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BayObLG Beschluss vom 03.05.1990 - 1 Ob OWi 137/90 - Zum Absehen vom Fahrverbot beim leicht fahrlässigen Übersehen eines Verkehrsschildes
BayObLG v. 03.05.1990: Zum Absehen vom Fahrverbot beim leicht fahrlässigen Übersehen eines Verkehrsschildes
Das BayObLG (Beschluss vom 03.05.1990 - 1 Ob OWi 137/90) hat entschieden:
Auch eine erhebliche Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit (hier um 62 km/h auf einer Autobahnstrecke, auf der aus Gründen des Lärmschutzes die zulässige Geschwindigkeit mittels eines sog. Geschwindigkeitstrichters zuletzt auf 80 km/h beschränkt war) rechtfertigt bei einem Ersttäter grundsätzlich nicht die Verhängung eines Fahrverbots, wenn sie ihren Grund darin hatte, dass der Betr. die die Geschwindigkeitsbeschränkung anordnenden Verkehrszeichen übersehen hat.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Fahrverbot
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck hat am 30.11.1989 gegen den Betroffenen wegen "einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 60 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft" eine Geldbuße von 400 DM festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene den Wegfall des Fahrverbots. Er rügt die Verletzung des materiellen Rechts.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 79 Abs.1 Satz 1 Nr.2 OWiG); sie ist auch in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstanden und daher zulässig.
Wegen des engen Zusammenhangs zwischen Festsetzung der Geldbuße und Anordnung des Fahrverbots konnte die Rechtsbeschwerde nicht wirksam auf die letztere Anordnung beschränkt werden, sondern erfasst den Rechtsfolgenausspruch im ganzen (vgl. BGHSt 24, 11). Die der Beschwerdebegründung zu entnehmende Rechtsmittelbeschränkung ist daher insoweit unwirksam.
Hingegen unterliegt der Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils infolge der Rechtsmittelbeschränkung, gegen deren Wirksamkeit in diesem Umfang keine Bedenken bestehen, nicht mehr der Nachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts; dieses ist hierdurch jedoch nicht gehindert, die Fassung des Schuldspruchs der Vorschrift des § 260 Abs.4 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 OWiG anzupassen. Nach dieser Bestimmung ist in der Urteilsformel der Bußgeldtatbestand den einschlägigen Rechtsvorschriften - zu denen der zur Tatzeit geltende Bußgeldkatalog nicht gehört - zu entnehmen.
2. Zur Begründung des Fahrverbots hat das Amtsgericht ausgeführt:
"Die Geschwindigkeitsbegrenzung bei Kilometer 13 der Bundesautobahn A 96 wurde aus Lärmschutzgründen am 5.8.1988 probeweise angeordnet und im August 1989 als Dauerregelung festgesetzt. Aufgrund von Untersuchungen des ADAC (Nr. 16 der ADAC-Kraftfahrerinformationen) und anderer dem Gericht vorliegender Fachliteratur ist dem Gericht bekannt, dass der Straßenlärm bei den davon betroffenen Menschen zu Störungen der Gesundheit, insbesondere wegen der Auswirkungen auf Schlaf, Konzentrationsfähigkeit, Blutdruck, Herztätigkeit und Nervosität führt und bei Kindern die Lernfähigkeit negativ beeinflusst und zu Aggressivitäten führt. Dies müsste insbesondere dem Betroffenen als Arzt ebenfalls bekannt sein. Die Tatzeit ist 1.18 Uhr früh, so dass hier durch das Verhalten des Betroffenen insbesondere die Nachtruhe der Anwohner erheblich beeinträchtigt ist. Die Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder sind auch groß und deutlich angebracht, so dass sie jedem durchschnittlich aufmerksamen Kraftfahrer auffallen müssen. Trotzdem überschritt der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 60 km/h. Er hat damit ein so verantwortungsloses Verhalten an den Tag gelegt, dass nur die Anordnung eines Fahrverbots dem Betroffenen dazu bringen kann, künftighin sich auch hinsichtlich der gefahrenen Geschwindigkeit an die Verkehrsvorschriften zu halten. Das Gericht ist der Ansicht, dass die Anordnung eines Fahrverbots von einem Monat auch nicht gegen den verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Eine Geldbuße allein kann nach Ansicht des Gerichts bei dem Betroffenen die erhoffte Wirkung nicht herbeiführen. Selbst wenn die ausgesprochene Geldbuße von DM 400,-- auf das Höchstmaß von DM 500,-- erhöht werden würde, könnte dies dem Betroffenen allenfalls kurz bei der Überweisung des Betrages ärgern, aber die dauerhafte Wirkung, die ein Fahrverbot von 1 Monat herbeiführt, nicht bewirken.
