Das Verkehrslexikon

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OVG Münster Urteil vom 23.05.1995 - 5 A 2092/93 - Zur Überwachungsfrist von 48 Stunden und nach dem Einparken aufgestellten Haltverbotsschildern

OVG Münster v. 23.05.1995: Zur Überwachungsfrist von 48 Stunden und nach dem Einparken aufgestellten Haltverbotsschildern


Zum Gesamtkomplex der Kfz.-Umsetzungsgebühren bei nachträglich aufgestellten Verbotsschildern nimmt das OVG Münster (Urteil vom 23.05.1995 - 5 A 2092/93) ausführlich Stellung:
  1. Die für die Wirksamkeit eines Verkehrszeichens erforderliche Bekanntgabe setzt voraus, dass es von dem, der selbst oder dessen Fahrzeug in den Wirkungsbereich des Verkehrszeichens gelangt, bei Anlegung des von § 1 StVO vorgegebenen Sorgfaltsmaßstabs ohne weiteres wahrgenommen werden kann.

  2. Der Umstand, dass Halteverbotsschilder erst nach dem rechtmäßigen Abstellen eines Fahrzeugs angebracht worden sind, steht der Verhältnismäßigkeit des Abschleppens regelmäßig nicht entgegen, wenn zwischen dem Aufstellen der Schilder und dem Abschleppen eine Frist von 48 Stunden verstrichen ist.

  3. Ist das Abschleppen in derartigen Fallgestaltungen rechtmäßig, hat der Störer auch die Kosten dafür zu tragen.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Abschleppkosten


Zum Sachverhalt: Der Kl. stellte seinen Pkw am 30.8.1991 am Straßenrand in einer Großstadt ab. Am folgenden Tag trat er eine dreiwöchige Urlaubsreise an. Am 7.9.1991 wurden an der Straßenseite, auf der der Pkw des Kl. stand, mobile Halteverbotsschilder (Zeichen 283 nach § 4111 Nr.8 StVO) aufgestellt, da - was dem Kl. nicht bekannt war - ab 10.9.1991 Bauarbeiten für eine Fernwärmeleitung durchgeführt werden sollten. Am 10.9. 1991 beauftragten Bedienstete der Bekl. ein Unternehmen mit der Entfernung des Fahrzeugs des Kl. Der Wagen wurde auf den Betriebshof des Unternehmens transportiert, wo ihn der Kl. später gegen Zahlung von 184,71 DM abholte. Die Klage, mit der der Kl. die Erstattung dieses Betrages von der Bekl. begehrte, hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kl. hat keinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen die Bekl. auf Zahlung des verauslagten Betrages, weil er durch die Zahlung dieses Betrages einen Anspruch der Bekl. aus § 77 VwVG i. V. mit § 1111 Nr.7 KostenO erfüllt hat, so dass der Bekl. ein Recht zum Behalten der tatsächlich an das Abschleppunternehmen, rechtlich aber an sie erbrachten Leistung zusteht.

Die genannten Vorschriften, wonach der Ordnungspflichtige der Vollzugsbehörde die Beiträge, die bei der Ersatzvornahme an Beauftragte zu zahlen sind, zu erstatten hat, greifen unabhängig davon ein, ob das Abschleppen rechtswidrig abgestellter Fahrzeuge als Ersatzvornahme einer Beseitigungsmaßnahme auf der Grundlage der ordnungsbehördlichen Generalklausel (§14 NRWOBG) oder als Sicherstellungsmaßnahme nach § 24 NRWOBG, § 43 Nr.1 NRWPolG zu qualifizieren ist.

Beide Alternativen führen zu einer Anwendung von § 77 VwVG und § 1111 Nr.7 KostenO (vgl. § 14 NRWOBG, §§ 5511, 571 Nr.1, 59 VwVG bzw. § 24~NRWOBG, §§ 43 Nr.1, § 46111 NRWPolG).

Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die §§ 14 und 24 NRWOBG, § 43 Nr.1 NRWPolG als Voraussetzung des ordnungsbehördlichen Eingreifens vorsehen, bestand vorliegend. Im Zeitpunkt des Einschreitens der Bekl. lag ein Verstoß gegen § 12 I Nr. 6 a StVO vor, da sich das Fahrzeug des Kl. in einem Bereich befand, in dem das Halten und Parken durch das Zeichen 283 nach § 4111 Nr.8 StVO verboten war. Das im Zeichen 283 verkörperte Halteverbot ist dem Kl. gegenüber wirksam geworden. Die für die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes in Form eines Verkehrszeichens bedeutsame Bekanntgabe setzt voraus, dass es von dem, der selbst oder dessen Fahrzeug in den Wirkungsbereich des Verkehrszeichens gelangt, bei Anlegung des von § 1 StVO vorgegebenen Sorgfaltsmaßstabs ohne weiteres wahrgenommen werden kann. Nach diesem durch die bundesrechtlichen Spezialvorschriften der StVO geprägten Bekanntgabebegriff ist es unerheblich, ob der Betr. das Verkehrszeichen tatsächlich wahrgenommen hat (OVG Münster, NZV 1990, 407 = NJW 1990, 2835 = DÖV 1991, 120 [1211; OLG Köln, NZV 1993, 406 = DAR 1993,398; Klenke, NWVBI 1994, 289; zu demselben Ergebnis gelangend: OVG Münster, Urt. v. 29.9.1987 - 9 A 2767/85 -).

Die Fortdauer der Eigenschaft als Verkehrsteilnehmer und die damit einhergehende Fortdauer der Sorgfaltspflichten des § 1 StVO bei einem Dauerparker haben zur Folge, dass Verkehrsteilnehmer und Fahrzeuge auch dann im vorstehenden Sinne in den Wirkungsbereich eines Verkehrszeichens gelangen, wenn sie sich im Zeitpunkt der Aufstellung bereits in dem Bereich befinden, für den das Verkehrszeichen Geltung beansprucht. Die Unmaßgeblichkeit der tatsächlichen Kenntnisnahme rechtfertigt sich in derartigen Fällen - etwa bei Neuaufstellung von Verkehrszeichen, bei Wegfall von Erkennbarkeitshindernissen wie Schnee und Laub oder bei Hinabrollen eines fahrerlosen, auf abschüssiger Straße rechtmäßig abgestellten Fahrzeugs in den Bereich eines Halteverbots - aus dem Grundprinzip des Straßenverkehrsrechts, eine eindeutige, regelmäßig für alle Verkehrsteilnehmer einheitliche Verkehrsregelung zu treffen. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs lassen grundsätzlich eine Aufspaltung der Wirksamkeit von Verkehrszeichen für verschiedene Kreise von Verkehrsteilnehmern und Fahrzeugen nicht zu.

Nach diesen Grundsätzen ist das Halteverbot dem Kl. ordnungsgemäß bekanntgegeben worden. Der Kl. trägt selbst nicht vor, dass das mobile Verkehrszeichen so aufgestellt worden wäre, dass es für einen sorgfältigen Verkehrsteilnehmer nicht erkennbar gewesen wäre; Anhaltspunkte dafür sind auch nicht ersichtlich.

Die Anordnung der Entfernung des Fahrzeugs war zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig (§ 55 II VwvVG § 43 Nr.1 NRWPolG) und entsprach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zur Abwehr der bereits eingetretenen und noch andauernden Störung war das Abschleppen des Fahrzeugs geeignet. Das angeordnete Abschleppen war auch erforderlich, da andere, den Kl. weniger beeinträchtigende Mittel nicht zur Verfügung standen. Wegen der Urlaubsabwesenheit konnte dem Kl. nicht Gelegenheit gegeben werden, sein Fahrzeug selbst zu entfernen. Die Maßnahme konnte nicht auf ein Umsetzen des Fahrzeugs auf einen in der Nähe gelegenen Parkplatz beschränkt werden, weil ein solcher im Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahme nicht mehr zur Verfügung stand.

