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OLG Hamm Beschluss vom 18.10.2007 - 2 Ss OWi 683/07 - Zu den Anforderungen an ein tatrichterliches Urteil wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung
OLG Hamm Beschl. v. 18.10.2007: Zu den Anforderungen an ein tatrichterliches Urteil wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung
Das OLG Hamm (Beschluss vom 18.10.2007 - 2 Ss OWi 683/07) hat entschieden:
Der Tatrichter muss dem Rechtsbeschwerdegericht in seinem Urteil die Nachprüfung der Zuverlässigkeit der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung ermöglichen. Hierzu gehört, dass er in den Urteilsgründen zumindest die zur Feststellung der eingehaltenen Geschwindigkeit angewandte Messmethode mitteilt und darüber hinaus darlegt, dass mögliche Fehlerquellen ausreichend berücksichtigt worden sind. Nimmt der Tatrichter zwar einen Toleranzabzug vor, teilt er jedoch nicht konkret mit, mit welcher Messmethode die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung ermittelt worden ist, so genügt das diesen Anforderungen nicht.
Siehe auch Geschwindigkeitsverstöße - Nachweis - standardisierte Messverfahren
Zum Sachverhalt: Der Betroffene ist durch das angefochtene Urteil wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß den §§ 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, §§ 24, 25 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 75 € verurteilt worden; ferner wurde ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet, wobei dieses erst wirksam werden soll, wenn der Führerschein nach Rechtskraft in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
„Bezüglich des festgestellten Sachverhalts und der angewendeten Rechtsvorschriften wird auf den Bußgeldbescheid des Landrates des F-S-Kreise vom 05.10.2006, Az. …, Bezug genommen.
Danach hat der Betroffene am 6.6.06 um 8.52 Uhr mit seinem Pkw, amtl. Kennzeichen …, die I.T.-Straße in X., Höhe Haus Nr. …, – nach Abzug des Toleranzwertes von 3 km/h – mit einer Geschwindigkeit von 76 km/h befahren, obwohl ausweislich dort aufgestellter Schilder in diesem Außerortsbereich eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h geboten war.“
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. Juni 2007 eingelegt, die mit der materiellen Rüge begründet worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Rechtsbeschwerde hatte - vorläufigen - Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Ihren Aufhebungsantrag hat die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt begründet:
"Die gem. § 79 Abs.1 Nr.2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden, in der Sache ist ihr ein – zumindest vorläufiger – Erfolg nicht zu versagen.
Nach der auf die erhobene Sachrüge hin vorzunehmenden Überprüfung des angefochtenen Urteils tragen die Feststellungen eine Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der Tatrichter dem Rechtsbeschwerdegericht in seinem Urteil die rechtliche Nachprüfung der Zuverlässigkeit der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung ermöglichen. Hierzu gehört, dass er in den Urteilsgründen zumindest die zur Feststellung der eingehaltenen Geschwindigkeit angewandte Messmethode mitteilt und darüber hinaus darlegt, dass mögliche Fehlerquellen ausreichend berücksichtigt worden sind (zu vgl. Senatsbeschluss vom 29.11.2001 – 2 Ss OWi 1029/01 – m.w.N.).
Vorliegend nimmt der Tatrichter zwar einen Toleranzabzug vor, er teilt jedoch nicht konkret mit, mit welcher Messmethode die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung von den Polizeibeamten ermittelt worden ist. Den getroffenen Feststellungen lassen sich durch die knappe Darstellung offensichtlich kontroverser Auffassungen sowie vorgelegter Gutachten zur Ordnungsmäßigkeit der Messung allenfalls mittelbar Anhaltspunkte für das angewandte Messverfahren entnehmen. Eine rechtliche Nachprüfung der konkreten Einsatzmöglichkeiten und Zuverlässigkeit der Messmethodik wird dem Rechtsbeschwerdegericht hierdurch aber nicht ermöglicht. Ein Eingehen auf das angewandte Messverfahren war vorliegend angesichts des offensichtlich substantiierten Verteidigungsvorbringens auch nicht entbehrlich. Darüber hinaus ist die Mitteilung der berücksichtigten Messmethodik nicht nur zur vollständigen Sachverhaltsdarstellung, sondern auch dazu erforderlich, eine Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung zu ermöglichen. Eine Bezugnahme auf weitergehende Aktenbestandteile ist – worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hingewiesen hat – abgesehen von der Vorschrift des § 79 Abs.3 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht zulässig.
