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OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 21.07.2003 - 2 Ss Owi 388/02 - Geschwindigkeitsmessungen durch Kommunen
OLG Frankfurt am Main v. 21.07.2003: - Bei Geschwindigkeitsmessungen muss die Behörde nicht nur Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messungen vorgeben, sondern auch den eigentlichen Messvorgang durch eigene ausgebildete Mitarbeiter kontrollieren
Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 21.07.2003 - 2 Ss Owi 388/02) hat entschieden:
Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns. Eine Mitwirkung von Privatpersonen ist nur möglich, wenn die Verwaltungsbehörde "Herrin" des Verfahrens bleibt. Bei Geschwindigkeitsmessungen muss die Behörde nicht nur Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messungen vorgeben, sondern auch den eigentlichen Messvorgang durch eigene ausgebildete Mitarbeiter kontrollieren, um gegebenenfalls einschreiten zu können. Schließlich muss die Auswertung der Messergebnisse der Ordnungsbehörde vorbehalten bleiben.
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Zum Sachverhalt: Mit Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums K. vom 2. März 2001 ist gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 200,- DM festgesetzt und ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet worden.
Dem Betroffenen wird vorgeworfen, am 19. Januar 2001 um 18.37 Uhr auf einer Bundesstraße als Führer eines PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 42 km/h überschritten zu haben.
Das Amtsgericht Kassel hat den Betroffenen auf seinen Einspruch hin freigesprochen, weil sich der Verstoß aufgrund einer rechtswidrig durchgeführten Geschwindigkeitsmessung nicht feststellen lasse.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel rügt mit ihrer Rechtsbeschwerde die Verletzung formellen Rechts.
Das Rechtsmittel hatte im Ergebnis keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Nach den Feststellungen erfolgte die Geschwindigkeitsmessung mit dem Lichtschrankengerät E ... Typ µP .., das die Gemeinde K ... von der Firma L. GmbH mit Vertrag vom 1. Februar 1999 gemietet hatte. Mitgesellschafter und Geschäftsführer der Firma L. GmbH war der Zeuge Ka.. Mit diesem schloss die Gemeinde K ... unter dem 4. März 1999 einen unbefristeten „Arbeitsvertrag“ zur Aushilfe. Der Zeuge Ka. verpflichtete sich darin zur Leistung aller Arbeiten, die im Zusammenhang mit der Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen stehen, wie An- und Abfahrt zur Messstelle, Aufbau und Bedienung der erforderlichen Geräte, Konvertierung von Datensätzen, Erstellung von beweiskräftigen Fotodokumentationen, Wahrnehmung von Gerichtsterminen. Als Vergütung wurden 18,- DM pro Stunde vereinbart, die der Zeuge nach Erstattung durch die Gemeinde K... von der Firma L. erhalten sollte. Die Messorte und -zeiten wurden dem Zeugen von der Gemeinde K... durch den Leiter des Ordnungsamtes, den Verwaltungsbeamten W., vorgegeben. Nach einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag sollte die Gemeinde den Einsatz der verwendeten Messgeräte überwachen.
Nach Festlegung der Messstelle und -zeit durch den Leiter des Ordnungsamtes baute der Zeuge Ka. das Messgerät alleine auf, führte die erforderlichen Testmessungen durch, überwachte den Messvorgang, protokollierte Besonderheiten und baute das Messgerät auch wieder ab. Der Leiter des Ordnungsamtes fuhr mindestens einmal zur Messstelle und erkundigte sich über eventuelle BE...nderheiten der Messung. Das Messverfahren kontrollierte er nicht, da er keine eigenen Kenntnisse über den Umgang mit den Messgeräten hatte. Der Zeuge Ka. entwickelte die Filme, wertete sie aus, ermittelte die Kennzeichen zu den festgestellten Geschwindigkeitsverstößen und kontrollierte das Material auf Verwechslungen hin. Waren Datenfeststellungen nicht möglich, wurde der entsprechend Vorgang von dem Zeugen Ka. aussortiert. Der Zeuge gab sämtliche Daten getrennt nach Verwarn- und Bußgeld in den Computer ein. Das Ordnungsamt der Gemeinde K... erhielt sodann eine Diskette bzw. CD-ROM mit den gesamten Daten. Der Leiter des Ordnungsamtes prüfte die Frontfotos auf Erkennbarkeit und gab anschließend bei Bußgeldsachen alle weiteren Daten ungeprüft an das Regierungspräsidium K. weiter.
