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OLG Bamberg Beschluss vom 02.07.2007 - 3 Ss OWi 849/2007 - Kein Fahrverbot wegen beharrlicher Pflichtverletzung bei zweimaliger Geschwindigkeitsüberschreitung und Telefonieren mit dem Handy
OLG Bamberg v. 02.07.2007: Kein Fahrverbot wegen beharrlicher Pflichtverletzung bei zweimaliger Geschwindigkeitsüberschreitung und Telefonieren mit dem Handy
Das OLG Bamberg (Beschluss vom 02.07.2007 - 3 Ss OWi 849/2007) hat entschieden:
Weist das Verkehrszentralregister für den Betroffenen an Vorahndungen zwei seit dem 22.05.2003 bzw. 11.05.2004 rechtskräftige Vorahndungen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit jeweils um 24 km/h sowie eine seit dem 05.04.2005 rechtskräftige Vorahndung wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons auf, rechtfertigt dies allein nicht die Annahme einer nunmehr beharrlich begangenen Pflichtverletzung.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Fahrverbot
Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft um 25 km/h zu einer Geldbuße von 80,- Euro und verhängte ein mit einer Anordnung nach § 25 Abs. 2 a StVG verbundenes Fahrverbot auf die Dauer eines Monats.
Zum Sachverhalt hat das Amtsgericht festgestellt:
“Der Betroffene fuhr am 29.04.2005 um 8.52 Uhr mit dem PKW Ford in F. auf der A 94 bei Kilometer 21,100 in Richtung P. mit einer Geschwindigkeit von mindestens 85 km/h, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 auf 60 km/h beschränkt war. Der Betroffene hat nicht ausschließbar übersehen, zu schnell zu fahren.”
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat das Amtsgericht ausgeführt:
“Der Betroffene war daher wegen fahrlässiger Überschreitung der durch ein Vorschriftszeichen beschränkten zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft nach §§ 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24, 25 Abs. 1, Abs. 2 a StVG schuldig zu sprechen.”
Mit der gegen diese Entscheidung geführten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und - nach Gewährung der Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Ebersberg vom 08.03.2006 - auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge Erfolg; das Urteil hält in zweifacher Hinsicht sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand:
a) Nach dem Urteilstenor und nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Betroffene die ihm zur Last gelegte Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften begangen, nach der rechtlichen Würdigung außerhalb geschlossener Ortschaften. Ein derartiger Widerspruch zwischen dem Urteilstenor und den Urteilsgründen im Rahmen der rechtlichen Würdigung einerseits wie innerhalb der Urteilsgründe zwischen Sachverhalt und rechtlicher Würdigung andererseits ist ein materiell-rechtlicher Mangel. Dieser führt zur Aufhebung des Urteils, weil sich im vorliegenden Fall nicht zur Gewissheit des Senats feststellen lässt, dass die rechtliche Würdigung, soweit sie auf einen Geschwindigkeitsverstoß außerhalb geschlossener Ortschaften abstellt, auf einem Schreibversehen beruht und es sich somit nur um einen scheinbaren Widerspruch handelt (wie hier schon BayObLG Beschluss vom 23.08.1994 - 3St RR 74/94 - bei JURIS).
Für ein bloßes Schreibversehen im Rahmen der rechtlichen Würdigung spricht zwar die Übereinstimmung des Tenors mit der Sachverhaltsfeststellung. Jedoch ist gleichzeitig festgestellt, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Bundesautobahn stattfand. Wenn auch der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht zuzugestehen ist, dass Autobahnen teilweise innerhalb geschlossener Ortschaften verlaufen, erscheint dies bei einer gerichtsbekannt landkreiszugehörigen, nicht allzu großen Gemeinde zweifelhaft. Zumindest ist der Verlauf von Bundesautobahnen innerhalb geschlossener Ortschaften nicht der Regelfall. Nähere Feststellungen oder beweiswürdigende Ausführungen hierzu, die die Feststellung eines nur scheinbaren Widerspruchs erlauben könnten, sind in dem angefochtenen Urteil nicht getroffen.
