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OLG Hamm Urteil vom 10.11.2006 - 2 Ss OWi 656/06 - Zum Begründungsumfang beim Absehen vom Fahrverbot bei mehreren Vorbelastungen
OLG Hamm v. 10.11.2006: Zum Begründungsumfang beim Absehen vom Fahrverbot bei mehreren Vorbelastungen
Das OLG Hamm (Urteil vom 10.11.2006 - 2 Ss OWi 656/06) hat entschieden:
Ist der Betroffene in der Vergangenheit bereits mehrfach verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten, bedarf es einer eingehenden Erörterung, warum trotz dieser Vorwarnung(en) nun nochmals von der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme des Fahrverbotes abgesehen werden kann bzw. soll.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Fahrverbot
Zum Sachverhalt: Das AG hat den verheirateten Betr., der als selbständiger Taxiunternehmer tätig ist, ein monatliches Nettoeinkommen von 1.000 € erzielt und in dessen Betrieb auch seine Ehefrau ein Taxi fährt, wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 41 Abs. 2, 49 StVO. 24, 25 StVG zu einer Geldbuße von 450 € verurteilt, von der Verhängung eines Fahrverbotes jedoch abgesehen.
Hiergegen richtete sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft. die Erfolg hatte.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der Rechtsfolgenausspruch ist allerdings aus Rechtsgründen derzeit zu beanstanden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:
„Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft H. mit der gem. § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthaften.. rechtzeitig angebrachten sowie form- und fristgerecht begründeten Rechtsbeschwerde. mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
Dem ausweislich seiner Begründung - wirksam - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft H. trete ich bei und bemerke ergänzend:
Die Erwägungen. auf Grund derer das AG von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots abgesehen hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Besonderheiten. die gem. § 4 Abs. 4 BKatV Anlass geben könnten, von der daher regelmäßig gebotenen Anordnung eines Fahrverbots im vorliegenden Fall abzusehen, sind den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen.
Dies wäre nur dann der Fall, wenn der festgestellte Lebenssachverhalt zugunsten des Betr. so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufwies. dass die Annahme eines Ausnahmefalls gerechtfertigt ist und die Verhängung eines Fahrverbots trotz der groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung unangemessen wäre. wobei das Vorliegen erheblicher Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher oder durchschnittlicher Umstände ausreicht. Einen solchen Ausfall kann zwar insbesondere der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen (vgl. Senatsbeschluss vom 1. 6.2006 - 2 Ss OWi 262'06 - m.w.N.). Der Tatrichter hat dann im Rahmen der von ihm zu treffenden Entscheidung die Gefährdung des Arbeitsplatzes oder der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Betr. positiv festzustellen und die seiner Einschätzung zugrunde liegenden Tatsachen in den Urteilsgründen eingehend darzulegen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. 9. 2005 - 3 Ss OWi 610/05 - m.w.N.). Die Ausführungen des Gerichts dürfen sich in einem solchen Fall daher nicht auf die unkritische Wiedergabe der Einlassung des Betr. beschränken (vgl. OLG Hamm VRS 95. 138).
Diesen Anforderungen werden die Gründe des angefochtenen Urteils nicht gerecht. Sie lassen zwar erkennen, dass das AG die berufliche Situation des Betr. gewürdigt hat, wonach im Falle der Verhängung eines Fahrverbots feste Kundenaufträge zur Durchführung von Krankenfahrten entfielen und er aufgrund der finanziellen Situation nicht in der Lage sei, einen weiteren Fahrer für sein Taxiunternehmen einzustellen. Darüber hinaus sei er als selbständiger Unternehmer nicht in der Lage, einen einmonatigen Urlaub anzutreten. Das AG hat es aber unterlassen, seine Angaben einer kritischen Prüfung zu unterziehen und die erforderlichen Beweiserhebungen durchzuführen. Die negativen Folgen eines Fahrverbots und die verschiedenen Möglichkeiten, diese abzumildern, sind im Einzelnen konkret darzulegen. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, warum es dem Betr. nicht - worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hingewiesen hat - möglich ist, die wirtschaftlichen Auswirkungen für seinen Betrieb dadurch abzumildern. dass seine ebenfalls im Unternehmen tätige Ehefrau die genannten Krankenfahrten des Betr. übernimmt.
Aber selbst wenn Umstände hätten festgestellt werden können. hätte ein Betr., wenn er aufgrund des Fahrverbotes mit durchgreifenden beruflichen Schwierigkeiten zu rechnen hätte, diese auch dann hinzunehmen, wenn - wie hier - wegen der Vielzahl der bereits in der Vergangenheit begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten keine andere Maßnahme als die Verhängung der Denkzettelmaßnahme „Fahrverbot” mehr bleibt (vgl. OLG Hamm VersR 93, 377)."
Diesen Ausführungen tritt der Senat im Wesentlichen bei, weist für die neue Hauptverhandlung allerdings zusätzlich noch auf Folgendes hin:
Nach der Rspr. des Senats unterliegt das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots der tatrichterlichen Würdigung und ist vom Rechtsbeschwerdegericht „bis zur Grenze des Vertretbaren” hinzunehmen (Senat in zfs 1996, 35 = DAR 1996. 68 = VersR 91, 138). Ist die tatrichterliche Entscheidung, von der Verhängung eines Regelfahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße abzusehen, nicht ermessensfehlerhaft, sondern vertretbar, ist ohne Bedeutung, ob nicht auch eine andere Entscheidung vertretbar gewesen wäre (Senat in VRS 92, 40). Auf dieser Grundlage wäre zweifelhaft, ob nicht bei einem Ersttäter die vom AG getroffene Absehensentscheidung unter Berücksichtigung der massiv erhöhten Geldbuße hinzunehmen wäre (vgl. dazu Senat im Beschluss vom 3. 7. 2006, 2 Ss OWi 324/06). Vorliegend hat das AG jedoch übersehen, dass der Betr. seit 2003 bereits dreimal verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist, davon zweimal wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Im Jahr 2003 ist sogar bereits einmal gegen Erhöhung der Geldbuße von einem Fahrverbot abgesehen worden. Bei dieser Sachlage bedurfte es einer eingehenden Erörterung, warum trotz dieser Vorwarnung(en) nun nochmals von der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme des Fahrverbotes abgesehen werden kann bzw. soll (vgl. dazu ähnlich Senat in DAR 1997, 117 = VRS 93, 217; VRS 96, 458 = NZV 1999, 391). Das angefochtene Urteil lässt diese Darlegungen vermissen. Ihm lässt sich zudem auch nicht entnehmen, warum das AG die Regelgeldbuße auf 450 € erhöht hat, ob dafür nämlich die Voreintragungen und/oder das Absehen vom Fahrverbot maßgebend gewesen sind. ..."