Der Betroffene kann auch nicht damit gehört werden, dass er seinen Führerschein wegen seiner Patienten unbedingt braucht. Der Betroffene kann sich während dieser Zeit des Fahrverbots ebenso vertreten lassen, wie er dies tun muss, wenn er sich auf Urlaub befindet. Die Tatsache, dass der Betroffene seinen Führerschein besonders dringend braucht, hätte ihn auch dazu veranlassen müssen, besonders aufmerksam die Verkehrsregeln zu beachten und sich nicht über das Ruhebedürfnis seiner Mitmenschen hinwegzusetzen. Nach Ansicht des Gerichts hat er sich in besonders schwerer Weise über eine getroffene Geschwindigkeitsbeschränkung hinweggesetzt, so dass ein verantwortungsloses Verhalten im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im NJW 69, 16223 ff bejaht werden muss. Die Verhängung des Fahrverbots erscheint auch nicht außer Verhältnis, da, wie oben schon ausgeführt, nach Ansicht des Gerichts die Verhängung einer Geldbuße allein den Betroffenen sicher nicht zur Einsicht bringen kann."
Diese Erwägungen des Amtsgerichts rechtfertigen nicht die Verhängung des Fahrverbots.
Allerdings hat das Amtsgericht zu Recht objektiv eine grobe Verkehrswidrigkeit darin gesehen, dass der Betroffene drei Kilometer-Begrenzungsschilder übersehen hat, die einen sog. Geschwindigkeitstrichter bildeten, und er dabei die vom letzten Verkehrszeichen auf der Autobahn auf 80 km/h begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit um 62 km/h überschritten hat. Zutreffend weist das Amtsgericht auch auf die besondere Bedeutung des Schutzes gegen Straßenlärm hin. Dennoch kann der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts keinen Bestand haben, weil dieses zu Unrecht eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs.1 Satz 1 StVG angenommen und die weitere Voraussetzung für die Anordnung eines Fahrverbots, nämlich die Übereinstimmung mit dem verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, bejaht hat.
a) Eine grobe Pflichtverletzung ist nur dann gegeben, wenn dem Betroffenen über die - hier festgestellte - grobe Verkehrswidrigkeit hinaus auch in subjektiver Hinsicht ein schwerwiegendes Fehlverhalten anzulasten ist (BayObLG v. 12.10.1989 - 1 Ob OWi 180/89 m.w.Nachw.). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn angesichts der Straßenverhältnisse und (oder) des zur Tatzeit herrschenden Verkehrs die abstrakte Gefährlichkeit seines Verhaltens für ihn ersichtlich von besonderem Gewicht hätten sein müssen (vgl. BayObLG v. 3.4.1980 - 1 Ob OWi 41/80; OLG Hamm VRS 54, 146; OLG Frankfurt NJW 1970, 1334 und Verk- Mitt 1979, 14 Nr.18 und 19; OLG Düsseldorf VRS 52, 367; OLG Koblenz VRS 60, 422).
