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OLG Saarbrücken Urteil vom 25.07.2006 - 4 U 395/05-174 - Zur Haftung des Hoheitsträgers anstelle des Abschleppunternehmers bei Sicherung nach Unfall
OLG Saarbrücken v. 25.07.2006: Zur Haftung des Hoheitsträgers anstelle des Abschleppunternehmers bei Sicherung nach Unfall
Das OLG Saarbrücken (Urteil vom 25.07.2006 - 4 U 395/05-174) hat entschieden:
- Beauftragt die Polizei ein Abschleppunternehmen mit der Bergung eines verunfallten Fahrzeugs, so wird dieses Unternehmen hoheitlich tätig, so dass eine Haftung des Abschleppunternehmers gemäß § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG ausscheidet. Allerdings kommen Ansprüche gegen den Unternehmer aus § 7 Abs. 1 StVG in Betracht.
- Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt, wenn das Fahrzeug als Arbeitsmaschine eingesetzt wird und die Fortbewegungsfunktion keine Rolle spielt. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung kann ein und dasselbe Fahrzeug dabei sich gegenüber einem Geschädigten im Betrieb befinden und gegenüber einem andern nur als Arbeitsmaschine eingesetzt werden.
Siehe auch Stichwörter zum Thema Abschleppkosten und Amtshaftung im Verkehrsrecht
Zum Sachverhalt: Die Parteien stritten um Schadensersatz aus der Bergung eines verunfallten Pkws.
Die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten beauftragten die Beklagte mit der Bergung des klägerischen Fahrzeugs.
Der Kläger hat behauptet, dass bei der Bergung des Fahrzeugs durch die Mitarbeiter der Beklagten ein weiterer Sachschaden in Höhe von 11.005,70 € verursacht worden sei. Darüber hinaus hat er eine Nutzungsausfallentschädigung für 14 Tage in Höhe von 708,- €, Kosten für ein vorgerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten in Höhe von 934,59 € sowie weitere 40,- € eingeklagt, die er an die Beklagte für die Verwendung eines Ölbinders gezahlt hat. Er hat geltend gemacht, die vorgenannten Schäden und Kosten seien darauf zurückzuführen, dass die Bergung des Fahrzeugs unsachgemäß durchgeführt worden sei. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten das Fahrzeug mittels eines Abschleppkranes anheben und von der Straßenseite aus bergen müssen. Auch der Einsatz des Ölbindemittels sei allein durch die Beklagte verursacht worden. Die Ölwanne des klägerischen Fahrzeugs sei nach der Kollision mit dem Pfosten noch intakt gewesen und erst durch die Bergung beschädigt worden.
Die Beklagte hat bestritten, dass die Schäden am klägerischen Fahrzeug durch die Bergung entstanden seien. Diese seien bereits bei der vorangegangenen Kollision mit dem Pfosten verursacht worden. Im Übrigen sei eine Bergung von der Straße her mit einem Abschleppkran nicht möglich gewesen. Zum einen habe sich das klägerische Fahrzeug unter dem Vordach der dort ansässigen Videothek befunden und zum anderen habe die Polizei es angesichts des herrschenden Verkehrs abgelehnt, die D.-straße für den Einsatz eines Kranes zu sperren. Ein Absägen des Pfostens sei von der hinzugerufenen Feuerwehr wegen der damit verbundenen Brandgefahr abgelehnt worden. Als einzige Möglichkeit sei deshalb eine Bergung des Fahrzeugs vom Bürgersteig aus in der geschehenen Art und Weise möglich gewesen.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweiserhebung (Sachverständigengutachten) abgewiesen. Da die Beklagte hoheitlich tätig geworden sei, komme ausschließlich eine Haftung des Staates in Betracht.
Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... 1. Vertragliche Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte scheiden bereits deshalb aus, weil nach seinem eigenen Vortrag kein Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist. Bereits in der Klageschrift hat der Kläger vorgetragen, dass die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten die Beklagte mit der Bergung des klägerischen Pkw beauftragt haben (Seite 3 der Klageschrift, Bl. 3 d.A.). Auch in seiner Berufungsbegründung hat der Kläger nochmals bestätigt, dass die Beauftragung der Beklagten durch die Polizei erfolgt ist (siehe Schriftsatz vom 05.09.2005, Seite 5 oben, Bl. 164 d.A.).
2. Auch Ansprüche des Klägers aus §§ 823 I, 831 I, 839 I Satz 1 BGB scheiden nach Art. 34 Satz 1 GG aus. Denn die Beklagte hat in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt, so dass für ein etwaiges Fehlverhalten nach der in Art. 34 Satz 1 GG gesetzlich verankerten Haftungsverlagerung allein der Staat haftet.
Im vorliegenden Fall hat der Staat nicht unmittelbar selbst gehandelt, sondern sich der Beklagten als selbständiger privater Unternehmerin bedient. Die Rechtsprechung hat klar gestellt, dass es für die hieraus folgende Rechtsstellung des selbständigen Unternehmens nicht darauf ankommt, in welcher Rechtsform der Staat das betreffende Unternehmen zur Erfüllung seiner Aufgaben herangezogen hat. Entscheidend ist allein der Charakter der Aufgabe, welche von dem privaten Unternehmen wahrgenommen wird. Je stärker der hoheitliche Charakter der jeweils wahrgenommenen Aufgabe in den Vordergrund tritt, desto näher liegt es, den betreffenden Unternehmer als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen. Der Staat muss sich das Handeln eines privaten Unternehmens somit auch dann wie eigenes zurechnen lassen, wenn die Grundlage der Heranziehung des Unternehmens ein privatrechtlicher Vertrag ist (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 21.01.1993, NJW 1993, 1258, 1259).
Die Beauftragung eines Abschleppunternehmens mit dem Bergen und Abschleppen eines verunfallten Fahrzeugs stellt sich rechtlich als polizeiliche Vollstreckungsmaßnahme in Gestalt einer Ersatzvornahme dar. Die Polizei wird hier im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung tätig. Hätte die Polizei die Bergung mit eigenen Mitteln durchgeführt, stünde der hoheitliche Charakter der Maßnahme außer Zweifel. Deren rechtliche Beurteilung kann nicht davon abhängen, ob die Polizei selbst oder ein Dritter auf Anordnung der Polizei die Maßnahme vornimmt. Vielmehr wird der Abschleppunternehmer hier gleichsam lediglich als Erfüllungsgehilfe der Polizei tätig (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 21.01.1993, NJW 1993, 1258, 1259). Die Beklagte ist deshalb haftungsrechtlich als Beamter im Sinne des § 839 I Satz 1 BGB hoheitlich tätig geworden, so dass hierfür gem. Art. 34 Satz 1 BGB allein der Staat haftet. Entgegen der Meinung des Klägers hängt die Anwendbarkeit von Art. 34 GG nicht davon ab, ob die Beklagte sachgemäß oder unsachgemäß gehandelt hat. Entscheidend ist allein die Beauftragung der Beklagten durch die Polizei und der hoheitliche Charakter der Maßnahme. Die Haftungsüberleitung des Art. 34 GG wäre sinnlos, wenn sie nur bei ordnungsgemäßen Handlungen eingreifen würde. Denn dann besteht bereits keine Haftung des Handelnden und damit für eine Haftungsüberleitung auf den Staat kein Raum.
3. Auch eine Haftung der Beklagten aus § 7 I StVG kommt vorliegend nicht in Betracht.
Die Ersatzpflicht der Beklagten scheitert insoweit allerdings nicht schon an der Haftungsverlagerung auf die öffentliche Hand gem. Art. 34 Satz 1 GG. Denn die Halterhaftung nach § 7 I StVG wird anders als die Haftung des Kraftfahrzeugführers nach § 18 I StVG nicht durch § 839 BGB verdrängt (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 21.01.1993, NJW 1993, 1258, 1259).
