Das Verkehrslexikon
OLG Karlsruhe Beschluss vom 27.11.2006 - 3 Ss 219/05 - Ein mit Mobiltelefonfunktion und Mobilfunkkarte versehener „Palm-Organizer” ist ein „Mobiltelefon” i. S. des § 23 1 a StVO
OLG Karlsruhe v. 27.11.2006: Ein mit Mobiltelefonfunktion und Mobilfunkkarte versehener „Palm-Organizer” ist ein „Mobiltelefon” i. S. des § 23 1 a StVO
Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 27.11.2006 - 3 Ss 219/05) hat entschieden:
Ein mit Mobiltelefonfunktion und Mobilfunkkarte versehener „Palm-Organizer” ist ein „Mobiltelefon” i. S. des § 23 1 a StVO. Das Tatbestandsmerkmal der „Benutzung eines Mobiltelefons” ist auch dann erfüllt, wenn dieses Gerät bei eingeführter, sei es auch deaktivierter Mobilfunkkarte zum Abfragen gespeicherter Daten in der Hand gehalten wird.
Siehe auch Funktelefon - Handy-Benutzung - Gebrauch des Mobiltelefons
Zum Sachverhalt: Das AG M sprach den Betr. von dem gegen ihn mit Bußgeldbescheid der Stadt M. vom 10. 3. 2005 unter Festsetzung einer Geldbuße von EUR 40 erhobenen Vorwurf der verbotswidrigen Benutzung eines Mobiltelefons, vorsätzliche Ordnungswidrigkeit nach §§ 23 I a, 49 I Nr. 22 StVO, 24 StVG, aus rechtlichen Gründen frei.
Hiergegen hat die StA fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und deren Zulassung zur Fortbildung des Rechts beantragt; sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die GenStA Karlsruhe beantragte, die Rechtsbeschwerde der StA zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, auf die Rechtsbeschwerde das Urteil des AG vom 30. 6. 2005 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG M zurückzuverweisen.
Der Betr. beantragte, die Rechtsbeschwerde der StA abzuweisen.
Nach den Feststellungen befuhr der Betr. am 3. 3. 2005 um 10.10 Uhr als Führer eines PKW die S. Straße in M. Während der Fahrt bediente er mit der rechten Hand seinen sog. „Palm-Organizer”, den er zu diesem Zwecke in der rechten Hand hielt. Der Betr., der sich auf dem Weg zu einem Geschäftstermin befand, sah in seinem Kalender zu diesem Termin gespeicherte Daten an. Er bemerkte die neben ihm im Streifenwagen herfahrenden Polizeibeamten, ließ sich durch diese aber nicht irritieren und bediente weiter seinen Organizer, bis die Polizeibeamten ihm Zeichen zum Anhalten gaben.
Der von dem Betr. benutzte Organizer ist mit Kalender-, Adressbuch-, Email- und Mobiltelefon-Funktionen, mit Lautsprecher sowie Mikrofon ausgestattet und daher auch als Mobiltelefon nutzbar. Der Betr. verfügt über eine sog. Twin-Card" der Fa. V, d. h. über zwei Mobilfunkkarten. Eine davon befand sich in seinem Mobiltelefon, die andere in seinem „Palm-Organizer”. Mit der „Twin-Card” sind die beiden Geräte nicht gleichzeitig als Mobiltelefon nutzbar; die Aktivierung der Mobilfunkkarte des einen Gerätes deaktiviert die des anderen Geräts. Im Zeitpunkt der Fahrt des Betr. war die Mobilfunkkarte in dem von ihm benutzten „Palm-Organizer” deaktiviert.
Das Rechtsmittel der StA hatte - vorläufigen - Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Nach den in sich rechtsfehlerfrei zur äußeren Tatseite getroffenen Feststellungen handelt es sich bei dem von dem Betr. benutzten, mit Mobiltelefonfunktion und Mobilfunkkarte versehenen „Palm-Organizer” - entgegen der Meinung des AG - um ein „Mobiltelefon” i. S. des § 23 I a StVO.
Eine Unvereinbarkeit der Subsumierung dieses von dem Betr. verwendeten, derart ausgestatteten „Palm-Organizers” unter den Begriff des „Mobiltelefons” i. S. des § 23 I a StVO mit Art. 103 H GG wegen etwaiger - gemessen am allgemeinen Sprachgebrauch und Sprachverständnis - Überdehnung des Wortlautes des § 23 l a StVO zu Lasten des Betr. vermag der Senat - entgegen der Auffassung des AG - nicht zu erkennen. Die auch im Zusammenhang mit dem Zweck der Vorschrift des § 23 I a StVO zu sehende Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals durch den Senat überschreitet die Grenzen verfassungskonformer richterlicher Auslegung, die durch den (noch) möglichen Wortsinn markiert wird, nicht (vgl. nur BVerfG, NJW 1995, 1141). Der Grundsatz der Bestimmtheit des Tatbestandes ist nicht verletzt; für den Normadressaten ist jedenfalls bei der hier konkret gegebenen Fallkonstellation zumindest das Risiko einer bußgeldrechtlichen Ahndung voraussehbar (vgl. hierzu etwa OLG Bamberg, Beschl. v. 27. 9. 2006 - 3 Ss OWi 1050/06 - m.w. Nachw. bei juris - Rspr.). Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht in entscheidungserheblicher Weise berührt (vgl. hierzu letzthin Thüring. OLG, DAR 2006, 636).
