Das Verkehrslexikon

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OLG Köln Urteil v. 14.02.2002 - 12 U 142/01 - Zur Mithaftung des Vorfahrtberechtigten bei Handybenutzung (Unfall ist nicht unabwendbar)

OLG Köln v. 14.02.2002: Mithaftung des Vorfahrtberechtigten bei Handybenutzung (Unfall ist nicht unabwendbar)


Das OLG Köln (Urteil v. 14.02.2002 - 12 U 142/01) hat im Falle einer Vorfahrtverletzung eine Mithaftung des Vorfahrtberechtigten von 20 % angenommen, weil er während der Fahrt das Handy benutzt hat. In einem solchen Fall könne der Vorfahrtberechtigte den ihm obliegenden Beweis nicht führen, dass für ihn der Unfall ein sog. unabwendbares Ereignis im Sinne des früheren § 7 Abs. 2 StVG (jetzt § 17 Abs. 3 StVG) war.

Telefoniert der Fahrer während der Fahrt mit einem Mobiltelefon ohne Freisprechanlage, stellt dies ein gefahrenträchtiges Verhalten dar, dass der von § 7 Abs. 1 StVG geforderte ideale Fahrzeugführer unterlassen würde. Ausschlaggebend ist allein, dass der Fahrer versucht hat zu telefonieren. Ob eine Verbindung zustande gekommen ist, ist ohne Bedeutung.


Siehe auch Funktelefon - Handy-Benutzung - Gebrauch des Mobiltelefons


Gründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache teilweise Erfolg. Ihm steht aufgrund des Unfallereignisses vom 30.05.2000 ein Schadensersatzanspruch in der ausgeurteilten Höhe gegen die Beklagten zu.

Die Schadensersatzpflicht der Beklagten ergibt sich aus §§ 7 I, 17 I, 18 I StVG, § 3 Nr.1 PflVG. Das Unfallereignis war für den Kläger und die unfallbeteiligte Beklagte zu 1. kein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 7 II StVG. Für den Kläger ergibt sich dies daraus, dass ihm ein Verstoß gegen § 8 I Nr.1 StVO vorzuwerfen ist, weil er die ihm durch das Verkehrszeichen 206 obliegende Vorfahrt der Beklagten zu 1. nicht beachtet hat.

Für eine Vorfahrtsverletzung des Klägers spricht der Beweis des ersten Anscheins. Danach ist von einer schuldhaften Vorfahrtsverletzung durch den Wartepflichtigen auszugehen, wenn zwei Fahrzeuge auf einer Kreuzung zusammenstoßen, es sei denn, der Wartepflichtige vermag den Anscheinsbeweis zu entkräften. Umstände, die einen atypischen Geschehensablauf nahelegen, hat der Kläger indes nicht bewiesen.

Soweit er den Anscheinsbeweis dadurch erschüttert sieht, dass die Beklagte zu 1. den rechten Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und bereits einen Schlenker nach rechts gemacht habe, entlastet ihn dies nicht. Die Beklagten haben zum einen bestritten, die Beklagte zu 1. habe den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt. Einen Nachweis hat er Kläger zu seiner Behauptung nicht erbracht. Aus der beigezogenen Ermittlungsakte (AZ.: 48 OWi 859/00 AG Bergheim) lässt sich dazu nichts entnehmen. Durch ein Sachverständigengutachten oder durch die unfallaufnehmenden Polizeibeamten kann zu diesem Punkt ebenfalls keine Klärung herbeigeführt werden. Gleiches gilt für die von dem Kläger vorgebrachte Behauptung, die Beklagte zu 1. habe ihre Geschwindigkeit verringert, so dass er darauf habe vertrauen dürfen, diese werde nach rechts abbiegen. Ob ein von dem Kläger beantragtes Unfallrekonstruktionsgutachten Feststellungen zur Geschwindigkeit mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen überhaupt treffen könnte, kann letztlich aber dahinstehen, weil auch eine Verringerung ihrer Geschwindigkeit den Kläger nicht von dem Vorwurf der Vorfahrtsverletzung entlastet. Zwar kann ein Vertrauenstatbestand dann gegeben sein, wenn ein Fahrzeug seine Geschwindigkeit verlangsamt und gleichzeitig den rechten Fahrtrichtungsanzeiger setzt (Jagusch/Hentschel 35.Aufl. STVO § 8 Rn. 52ff). Eine Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers kann der Kläger indes nicht beweisen. Die Verringerung der Geschwindigkeit allein reicht aber nicht aus, einen Vertrauenstatbestand zu schaffen, denn dies allein besagt noch nicht, dass die Beklagte zu 1. abbiegen oder auf ihr Vorfahrtsrecht verzichtet wollte. Auch soweit der Kläger behauptet, die Beklagte zu 1. habe bereits einen Schlenker nach rechts gemacht, führt dies nicht weiter, da sich ihr Vorfahrtsrecht auf die gesamte Straßenbreite bezieht.