Schließlich hatte die Entfernung des Fahrzeugs nicht Nachteile zur Folge, die zu dem angestrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis stehen. Sie belastete den Kl. lediglich mit dem Aufwand für die Wiedererlangung des Fahrzeugs sowie mit den von der Bekl. vereinnahmten Kosten in Höhe von 184,71 DM. Der erstgenannte Aufwand ist begrenzt; der gezahlte Geldbetrag bleibt geringfügig. Diese Belastungen stehen zu dem Zweck der Maßnahme, die Durchführung der anstehenden Bauarbeiten durch die Beendigung des andauernden Rechtsverstoßes zu ermöglichen, in keinem Missverhältnis, nachdem die Bekl. mehr als 48 Stunden seit der Aufstellung der Halteverbotsschilder zugewartet hatte. Sofern es sich nicht um besonders dringliche Angelegenheiten handelt, lassen Maßnahmen, die - wie Straßenbauarbeiten und Sondernutzungen (etwa private Bauarbeiten, Umzüge, Straßenfeste) - die Einrichtung eines Halteverbots notwendig machen, regelmäßig einen zeitlichen Vorlauf von 48 Stunden zu. Angesichts der vielfältigen Anforderungen, die - insbesondere unter den heutigen großstädtischen Bedingungen - in straßenverkehrsrechtlicher und sonstiger Hinsicht an den Straßenraum gestellt werden, ist eine wesentliche Einschränkung der Effizienz der Gefahrenabwehr zu befürchten, wenn die Vorlaufzeit anders als in der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (OVG Münster, Urt. v. 29.9. 1987 - 9 A 2767/85; für mindestens drei Tage Vorlaufzeit: OVG Hamburg, HmbJVBl 1995,3) auf mehr als 48 Stunden bemessen wird. Eine Frist von 48 Stunden ist ausreichend, um Fahrzeughalter vor überraschenden Abschleppmaßnahmen mit dem erwähnten Folgeaufwand an Zeit und Geld zu bewahren. Eine derartige Vorlaufzeit deckt typische kürzere Abwesenheitszeiten - wie etwa an Wochenenden - ab. Vorliegend sind besondere Umstände, die die Einhaltung ~ längeren als der generell erforderlichen Vorlaufzeit geboten hätten, nicht gegeben.

Erweist sich demnach die Entfernung des Fahrzeugs als rechtmäßig, so ist der Kl. als für den Zustand seines Fahrzeugs gem. § 18 1 NRWOBG verantwortlicher Eigentümer zutreffend in Anspruch genommen worden.

Nach § 77 VwVG IV mit § 1111 Nr.7 KostenO hat er der Bekl. die bei der Ersatzvornahme an Beauftragte zu zahlenden Beträge zu erstatten. Diese nordrhein-westfälischen Vorschriften über den Kostenersatz bei Ersatzvornahmen eröffnen der Behörde - wie auch § 46 1111 NRWPolG - keinen Ermessensspielraum, sondern sehen eine gebundene Entscheidung vor mit der Folge. dass die Behörde die Kostenerstattung grundsätzlich verlangen muss (anders für Baden-Württemberg: VGH Mannheim, DÖV 1991, 163 [1641; DVBI 1991,1370; für Hessen: VGH Kassel, NVwZ-RR 1995, 29 [30]). Dies ergibt sich sowohl aus dem vom VG zu Recht hervorgehobenen Wortlaut der genannten Vorschriften als auch aus systematischen Überlegungen. Die Kostenpflicht des Störers ist ein Grundsatz des Polizei- und Ordnungsrechts; im Gegensatz zum nur nachrangig in Anspruch zunehmenden Nichtstörer, den keine Kostenlast trifft, der vielmehr seinerseits Entschädigungsansprüche geltend machen kann (§ 39 1 a NRWOBG), hat der Störer wegen seiner besonderen Beziehung zu der Gefahr die Kosten zu tragen, die sich als Fortsetzung seiner nicht selbst erfüllten Ordnungspflicht darstellen. Die Nichterfüllung der Ordnungspflicht rechtfertigt es, den Störer und nicht die Allgemeinheit mit den Kosten zu belasten. Eine Trennung zwischen Ordnungspflicht und Kostenlast begegnet dem Einwand, dass der Störer, der seine Ordnungspflicht nicht erfüllt, bei einer Freistellung von der Kostenpflicht gegenüber dem Störer, der seiner Ordnungspflicht auf eigene Kosten nachkommt, privilegiert würde (vgl. Seilen, DVBl 1985, 328). In Fallkonstellationen der vorliegenden Art ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Kostenpflicht des Störers nicht zuzulassen. Eine Fallgruppe, in der aus allgemeinen oder speziellen (Art. 14 GG) verfassungsrechtlichen Überlegungen oder aus einfachrechtlichen Gründen (etwa § 1411 KostenO) ein Absehen von einer Kostenerstattung in Betracht gezogen werden könnte, ist hier nicht einschlägig.