Nach Ausstattung, Funktion und Zweck des von dem Betr. verwendeten Gerätes ist und war dieses generell und konkret (auch) zum Führen von Telefonaten geeignet und bestimmt. Dass das Gerät über weitere Funktionen verfügt, lässt dessen Eigenschaft als Mobiltelefon nicht entfallen. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Betr. das Gerät mittels einer „Twin-Card” betreibt, die es ihm ermöglicht, wahlweise über ein weiteres Mobiltelefon Telefonate zu führen oder entgegenzunehmen. Letztlich steht auch die Bezeichnung des Gerätes als „Palm-Organizer”, die begrifflich nur eine der tatsächlich verfügbaren Funktionen des Geräts verbal besonders hervorhebt, dessen Qualifizierung als „Mobiltelefon” nicht entgegen.
Die Tatsache, dass der Betr. zum Zeitpunkt der Fahrt das von ihm in der Hand gehaltene und bediente Gerät nicht zum Telefonieren, sondern bei deaktivierter Mobilfunkkarte zum Abfragen des Datenspeichers benutzte, führt ebenso wenig zu einer ihm günstigeren Beurteilung der rechtlichen Einstufung des Gerätes. Denn das Gerät war auf Grund der in dieses eingeführten Mobilfunkkarte gleichermaßen als Mobiltelefon verwendbar, sei es auch erst nach Aktivierung dieser Karte bzw. des Gerätes durch weitere, von dem Betr. an selbigem durchzuführende Bedienungsschritte bzw. Verrichtungen. Es ist hinsichtlich der rechtlichen Einordnung des Gerätes nicht nach der im konkreten Fall genutzten Funktion zu differenzieren, d. h. nicht danach, ob der Betr. das mobilfunktaugliche und insoweit konkret einsatzbereite Gerät im Einzelfall als Organizer, als Telefon oder zu einem anderweitigen bestimmungsgemäßen Zweck benutzt.
Ob ein „Palm-Organizer” nicht als Mobiltelefon i. S. des § 23 l a StVO einzustufen ist, wenn eine Mobilfunkkarte nicht in das Gerät eingeführt ist, bedarf hier keiner Entscheidung.
Aber auch das Tatbestandsmerkmal der „Benutzung eines Mobiltelefons” i. S. des § 23 I a StVO ist vorliegend objektiv erfüllt. Eine Benutzung eines Mobiltelefons liegt nicht nur dann vor, wenn das Gerät zum Telefonieren verwendet wird, sondern auch bei jeder anderen bestimmungsgemäßen Nutzung von Bedienfunktionen, etwa als Organisator oder als Internetzugang (vgl. OLG Hamm, NJW 2003, 912 = NZV 2003, 98), zum Ablesen der Uhrzeit auf dem Display (vgl. OLG Hamm, NJW 2005, 2469 = NZV 2005, 548), zum vergeblichen Versuch der Entgegennahme eines Telefongesprächs (vgl. OLG Hamm, NStZ 2006, 358), als Diktiergerät (vgl. Thüring. OLG, NZV 2006, 664 = DAR 2006, 636) oder zum Auslesen einer dort gespeicherten Telefonnummer (vgl. OLG Hamm, NJW 2006, 2870 = NZV 2006, 555). Denn die Frage der Benutzung eines Mobiltelefons i. S. des § 23 l a StVO beurteilt sich allein danach, ob das Mobiltelefon in der Hand gehalten wird oder nicht (vgl. schon OLG Hamm, NJW 2003, 912 = NZV 2003, 98) und die Handhabung des Gerätes - wie hier - einen Bezug zu einer der bestimmungsgemäßen Funktionen desselben aufweist (vgl. hierzu OLG Köln, NJW 2005, 3366 = NZV 2005, 547). Nach der gesetzgeberischen Intention der 33. Verordnung zur Änderung straßenrechtlicher Vorschriften vom 11. 12. 2000 (VBl. 2001, 8; vgl. hierzu auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. StVO § 23 Rdnr. 4) soll die Vorschrift des § 23 I a StVO gewährleisten, „dass der Fahrzeugführer während der Benutzung des Mobiltelefons beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgabe frei hat. Die Benutzung schließt neben dem Gespräch im öffentlichen Fernsprechnetz sämtliche Bedienfunktionen wie das Anwählen, die Versendung von Kurznachrichten oder das Abrufen von Daten im Internet etc. ein”.
2. Auf dem aufgezeigten sachlich-rechtlichen Fehler beruht das freisprechende Urteil des AG (§§ 79 III OWiG, 337 I StPO). Das angefochtene Urteil ist daher - unter Aufrechterhaltung der zur objektiven Tatseite getroffenen Feststellungen, die von der Gesetzesverletzung nicht betroffen sind - aufzuheben (§ 353 I StPO). Da kein Fall vorliegt, in dem der Senat in der Sache selbst entscheiden kann (§ 79 VI OWiG), vielmehr ergänzende Feststellungen zur subjektiven Tatseite (vgl. hierzu etwa Thüring. OLG, aaO) notwendig sind und möglich erscheinen, verweist der Senat sie an das AG zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - zurück. Zur Verweisung an eine andere Abteilung des AG bestand kein Anlass. ..."