Andererseits ist der Beklagten zu 1. ein Vorwurf insoweit zu machen, als sie kurz vor dem Unfallgeschehen mit einem Handy ohne Freisprechanlage telefoniert hat, denn das Telefonieren während der Fahrt stellt ein gefahrenträchtiges Verhalten dar, das der "Idealkraftfahrer", den § 7 I StVG fordert, unterlassen würde, da er hierdurch regelmäßig gehindert ist, seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Verkehrsgeschehen zu widmen. Hierdurch wird die Fähigkeit des Fahrzeugführers, auf andere Verkehrsteilnehmer frühestmöglich sachgerecht zu reagieren, beeinträchtigt. Dass die Beklagte zu 1. kurz zuvor ein Telefongespräch geführt hat, ergibt sich aus dem Vermerk des den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten J. Danach hat er das Handy der Beklagten zu 1. überprüft und ein Telefongespräch um 16:10:45Uhr zu der Anschlussnummer "H.M." festgestellt hat. Schlüssige Erklärungen zu diesem Telefongespräch hat die Beklagte zu 1. bei ihrer Anhörung vor dem Senat nicht gemacht. Sie hat zunächst nur von einer telefonischen Benachrichtigung an die Polizei gesprochen. Auf Vorhalt des Vermerks hat sie dann angegeben, dass der Anruf an M. zunächst nicht "rausgegangen" sei. Sie habe dann nach der telefonischen Benachrichtigung der Polizei nochmals ihre Freundin und Arbeitskollegin angerufen und dieser von dem Unfall berichtet. Diese Angaben sind nicht in Einklang zu bringen mit den Feststellungen des unfallaufnehmenden Polizeibeamten. Zudem kommt es auch nicht darauf an, ob der Anruf "rausgegangen" ist, vielmehr genügt es, dass die beklagte zu 1. zumindest versucht hat, mit ihrem Handy während der Fahrt zu telefonieren. Soweit die Beklagten dazu nunmehr die Zeugin I benennen, ist der Beweisantritt als verspätet gemäß § 528 I und II ZPO zurückzuweisen. Bereits erstinstanzlich hatte der Kläger in seiner Klageschrift auf ein vor dem Unfall geführtes Telefongespräch der Beklagten zu 1. hingewiesen. Trotz der nach § 276 ZPO gesetzten Frist haben die Beklagten erstinstanzlich lediglich das Telefongespräch bestritten, aber weder Erklärungen zu dem Vermerk des Polizeibeamten abgegeben noch Beweis angeboten. Auch in der Berufungserwiderung haben sie sich auf ein einfaches Bestreiten beschränkt und erst in der mündlichen Verhandlung Beweis angeboten, der damit aber sowohl nach § 528 I ZPO als auch nach § 528 II ZPO als verspätet zurückzuweisen ist, weil die Berücksichtigung des Beweisantritts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auch nicht entschuldigt ist.

Die nach § 17 I StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile, bei der nur unstreitige oder erwiesene Umstände Berücksichtigung finden dürfen, führt unter Einbeziehung der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeugen zu einer Schadensbeteiligung der Beklagten mit 20%, während der Kläger 80% seines Schadens selber zu tragen hat. Dabei kam dem Vorwurf der Vorfahrtsverletzung durch den Kläger deshalb ein erheblich höheres Gewicht zu, weil diese im konkreten Fall eine weitaus höhere Gefährdung dritter Verkehrsteilnehmer darstellte, als die durch das Telefonieren mit einem Handy ohne Freisprechanlage bedingte Unaufmerksamkeit der Beklagten zu 1.

Der Kläger hat in der Berufungsinstanz seinen Schaden auf 9.621,10 DM beziffert. Einwendungen sind seitens der Beklagten im Berufungsrechtszug nicht mehr vorgebracht worden. Soweit erstinstanzlich von dem Kläger ein Nutzungsausfall geltend gemacht wurde, hat er diesen nicht mehr weiterverfolgt. Die erstinstanzlich durch die Beklagten angegriffene Wertminderung ist angesichts der Feststellungen durch das Sachverständigenbüro V & S vom 28.06.2000 mit 500,--DM nicht zu beanstanden. Bei einer Schadensbeteiligung der Beklagten mit 20% errechnet sich somit ein Anspruch des Klägers in Höhe von 1.924,22 DM.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 284,286,288 I BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 I, 100 IV ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert: 9.621,10 DM = EUR 4.919,19

Beschwer des Klägers: 7.696,88 DM = EUR 3.935,35

Beschwer der Beklagten: 1.924,22 DM = EUR 983,94




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