Die streitgegenständlichen Beschädigungen fallen jedoch nicht in den Anwendungsbereich des § 7 I StVG. Zwar befand sich das Fahrzeug der Beklagten im Betrieb. Wegen der hohen Verkehrsgefahr ist der Begriff des Betriebs weit auszulegen (so Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage 2003, § 7 StVG RN 4; BGH, Urteil vom 05.07.1988, VersR 1988, 1053 f.). Danach ist der Anwendungsbereich des § 7 I StVG für alle Kraftfahrzeuge eröffnet, die sich im öffentlichen Verkehrsbereich bewegen oder in verkehrsbeeinflussender Weise darin ruhen. Der Betrieb eines Fahrzeugs beginnt deshalb mit dem Ingangsetzen des Motors und endet erst mit dem Motorstillstand außerhalb des öffentlichen Verkehrsbereichs (so Hentschel, a.a.O., § 7 StVG RN 5). Der Abschleppwagen der Beklagten befand sich deshalb zum Zeitpunkt der Schadensverursachung im Betrieb.
Der Schaden muss sich jedoch auch bei dem Betrieb des Fahrzeugs ereignet haben. Das setzt einen Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden und der Verwendung des Fahrzeugs gerade als Verkehrsmittel voraus. Entscheidend ist hier der Schutzzweck des § 7 I StVG. Danach ist der Schaden dann beim Betrieb entstanden, wenn er gerade durch die dem Kraftfahrzeugbetrieb typischerweise innewohnende Gefährlichkeit verursacht worden ist (Hentschel a.a.O., § 7 StVG RN 4). Es muss sich die von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt haben und das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug geprägt worden sein. Erforderlich ist ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeugs als einer der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine. Eine Haftung nach § 7 I StVG entfällt daher dort, wo die Fortbewegungsfunktion des Kraftfahrzeugs keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (so BGH, Urteil vom 05.07.1988, VersR 1988, 1053 f.; Hentschel, a.a.O., § 7 StVG RN 10). Anders als bei der Fallgestaltung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.01.1993 (NJW 1993, 1258, 1260), wo ein unbeteiligtes drittes Fahrzeug mit dem über die Straße gespannten Abschleppseil kollidierte, geht es im vorliegenden Fall um eine Beschädigung des zu bergenden Fahrzeugs selbst. Die behaupteten Schäden sind hier nicht durch eine Kollision zwischen dem Abschleppwagen und dem klägerischen Fahrzeug entstanden, sondern bei dem Versuch, dieses von einem abgeknickten Absperrpfosten zu ziehen, mit dem es zuvor kollidiert ist. Hierbei soll der Absperrpfosten den Unterboden des klägerischen Fahrzeugs aufgerissen haben. Bei dieser Konstellation erhält das Schadensgeschehen sein Gepräge allein durch den Einsatz des Abschleppwagens als Arbeitsmaschine. Seiner Fortbewegungsfunktion und Verkehrsbedeutung kommt demgegenüber keine Relevanz zu. Bei gebotener wertender Betrachtung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 7 I StVG kann ein und dasselbe Fahrzeug sich durchaus gegenüber einem Geschädigten im verkehrsrechtlichen Betrieb befunden und gegenüber einem anderen - wie vorliegend - nur als Arbeitsmaschine eingesetzt worden sein. Sollte hierbei der vom Kläger umgefahrene Pfosten durch unsachgemäßes Bergen den Unterboden des klägerischen Fahrzeugs aufgerissen haben, dann hätte sich hierdurch keine dem Kraftfahrzeugbetrieb typischerweise innewohnende Gefahr verwirklicht. Die Fahrzeugeigenschaft des Abschleppwagens tritt hier vollständig hinter seiner Verwendung als Arbeitsmaschine zurück. Es fehlt in einem solchen Fall der rechtliche Zurechnungszusammenhang zum Betrieb, so dass eine Haftung nach § 7 I StVG ausscheidet (Hentschel a.a.O., § 7 StVG RN 10). ..."