Im vorliegenden Fall weist die Tat nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen folgende Besonderheiten auf: Der Betroffene, der seit 1967 den Führerschein besitzt und nicht vorgeahndet ist, befand sich auf der Rückfahrt vom Urlaub aus Jugoslawien, als er nachts um 1.18 Uhr auf der Autobahn unterwegs war, und er übersah dabei aus grober Unachtsamkeit die Verkehrszeichen über die zulässige Höchstgeschwindigkeit und mit dem Zusatzschild "Lärmschutz". Nach dieser vom Amtsgericht nicht für widerlegt erachteten Einlassung des Betroffenen ist dessen Fahrverhalten lediglich ein Ausfluss einer verhältnismäßig kurzfristigen Unachtsamkeit und lässt folglich keine Schlüsse auf eine besonders zu missbilligende innere Einstellung zu den Verkehrspflichten des Fahrzeugführers zu, denn es fehlt die innere Beziehung zwischen Tat und Täter, die erforderlich ist, um die Zuwiderhandlung insgesamt als grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrers einzustufen (vgl. Bay- ObLG v. 15.3.1982 - 2 Ob OWi 551/81 m.w.Nachw.). Das grob verkehrswidrige und fahrlässige Überschreiten einer aus Lärmschutzgründen angeordneten Höchstgeschwindigkeit rechtfertigt für sich allein noch nicht den Vorwurf eines verantwortungslosen Verhaltens.
b) Daneben rechtfertigt die Begehung einer in § 24 StVG mit Geldbuße bedrohten Ordnungswidrigkeit nach dem verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur dann die Anordnung eines Fahrverbots, wenn die erforderliche Einwirkung auf den Täter nicht auch durch eine entsprechend hoch bemessene Geldbuße erreicht werden kann (BVerfGE 27, 36/42 f.; BayObLGSt 1976, 58/59 f.; v. 18.3.1987 1 Ob OWi 326/86 m.w.Nachw.). Die in dem angefochtenen Urteil hierzu angestellten Überlegungen sind unzutreffend. Allein aus der guten wirtschaftlichen Lage des Betroffenen zu folgern, die Zahlung selbst der Höchstgeldbuße von 500 DM könne ihn nur kurzzeitig ärgern, jedoch keine dauerhafte Wirkung entfalten, ist bei einem Ersttäter nicht gerechtfertigt.
III.
Aufgrund der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen kann der Senat nach § 79 Abs.6 OWiG selbst über die Rechtsfolgen befinden. Danach ergibt sich aufgrund der Angabe der Berufstätigkeit des Betroffenen, dass von überdurchschnittlich guten Einkommensverhältnissen auszugehen ist. Zugunsten des Betroffenen ist zu berücksichtigen, dass keine Vorahndungen vorliegen. Erheblich erschwerend muss sich - insoweit besteht Übereinstimmung mit den Darlegungen im angefochtenen Urteil - auswirken, dass nicht nur objektiv eine gravierende Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, sondern vor allem ein Verschulden höheren Grades vorgelegen hat, weil der Betroffene in einem sogenannten Geschwindigkeitstrichter drei die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkende Verkehrszeichen übersehen hat. Der Senat hält deshalb eine Geldbuße in Höhe von 400 DM für angemessen.
IV.
Hiernach ist das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch in der geschehenen Weise abzuändern.
Die Entscheidung ergeht nach § 79 Abs.5 Satz 1 OWiG durch Beschluss.
Die Kostenentscheidung entspricht § 473 Abs.3 StPO, § 46 Abs.1 OWiG, weil der Betroffene sein allein angestrebtes Ziel - den Wegfall des Fahrverbots - erreicht hat (KK/Schikora/Schimanski 2.Aufl. § 473 Rn.6).
Ebenfalls in diesem Sinn hat das OLG Jena (Beschluss vom 17.01.1995 - 1 Ss 73/94) geurteilt:
"Auch bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 55 km/h außerorts ist kein Fahrverbot veranlasst, wenn beim erstmaligen Zuschnellfahren das Verkehrszeichen übersehen wurde. Es ist dann kein besonders verantwortungsloses Verhalten gegeben, wenn der Verstoß zu keiner besonders verkehrsreichen Zeit erfolgte bzw. mit keiner Fremdgefährdung verbunden war."