Das Verkehrslexikon

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Der medizinische Hintergrund bei HWS-Schleuderverletzungen und bereits vorliegenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule

Der medizinische Hintergrund bei HWS-Schleuderverletzungen und bereits vorliegenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule


Siehe auch Halswirbelschleudertrauma - Lendenwirbelschleudertrauma - unfallbedingte Wirbelsäulenverletzungen




Bereits seit Jahrzehnten existieren Untersuchungen, aus denen sich ergibt, dass bei zufällig ausgewählten Probanden, die alle völlig symptomfrei waren, bereits seit dem 20., jedenfalls aber ab dem 30. Lebensjahr und dann fortschreitend Osteochondrosen, Spondylarthrosen usw. vorhanden waren, jedoch ohne dass diese irgendeinen Krankheitswert erlangt hätten (vgl. Wedig, Rechtsfragen bei der Beurteilung von HWS-Schäden in DAR 1995, 60 f. mit zahlreichen Einzelnachweisen aus dem medizinischen Schrifttum). So spricht auch das OLG Hamm DAR 1994, 155 (156) unter Berufung auf den "Spiegel" von einer "regelrechten Volkskrankheit in den westlichen Industrieländern".


Wedig aaO. zitiert in diesem Zusammenhang (unter Verweis auf weitere Stellen aus der Fachliteratur) Wolff, Anmerkungen zu den Begriffen "degenerativ" und "funktionell" in ManMed 1987, 52 = ZOrthop 1986, 385) wie folgt:
"Eine Folge der bisherigen direkten Verknüpfung von "degenerativ" und "Erkrankung" ist der häufig - besonders in gutachterlichem Zusammenhang - gebrauchte Begriff der "Vorschädigung" bzw. der "Vorerkrankung". Weder aus der (...) Definition von "Krankheit" noch aus den Erfahrungen des täglichen Alltags ergibt sich eine hinreichende Rechtfertigung, geschweige denn ein Beweis dafür, der es erlaubte, normale Alterungsvorgänge als "Vorerkrankung" einzustufen.

Damit sei nicht in Frage gestellt, dass solche Alterungsprozesse loci minoris resistentiae schaffen können, die zum Beispiel einer Traumatisierung verminderten Widerstand entgegensetzen können."
Das Kammergericht Berlin (Urt. v. 04.09.2006 - 12 U 204/04) hat entschieden:
Eine Steilstellung der Halswirbelsäule stellt keinen objektiven Hinweis auf eine unfallbedingte HWS-Verletzung darstellt, da eine solche nach dem heutigen Stand der Wissenschaft bei ca. 42 % der Normalbevölkerung festzustellen ist. Auch eine Kollisionsdifferenzgeschwindigkeit von 3 bis maximal 4,5 km/h ist auch unter Berücksichtigung einer etwaigen geneigten Körperhaltung und einer Kopfdrehung im Moment des Aufpralls nicht geeignet, eine Halswirbelsäulendistorsion hervorzurufen. Eine Vorschädigung kann auch zu einer erhöhten Anfälligkeit der Halswirbelsäule auf von außen einwirkende Faktoren führen, der wissenschaftliche Beweis für diese Argumentation ist bisher jedoch nicht erbracht.
Es ist daher heute in der medizinischen Literatur keineswegs mehr unstreitig, dass röntgenologisch nachweisbar vorgeschädigte Wirbelsäulen in ihrer Belastbarkeit stark eingeschränkt sind und daher auch bei leichteren Auffahrunfällen schnell ein sog. Beschleunigungstrauma auftreten kann. Jedenfalls muss der Verletzte den medizinischen Vollbeweis führen, dass dies bei ihm der Fall war, wenn er eine Schmerzensgeld- oder sonstigen materiellen Anspruch wegen einer HWS-Verletzung geltend machen will.