Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 21.04.2004 – 3 Ws (B) 83/04 - Zu Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Geschwindigkeitsverstoß innerorts

KG Berlin v. 21.04.2004: Zu Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Geschwindigkeitsverstoß innerorts


Bezüglich der Schuldform bei erheblichen Geschwindigkeitsverstößen hat das Kammergericht Berlin regelmäßig entschieden, daß schon bei Überschreitungen von mehr als 50 % Vorsatz indiziert werde. Dies gilt natürlich erst recht bei noch höheren Überschreitungen. So hat das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 21.04.2004 – 3 Ws (B) 83/04) z. b. entschieden:
  1. Wer innerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit um fast 100% überschreitet, handelt regelmäßig vorsätzlich. Um noch von fahrlässigem Handeln ausgehen zu können, bedarf es der Darlegung besonderer Umstände.

  2. Eine Geldbuße von 250 Euro und ein Fahrverbot von 2 Monaten sind in einem solchen Fall angemessen.

Siehe auch Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit


Zum Sachverhalt: Der Betr. überschritt die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 47 km/h. Das AG hat den Betr. wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen §§ 3 III Nr. 1, 49 I Nr. 3 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 250 Euro verurteilt und nach § 25 StVG ein Fahrverbot von zwei Monaten angeordnet. Die Rechtsbeschwerde des Betr., mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führte zwar zu einer Änderung des Schuldspruchs, hatte jedoch insgesamt keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen: I: Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

"... 1. Die Tatrichterin hat den Antrag, „Beweis zu erheben, dass der Pkw des Angekl. ... auf Grund seiner untertourigen Fahrweise ... schwerfällig in der Beschleunigung ist”, zu Recht abgelehnt. Der beanstandete Beschluss verletzt weder § 77 II Nr. 1 OWiG, denn mangels Angabe eines Beweismittels handelt es sich nicht um einen Beweisantrag, sondern lediglich um eine Beweisanregung, noch lassen die Ausführungen der Rechtsbeschwerde eine zulässige Rüge der Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht (§§ 344 11 2 StPO, 79 III 1 OWiG) erkennen. Hierzu hätte nicht mir die — hier fehlende — Angabe eines bestimmten Beweismittels gehört (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl., § 244 Rdnr. 21), sondern der Betr. hätte auch darzulegen gehabt, weshalb sich die Tatrichterin zu der vermissten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (vgl. Göhler, OWiG 13. Aufl., § 77 Rdnr. 8).

2. Dass die Tatrichterin davon abgesehen hat, den „herauswinkenden” Polizeibeamten zum Beweis der Behauptung, der Betr. sei nicht schneller als 60 km/h gefahren, als Zeugen zu vernehmen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. (Wird ausgeführt.)

3. Auch die Rüge, die Tatrichterin habe entgegen §§ 265 StPO, 71 I OWiG „den Betr. (nicht) auf die Möglichkeit eines erhöhten Fahrverbotes und Erweiterung der Geldstrafe ... hingewiesen”, versagt. Der vermisste Hinweis ist, wenn - wie hier - bereits im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot angeordnet worden war; entbehrlich und zwar auch hinsichtlich einer beabsichtigten Erhöhung der Geldbuße (vgl. BayObLGSt 1999, 141).

II. Die Sachrüge gefährdet den Bestand des Urteils nicht.

1. Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Überschreitens der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 47 km/h. Sie weisen aus, dass die Messung von darin geschulten Polizeibeamten mittels eines allgemein anerkannten Messgerätes - hier Laser-Messgerät LAVEG - durchgeführt worden ist, und lassen neben dem Messwert auch den Toleranzabzug erkennen. Soweit die Rechtsbeschwerde dem entgegenhält, die Feststellungen entsprächen nicht den detaillierten Aussagen der Zeugen Zink und Frühbrodt in der Hauptverhandlung, ist dies unbeachtlich. Denn eine Prüfung dieser Behauptung 0 liefe auf eine, dem Senat verwehrte Rekonstruktion der Beweisaufnahme hinaus (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl., § 261 Rdnr. 38 a). Was der Betr. im Übrigen vorbringt, erschöpft sich in unzulässigen Angriffen auf die allein der Tatrichterin obliegende Beweiswürdigung, gegen die vorliegend aus Rechtsgründen nichts zu erinnern ist.

Rechtsfehlerhaft ist allein die im Urteil nicht näher begründete Annahme fahrlässigen Handelns. Wer - wie der Betr. -, die ihm bekannte innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um nahezu 100% überschreitet, handelt regelmäßig vorsätzlich, weil einem Fahrzeugführer eine derart hohe Überschreitung auf Grund der vorbeiziehenden Umgebung sowie der Fahrgeräusche bewusst wird. Um noch von fahrlässigem Handeln ausgehen zu können, hätte es daher der Darlegung besonderer Umstände bedurft, die dem Urteil nicht zu entnehmen sind.

Die gebotene Richtigstellung des Schuldspruchs kann der Senat jedoch selbst vornehmen. Sie verstößt weder gegen das Verschlechterungsgebot der §§ 79 III OWiG, 358 II StPO, weil die Änderung nicht den Rechtsfolgenausspruch betrifft, noch bedarf es eines rechtlichen Hinweises nach §§ 71 1 OWiG, 265 I StPO, denn es ist ausgeschlossen, dass sich der Betr. nach einem Hinweis anders oder erfolgreicher hätte verteidigen können. 2. Anlass, den Rechtsfolgenausspruch zu beanstanden, besteht nicht.

Die mit 250 Euro bemessene Geldbuße liegt zwar über dem Regelsatz des Bußgeldkataloges (Tabelle 1c Nr. 11.3.7 BKat), dieser geht jedoch von lediglich fahrlässigem Handeln eines nicht vorbelasteten Betr. aus (§ 1 II BKatV). Vorliegend jedoch hat der Betr. vorsätzlich gehandelt und ist bereits zweimal einschlägig vorbelastet, so dass gegen die Erhöhung des Regelsatzes rechtlich nichts einzuwenden ist.

Auch gegen die Anordnung eines Fahrverbotes von zwei Monaten Dauer ist nichts zu erinnern. Die mit 47 km/h festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 I 1 StVG und offenbart ein so hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr, dass die Anordnung eines zweimonatigen Fahrverbotes im Hinblick auf die zurückliegenden verkehrsrechtlichen Auffälligkeiten des Betr. nicht zu beanstanden ist.

Gegen den Betr. ist im Mai 2001 ein Fahrverbot von einem. und vor dem 17. 1. 2003 ein solches von drei Monaten vollstreckt worden, er ist zweimal einschlägig aufgefallen und hat die vorliegende Tat gerade einmal einen Monat nach der letzten Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort begangen. Dies rechtfertigt nicht nur die Überschreitung des Regelfahrverbotes von einem Monat, sondern macht auch nähere Ausführungen, ob der mit dem Fahrverbot verfolgte Zweck möglicherweise durch eine höhere Geldbuße erreicht werden kann, überflüssig.

Endlich ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Anordnung des Fahrverbotes für den Betr. eine außergewöhnliche Härte darstellt. ..."



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