Dieser Mangel wirkt sich auf das Bußgelderkenntnis aus, weil die Tabelle 2c des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV (BKat) in Nr. 11.3.4 den Regelsatz der Geldbuße danach differenziert, ob die Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb oder außerhalb geschlossener Ortschaften begangen worden ist. Da die Tatrichterin bei der Bemessung der Geldbuße im konkreten Fall zwar von dem Regelsatz ausgegangen ist, diesen jedoch betragsmäßig nicht näher bezeichnet, aber erhöht hat, lassen sich auch hieraus keine Rückschlüsse auf eine Tatbegehung inner- oder außerorts ziehen.
b) Weiterhin tragen die Urteilsfeststellungen die von der Tatrichterin angenommene beharrliche Verletzung der Pflichten als Kraftfahrzeugführer im Sinne von § 25 Abs. 1 StVG nicht. Wie im Urteil im Einzelnen - wenngleich ohne die grundsätzlich erforderliche Angabe der Tatzeiten - ausgeführt, weist das Verkehrszentralregister für den Betroffenen an Vorahndungen zwar zwei seit dem 22.05.2003 bzw. 11.05.2004 rechtskräftige Vorahndungen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit jeweils um 24 km/h sowie eine seit dem 05.04.2005 rechtskräftige Vorahndung wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons auf. Dies allein rechtfertigt die Annahme einer nunmehr beharrlich begangenen Pflichtverletzung nicht.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht hat in ihrer Stellungnahme, mit der sie eine Abänderung des angefochtenen Urteils dahingehend beantragt, dass die Anordnung eines Fahrverbotes in Wegfall gerät, ausgeführt:
“Der mit Bußgeldbescheid vom April 2005 geahndete Verstoß (Verstoß gegen § 23 Abs. 1 a StVO) steht mit den Geschwindigkeitsüberschreitungen in keinerlei Zusammenhang, so dass auf diesen Verstoß die Annahme einer beharrlichen Pflichtverletzung nicht gestützt werden kann. Der von dem Betroffenen begangene Verstoß ist hier nicht von ähnlich starkem Gewicht wie der Regelfall. Zwar wurde der Betroffene hier binnen eines Zeitraumes von rund zwei Jahren wegen dreier Geschwindigkeitsüberschreitungen zwischen 24 und 25 km/h geahndet. Allerdings hat keine dieser Übertretungen die Grenze des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV erreicht. Zwischen der Rechtskraft der Vorahndung und dem erneuten Verstoß lag jeweils rund ein Jahr.
Das Amtsgericht geht zutreffend davon aus, dass der Tatrichter an die Indizwirkung eines Regelbeispiels bzw. der Nichtaufnahme einer Fallkonstellation - wie der hier vorliegenden - als Regelbeispiel in die BKatV nicht gebunden ist. Weicht der Tatrichter aber von der Vorbewertung durch den Gesetzgeber nach Maßgabe der BKatV zu Lasten des Betroffenen ab, dann hat er im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung aller für die Rechtsfolgenentscheidung relevanten Umständen des Einzelfalles in objektiver und subjektiver Hinsicht darzutun, weshalb das Gesamtbild der zu beurteilenden Verkehrsordnungswidrigkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem solchen Maß abweicht, dass ein Fahrverbot entgegen der gesetzgeberischen Vorbewertung nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV angemessen ist (OLG Bamberg in ständiger Rechtsprechung, vgl. Beschluss vom 18.11.2005, Az.: 2 Ss OWi 1329/05). Im vorliegenden Fall hat keine der dem Betroffenen angelasteten Geschwindigkeitsüberschreitungen den in § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV normierten Grenzwert von 26 km/h erreicht. Die einzelnen Verstöße lagen jeweils rund 11 bzw. 12 Monate auseinander. Weder das Ausmaß der einzelnen Geschwindigkeitsüberschreitungen noch deren zeitliche Dichte belegen hier ausreichend, warum die Verhängung eines Fahrverbotes unausweichlich war.”
Diesen Ausführungen, die der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats entsprechen, ist nichts hinzuzufügen (vgl. insoweit auch Deutscher in VRR 2007, 169 ff).
III.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist daher das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat bereits deswegen verwehrt, weil er nicht feststellen kann, welcher konkrete Sachverhalt - Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb oder außerhalb geschlossener Ortschaften - der Beurteilung zugrunde zu legen ist. Eine Korrektur der Urteilsformel (vgl. BayObLGSt 1999, 88/89; BayObLG DAR 2000, 366/367) kommt daher nicht in Betracht. ..."