Darüber hinaus lassen sich dem angefochtenen Urteil konkrete Ausführungen zur Schuldform und zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nicht entnehmen. Auch die Erwägungen zum Rechtsfolgenausspruch halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das Urteil ist daher mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Schwelm zurückzuverweisen.“
Dem tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei und weist zusätzlich auf Folgendes hin:
Das amtsgerichtliche Urteil ist in jeder Hinsicht lückenhaft (§ 267 StPO i.V.m. § 71 OWiG). Zwar hat der BGH wiederholt drauf hingewiesen, dass an die Gründe des tatrichterlichen Urteils in Ordnungswidrigkeitensachen keine hohen Anforderungen zu stellen sind (vgl.u.a. BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081; siehe z.B. auch OLG Rostock DAR 2001, 421 und die weiteren Nachweise bei Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 2065). Aber auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren müssen die tatrichterlichen Entscheidungsgründe zumindest noch so beschaffen sein, dass sie die Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung ermöglichen. Die vorliegenden Begründungsfragmente tun dies nicht.
Zutreffend weist die Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass schon zu beanstanden ist, dass der Tatrichter nicht mitteilt, welches Messverfahren angewendet worden ist. Zumindest das wäre erforderlich gewesen (vgl. Burhoff, a.a.O., Rn. 1251 ff. mit weiteren Nachweisen), wenn ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt worden ist. Anderenfalls hätte die Messung im Einzelnen beschrieben werden müssen. Das ist seit Jahren ständige Rechtsprechung alles Obergerichte (vgl. die Nachweise bei Burhoff, a.a.O.,, Rn. 1252). In dem Zusammenhang ist dem Senat der Verweis auf den Bußgeldbescheid vom 05. Oktober 2006 unverständlich. Die Voraussetzungen des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, unter denen im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Begründung des Urteils auf andere Unterlagen verwiesen werden darf, liegen ersichtlich nicht vor (vgl. auch Senat in StraFo 2002, 132 = NStZ-RR 2002, 147).
Zutreffend verweist die Generalstaatsanwaltschaft auch darauf, dass die amtsgerichtlichen Feststellungen auch die Rechtsfolgenentscheidung, insbesondere die Verhängung des Fahrverbote nicht tragen. Die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen sind mit keinem Wort dargestellt. Es wird weder mitgeteilt, in welchen wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffene lebt, noch, welchen Beruf er ausübt, sondern lapidar ausgeführt: „Der Betroffene kann sich dem Fahrverbot innerhalb von 4 Monaten unter Ausnutzung seines Jahresurlaubs unterziehen“. Es fehlen auch die nach der Rechtsprechung des Senats erforderlichen Feststellungen zu der Frage, ob dem Betroffenem überhaupt noch Urlaub zusteht und ob er ihn in einem Stück abwickeln kann (vgl. Senat in zfs 2002, 404).
Über die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft hinaus wäre das angefochtene Urteil zudem aber auch deshalb aufzuheben gewesen, weil die amtsgerichtliche Beweiswürdigung lückenhaft ist. Der Tatrichter hat offenbar ein Sachverständigengutachten zu vom Betroffenen behaupteten Fehlern bei der Messung eingeholt, mit dem die Ausführungen aus einem offensichtlich vom Betroffenen vorgelegten Privatgutachten widerlegt werden sollen und widerlegt worden sind. Damit stützt der Tatrichter sein Urteil auf dieses Sachverständigengutachten. Stützt der Tatrichter den Schuldspruch aber auf ein Sachverständigengutachten, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats in den Urteilsgründen eine verständliche in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zu Grunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich (vgl.u.a. Senat in VA 2000, 32 = StraFo 2000, 310 = NZV 2000, 429 = StV 2000, 547 = DAR 2000, 483 = VRS 99, 204; StraFo 2002, 58 = StV 2002, 404; VA 2004, 193 = VRS 107, 371 = DAR 2005, 42; VA 2004, 173 (Ls.). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe vorliegend nicht gerecht und sind daher lückenhaft. Der Senat weist darauf hin, dass vorliegend im Zweifel auch das vom Betroffenen eingeholte Privatsachsachverständigengutachten darzustellen sein dürfte, da anderenfalls die amtsgerichtliche Beweiswürdigung kaum verständlich ist. Derzeit ist sie es jedenfalls nicht.
Schließlich wird darauf hingewiesen, dass das angefochtene Urteil auch nicht mitteilt, wie sich der Betroffene gegenüber dem Vorwurf eingelassen hat (vgl. dazu Senat in zfs 2000, 577 und StraFo 2003, 133). ..."