Der Zeuge Ka. war bis 1995 Polizeibeamter in Niedersachsen. Vom 20. bis 30. Juli 1993 hatte er einen Lehrgang bei der Polizeiausbildungsstelle für Technik und Verkehr an dem Messgerät E... µP ../VIII-Typ I erfolgreich absolviert. Mit fünf anderen Gemeinden hatte er ähnliche Arbeitsverträge wie mit der Gemeinde K... geschlossen. In den organisatorischen Ablauf der Gemeindeverwaltung war er nicht integriert.
Der Bürgermeister der Gemeinde K... schloss die vorgenannten Verträge mit der Firma L. und dem Zeugen Ka. in Kenntnis des Erlasses des Hessischen Ministeriums des Innern vom 19. Dezember 1995 über „Technische Hilfe für örtliche Ordnungsbehörden durch Privatpersonen“. Er wusste auch, dass der Leiter des Ordnungsamtes keinerlei Ausbildung und Kenntnisse im Umgang mit Geschwindigkeitsmessgeräten hatte. Das Amtsgericht hat die von dem Zeugen Ka. durchgeführte Geschwindigkeitsmessung für rechtswidrig angesehen, weil die Gemeinde K... nicht befugt gewesen sei, eine private Firma mit der Messung, Registrierung und Auswertung von Geschwindigkeitsverstößen zu beauftragen. Der Verstoß habe auch ein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Ein solches sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Ordnungsbehörde willkürlich zu Lasten des Betroffenen gehandelt oder die Geschwindigkeitsmessung unter bewusster Missachtung der für sie geltenden Bestimmungen angeordnet habe, wobei auch grob fahrlässige Missachtung genüge. Letzteres sei hier der Fall, da der Bürgermeister der Gemeinde K... den Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern vom 19. Dezember 1995 und damit auch die Anforderungen an die Geschwindigkeitsmessungen und den Einsatz von Privatpersonen gekannt habe.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht K. meint, es könne dahingestellt bleiben, ob es sich in dem vorliegenden Fall um eine unzulässige Geschwindigkeitsmessung gehandelt habe oder nicht. Die Gemeinde K... sei ersichtlich bemüht gewesen, die Messung im Einklang mit dem Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern über den Einsatz von Privatpersonen durchzuführen, so dass im Ergebnis jedenfalls kein Beweisverwertungsverbot bestehe.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und ebenso begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Mit Recht hat das Amtsgericht angenommen, dass die Geschwindigkeitsmessung
durch den Zeugen Ka. unzulässig war.
Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns, weshalb eine Mitwirkung von Privatpersonen nur sehr eingeschränkt möglich ist (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 1995 - 2 Ws (B) 210/95 OWiG, NZV 1995,368; KK OWiG-Lampe, 2. Aufl., § 35 Rdn.6 m.w.N.). In jedem Fall muss sichergestellt sein, dass die Verwaltungsbehörde „Herrin“ des Verfahrens bleibt (vgl. BayObLG, DAR 1997,206,207; Steiner, DAR 1996,272,273; KK OWiG-Lampe § 46 Rdn.18). Bei Geschwindigkeitsmessungen muss die Behörde daher nicht nur Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messungen vorgeben, sondern auch den eigentlichen Messvorgang durch eigene ausgebildete Mitarbeiter kontrollieren, um gegebenenfalls einschreiten zu können. Schließlich muss die Auswertung der Messergebnisse der Ordnungsbehörde vorbehalten bleiben.
