Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Urteil vom 04.09.2006 - 12 U 204/04 - Zur Harmlosigkeitsgrenze, zu degenerativen Vorschäden und zur Normalität von Steilstellungen der Wirbelsäule

KG Berlin v. 04.09.2006: Zur Harmlosigkeitsgrenze, zu degenerativen Vorschäden und zur Normalität von Steilstellungen der Wirbelsäule


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 04.09.2006 - 12 U 204/04) hat entschieden:
Eine Steilstellung der Halswirbelsäule stellt keinen objektiven Hinweis auf eine unfallbedingte HWS-Verletzung dar, da eine solche nach dem heutigen Stand der Wissenschaft bei ca. 42 % der Normalbevölkerung festzustellen ist. Auch eine Kollisionsdifferenzgeschwindigkeit von 3 bis maximal 4,5 km/h ist auch unter Berücksichtigung einer etwaigen geneigten Körperhaltung und einer Kopfdrehung im Moment des Aufpralls nicht geeignet, eine Halswirbelsäulendistorsion hervorzurufen. Eine Vorschädigung kann auch zu einer erhöhten Anfälligkeit der Halswirbelsäule auf von außen einwirkende Faktoren führen, der wissenschaftliche Beweis für diese Argumentation ist bisher jedoch nicht erbracht.


Siehe auch Halswirbelschleudertrauma - Lendenwirbelschleudertrauma - unfallbedingte Wirbelsäulenverletzungen


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Auch ein von dem Kläger auf Grund eines nach seiner Behauptung bei dem Verkehrsunfall vom 17. Oktober 2001 erlittenen HWS-Syndromes begehrtes Schmerzensgeld hat das Landgericht zu Recht nicht zuerkannt.

Dabei hat das Landgericht zunächst auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die in dem erstinstanzlichen Gutachten angeführte Steilstellung der Halswirbelsäule keinen objektiven Hinweis auf eine unfallbedingte HWS-Verletzung darstellt, da eine solche nach dem heutigen Stand der Wissenschaft bei ca. 42 % der Normalbevölkerung festzustellen ist (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 28.8. 2003 – 12 U 88/02 – NZV 2004, 252). Dies gilt um so mehr, als die von dem Sachverständigen Dr. H. herausgestellte Steilstellung unstreitig auch auf Röntgenbildern des Klägers zu erkennen ist, die erhebliche Zeit nach dem streitgegenständlichen Unfall vom 17. Oktober 2001 gefertigt wurden, nämlich am 17. Februar 2004. Dies erhärtet die Annahme, dass es sich hierbei nicht um eine unfallbedingte Veränderung handelt.

Soweit das Landgericht deshalb und im Hinblick darauf, dass der erstinstanzlich beauftrage Sachverständige nur eine HWS-Distorsion im Bereich von 0 bis 1 diagnostiziert hatte, jedoch meinte, trotz der eindeutigen Ausführungen in dem Gutachten über eine unfallbedingte Verletzung des Klägers, diese nicht als mit dem Beweismaß des § 286 ZPO erwiesen ansehen zu können, begegnete dies Bedenken.

Das durch das Berufungsgericht eingeholte weitere Gutachten des Dr. P. hat jedoch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. über eine unfallbedingte HWS-Verletzung nicht bestätigt.

Dr. P. führt in seinem ausführlichen, in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten vom 11. Januar 2006 aus, dass die bei dem Kläger bereits vor dem Unfall bestehende chronische und behandlungsbedürftige Erkrankung der Halswirbelsäule so weit in der Ursächlichkeit für die ab dem 20.10. 2001 ärztlich dokumentierten Beschwerden war, dass sie die alleinige Teilursache der vom Kläger geklagten Beschwerden darstellte. Auf Grund des Fehlens jedweder objektiver Befundveränderungen ist nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen sich das Gericht anschließt, eine Mitbeeinflussung oder gar die vollständige Entstehung dieser Veränderungen durch den Unfall vom 17. Oktober 2001 nicht möglich gewesen.

Dabei hat der Sachverständige dargelegt, dass die sich aus dem unstreitigen Privatgutachten der Beklagten des Gutachters N. ergebende Kollisionsdifferenzgeschwindigkeit von 3 bis maximal 4,5 km/h auch unter Berücksichtigung einer etwaigen geneigten Körperhaltung und einer Kopfdrehung im Moment des Aufpralls nicht geeignet sei, eine Halswirbelsäulendistorsion hervorzurufen. Auch die Befunde der bildgebenden Diagnostik und der weitere klinische Verlauf nach dem Unfallgeschehen waren nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht geeignet, eine unfallbedingte Verletzung zu belegen.

Hinsichtlich der festgestellten Steilstellung, hat der Sachverständige Dr. P. darauf hingewiesen, dass diese auch auf den am 17. Februar 2004 gefertigten Röntgenbildern ausgeprägt zu erkennen gewesen sei, was unfallbedingt in keiner Weise mehr zu erklären sei.

Die von dem behandelnden Arzt festgestellten Veränderungen der Bewegungseinschränkung und einer muskulären Verspannung sind nach den Ausführungen des Sachverständigen als so genannte semiobjektive Kriterien zu werten und damit nicht zwangsläufig unfallbedingt. Nach Abwägung sämtlicher vorliegender Befunde und Unterlagen kommt der Sachverständige dazu, dass eine unfallbedingte Behandlungsnotwendigkeit nicht bestand und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht gegeben war.

Hinsichtlich der von dem Kläger vorgebrachten Vorschädigung der Halswirbelsäule hat der Sachverständige Dr. P. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23. März 2006 ausgeführt, dass eine Vorschädigung zwar auch zu einer erhöhten Anfälligkeit der Halswirbelsäule auf von außen einwirkende Faktoren führen könne, der wissenschaftliche Beweis für diese Argumentation bisher jedoch nicht erbracht sei.

c. Der Kläger hat nach alledem den Vollbeweis, den das Landgericht richtig als erforderlich angesehen hat, für die von ihm behauptete Verletzung der Halswirbelsäule bei dem streitgegenständlichen Unfall nicht erbracht. ..."



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