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OLG Hamm Beschluss vom 02.08.2005 - 3 Ss OWi 468/05 - Zur Verhängung eines Regelfahrverbots gegen einen Betriebsrat und Prokuristen mit Reisetätigkeit

OLG Hamm v. 02.08.2005: Zur Verhängung eines Regelfahrverbots gegen einen Betriebsrat und Prokuristen mit Reisetätigkeit


Das OLG Hamm (Beschluss vom 02.08.2005 - 3 Ss OWi 468/05) hat entschieden:
Für das ausnahmsweise Absehen von einem Regelfahrverbots reicht es nicht aus, dass der Betroffene Prokurist und Betriebsratsvorsitzender und Mitglied im Gesamtbetriebsrat mit einer entsprechenden Reisetätigkeit ist. Ebenso wenig reicht es aus, dass die Tätigkeit als Prokurist (im Betrieb des Ehegatten) auch tägliche Besuche bei Kunden vor Ort umfasst. Denn dem Betroffenen droht bei einem Fahrverbot kein Arbeitsplatzverlust, sondern lediglich eine Erschwerung seiner Tätigkeit als Betriebsrat mit Reisetätigkeit.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Fahrverbot


Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht Essen hat durch das angefochtene Urteil gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb einer geschlossenen Ortschaft eine (erhöhte) Geldbuße von 300,- Euro verhängt; von der Verhängung eines Fahrverbotes wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV hat das Amtsgericht abgesehen.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 14.08.2004 gegen 07.51 Uhr die BAB 40 in Fahrtrichtung Bochum in Höhe Schönscheidtstraße in Essen außerhalb geschlossener Ortschaft, wobei die gemessene 136 km/h betrug. Das Gericht ging nach Abzug eines Toleranzwertes von 5 km/h von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h aus.

Das Verkehrszentralregister weist nach den Feststellungen aus, dass der Betroffene zuvor im Oktober 2003 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 39 km/h überschritten hatte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Sie ist ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft mit näheren Ausführungen beigetreten.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg, denn die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils weist einen durchgreifenden materiell-rechtlichen Rechtsfehler auf.

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 6. Juli 2005 Folgendes ausgeführt:
"Das angefochtene Urteil ist bereits deshalb im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, weil die Urteilsfeststellungen des Amtsgerichts dem Rechtsbeschwerdegericht nicht die Prüfung ermöglichen, ob das Gericht von der Verhängung eines Fahrverbotes zu Recht abgesehen hat. Die Verhängung des Fahrverbotes nach § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV kommt nur dann in Betracht, wenn gegen den Führer eines Kraftfahrzeuges wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht. Diese Voraussetzungen hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil nicht dargelegt, da es weder das Datum des Bußgeldbescheides noch das maßgebliche Datum der Rechtskraft mitteilt. Ohne Angabe der Rechtskraft des vorgenannten Bußgeldbescheides kann das Rechtsbeschwerdegericht aber nicht überprüfen, ob die Rechtskraft zum Zeitpunkt der nunmehr zu ahndenden Verkehrsordnungswidrigkeit bereits eingetreten war. Die Angabe des Datums der Rechtskraft des Bußgeldbescheides ist daher unbedingt erforderlich (zu vgl. Senatsbeschluss vom 16.04.1998 - 3 Ss OWi 414/98 -; OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2003 - 2 Ss OWi 1148/02 -).

Überdies rechtfertigen die Erwägungen des Amtsgerichts weder für sich genommen noch unter Gesamtwürdigung aller Umstände das Absehen von der Verhängung eines gem. § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV bei einem Verstoß gegen § 25 Abs. 1 S. 1 StVG regelmäßig vorgesehenen Fahrverbots von einem Monat. Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung eines Regeltatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, dass von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (BGH, NZV 1992, 286 (287)). Dem Tatrichter ist insoweit jedoch kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen eingeräumt, das nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern hin von dem Beschwerdegericht überprüfbar wäre, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnitts- oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (Senatsbeschlüsse vom 13.11.2001 - 3 Ss OWi 951/01 - und vom 22.08.2002 - 3 Ss OWi 620/02 -). Zwar kann in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass durch die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Betroffenen gefährdet werde, das Absehen von einem Fahrverbot begründen (Senatsbeschlüsse vom 13.11.2001 - 3 Ss OWi 951/01 - und vom 22.08.2002 - 3 Ss OWi 620/02 -). Eine solche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil gerade nicht festgestellt.

Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot bedarf einer eingehenden Begründung und ist mit ausreichenden Tatsachen zu belegen (OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 06.12.2001 - 3 Ss OWi 1975/01 -; OLG Hamm, NZV 1996, 118). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Von der Verhängung eines Fahrverbots kann zwar auch bei Vorliegen erheblicher Härten oder einer Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände abgesehen werden, wobei nicht jeder wirtschaftliche Nachteil eine solche Entscheidung rechtfertigt (BGHSt 38, 125 ff). Umstände der vorbezeichneten Art sind den Feststellungen des angefochtenen Urteils indes nicht zu entnehmen. Allein die Feststellung, der Betroffene sei in der Firma seiner Ehefrau angestellt, verfüge über Prokura und besuche täglich mehrere Kunden, die er aufgrund des Zeitverlustes nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufsuchen könne, rechtfertigt das Absehen von einem Fahrverbot nicht. Das Amtsgericht hat insofern nicht festgestellt, dass die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen bei einem einmonatigen Fahrverbot gefährdet wäre. Dies wird auch nicht durch die Bescheinigung der Ehefrau belegt, mit der pauschal behauptet wird, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens sei bei einem Fahrverbot von einem Monat gefährdet. Allgemeine berufliche Nachteile sind jedoch von dem Betroffenen als Folge des Fahrverbots hinzunehmen. Darüber hinaus ist den getroffenen Feststellungen auch nicht zu entnehmen, warum es dem Betroffenen nicht möglich sein soll, für die Dauer des Fahrverbots einen Fahrer zu beschäftigen oder dieses in einen vierwöchigen Urlaub zu legen. Die bloße Behauptung, dies sei derzeit und binnen der nächsten vier Monate nicht möglich, da es sich um eine kleine Firma handele, reicht dazu jedenfalls nicht."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand der eigenen Entscheidung. Ergänzend ist lediglich im Hinblick auf die zu treffende neue Entscheidung des Amtsgerichts darauf hinzuweisen, dass es dem Betroffenen grundsätzlich zuzumuten sein kann, die Auswirkungen eines Fahrverbots auch in beruflicher Hinsicht, wenn sie durch Inanspruchnahme von Urlaub nicht zu überbrücken sind, durch die vorübergehende Beschäftigung eines Aushilfsfahrers zu überbrücken. Die bei der Beschäftigung eines Aushilfsfahrers auftretenden finanziellen Belastungen hat ein Betroffener regelmäßig hinzunehmen. Notfalls muss er zur Bestreitung der Kosten für die zeitweilig begrenzte Einstellung eines Fahrers einen Kredit aufnehmen, der in kleineren für den Betroffenen tragbaren Raten abgetragen werden kann. Derartige Belastungen, die sich im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer eines Fahrverbots von nur einem Monat in überschaubaren Grenzen bewegen, sind hinzunehmen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 312 ff.; BayObLG NZV 2002, 143). Schließlich hat das Amtsgericht auch nicht ausreichend bedacht, dass die für den Betroffenen ggf. in Betracht kommende Regelung des § 25 Abs. 2 a StVG - die sogenannte 4-Monats-Frist - es ermöglichen kann, Unannehmlichkeiten und/oder wirtschaftliche Nachteile abzumildern oder weitgehend zu vermeiden.

Die aufgezeigten Begründungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch, denn wegen der Wechselwirkung von Bußgeldhöhe und Fahrverbot kann der Rechtsfolgenausspruch insgesamt keinen Bestand haben. Der Senat hat ihn daher mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen. Für eine Zurückverweisung an eine andere Abteilung hat der Senat keine Veranlassung gesehen."



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