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Landgericht Detmold Urteil vom 22.12.2004 -2 S 110/04 - Kein Anscheinsbeweis bei Kollisionen im Kreisverkehr

LG Detmold v. 22.12.2004: Kein Anscheinsbeweis bei Kollisionen im Kreisverkehr


Das Landgericht Detmold (Urteil vom 22.12.2004 -2 S 110/04) hat entschieden:
Lässt sich bei einem Unfall im Kreisverkehr nicht feststellen, welcher der beiden Unfallbeteiligten den Kreisverkehr mit seinem Fahrzeug zuerst erreicht hat, spricht kein Anscheinsbeweis für eine Vorfahrtverletzung des einen oder anderen Unfallbeteiligten.


Siehe auch Unfälle im Kreisverkehr


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Kammer hat weder eine Vorfahrtsverletzung des Kl. noch eine Vorfahrtsverletzung des Bekl. feststellen können, so dass im Rahmen der gem. § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verantwortungs- und Verursachungsanteile lediglich die Betriebsgefahr beider Fahrzeuge berücksichtigt werden konnte. Diese ist im Streitfall für beide Fahrzeuge gleich hoch, so dass bei-de Unfallbeteiligten zu jeweils 50% für den dem Gegner entstandenen Schaden haften.

1. Die hier vorliegende Kombination des Verkehrszeichens „Kreisverkehr” mit dem Verkehrszeichen „Vorfahrt gewähren” gewährt dem Verkehrsteilnehmer auf der Kreis-bahn die Vorfahrt, und zwar für denjenigen, der es bereits passiert hat und sich im Kreis befindet gegenüber demjenigen, der seinerseits in den Kreisverkehr einbiegen will. Für die Feststellung, auf wessen Seite eine Vorfahrtsverletzung vorliegt, ist damit entscheidend, welcher Unfallbeteiligte zu-erst in den Kreisverkehr einfuhr und dadurch gegenüber dem später Einfahrenden Vorfahrt hatte.

2. Der vom AG mit der Ermittlung des Unfallhergangs beauftragte Sachverständige hat aber nicht sicher feststellen können, wer zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist. Unter Berücksichtigung der Eigenheiten der Unfallstelle, der von den Unfallbeteiligten gefertigten Unfallskizzen sowie der Beschädigungsbilder der Pkws ist der Gutachter im Rahmen der von ihm erstellten Zeit-Weg-Analysen zu dem Ergebnis gekommen, dass sowohl die Darstellung des Kl. als auch die Darstellung des Bekl. zum Hergang des Unfalls möglich sind.

3. Für eine Vorfahrtsverletzung des Kl. spricht auch kein Anscheinsbeweis. Die Beweisführung wird durch die von der Rspr. herausgebildeten Grundsätze des Anscheinsbeweises (prima facie-Beweis) erleichtert. Steht ein Sachverhalt fest, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Geschehensablauf hinweist, so ist diese Ursache oder dieser Ablauf, wenn der Fall das Gepräge des Üblichen und Gewöhnlichen trägt, als bewiesen anzusehen [BGH NJW 98, 79]."

Vor diesem Hintergrund nimmt die höchstrichterliche Rspr. einen Anscheinsbeweis für eine Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen regelmäßig dann an, wenn auf einer Kreuzung oder Straßeneinmündung zwei Kfz zusammenstoßen. Kommt es nämlich zu einem Zusammenstoß zweier Fahrzeuge in dem Einmündungsbereich einer untergeordneten Straße in einer übergeordnete Straße, so spricht die Lebenserfahrung wegen des engen und zeitlichen Zusammenhangs der Einfahrt in den Einmündungsbereich mit der Kollision dafür, dass diese auf eine Unaufmerksamkeit des einfahrenden, wartepflichtigen Fahrzeugführers zurück-zuführen ist [BGH NJW 82, 2686 m.w.N.].

Ein dem entsprechender Erfahrungsgrundsatz für eine Vorfahrtsverletzung des in den Kreisverkehr einbiegenden Verkehrsteilnehmers dann, wenn sich die Kollision im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit seiner Einfahrt in den Kreisverkehr ereignet, besteht dagegen nicht.

Denn Voraussetzung für die Annahme eines Anscheinsbeweises ist stets, dass es sich bei der Beweisfrage um einen typischen Geschehensablauf handelt, der unter Verwertung allgemeiner Erfahrungsgrundsätze die Bejahung der Beweis-frage nahe legt und damit dem Richter die Überzeugung in vollen Umfang begründet [BGH VersR 1979, 822, 823].

Diese Voraussetzungen liegen jedoch bei einer Kollision im Kreisverkehr nicht vor. Abweichend von den Fällen der Kollision von Fahrzeugen in Kreuzungs- oder Einmündungsbereichen gibt es im Kreisverkehr keinen räumlichen Bereich, in dem grundsätzlich von einem Vorfahrtsrecht des bereits eine Einfahrt eher in den Kreisverkehr eingefahrenen Verkehrsteilnehmers auszugehen ist. Anders als bei Kreuzungen und Einmündungen besteht im Kreisverkehr nämlich kein feststehender räumlicher Bereich, der die Vorfahrt eines Verkehrsteilnehmers in diesem Bereich stets gleichbleibend und unabänderlich für den Benutzer des bevorrechtigten Straßenteils endgültig regelt. Entscheidend für das Vorfahrtsrecht im Kreisverkehr ist vielmehr, wer zeitlich zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist, und nicht, wer bereits die längere Strecke im Kreisverkehr zurückgelegt hat. Deshalb kann aus der räumlichen Zuordnung der Kollisionsstelle im Kreisverkehr zu den naheliegenden Einfahrten allein der Vor-rang eines Unfallbeteiligten vor dem anderen nicht sicher bestimmt werden. Denn auch derjenige, der schon eine größere Strecke im Kreisverkehr zurückgelegt hat, kann wartepflichtig gewesen sein, wenn er eine entsprechend höhere Geschwindigkeit als der Unfallgegner gehabt hat und deshalb später als dieser in den Kreisverkehr eingefahren ist.



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