Das Verkehrslexikon

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Amtsgericht Sigmaringen Urteil vom 19.07.1994 - OWi 106/94 - Darlegungen zu Tateinheit und Tatmehrheit und zur Klammerwirkung

AG Sigmaringen v. 19.07.1994 und v. 25.10.1994: Darlegungen zu Tateinheit und Tatmehrheit und zur Klammerwirkung


Das Amtsgericht Sigmaringen hat in zwei Urteilen zum Problem Tateinheit / Tatmehrheit Stellung genommen; beide Fälle betreffen jeweils mehrere aufeinander folgende Geschwindigkeitsüberschreitungen, die aber jeweils durch ein durch äußere Umstände erzwungenes Herunterbremsen auf erlaubte Geschwindigkeiten unterbrochen wurden.

Während im einen Fall bei dieser Konstellation Tatmehrheit angenommen wurde, wurde im zweiten Fall lediglich deshalb von Tateinheit ausgegangen, weil die Geschwindigkeitsverstöße durch die gleichzeitige Benutzung eines abgefahrenen Reifens zu einer Handlung verklammert worden seien.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit


Amtsgericht Sigmaringen (Urteil vom 25.10.1994 - OWi 105/94):
"... In der obergerichtlichen Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass die natürliche Handlungseinheit dann unterbrochen wird, wenn sich der Betroffene zwischenzeitlich zu einem verkehrsgerechten Verhalten entschließt (OLG Düsseldorf DAR 1993, 480). Ob eine Unterbrechung der natürlichen Handlungseinheit auch dann vorliegt, wenn der Betroffene seinen Beschluß nicht ändert, jedoch durch äußere Umstände gezwungen wird, die zulässige Höchstgeschwindigkeit einzuhalten ist - soweit ersichtlich - noch nicht obergerichtlich entschieden worden. Das Gericht ist der Auffassung, dass in diesem Fall eine Unterbrechung der natürlichen Handlungseinheit eintritt. Stellt man mit dem BGH (BGHSt 4, 219) auf einen objektiven Beobachter ab, so tritt für ihn eine Unterbrechung der fortlaufenden Geschwindigkeitsüberschreitung in dem Moment ein, in dem der Betroffene die vorgeschriebene Geschwindigkeit wieder einhält. Für den objektiven Beobachter macht es keinen Unterschied, ob dieses Beachten der Verkehrsregeln auf einen Willensentschluss des Betroffenen oder aber auf äußere Umstände zurückzuführen ist. ..."

Amtsgericht Sigmaringen (Urteil vom 19.07.1994 - OWi 106/94) (wiedergegeben bei Dorner DAR 1995, 34 f.):
"... Die an sich in Tatmehrheit stehenden Geschwindigkeitsüberschreitungen werden jedoch verklammert durch die Dauerordnungswidrigkeit des Fahrens mit einem abgefahrenen Reifen. Die im Strafrecht entwickelten Grundsätze zur Klammerwirkung sind auch im Bußgeldverfahren anzuwenden. Sicherlich ist richtig, dass dies nicht für reine Formalverstöße gelten kann (Göhler, OWiG, 9. Aufl., Rdnr. 30 b vor § 19). Es wäre widersinnig, wenn man es z.B. zuließe, dass ein Betroffener günstiger davonkäme, weil er während mehrerer, in Tatmehrheit stehender Geschwindigkeitsüberschreitungen zufälligerweise auch seinen Führerschein nicht dabei gehabt hätte. Diese Ordnungswidrigkeit nach der StVO zieht nach dem Verwarnungsgeldkatalog eine Geldbuße von 20 DM nach sich. Es wäre kurios, wenn ein Betroffener es erreichen könnte, dass durch eine solche Ordnungswidrigkeit mehrere massive Geschwindigkeitsüberschreitungen zu einer einzigen Tat verklammert werden könnten, mit der Folge, dass dadurch weniger Punkte in Flensburg anfallen.

Allerdings sind abgefahrene Reifen kein reiner Formalverstoß. Dieser Verstoß ist immerhin im Bußgeldkatalog mit 150 DM sanktioniert. Das Gericht hat daher keine Bedenken, hier eine Klammerwirkung der Dauerordnungswidrigkeit anzunehmen, mit der Folge, dass alle Ordnungswidrigkeiten zueinander im Verhältnis der Tateinheit stehen. ..."