In dem vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen für die Mitwirkung von Privatpersonen bei Geschwindigkeitsmessungen nicht gewahrt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts konnte der Leiter des Ordnungsamtes das Messverfahren nicht kontrollieren, da er keine eigenen Kenntnisse über den Umgang mit den Messgeräten hatte. Die Auswertung der Messergebnisse erfolgte auch nicht durch die Ordnungsbehörde, sondern durch den Zeugen Ka.. Dieser ist nicht als Bediensteter der Gemeinde anzusehen, da er - nach den Feststellungen - trotz seines „Arbeitsvertrages“ weder räumlich noch organisatorisch in die Verwaltung der Gemeinde K... integriert war. Das ergibt sich auch daraus, dass er nach wie vor Geschäftsführer der Firma L. GmbH war und mit noch fünf anderen Gemeinden ähnliche Verträge wie mit der Gemeinde K... abgeschlossen hatte.
2. Im Ergebnis zu Recht ist das Amtsgericht auch von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen.
Nicht jede unzulässige Beweiserhebung hat ein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Wenn eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt, ist grundsätzlich im Einzelfall zu prüfen, ob der Verstoss den Rechtskreis des Betroffenen wesentlich berührt oder nur von untergeordneter Bedeutung ist. Eine Rolle spielt hierbei auch, ob das Beweismittel auf ordnungsgemäßem Wege ebenso sicher hätte erlangt werden können (vgl. KK OWiG-Lampe, a.a.O., § 46 Rdn. 18 m.w.N.). Darauf kommt es jedoch nicht an, wenn die Ordnungsbehörde willkürlich zu Lasten des Betroffenen gehandelt oder die Geschwindigkeitsmessung unter bewußter Missachtung der für sie geltenden Bestimmungen angeordnet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 1995 a.a.O.). In diesem Fall ist grundsätzlich ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen. So liegt der Fall hier. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts kannte der Bürgermeister der Gemeinde K... den Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz vom 19. Dezember 1995 (Staatsanzeiger 1996,134). Darin heißt es:
„Verkehrsüberwachung ist eine hoheitliche Aufgabe. Es bestehen jedoch keine Bedenken, dass eine Privatperson einer örtlichen Ordnungsbehörde technische Hilfe leistet und ein mobiles Geschwindigkeitsmessgerät aufbaut. Der Bedienstete der örtlichen Ordnungsbehörde muss sich sodann in alleiniger Verantwortung vom ordnungsgemäßen Aufbau überzeugen, vorgeschriebene Funktionsprüfungen vornehmen, Messungen durchführen und nach deren Abschluss die Einsatzfilme/Videobänder entnehmen. Das Entwickeln des Filmmaterials sowie das Herstellen der Bilder sollte durch die örtliche Ordnungsbehörde erfolgen.
Insbesondere beim Fehlen eines gemeindeeigenen Fotolabors kann jedoch ein privates Fotolabor eingeschaltet werden, wobei die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beachten sind. Die Auswertung der Einsatzfilme/Videobänder hat in jedem Fall ausschließlich durch die örtliche Ordnungsbehörde zu erfolgen.“
Diese Bestimmung hat die Ordnungsbehörde zumindest hinsichtlich der Auswertung des Materials bewußt missachtet. Obwohl die Auswertung - insoweit eindeutig - ausschließlich durch die Ordnungsbehörde zu erfolgen hatte, wertete der Zeuge Ka. Das Material aus und ermittelte die Kfz-Kennzeichen. Dies stellt eine bewußte Missachtung der für die Gemeinde geltenden Bestimmungen dar. Daran konnte auch der „pro forma“ mit dem Zeugen Ka. geschlossene Arbeitsvertrag nichts ändern, da dessen fehlende Integration in die Gemeindeverwaltung offensichtlich war. ..."