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OLG Jena Beschluss vom 11.08.2005 - 1 Ss 216/05 - Zur Glaubwürdigkeit eines Geständnisses bei der Beurteilung eines Geschwindigkeitsverstoßes
OLG Jena v. 11.08.2005: Zur Glaubwürdigkeit eines Geständnisses bei der Beurteilung eines Geschwindigkeitsverstoßes
Das OLG Jena (Beschluss vom 11.08.2005 - 1 Ss 216/05) hat entschieden:
Der Betroffene vermag nur in dem - noch vorhandenen - Wissen um sein eigenes Fahrverhalten einzuräumen, eine bestimmte Geschwindigkeit gefahren zu sein. Dies schließt nicht aus, auch bei fahrlässiger Begehung die Geschwindigkeitsüberschreitung in einer bestimmten Höhe einzuräumen. Näherer Darlegung in den Urteilsgründen bedarf es dabei allerdings, wenn der Betroffene im Verfahren einwendet, seine tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit übersehen zu haben.
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Zum Sachverhalt: Das AG Gera verurteilte den Betr. wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 47 km/h zu einer Geldbuße von 100 € und ordnete ein Fahrverbot von 1 Monat Dauer an. Die Rechtsbeschwerde des Betr führte zur Aufhebung und zur Zurückverweisung.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... 1. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben, weil das angefochtene Urteil in der Darstellung der Beweiswürdigung zur Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung unvollständig ist. Die Urteilsgründe ermöglichen dem Senat nämlich nicht die Kontrolle, ob das AG die Feststellungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung rechtsfehlerfrei getroffen hat.
a) Zur Beweiswürdigung wird vom AG Folgendes ausgeführt:
"Der festgestellte Sachverhalt beruht auf der geständigen Einlassung des Betr.. dem Eichschein, dem in Augenschein genommenen Video und der Aussage des Zeugen J. Das Video erläutert und bestätigt, von der Aussage des Zeugen J. und vom Betr. eingeräumt. die Geschwindigkeit von 134.53 km/h und zeigt ebenfalls das aufgestellte 80-Schild. Die Inaugenscheinnahme des Video ergab, dass der Abstand am Messende kleiner war, als am Messanfang, also der Betr. schneller gefahren ist als das Polizeifahrzeug. Andere Anhaltspunkte gegen die Richtigkeit der Messung sind weder dargetan noch ersichtlich."
c) Nur dann, wenn der Betr. uneingeschränkt und glaubhaft eingesteht, die vorgeworfene Geschwindigkeit - mindestens - gefahren zu sein, bedarf es der oben genannten Angaben nicht (BGH a.a.O.; Senat a.a.O.). Vorliegend teilt das AG zwar mit, der festgestellte Sachverhalt beruhe auf der geständigen Einlassung des Betr. Einzelheiten hierzu werden jedoch nicht mitgeteilt. Fraglich ist daher der Umfang des Geständnisses. Insbesondere lässt sich den schriftlichen Urteilsgründen nicht verlässlich entnehmen, dass der Betr. gerade (auch) die gefahrene (Mindest-)Geschwindigkeit eingeräumt hat. Die Ausführungen im Urteil lassen eher besorgen. dass dieser lediglich den Messvorgang als solchen und die gemessene Geschwindigkeit, aber nicht deren Richtigkeit (wozu er auch gar nicht in der Lage war und entsprechend einer solchen Erklärung ein Beweiswert nicht zukommt) bestätigt und erst recht keine Angaben über eine in dieser Höhe tatsächlich gefahrene Mindestgeschwindigkeit gemacht hat.
Welche Anforderungen an die im Urteil mitzuteilende Tatsachengrundlage für die Annahme eines uneingeschränkten und glaubhaften Geständnisses zu stellen sind, richtet sich nach der jeweiligen Beweislage, nicht zuletzt auch nach der Bedeutung, die der Beweisfrage unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und des Verteidigungsvorbringens für die Wahrheitsfindung zukommt (BGH a.a.O., S. 297). Der Tatrichter ist weder verpflichtet, in den Urteilsgründen alle als beweiserheblich in Betracht kommenden Umstände ausdrücklich anzuführen noch hat er stets darzulegen, auf welchem Wege und aufgrund welcher Tatsachen und Beweismittel er seine Überzeugung gewonnen hat (BGH a.a.O. S. 296). Gerade im Hinblick auf die Besonderheiten des Bußgeldverfahrens und die Fülle von massenhaft vorkommenden Bagatellsachen dürfen an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden (BGH a.a.O., S. 299/300).
Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Begriff des Geständnisses im Einzelfall unterschiedliche Bedeutung haben kann. In welchem Umfang das Zugestandene zu berücksichtigen ist, ist letztlich Ergebnis der freien richterlichen Beweiswürdigung. Der Tatrichter darf die Verurteilung auf eine Einlassung des Betr. stützen, wenn er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Vor der Frage nach den rechtlichen Konsequenzen eines Geständnisses muss er sich aber Klarheit verschaffen, wie die Äußerung des Betr. im Zusammenhang mit dem übrigen Verfahrensstoff und im Hinblick auf den konkreten Rechtsverstoß zu verstehen ist (BGH a.a.O., S. 303: Senatsbeschluss vom 7. 6. 2004, Az.: 1 Ss 27/04).
Hier bleiben Zweifel, ob der Betr. tatsächlich eingeräumt hat. mit einer bestimmten Geschwindigkeit mindestens gefahren zu sein. Insbesondere ist die „Bestätigung” im Zusammenhang mit der in richterlichen Augenschein genommenen Videoaufzeichnung entsprechend den obigen Ausführungen nicht weiterführend.
Darüber hinaus ist für den Senat auch nicht nachvollziehbar, inwieweit die Einlassung des Betr. - ein uneingeschränktes Geständnis an dieser Stelle unterstellt - auch glaubhaft war. Denn die Umstände des Messvorgangs können ebenso wenig wie die Richtigkeit der vom Gerät angezeigten Geschwindigkeit zugestanden werden. Denn hiervon hat der Betr. keine Kenntnis. Vielmehr vermag der Betr. nur in dem Wissen um sein eigenes Fahrverhalten einzuräumen, eine bestimmte Geschwindigkeit gefahren zu sein (vgl. BGH a.a.O. S. 305). Dies schließt nicht aus. auch bei fahrlässiger Begehung die Geschwindigkeitsüberschreitung in einer bestimmten Höhe einzuräumen. sofern der Betr. an den betreffenden Vorfall noch eine konkrete Erinnerung hat. Dies bedarf keiner näheren Darlegung, wenn der Betr. lediglich die Geschwindigkeitsbegrenzung übersehen hat, sich aber über seine Fahrgeschwindigkeit nach eigener sicherer Kenntnis oder aufgrund zuverlässiger Schätzungen nach seinen Erfahrungswerten als Kraftfahrer (vgl. hierzu: BGH a.a.O. S. 304) im Klaren war. Anders ist es aber, wenn - und diese Möglichkeit ist nach den zur inneren Tatseite insoweit unvollständigen Feststellungen des AG gegeben, als diese zwar auf eine vorsätzliche Überschreitung der Geschwindigkeitsüberschreitung hindeuten, aber auch eine fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht kommen lassen - der Betr. die gefahrene Geschwindigkeit nicht bemerkt hat. In diesen Fällen bedarf es näherer Angaben und demgemäß auch entsprechender Darstellung in den schriftlichen Urteilsgründen, aus welchem Grund der Betr. diese gleichwohl einzuräumen (noch) in der Lage war, etwa durch einen Blick auf den Tachometer nach der Geschwindigkeitsüberschreitung, nachdem er auf die Geschwindigkeitsmessung aufmerksam geworden ist (vgl. BGH a.a.O. S. 303), oder durch einen nachfolgenden Hinweis seines Beifahrers.
Dieser Darstellungsmangel, der durch eine nähere Wiedergabe der Einlassung des Betr. hätte vermieden werden können, führt dazu, dass auf die Mitteilung der konkreten Messmethode nicht verzichtet werden konnte. Das Urteil war daher aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. ..."