statt eines spezifizierten "Unrechtsbewußtseins" das Bewußtsein des Täters von der allgemeinen "Rechtswidrigkeit" seines Tuns ausreichen läßt (wie z. B. Arthur Kaufmann, Festschrift für K. Lackner zum 70. Geburtstag, 1987, S. 185, 188; Otto, Jura 1990, 645 mit weiteren Nachweisen; Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 24. Aufl., 1991, § 17 Rn. 5; Wessels, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 22. Aufl., 1992, S. 130), muß die irrige Einordnung einer Straftat als Ordnungswidrigkeit für unbeachtlich halten.

bb) Die Gegenposition vertritt insbesondere F. -C. Schroeder, Leipziger Kommentar zum StGB, 10. Aufl., 1985, § 17 Rn. 8. Danach soll dem Täter einer Straftat, der glaubt, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen, das Unrechtsbewußtsein immer fehlen.

b) Beide Auffassungen gehen zu weit. Vielmehr ist zu differenzieren. Daß als Unrechtsbewußtsein nicht das Bewußtsein ausreicht, sich im Sinne der Gesamtrechtsordnung "rechtswidrig" zu verhalten, folgt schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Satz 1 StGB. Diese Vorschrift spricht - im Unterschied zu § 11 Abs. 2 OWiG - vom "Unrecht" und nicht vom "Unerlaubten" oder von der "Rechtswidrigkeit", und sie bezieht das Unrecht auf eine "Tat", welche § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB als ein straftatbestandsmäßiges Verhalten definiert.

Infolgedessen fehlt das Unrechtsbewußtsein dann, wenn der Täter sich des straftatbestandlich vertypten Unrechts nicht bewußt ist (BFH, NJW 1987, 519, 520; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 1991, S. 552, 554; Rudolphi, Systematischer Kommentar zum StGB, 5. Aufl., 1989, § 17 Rn. 7), mag er sein Tun auch für rechtswidrig halten. Schuld ist immer Tatschuld (Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1992, S. 591). Dieser Differenzierung und Spezifizierung des Unrechtsbewußtseins trägt die überwiegend in Rechtsprechung (BGHSt 10, 35 ff.; 15, 377, 383) und Literatur (Baumann/Weber, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl., 1985, S. 421; Jescheck, JZ 1957, S. 551 f.; Roxin a.a.O.; Rudolphi, a.a.O.) vertretene These von der Möglichkeit einer Spaltung oder Teilbarkeit des Unrechtsbewußtseins Rechnung.

c) Um sich des straftatbestandlich vertypten Unrechts bewußt zu sein, muß der Täter allerdings nach fast einhelliger Ansicht (Roxin, a.a.O., S. 589 mit weiteren Nachweisen) sein Tun nicht als strafbar bewerten. Dazu hätte § 17 StGB die fehlende Einsicht, "strafbar" zu handeln, postulieren müssen. Vielmehr reicht es aus, daß der Täter das straftatbestandsspezifische Unrecht, die "spezifische Rechtsgutsverletzung" (BGHSt 15, 377, 383; ähnlich OLG Celle, NJW 1987, 78 ff.), erkennt.

So verhält es sich bei den beiden Angeklagten. Sie waren sich nicht nur bewußt, daß ihr Verhalten von der Rechtsordnung mißbilligt wird, sondern auch, daß dieses dem spezifischen Unrechtsgehalt des § 268 Abs. 3 StGB und des § 293 des österreichischen Strafgesetzbuches entspricht, daß sie nämlich manipulierte, zur Beweisführung ungeeignete technische Aufzeichnungen herstellten mit dem Vorsatz, sie erforderlichenfalls zur Irreführung der Behörden als Beweismittel zu gebrauchen.

Da die Angeklagten jeweils mit Unrechtsbewußtsein gehandelt haben, kommt es auf die Frage der Vermeidbarkeit ihres Irrtums nicht mehr an. ..."



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