Ob die Kostenhaftung des Zustandsstörers durch die Bildung von Risikosphären eingeschränkt werden kann - insbesondere für die Realisierung von nicht vorhersehbaren Gefahren, die nicht der Risikosphäre des Zustandsverantwortlichen entstammen - (vgl. Hohmann, DVBI 1984, 997; Pietzeker, DVBI 1984, 457; Schink, DVBI 1986, 169; abl. VGH München, NVwZ 1986.942 [944];Jagusch / Hentschel, StraßenverkehrsR, 33. Aufl., § 12 StVO Rdnr. 66; das Kriterium der Vorhersehbarkeit abl.: OVG Münster. Urt. v. 29.9.1989 - 5 A 878/89) - kann offenbleiben, da das Risiko, das sich in Konstellationen der vorliegenden Art verwirklicht, der Sphäre des Fahrzeugeigentümers zuzuordnen ist. Der ruhende Verkehr einschließlich des Dauerparkens gehört zwar generell zu den straßenverkehrsrechtlich erlaubten Formen des Parkens (vgl. BVerfGE 67, 299 [323] = N]W 1985, 371; BVerwG, DÖV 1978, 886 [887]; BVerwGE 44.193 [194]); die Erwartung, im öffentlichen Verkehrsraum an einer bestimmten Stelle für einen längeren Zeitraum parken zu können, ist rechtlich jedoch nicht geschützt. Dies folgt aus dem Umstand, dass nicht der ruhende, sondern primär der fließende Verkehr die notwendigen Regelungsinstrumentarien prägt, die entsprechend den Anforderungen des heutigen Straßenverkehrs vielfältigen Situationen gerecht werden müssen und deshalb flexibel einsetzbar, insbesondere kurzfristig veränderbar sein müssen. Ein entsprechend flexibles Verhalten ist von allen Verkehrsteilnehmern, also auch von den Teilnehmern am ruhenden Verkehr zu verlangen. Auch sie müssen stets den Eintritt von Situationen - wie Lösch- und Rettungseinsätze oder plötzlich notwendig werdende Straßenbauarbeiten - in Rechnung stellen, die einer längerfristigen, ungehinderten Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrsraumes entgegenstehen.

Eine Unzumutbarkeit der Kostenbelastung wegen Fehlens eines Mindestmaßes an Sachherrschaft und eines Ausschlusses des privatnützigen Gebrauchs der Sache (vgl. BVerwG, NVwZ 1991, 475; NJW 1992, 1908 = NZV 1992, 423 L), liegt ebenfalls nicht vor. Sofern der Fahrzeughalter - wie hier - das Fahrzeug selbst abgestellt hat und Vorsorge für die weitere Benutzung und Wartung treffen kann, ist seine Sachherrschaft nicht eingeschränkt. Die Abschleppkosten - gegebenenfalls einschließlich der Verwahrungskosten - berühren den privatnützigen Gebrauch des Fahrzeugs nicht. Sie bewegen sich in einer Größenordnung, die die üblichen Unterhaltungskosten eines Kfz. nicht übersteigt, so dass sie eine Ausnahme von dem Grundsatz der Kongruenz von Ordnungspflicht und Kostenlast nicht rechtfertigen können.



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